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6

Schwedenklee hatte in dieser Nacht verworrene, aber angenehme Träume: Fremde, phantastische Landschaften, transparente Wälder, glühende Meere, fremde, bezaubernd schöne Städte, unwirklich, wie aus Alabaster geschnitten, sonderbare Begegnungen, seltsame Abenteuer, Frauen, bekannte und fremde, eigenartig, aber alle in Tun und Gefühl nach ihm, Schwedenklee, strebend. Er war umdrängt von Zuneigung, von Bewunderung, von Liebe, es war ein großer und einziger Reichtum, man verschwendete sich an ihn. Er genoß diese Bevorzugung, sie schien ihm selbstverständlich, und gerade der Umstand, daß sie selbstverständlich schien, erfüllte seine Seele mit Ruhe und Heiterkeit.

Trotz der angenehmen Träume erwachte Schwedenklee spät am Morgen in gereizter Laune und mit schmerzenden Schläfen. Er nahm sein Bad, und von der Badewanne aus gab er das dreimalige Klingelzeichen zum Frühstück, so scharf und hart, daß Augusta genau wußte, woran sie war. In grau- und weißgestreiftem seidenen Pyjama betrat Schwedenklee das Speisezimmer. Beschwörend hatte Augusta den Frühstückstisch gedeckt: Lachs und Appetitsild, Oliven und gekochte Eier.

Schwedenklee näherte sich dem Tisch mit gerunzelten Brauen. Ein Brief! Wieder ein Brief mit den Gespensterbuchstaben! Mit zitternder Hand nahm ihn Schwedenklee auf.

»Sie verschmähen es, mir zu antworten. Sie ahnen wohl kaum, daß ich Ihnen unter Umständen Mitteilungen machen könnte, die für Sie von Wichtigkeit wären. Ich werde mir die Freiheit nehmen, bei Ihnen anzurufen, und hoffe, daß Sie einer Begegnung nicht länger ausweichen.«

Schwedenklee war an diesem Morgen schonungsbedürftig. Er hatte in der Nacht eine Flasche schweren Bordeaux getrunken – hingerissen von den Erinnerungen, er hatte ein halbes Dutzend Zigarren geraucht. Er war übernächtig, abgespannt, und seine Schläfe schmerzten.

Ohne zu denken, ohne die Herrlichkeiten des Frühstückstisches zu beachten: Lachs, Appetitsild, Oliven, stürzte er an den Schreibtisch und schrieb mit wütender Hand, ihn endlich gefälligst mit diesen sinnlosen Zuschriften verschonen zu wollen. »Sie mögen der Ansicht sein, daß Sie mir wichtige Mitteilungen zu machen haben, behalten Sie diese Mitteilungen für sich, ich lege nicht den geringsten Wert darauf.«

Fort, Rohrpost – augenblicklich!

Augusta zitterte, sie hatte ihren Gebieter nie mit solch zornrotem Gesicht gesehen.

»Das überschreitet doch alle Grenzen!« schrie Schwedenklee wütend.

»Welche unverschämte Zudringlichkeit! Besuchen, habe ich gesagt, ich will ihn besuchen? – Aber ich bin doch kein Narr!«

Nun, nachdem er seinem Herzen Luft gemacht hatte, schmeckten all die Leckerbissen des Frühstückstisches plötzlich wunderbar. Der Ärger verflog, und Schwedenklee vertiefte sich in die Zeitung.

Sein Unmut verrauchte vollends. Der Ausbruch von Raserei kam ihm nun selbst lächerlich vor. Als er das Frühstückszimmer verließ, hatte er sich soweit wiedergefunden, daß es ihn befriedigte, den zudringlichen Brief noch einmal in die Hand zu nehmen. Offenbar hatte der Unbekannte dieses letzte Schreiben in der größten Erregung hingeworfen. Die Buchstaben waren kaum zu entziffern. Mit einem verächtlichen Lächeln riß Schwedenklee den Brief mitten durch – die Antwort würde ihre Wirkung nicht verfehlen, er hätte schon lange Schluß machen sollen.

Zu seinem Erstaunen entdeckte er aber plötzlich auf der Rückseite des Briefbogens eine Nachschrift!

»Ihr mir so unverständliches Verhalten, Ihre unbegreifliche Gleichgültigkeit kann ich mir nur so erklären, daß Sie sich offenbar nicht mehr entsinnen, wer Rosa ist – oder leider – war, dieser Gedanke zuckt eben durch mein krankes Gehirn! Rosa, meine geliebte Frau, die ich, selbst dem Tode nahe, betrauere, war eine geborene Rosa Ellen Fröhlich, ihr Bühnenname lautete Rosa Froh.«


Eine leise Lähmung befiel die Hand, die den Brief hielt. »Ellen Fröhlich!« sagte Schwedenklee leise. »Dieses reizende Geschöpf! Sie also ...«

Ein leises flüchtiges Bedauern, andere Empfindungen der Trauer löste diese Mitteilung nicht aus. Diese lebenslustige Frau, für die er Villen und das berühmte Schwimmbassin entwerfen mußte! Sie, die so sonderbar rasch errötete, die Röte überzog sogar den Nacken – diese Arme, sie schien nicht glücklich geworden zu sein ...

Und er, dieser Törichte, der sein Gehirn selbst ein krankes Gehirn nannte, hätte er ihm nicht schon früher sagen können, wer sich hinter dieser Frau Rosa Blank versteckte?

Schwedenklee fühlte sich ordentlich erleichtert. Die Ungewißheit, das Grübeln wider Willen hatten ihn gemartert. Was hatte er weiter mit der ganzen Sache zu schaffen? Er hatte vier Wochen lang, oder vielleicht sechs, eine Liebschaft mit dieser Frau gehabt, eine kleine reizende Liebelei, vor achtzehn, zwanzig Jahren – damals in Paris – das war alles.

Er instruierte Augusta, daß heute vormittag ein gewisser Herr Blank anrufen werde. Sie möge sagen, er sei auf unbestimmte Zeit verreist.

In bester Laune kleidete er sich an, um auszugehen. Seit langen Tagen kam endlich die Sonne wieder durch.

Schwedenklee war gerade mit der Toilette fertig, als das Telephon klingelte.

Er öffnete die Türe und hörte Augusta mit weinerlicher Stimme einigemal wiederholen, daß der Herr Oberbaurat verreist sei. Offenbar gab sich Blank mit dieser Auskunft nicht zufrieden.

Augusta geriet in große Erregung. »Unverschämte Leute gibt es schon!« rief sie aus, als sie abgehängt hatte.

»So und damit ist die Sache erledigt«, dachte Schwedenklee und begab sich in ausgezeichneter Laune zu seinem Schneider in der Charlottenstraße.

Bei diesem Schneider in der Charlottenstraße – einer großen Firma – war eine junge Dame, ein Fräulein Wiedehopf, als Buchhalterin tätig. Die dicken, glänzend braunen Flechten turmartig über dem heiteren, offenen Gesicht aufgebaut, die Fingernägel glänzend poliert, duftend nach Frische, wie aus dem Ei geschält, ohne das kleinste Staubkörnchen – auf diese junge Dame hatte Schwedenklee seit einiger Zeit ein Auge geworfen.

»Ich lebe zu stumpfsinnig«, sagte er zu sich, als er dahinschlenderte. »Immer das ewige Kaffeehaus. Dieses Leben bekommt dir nicht, Schwedenklee. Wir werden diese kleine Wiedehopf heute abend zu ‚Figaros Hochzeit‘ einladen.«

Unterwegs löste er Karten zur Oper, und obwohl die Schar der Verkäufer und Zuschneider diesen weiblichen Schatz mit eifersüchtigen Blicken bewachte, hatte er Fräulein Wiedehopf, ohne daß es irgendwie auffiel, beim Hinausgehen zu ‚Figaros Hochzeit‘ eingeladen. Man mußte es nur verstehen.


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