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Einen Schlaganfall, der ihn streifte, hatte man mir – vielleicht auch ihm verheimlicht und als Nervenerschöpfung definiert. Plötzlich, aber viel zu spät, kam das Majorat. Der Aermste, der nicht mehr aus der Stube wollte, mußte nun seine Schlösser in Böhmen, Bayern und Württemberg bereisen. Der Unpraktische, der nie zu rechnen verstand, sollte die Erträgnislisten seiner Verwalter prüfen. Der plötzlich Reichgewordene, mit einem Einkommen von jährlich hunderttausend Kronen, sollte nicht nur die Wünsche seiner Familie, sondern die unglaublichsten, gierigen Zumutungen seiner nun plötzlich auftauchenden zahlreichen Verehrer und Verehrerinnen befriedigen. Händeringend bat er mich oft, diese Bettelbriefe zu lesen, diese Anbiederungen abzuweisen. Mein Humor stand ihm redlich bei. Ich diktierte – im Reichsgrafenstil. Mit seiner Gesundheit ging es unerbittlich abwärts.

War er von Jugend auf kein gesund natürlicher Mensch gewesen, hatte er Sonne und Regen, Licht und Luft von jeher gefürchtet, ja seine Fenster nur aus Rücksicht für mich, sobald ich eintrat, auf kurze Zeit geöffnet, weil ich darauf bestand, so bezog er jetzt wider meine Warnung in Wien eine dunkle, allerdings standesherrengemäße Wohnung, wo ich ihn nur noch zweimal lebendig traf. Ein Schlaganfall endete sein, gerade auf der Höhe materiellen Wohlbefindens durch Aergernisse, Reizungen und Enttäuschungen verekeltes, trauriges Dasein für immer. – Lebe wohl, alter Freund! Ich habe dir ein kleines, schlichtes Denkmal geweiht unter meinen Gedichten als letzten Gruß. Mit Emerich von Stadion ist allerdings die Zahl meiner lieben und treuen Freunde nicht im geringsten erschöpft. Im prosaischen Teile meiner gesammelten Schriften werde ich Gelegenheit und Raum finden, manche liebe Gestalt heraufzubeschwören und festzuhalten.

Bittere Stunden des Schmerzes und der Trauer bereitete mir der Herbst des Jahres 1885. Am 9. September starb mein guter Vater nach schweren Leiden an Gefäßverkalkung. Der milde, im Leben mehr schwache Mann ging mit erhebender Ruhe und ergreifender Gottesergebung dem Tode entgegen, der durch drei volle Wochen jede Stunde des Tages und der Nacht unmittelbar bevorstehend erschien. Nie vergesse ich die Frage des Vaters, die er einmal bei vorübergehender, täuschender besserer Stunde plötzlich an mich richtete: »Franz, wird denn nicht endlich meine Auflösung eintreten?« Mit einem lauten Schrei, als ob sein Herz zerspränge, starb mein guter Vater. Er wurde in Gmunden begraben. Die Mutter, trostlos und völlig gebrochen, nahmen wir zu uns nach St. Pölten. Hing sie doch an meiner Hermine und diese an ihr wie Mutter und Tochter! Aber ihr Leben schien in des Vaters Sarg gebannt zu sein. Die geistig unverwüstliche, humorvolle Frau siechte körperlich dahin. Der Genuß einer Lieblingsspeise, eines Fisches, erzeugte ein gastrisches Fieber, das nicht mehr weichen wollte. Um Mitternacht des letzten Februar 1886 folgte sie in sanften Phantasien meinem Vater in das ewige Jenseits hinüber.

Diese letzten Minuten verbrachte sie in leisen, hingesprochenen Fieberworten, denen meine Frau und ich atemlos lauschten, um ihrer letzten Gedanken teilhaftig zu werden. Da geschah etwas Wunderbares. Der kalte Verstand wird es eine Suggestion nennen; uns war es ein himmlischer Trost. Plötzlich fragte meine Mutter mit matter Stimme: »Sind denn alle meine Kinder da?« Die Augen hatte sie geschlossen. Ich wußte, daß mein Bruder, der aus Gmunden herbeigeeilt war, ihr jetzt in der Versonnenheit nicht allein vorschwebte, denn sie sprach oft und gerne von ihren längst verstorbenen Töchtern. Ich empfand, daß ihr Geist nicht bloß scheidend das Diesseits, sondern ahnungsvoll das Jenseits zu begrüßen schien, und da tat ich eine barmherzige Lüge. Ich sagte leise: »Alle, alle deine Kinder sind bei dir, Mutter. « Da öffnete sie halb die leuchtenden blauen Augen und fragte freudig: »Der Karl auch?« »Jawohl, der Karl auch.« »Und die Mali?« »Ja, die Mali.« »Und die Loisi?« »Ja, Mutter, auch die Loisi, alle sind wir da.« Da hauchte sie selig: »Alle seh' ich, alle sind da!« und verschied.

Bevor ich zum Abschluß meiner persönlichen Lebensskizze weiterschreite, möchte ich nur über drei meiner eigenartigsten dramatischen Werke eine kurze Betrachtung einflechten, weil sie einerseits meiner Lebensanschauung, anderseits meiner Richtung und Kraft im Bühnentechnischen einen deutlichen Ausdruck verleihen.

Schon frühzeitig hatte mich, unter dem Einflusse der Schillerschen Briefe über Faust, gewiß auch unter der Einwirkung der halb poetischen, halb philosophischen, »kritischen Gänge« Friedrich Theodor Vischers, der Gedanke verfolgt und nicht mehr losgelassen, in meiner Art mich in die Lösung dieses Problems, nicht gelehrt, sondern dichterisch zu versenken.

Nur ein Tor könnte glauben, daß ich mich vermessen wollte, an dem unantastbaren Werke Goethes rütteln zu wollen. Millionen verehren Goethes Geist, beugen sich in Liebe und Bewunderung vor diesem Einzigen und können doch der Empfindung nicht Schweigen gebieten, daß dieser zweite Teil des Faust bei allem Reichtum der Gedanken, aller Feinheit und Mannigfaltigkeit der Erfindung jener zwingenden Notwendigkeit in Gang und Lösung entbehrt, die nach seinem strengsten Gesetze ein Drama fordert. Hatte schon Schiller bezüglich einer Fortsetzung seine eigenen Gedanken – vor Vollendung des Faust – an Goethe ausgesprochen, so bleibt Grillparzers Urteil nicht überflüssig, hier angeführt zu werden. In seinen tagebuchförmigen Studien zur deutschen Literatur, 1833, sagt er hierüber:

»Ueber jenen zweiten Teil des Faust. Was läßt sich sagen? Goethe hatte teils durch das höhere Alter, größtenteils wohl aber durch die kanzleiartige Geschäftigkeit seiner letzten Jahre von jener lebendig-versinnlichenden Kraft eingebüßt, welche allein Gestalten gibt und Gemütsinteressen erweckt. Die Figuren, die er aus seinen Jugendschätzen bereichert, hatten sich ihm daher zu Träumen und blutlosen Schatten verdünnt, die man noch immer billigen, ja bewundern muß, denen man sich aber nicht mehr mit Teilnahme verwandt fühlt. Auch mag dazu noch gekommen sein jener begreifliche Wunsch von Goethes letzter Zeit, keines seiner geistigen Kinder unversorgt zurückzulassen. So wie ihn das veranlaßte, mit weitem, allgemeinen Streben in individueller Besonderheit angefangene Werke fortzusetzen und abzuschließen, so scheint es ihn sogar verleitet zu haben, Teile und Bruchstücke, die ursprünglich nicht füreinander bestimmt waren, gewaltsam in einen Verband zusammenzudrängen und die Sorge für die Herstellung der Einheit zum Ganzen der Bewunderung der Zeiten und der Gewalt seines Namens überlassen zu haben. Was bei Wilhelm Meisters Wanderjahren sichtlich geschehen ist, dürfte bei dieser Fortsetzung des Faust zum Teile auch der Fall gewesen sein. Die darin aufgenommenen antikisierenden Bestandteile wenigstens sind offenbar Bruchstücke aus einer Tragödie Helena, die Goethe in früherer Zeit entwarf, in der Folge aber wieder aufgegeben hat. Ebenso trägt die klassische Walburgisnacht deutliche Spuren eines antiquarischen Scherzes, unabhängig von Faust, den mittelalterlichen Wunderlichkeiten der Brockenszene ähnliche Monstrositäten der griechischen Zeit gegenüberzustellen. Es ist ein poetisch ausgeführtes Schema, wie Goethe sie zu machen liebte.«

Läßt sich gegen diesen Ausspruch eines für Goethes Wert und Größe mit Liebe und Ehrfurcht, bis zu einem gewissen Grade ihm dichterisch ebenbürtigen Geistes, nichts einwenden, so gilt gewiß von diesem zweiten Teile des Faust ein anderes Wort Grillparzers, das von Goethes allgemeiner poetischer Anlage spricht, um so mehr im besonderen: »Goethes Talent«, sagt Grillparzer, »ist meiner Meinung nach vorherrschend episch. Daher die wenige drastische Kraft seiner Dramen. Das Drama überhaupt soll ein Spiegel sein, in dem sich die lebendige Handlung malt; sein Drama ist ein Gemälde. Goethe ist als Dichter in allem unendlich groß, was er macht; als dramatischer Dichter scheint er mir durchaus ohne Belang. Die äußere Form des Dramas erstlich besteht im Dialog; zum dramatischen Dialog ist aber nicht genug, daß verschiedene Personen abwechselnd sprechen, sondern das, was sie sagen, muß unmittelbar aus ihrer gegenwärtigen Lage, aus ihrer gegenwärtigen Leidenschaft hervorgehen; jedes Wort muß überdies eine unverkennbare Richtung nach dem Zwecke des Stückes oder der Szenen haben, und dieses Letztere ist bei Goethen größtenteils nicht der Fall. Seine Personen sagen gewöhnlich alles, was sich über einen Gegenstand Großes und Schönes sagen läßt. Das ist recht schön, und ich möchte um alles in der Welt keine der schönen Reden in Tasso und Iphigenia vermissen, aber dramatisch ist es nicht.«

Was nun aber mein persönliches Verhältnis zur Idee einer Faustvollendungstragödie betrifft, so habe ich nur in ganz bescheidener Weise, ja in Andacht vor dem Riesenwerk Goethes die Empfindung meiner Individualität zum Ausdrucke gebracht. Es sei mir gestattet, hier einiges zu wiederholen, was ich vor längerer Zeit brieflich gegen meinen jungen, treuergebenen Freund, Franz Wastian, ausführlicher geäußert habe.

Der Gedanke zu diesem Drama, Mephistopheles in Rom, reicht in seiner Entstehung in eine ferne Zeit zurück, ist aber nur allmählich gereift und keineswegs auf kunstphilosophischem oder kritisch ästhetischen Wege entstanden. Etwa nach Ausbruch des großen deutsch-französischen Krieges 1870/71 erwachte in mir wieder lebhaft die Erinnerung an Friedrich Theodor Vischers Fauststudien sowie an Schillers Forderung an Goethe, den Helden dieser Tragödie ins handelnde, großgeschichtliche Leben einzuführen. Greifbare, dramatische Gestalt gewann die Erscheinung Fausts durch die genußreiche Lektüre des 8. Bandes von Gregorovius genialer »Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter«. Welche Aehnlichkeit zwischen jener Schlacht von Pavia und diesem Sieg von Sedan! Zwischen dieser Belagerung von Paris und jener Erstürmung Roms und der Kapitulation der Engelsburg anno 1527! Dort wie hier der Sieg der deutschen Kraft über die fremde Ueberhebung. Bei dieser Betrachtung dämmerte in mir der Gedanke auf, das weltpolitische sowie das religiös-geistige Element jener alten Epoche, das sich in meiner Zeit täuschend zu wiederholen schien, im farbenreichen Bilde jener Renaissancezeit dichterisch zu beleben. Deutsches Kaisertum und römisches Papsttum, Zwiespalt der Christenheit und Reformation der Geister; auf dieser Grundlage, auf diesem Hintergrunde erblickte ich Faust als Führer im Lager Frundsbergs unter den evangelischen Landsknechten, als Erstürmer Roms, als vermittelnden Sieger, über dessen Haupt jedoch Kaiser und Papst sich die Hände reichen. Aber nicht dieses äußere Gewand war mir die Hauptsache, sondern Fausts Seelentragödie. Ich hatte immer die dunkle Empfindung, daß Goethes herrlicher Faust 1. Teil zwar eine Gretchentragödie unvergleichlicher Art, aber nur die Exposition einer Faust-Tragödie sei. Dieser Abschluß im Armensünderturm endet mit Mephistopheles Ausruf »Her zu mir!« für Faust so rein äußerlich, daß wir von des Helden innerer Sühne für alles, was er an Gretchen verbrochen, durch das Fallen des Vorhangs buchstäblich abgeschnitten werden. Wenn ein Mensch von Geist und Gemüt die Geliebte solchem Jammer preisgegeben hat, erst der heimlichen Gewissensqual, dann der Verzweiflung, der Verlassenheit und Schande, endlich dem wahnsinnigen Kindesmord und dem Kerker und Hochgericht, dann muß sein künftiges Leben, wenn er es nicht durch Selbstmord endigt, nicht phantastischem, geistreichem Zauberspiel und beruhigtem Ausleben, sondern der großartigsten Sühne, freiwilliger Opferung von Leib und Seele gewidmet sein. Ueber dem Grabe des eignen selbstverwirkten Glückes muß er in den Dienst der Menschheit treten, und für das, was er als deren Ideal erkannt hat, geistige Freiheit, muß er leben, kämpfen, sterben.

Unsere Zeit, die Zeit der Humanität, der Geistesbefreiung, fordert, wie ich glaube, solch einen Abschluß der Fausttragödie. Das 18. Jahrhundert erblickte im Gretchen-Liebesmotiv, im Glücke des »Ich« den Himmel. Das 19., vollends das 20. Jahrhundert betrachtet das körperliche und geistige Elend unsrer Mitbrüder mit erhöhtem Anteil und hilfsbereitem Interesse, und unser Ideal ist Arbeit im Dienste des Menschengeschlechtes, nicht geistreiche Betrachtung und persönliches Glück. Weil aber Faust auf diesem kühn betretenen Wege noch einmal strauchelt, abgelenkt durch den Zauber weiblich sinnlicher Schönheit, (Helena von Urbino) so büßt er mit doppelter Berechtigung reuevoll durch den Feuertod. Diese kleine Darlegung glaubte ich mir schuldig zu sein gegenüber jenen, die eine Berührung des Faustproblems im Sinne unserer Zeit und aus eigenem Herzensbedürfnis blind schon für einen Frevel halten.

Wenige Jahre später bezeichnete man mich als den Dichter der »Spinnerin am Kreuz«. Gewiß nicht mit Unrecht, insofern dieses Schauspiel mein populärstes und besonders von Benefizianten gesuchtes Stück auf den Theatern geworden ist. Wie die meisten meiner Bühnenwerke hatte ich es anno 1891 zum Besten eines jungen Schauspielers, namens Karl Richter, auf unserem kleinen Stadttheater in St. Pölten unter der Leitung Direktor Viktor Berthals, zur Probe für mich, sorgfältig inszeniert, und der Erfolg war schon in unserem Städtchen mit Fräulein Balder in der Titelrolle ein höchst erfreulicher. Wie die Schicksale der Menschen sich wandeln, glücklich und traurig, so möchte ich hier nicht unerwähnt lassen, daß aus jenem jungen Benefizianten inzwischen der tüchtige Direktor Karl Richter (gegenwärtig anno 1911 Leiter des Landestheaters in Klagenfurt und der Bühne in Villach) geworden ist, während der wackere Direktor Berthal, vielleicht aus Ungunst der Verhältnisse, ja aus Not, sich wenige Jahre nachher in Stadt Steyr erhängte. Die Balder, kurz darauf die Gattin eines Arztes, glückliche Frau und Mutter geworden, wurde einem frohen Dasein durch frühen Tod entrissen.

Der damalige Leiter des Hofburgtheaters, Dr. Max Burckhard, fand bei der Lektüre meines Stückes, das ich ihm nicht eingereicht hatte, zu meiner Freude so viel Gefallen an dem Opus, daß er mir brieflich dessen Annahme anzeigte. Ich fand mich um so beruhigter, als ich ein paar Jahre früher eine wirklich erwähnenswerte Sonderbarkeit mit diesem Stücke im deutschen Volkstheater erlebt hatte. Ich war noch vor Eröffnung dieser Bühne mit deren künftigen Leiter, Direktor von Bukowic persönlich bekannt geworden. Er war ein sympathischer Gentleman, der auf mich den besten Eindruck machte. Ich teilte ihm den Plan des Werkes mit. Er war Feuer und Flammen und trieb mich an, es zu vollenden, es solle eine der ersten Vorstellungen seines neuen Hauses werden. Als das Stück fertig und von ihm gelesen war, drückte er mir seine Freude aus und erklärte es mittelst Handschlags als angenommen, führte mich in das noch halbfertige Theater und beteuerte, daß ich auf dieser Stätte eine dauernde Heimstatt finden werde. Ein mir bekannter Agent fragte mich, ob ich schon einen Kontrakt in Händen hätte. Als ich mit der Bemerkung verneinte, Bukovic habe beteuert, zwischen uns zwei befreundeten Männern genüge der Handschlag, sagte er ironisch: »Herr, da kennen Sie die Grenzen dieser Bühnenleitung zu wenig. Es sitzt jemand im Hause, der die Pachtsumme aufgetrieben und sich das pro und contra bei Annahme und Ablehnung vorbehalten hat, einer, der überall mitspricht; Bukovic ist nur ein Schatten.« Es wunderte mich auch später nicht mehr, als das Haus eröffnet war, daß nie mehr der Direktor zu sprechen, immer nur dieser eine an seiner Stelle gegenwärtig war; anfangs äußerst höflich, dann zerstreut, zuletzt fast schwerhörig, so daß ich es unter meiner Würde fand, diesen Stellvertreter und das Theater als vorhanden zu betrachten und jemals wieder an das gebrochene Versprechen zu erinnern.

Die erste Vorstellung fand zum Besten des »Wiener Journalisten- und Schriftstellervereines Concordia« im Karltheater, die folgenden im Hofburgtheater statt. Besetzung, Spiel und Ausstattung waren vortrefflich. Das Stück ging von Wien über Berlin auf zahlreiche reichsdeutsche, österreichische und ungarische Bühnen bis zu den kleinsten Wandertruppen herab. 1896 kam es durch Direktor Adam Müller-Guttenbrunn ins Raimundtheater und hat sich bis zur Wiederaufnahme ins Burgtheater, 1910, als lebenskräftig erwiesen. In Graz fand es eine ungewöhnlich herzliche Aufnahme, worüber mir Peter Rosegger schrieb:

»Lieber Freund!

Nachdem meine Frau mir von der Erstaufführung Deines Stückes soviel Hocherfreuliches erzählt hatte, raffte ich mich von meinem Krankenlager empor, um heute der zweiten Aufführung beizuwohnen. Ich sage Dir, Freund, das ist ein Drama! Aus der älteren Schule ein Meisterwerk, mit dem Du heute einzig dastehst. Wie hoch steht dieses Stück über all den Ibsens und Sudermanns und wie sie heißen mögen; wie klar und scharf ist das Bild, gleich einem alten Meister-Kupferstich, wie erschütternd und reinigend wirkt es! Und dieser dritte Akt! Die deutsche Bühne wird wenige Szenen haben, die mit diesem hochdramatischen, grausig-dämonischen dritten Akte vergleichbar sind. Was ließe sich da sagen! Wenn wir nur beisammen wären, daß wir so recht nach Herzenslust darüber sprechen könnten! Das Schreiben tut's nicht. Es ist jammerschade, daß Du nicht kommen konntest. Von einem Fieber sprichst Du. Du hast nach Graz zu fahren, wenn hier Dein herrliches Drama aufgeführt wird, damit Du siehst, wie man Dir dankt. Das Publikum war gefangen von der Kraft des Dramas und spendete brausenden, ehrlichen (nicht künstlich erzeugten) Beifall. Der einzige Tadel, den ich irgendwo aussprechen hörte, ist der: Zu ernst, zu düster ist das Stück! Und dies ist kein Tadel, sonst müßte an diesem Tadel Shakespeare längst zugrunde gegangen sein. Nach meinem Dafürhalten müßte die Spinnerin am Kreuz nicht bloß im Burgtheater auf dem Repertoire bleiben, wo man von den Neuern nicht viel Besseres hat, sondern auch auf alle deutschen Bühnen Oesterreichs und die Deutschlands übergehen. Wenn das nicht auf die Bühne gehört, und wenn das nicht dramatisch ist, dann weiß ich nicht, was man unter dramatisch versteht. Nun – der Mensch denkt, und der Rezensent lenkt! Unsere Schauspieler haben sich für Dein Stück begeistert und leisten darin ihr Bestes. Und nun, lieber Freund, laß Dich in Dankbarkeit und Verehrung küssen von Deinem

P. Rosegger.
Graz, am 9. Dezember 1892.

So erübrigt mir nur noch ein kurzes Wort über mein liebstes Werk zu sprechen, welches unsere ersten und besten Geister für mein reifstes und glücklichstes erklärt haben; über das deutsche Heldenspiel »Die Amelungen«.

Viele Jahre habe ich es dunkel im Herzen getragen, habe gewissenhaft mit dem Stoffe gerungen. Kein abgeschlossenes Werk, kein altes Heldengedicht, wie die Nibelungen, lag mir vor. Denn die Bruchstücke des sogenannten Heldenbuchs von Dietrichs Flucht, der Rabenschlacht, Ecken Ausfahrt, Laurin usw. sind spätmittelalterliche, derbe Bänkel voll Blut und Drachenkämpfen, die nichts mehr von Charakterzeichnung und sicherer poetischer Führung, nichts von psychischer Einheit besitzen.

Was konnte mich also reizen, dieser Elemente dichterisch mich zu bemächtigen? Wo war hier die Einheit, der Kern, das Zentrum, unserer, wie allen künftigen Zeiten verständlich?

Auch hier geschah in meinem Herzen ein gnädiges Wunder. Nicht ich habe den Stoff mit Gewalt ergriffen, er selbst überwältigte mich.


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