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18

Schwedenklee hatte sich völlig verändert. In all den Wochen von Ellens Genesung hatte er kaum das Haus verlassen. Ins Stammcafé kam er nicht mehr. Man wunderte sich. Gerüchte schwirrten. Ein Stammgast berichtete, Schwedenklee habe in einer Nacht, da er aus dem Café kam, eine junge Dame – eine Lebensüberdrüssige – aus dem Kanal gezogen und zu sich ins Haus genommen.

Er wies auf eine Notiz hin, die in den Zeitungen erschienen war. Architekt S. rettete eine Lebensüberdrüssige, die aus Liebeskummer in den Landwehrkanal sprang.

Kurzum, Schwedenklee erschien nicht mehr im Café, und eine Woche später war er schon vergessen: ganz als ob er tot wäre.

Schwedenklee holte seine großen Mappen aus der Bibliothek. In der Bibliothek befanden sich besondere Schränke, und in diesen Schranken standen die Mappen, die er vor Jahren hatte anfertigen lassen. Es waren zehn graue Mappen, herrlich gebunden – manche enthielten gar nichts, manche enthielten ein, zwei Skizzen, andere mehrere. Die Mappe »Fabriken« war besonders umfangreich, die Mappe »Warenhäuser« ebenso. Die dickste Mappe hatte die Aufschrift »Städtebau – Verkehr«.

Über diese Mappe gebeugt saß Schwedenklee in all den Nächten, da er den Schlummer Ellens bewachte.

Vor Jahren hatte er sich, man wird sich erinnern, mit verkehrstechnischen Problemen Berlins intensiv beschäftigt. Es waren seinerzeit sogar einige Notizen darüber in den Zeitungen erschienen. Es gab in Berlin ein halbes Dutzend Bahnhöfe: die Bahnhöfe der Stadtbahn, den Lehrter Bahnhof, den Potsdamer, Anhalter, Schlesischen Bahnhof – es war, mit einem Wort, ein völliges Durcheinander.

Schwedenklee aber hatte in der Arbeit vieler Jahre eine Lösung gesucht und gefunden: von jedem beliebigen Punkte Berlins aus sollte man bequem jede Reiseroute antreten können!

Schwedenklee plante einen Riesenbahnhof, der gegenüber dem Reichstagsgebäude, mitten im Tiergarten, gelegen war und, über und unter der Erde, im Zusammenhang stand mit sämtlichen bereits vorhandenen Bahnhöfen.

Dieses interessante Problem fesselte ihn von neuem. Es schien ihm noch schwieriger, noch interessanter geworden zu sein. Ganze Nächte hindurch zeichnete er. Er plante die Veröffentlichung einer Broschüre, die Berlin, die Behörden verblüffen sollte.

Ellen genas.

Der Arzt sagte: »Sobald die Witterung es erlaubt, heraus aus der Stadt. Sie haben doch, höre ich, eine Besitzung auf dem Lande?«

»Ja.«

»Nun gut, dann sobald wie möglich aufs Land.«

Es war noch kalt, noch fiel Schnee, und schon machte Schwedenklee Pläne.

»Augusta,« sagte er, »halten Sie sich bereit. Wir werden bald aufs Land gehen. Ich hoffe, Sie haben genügend eingekocht –«

Zu Ellen sagte er: »Liebe Ellen, der Arzt will, daß du aufs Land in frische Luft kommst. Wir werden bald reisen. Aber, liebes Kind, wir müssen dich etwas ausstaffieren.«

Herrliche und ganz wundervolle Tage für Schwedenklee, da er mit Ellen einkaufte!

Wäsche, Kleider, Schuhe. Sie besaß ja nichts!

Ellen sträubte sich.

»Aber, erlaube doch,« sagte Schwedenklee, so bestimmt, daß Ellen nicht zu widersprechen wagte, »wir leben nun einmal in dieser Welt! Du mußt Kleider haben, Mäntel, Hüte, Schuhe ...«

Wochenlang waren sie in den Geschäften unterwegs.

Er stattete sie aus wie eine Braut, als ob sie seine Tochter wäre, die er zu verheiraten hätte.

Obschon nur Junggeselle, wußte Schwedenklee ganz genau, was eine junge Dame alles brauchte – von den Taschentüchern angefangen bis zu den Unterleibchen und Gürteln, an denen die Strumpfbänder befestigt sind. Schwedenklee wußte genau, wie Taschentücher einer Dame gearbeitet sein müssen, wie der Besatz eines Hemdes auszusehen hatte.

Es war Schwedenklees höchste Freude, wenn er sah, wie Ellen errötete, weil sie sich in einem Kostüm, einem Mantel gefiel. Oder, wenn sie erregt wurde beim Befühlen von Linnen und Batist.

Ellen war äußerst bescheiden, sie widerstrebte, aber zuletzt gelang es ihm doch stets, sie umzustimmen. Zu Hause beobachtete er beglückt, wie sie Hüte und Mäntel vor dem Spiegel aufprobierte und die Erregung ihre Wangen färbte.

Es war ihm ein Genuß, mit Ellen auf der Straße zu gehen. Niemand ging vorüber, ohne daß sein Blick gefesselt auf ihrem Gesicht geruht hätte. Voller Stolz kassierte er all ihre Erfolge ein, die sie nicht einmal bemerkte. Sie ging leicht, ihr Schritt war leise, wie der ihrer Mutter, nie hatte er einen solch schwebenden Gang, eine solche natürliche Würde bei einer Frau beobachtet. Sie ging wie ein Tier, eine Katze vielleicht, unbewußt und schön, ihre schmalen Hüften spielten.

In einigen Geschäften gebrauchte man die Redensart: »Das gnädige Fräulein, Ihre Tochter –«

Schwedenklee wurde verlegen, zuweilen blutrot – Ellen lachte wie ein Kind. Sie hatte die Gewohnheit, wenn sie schelmisch lachte, die oberen Zähne in die Unterlippe zu drücken und etwas mit den Augen zu blinzeln.

Einige Sommerkleider für Ellen ließ Schwedenklee bei einer Schneiderin Henrietta anfertigen, die er von Nelly her kannte.

»Ich begreife nun, weshalb Nelly so rasend eifersüchtig ist«, flüsterte die Schneiderin eines Tages in unverschämt zutraulichem Tone.

»Ich bitte Sie, die Kleider, so wie sie sind, sofort an mich zu senden und Rechnung vorzulegen«, schrieb Schwedenklee am gleichen Tage, empört, daß die unverschämte Person Nelly und Ellen in einem Atem zu nennen gewagt hatte. Ja, diesem Volke mußte man Manieren beibringen!


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