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Diese anderthalb Jahre gehörten unter die glücklichsten meines Lebens. Der sechsunddreißigjährige Junggeselle beging alle Torheiten eines rettungslos Verliebten und meine Kollegen und Bekannten im Städtchen nahmen mich nun ebenso ausgiebig aufs Korn, wie ich vorher sie aufs Korn genommen hatte.

Die Besitzung der Eltern meiner Braut, eine alte Fabrik, vorzeiten ein Jagdschlößchen, lag in einem weitläufigen Park mit Wiesenflächen, Wandelgängen und teilweise hohen uralten Bäumen. Dieser Garten bildete in der sonst ziemlich flachen und einförmigen Ackergegend eine vielbewunderte, träumerische Oase. Hier verlebte ich – vor und nach meiner Anerkennung als Bräutigam – mit meiner Angebeteten manches glückselige Stündchen.

Inzwischen war Laubes 70. Geburtstag herangekommen. Er war wieder Direktor des Wiener Stadttheaters geworden. Ich schrieb ihm einen kurzen herzlichen Glückwunsch.

Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten.

Eines Vormittags, ehe ich ins Gasthaus zu Tische ging, umwandelte ich, wie es ortsüblich war, die städtische Promenade. Da begegnete mir eines der Häupter der Stadt, ein mir schon befreundeter Rechtsanwalt, der mir laut zurief: »Ich gratuliere Ihnen, Herr Professor!«

Als ich nach der Ursache dieses Glückwunsches fragte, reichte er mir sein Zeitungsblatt, die Neue Freie Presse. Da las ich nun, daß gestern die Leseprobe meiner Tragödie »Sulamith« im Wiener Stadttheater stattgefunden habe.

Nun wurde ich bald auch brieflich zur Generalprobe eingeladen. Ich hatte die Erstaufführung meines Werkes zum Besten des Lese- und Redevereins der deutschen Studenten in Wien gewidmet. Niemals werde ich dieser Erstaufführung vergessen. Mein ausgezeichneter Regisseur war der geniale Künstler Dr. Rudolf Tyrolt. Seine schöne Frau spielte die Königin von Saba. In der Titelrolle schuf Katharina Frank ein hinreißendes Meisterwerk. Emerich Robert spielte den König Salomo. Ein auserlesenes Publikum füllte das Haus bis zum Giebel. Nach jedem Aktschluß erbrausten wahre Stürme, die die Künstler herausjubelten. Ich wurde in gleicher lauter Weise begrüßt und mußte sechzehnmal danken. Ich saß in einer Proszeniumsloge neben zwei bildhübschen Mädchen, meiner Braut Hermine und ihrer Kusine Stefanie. Vor Schluß des letzten Aktes ereignete sich ein höchst komischer Vorfall. Begreiflicherweise hatte ich nicht geeilt, mich zu zeigen, um meinen braven Künstlern den Vortritt zu lassen. Als sich aber am Schlusse der Ruf nach dem Autor stürmisch erhob, wollte ich endlich von meiner Loge im dritten Stocke die steile Wendeltreppe hinab zur Bühne eilen. Aber die eiserne Tür zur Stiege hatte das alte Weib, das hier die Pförtnerin spielte, bereits versperrt.

Ich schlug mit der Faust so lange an die Pforte, bis sie sich rasch nochmals öffnete und flog hinab. Unten stand Laube, den ich vor die Rampe hinausführen wollte, im Gefühle der Dankbarkeit. Aber der Alte war grimmig, stieß mich buchstäblich unter die Künstler vorwärts und schrie: »Hinaus! Wollen Sie das Publikum beleidigen?« So flog ich denn mit Salomo und Sulamith förmlich betäubt hinaus und empfing einen schönen Kranz mit schwarz-rot-goldenen Schleifen, den ich seit jenem 18. Oktober 1876, allerdings als einen arg zerzausten Veteranen noch aufbewahre. Der Dichter Mosenthal umarmte mich und bezeichnete meine Sulamith als das beste Werk nach Grillparzers »Esther«, schon nach Erscheinen des Buches.

Die maßgebende Kritik begrüßte teils auszeichnend, teils wohlwollend das Werk und seinen künstlerischen Erfolg. Der alte Laube – hierin ganz echt und meine Sache wie seine eigene empfindend – empfing mich des andern Morgens mit den Worten: »Nun, junger Mann, haben Sie nach einem solchen Abend wirklich schlafen können?« Als ich ihm das versicherte, beglückwünschte er mich herzlich und warm als Poeten und Bräutigam und sagte mir viel Lobendes auf meine Braut. Es ist hier der Ort, des für mich denkwürdigen Mannes mich in wenigen Zügen zu erinnern. Ich hatte mich ihm, trotz mehrseitiger Ermutigung, die letzten Jahre hindurch nur selten genähert, niemals mich aufgedrängt. Das Gehaben gewisser junger Leute um ihn, die durch ihn emporkommen wollten, ihm schmeichelten, Feuilletons in den Blättern »Aus dem Salon Laube« schrieben, war mir geradezu abstoßend. Der Alte durchblickte solche Zudränger und benützte sie klug als Leibtrabanten, die er sich ab und zu gefallen ließ, soweit er sie brauchen konnte. Aber da er durchaus ein auf sich selbst gestellter Mann war, besaß er stets die Achtung vor eigener Selbständigkeit bei anderen. Das fühlte ich und das wurde und blieb das Band der Sympathie zwischen uns. Denn nur der gewissenhafte Bühnenkenner und der Mann der Tat hatte mich angezogen. Niemals Laube der Bühnendichter, der dem Bühnendirektor sein Leben verdankte und mit ihm gestorben ist. Meine Phantasie entstammte dem Feenlande Grillparzers, meine Tradition der Bewunderung Hebbels, den Laube nie verstand und ablehnend (trotz der »Nibelungen«) tief unterschätzte. Mein Herz gehörte Otto Ludwig, den Laube allerdings sehr hoch schätzte, ohne ihn wesentlich vor dem höchst unbedeutenden Neueren zu fördern. Er war ein Mann der rastlosen Arbeit des Tages, werktätig und frisch zugreifend, immer praktisch, zuletzt als ihn der pekuniäre Erfolg seines Unternehmens im Stiche ließ, praktisch auf Kosten seines besseren Gewissens, als er nicht bloß die technisch vorgeschrittene, sondern auch die schmutzige Tageskunst der Franzosen in sein Haus übersiedelte, um dessen Fortbestand zu retten.

Das konnte mich nicht hindern, seine Vergangenheit hochzuachten, ohne die Einseitigkeit seiner Launen und Antipathien zu billigen. Unvergeßlich bleibt mir sein Ernst und seine Hingebung bei der Leitung der Generalprobe meiner »Sulamith«. Einmal sprang er selbst auf die Bühne, um einem Schauspieler über Gebärde und Stellung hinwegzuhelfen. Das andere Mal rief er der Darstellerin der Titelrolle plötzlich zu: »Sprechen Sie diese schönen Worte noch einmal, Fräulein!« Ganz erschreckt aber war ich von seiner praktischen Unerschrockenheit, ja Unverfrorenheit, die sich glücklicherweise bei der Aufführung als unnötig erwies. Gegen Ende des zweiten Aktes, da Jerobeam mit gezücktem Speere hervortretend, den König bei der Geliebten vor der Leiche des alten Ephraim überrascht, haben die Jagdbegleiter des Königs, sieben grüngekleidete Knaben, Bogenschützen, ihre Pfeile gegen den Eindringling Jerobeam zu richten, worauf der König folgende Worte dem Nebenbuhler zuruft, oder vielmehr über ihn hin an seine Jagdgenossen (die sieben grüngekleideten Knaben) richtet:

»Ihr Schützen,
Wenn eure Pfeile, siebenfach geschärft,
Nach seinem Herzen drohend, ihm nicht sagen,
Der Kampf sei ungleich, den sein Wahnsinn kämpft,
So zieh ich diesen Dolch aus meinem Gürtel ...«

Bei dieser Stelle unterbrach Laube den Darsteller des Königs, indem er in die Szene rief: »Wie viele grüngekleidete Knaben stehen auf der Bühne?« »Jetzt nur sechs!« rief der Inspizient. »Das siebente Kostüm ist noch nicht fertig.« Da brummte Laube: »Herr Robert, sagen Sie also: Ihr Schützen, wenn eure Pfeile sechsfach geschärft ...«. »Um Gottes willen,« rief ich dazwischen, »das siebenfach ist ja nur symbolisch zu verstehen –« »Tut nichts! – nur vorwärts! Weiter!« kommandierte der Alte und die Probe ging ihren Weg fort. In der Vorstellung aber klappte alles; da standen sieben grüne Knaben und der Text blieb unverändert. – – – –

So war ich mit einem Schlage, wie man im Zeitungsdeutsch zu sagen pflegte, ein sensationeller Mann geworden. Der Journalist Stern schrieb in der Wiener Deutschen Zeitung: »Hundertundein Kanonenschuß! Ein Prinz ist uns geboren! Ein echter und rechter Poet –.« Fast durch ein Jahrzehnt hieß ich nur in den öffentlichen Blättern der Dichter der »Sulamith«. Hätte ich nur einen Tropfen Blutes von einem industriellen Streber besessen, wie sie jetzt die Zeit in Scharen vorbereitete, ich hätte mein materielles Glück begründen können. Denn nun empfing mich auch Dingelstedt und versicherte mich seiner wärmsten künstlerischen Anerkennung. Ja, der Sekretär desselben bat mich, als ich mich verabschiedet hatte, geheimnisvoll in sein Gemach und sagte mir unter dem Siegel des Vertrauens, der Herr Baron lasse mich versichern, er halte es für seine Pflicht, mich zu fördern, meinen künftigen Werken im Burgtheater die Bahn zu brechen und mein Glück tatkräftig zu begründen. Ich war von diesen überaschenden Eröffnungen erfreut und förmlich betäubt.

Ich hatte für den Augenblick nichts Fertiges in Vorbereitung. In meinen Beruf zurückgekehrt, fand ich mich in weitabliegende aufreibende Pflichten und Arbeiten verwickelt. Kann es einen größeren Gegensatz geben als pädagogische Disziplin und theatralische Kunst? Schulinspektionskonferenzen und dramatische Phantasien? Pegasus im Joche war kein schlechteres Zugtier als ich strengeingespannter Schulhausgaul! Aber – gottlob! – es war immer in meiner Natur etwas vom geborenen Schauspieler, der mit jeder Rolle fertig wird. Ich machte aus der Not eine Tugend und fühlte bald auch den Segen rüstiger Arbeit im Kreise der Jugend, die mir täglich lieber, täglich verehrungswürdiger wurde in ihrer Unverdorbenheit und rührenden Dankbarkeit für jedes gute Wort. Zu jener Zeit erfreute mich der serbische Dichter Brancic mit einer Übersetzung meiner »Sulamith«, wofür er von der serbischen Akademie mit einem Preise geehrt wurde. Nun führte ich mit Mut und Zuversicht den Kampf um eine unbestrittene Lebensstellung, nicht minder um meine Braut, deren Eroberung nur Neid und Mißgunst, Verleumdung und Haß von fernster wie von nächster Nähe aus entzündete.

Aber wir ließen uns nicht trennen und am 4. Juli 1877 feierten wir in aller Stille in der Marienkapelle der Mariahilferkirche in Wien unsere Vermählung. Etwa drei Jahre mögen also dahingegangen sein, bis ein neues Drama fertig auf meinem Pulte lag.

Täglich mit den Lehren der Weltgeschichte beschäftigt, täglich im Kreise der mir anvertrauten deutschen Jugend, konnte ich nicht blind und taub gegen die zersetzenden Tendenzen sein, die allstündlich an der Arbeit waren, mein altes Vaterland unter den Schlagwörtern der Gleichberechtigung und politischen Befreiung in hundert widerstrebende Atome aufzulösen. An mir selbst empfand ich den Fluch einer allzu kosmopolitischen, jedes gebotenen Ursprungsbewußtseins entbehrenden, farblosen Erziehung.

Ein Vollblutmagyar war Staatsminister. – Budapest diktierte die Politik. Die deutschliberale Partei fraß aus der fetten Krippe und kümmerte sich nur um Stellenjägerei, nicht um das wahre Heil und Unheil des deutsch-österreichischen Volkes.

So geschah es, daß der Ausgleich der beiden neugeschaffenen Reichshälften, die treuesten Bannerträger des einstmaligen Reichsgedankens, die Blutzeugen und Märtyrer von Jahrhunderten, die jenseitigen Deutschen, allen voran die Siebenbürger Sachsen, der brutalen Entrechtung und Niederwerfung seitens der Ungarn und der Magyaronen gleichgültig preisgab.

Mich ergriffen die verhallenden Notschreie, die diesseits der Leitha kein Ohr fanden. In einer schlaflosen Nacht warf ich das »Sturmlied der Siebenbürger Sachsen« auf ein Blatt Papier und sandte es andern Morgens an Heinrich Reschauer, den braven und hochverdienstlichen Herausgeber der »Deutschen Zeitung« in Wien. Andern Tags, als das Sturmlied im Feuilleton erschien, mußte schon mittags eine neue Auflage des Blattes veranstaltet werden, so vergriffen war die Nummer, wie der edle Mann wir schrieb. Hunderte von Briefen aus Deutsch-Ungarn liefen bei mir ein und sandten mir Dank und ergreifende Segenswünsche. Der spätere evangelische Pfarrer, mein herzlieber Freund Julius Antonius, damals ein Einjährig-Freiwilliger, und der heute hochgeehrte Universitätsprofessor Dr. Berwert mit einem jungen Dr. med. Fabricius erschienen als Dankesdeputation der Siebenbürger Sachsen in meiner schlichten Wohnung in St.-Pölten, um mir die Empfindungen ihrer Blutsgenossen zum Ausdruck zu bringen. Selbst unser kleines Städtchen war in Rebellion. Die Deutschgesinnten begrüßten mich mit Ehren. Auch der Direktor meiner Anstalt, allzeit ein Mann von Herz und Charakter, freute sich meines offenen Wortes. Manche wichen mir aus. Ein sogenannter guter Freund, der jede Woche einen Abend bei mir bisher zugebracht hatte, erklärte mir, daß meine Kollegen protestieren müßten, wenn ich noch einmal etwas Derartiges veröffentlichen würde. Er stellte von da an seine regelmäßigen Besuche ein; aber mein edler Direktor drückte mir bewegt die Hand. Mein Herz war so voll der Ueberzeugung, daß ich recht getan hatte, daß ich des Getratsches nicht achtete.

Kurz darauf erschien ein öffentliches Dankgedicht als Antwort der sächsischen Nation in der Wiener Deutschen Zeitung, das mit den Worten begann:

»Hab Dank, du edler deutscher Mann,
Daß du das Wort gesprochen,
Du hast den langen, schweren Bann,
Der uns gedrückt, gebrochen!«

Inzwischen hatte ich mit Eifer und Andacht das Buch des Engländers Charles Boner über Land und Geschichte Siebenbürgens gelesen. Das begeisterte mich zur Schöpfung meiner Tragödie »Der Königsrichter«. Ich schilderte mit poetischer Wärme und dramatischer Freiheit das Schicksal jenes Markus Pemflinger, der sich für die Sache des Kaisers und seiner Nation geopfert hatte.

Als das Werk in Leipzig bei Breitkopf und Härtel als Buch erschienen war, reichte ich es Dingelstedt für das Hofburgtheater ein. Aber – da hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Unsere Bühnen begehrten Komödien, ernste oder heitere, die auf den Geist des Tages und der Großstadtleute berechnet waren, – kein das Gewissen der Menschheit vom Schlafe emporrüttelndes Werk. Die Ungarnfurcht beherrschte die maßgebenden Klassen der Gesellschaft; von der Feigheit sämtlicher Bühnen gar nicht zu sprechen. Das Berliner Hofschauspielhaus schrieb mir: »Für die Beziehungen der österreichischen Völker gibt es hier kein Interesse.« Dingelstedt lehnte mit freundlichem Wunsche nach einer anderen Arbeit höflich ab. Dagegen empfing ich ein herzlich zustimmendes Schreiben Sr. Exz. Ritter von Schmerling. Und – fast dreißig Jahre mußten vergehen, bis unser Volksurteil so gründlich geändert war, daß ich es erleben durfte, daß der »Königsrichter« unter einem wahren Beifallssturm durch die deutschen Hochschüler Wiens – ohne jede Zensurschwierigkeit – im Wiener Raimundtheater seine Erstaufführung erlebte. Wieder wurde im mechanischen Gehirn der Öffentlichkeit ein neuer Name für mich geprägt. Ich hieß jetzt der Dichter des Sturmliedes der Siebenbürger Sachsen. Die Leute vom Handwerk ahnen ja nicht, daß es dem Dichter auf seinem jeder Absicht fremden Wege weder um ein orientalisches Liebesgedicht, noch um ein aufdringliches Deutschtum, überhaupt um kein Schlagwort, nur um die Freude an lebensvoller Menschendarstellung zu tun sein kann und um die Befreiung seines Herzens von der Ueberfülle der Empfindung und der geistigen Bilderschau. Die Handwerker des Tages arbeiten ja wie die Schuster und Schneider, heute so morgen so, wie es die Mode begehrt, die vom letzten Skandal und von der neuesten Dummheit ihre Erquickung holt.

Daß der Dichter das Schicksal seiner Nation in seiner Seele miterlebt, miterleidet, er mag wollen oder nicht, das ist ihnen schwer verständlich. Einen mächtigen Herrn anzusingen, einer einflußreichen Partei ein tiefes Kompliment zu machen, kurz durch Wort und Schrift sich selbst in grelle, helle Beleuchtung zu setzen, gut und selbst – wenn es nicht anders sein kann – schlecht, jedenfalls möglichst oft und viel genannt zu werden, das ist das wahre und einzige Ziel der mehr oder minder klugen Köpfe, die es vorziehen, die Feder zu führen, anstatt auf viel einfacherem Wege durch Handel mit Holz, Butter oder Zuchtschweinen ihr einziges Ideal, möglichst viel Geld, aus der Dummheit der Mitwelt zu gewinnen. Kommt dazu noch eine politisch-vermoderte Epoche, eine Großstadt, die im Kreuzungspunkte gegensätzlicher Rassen und Interessen ihres eigenen Ursprungsgedankens verlustig, durch berechnete Schmeichelei sogar auf ihre schlimmsten Schwächen stolz geworden ist, endlich eine Presse, die mit Millionenmitteln nur für die Millionenmacht der stillen harten Mächtigen arbeitet, in deren Händen das Reich nur ein klug verteiltes Gebiet der Ausbeutung geworden ist, dann ist der Künstler, der nicht zur alles beherrschenden Sippe zählt, für diese Meute ein Tor, für die Einsichtigen aber ein Märtyrer.

Solche trübe, wenn auch nur flüchtig aufsteigende Betrachtungen der ewigen Wirklichkeit, müssen aber wie graue, öde Wolkengebilde, wie schnöde Wetterfetzen jedesmal zerstieben, wenn ich das Lieblingskästchen meines Archives aufschließe und in dem Paradiesgärtlein schöner, unverwelklicher alter Briefe mich verliere, die mir mit hundert Zungen predigen, daß es außer dem Bereich der Macher und Unternehmer, deren Schnittzeit ja doch so vergänglich ist, noch eine bessere, höhere Welt gibt, die Welt der großen Künstler und der edlen Geister.

Und wenn es auch niemals meine Absicht sein kann, dieses Heiligtum zu entweihen, indem ich seine Rosenblätter vor die Blicke der Oeffentlichkeit hinstreue, als ob ich mich selbst schmücken wollte, so übermannt mich doch die Gewalt der Erinnerung an zwei besonders geliebte große Künstler derart mächtig, daß ich beider Briefe, mir selbst zur Herzensbelebung, dem gleichgesinnten Leser zur Freude hier herbeiziehen will. Der erste Brief ist vom Hofschauspieler Josef Lewinsky. Die Veranlassung zu des Meisters Schreiben ist hier gänzlich gleichgültig. Ich gebe den Brief nur als Dokument und Offenbarung feinkünstlerischer Gesinnung. Er ist datiert vom 9. Juli 1878 aus Franzensbad.

»Verehrter Herr Professor, fast machen Sie mich ängstlich durch das Uebermaß an Vertrauen, welches Sie in meine künstlerische Einsicht, in meine geistige Macht setzen.

Es lohnt mich allerdings reichlich, wenn ich hie und da erfahre, daß ich auf einzelne, die sich einer geistigen oder künstlerischen Bedeutung rühmen dürfen, einen Eindruck gemacht, der ermutigend und fördernd auf deren Schaffen eingewirkt; aber ich bin mir recht wohl bewußt, daß das Anregende in mir nicht der positive künstlerische Wert meiner Darstellungen, sondern die Gesinnung ist, die mir innewohnt, eine Art gewaltigen Ernstes, mit welchem ich meinen Beruf auffasse, der in meinem Schaffen ersichtlich sein mag und zuweilen ermunternd wirkt.

Aber ich will redlich Ihnen jederzeit meine Meinung sagen: ob Ihnen dieselbe ein Rat sein kann, wollen wir abwarten. Den Fehler, in welchen Sie sich nach Ihrem eigenen Geständnis eingelebt haben, werden Sie wohl bekämpfen können, nachdem Sie ihn klar erkannt. Vergessen Sie nie, daß Ludwig nur durch seine qualvolle Krankheit, die ihn monatelang vom Schaffen ferne hielt, gezwungen war, Kritik zu treiben in seiner Weise, und daß es ihm nie beigekommen wäre, eine solche Anatomie des Wesens und der Technik des Dramas zu treiben, wenn er nur imstande gewesen wäre, niederzuschreiben, was seinem unglaublich produktiven Gehirn massenhaft zuströmte. Haben Sie nur den Mut Fehler zu machen, vertrauen Sie dem lieben Herrgott, der, halb unbewußt, in dem Künstler schafft, mehr, und dem richtenden, grübelnden Verstande viel weniger. Vermutlich sehen Sie zu lange auf einen Punkt; dadurch entdecken wir in allem Unvollkommenes, aber zuletzt entsteht denn doch die Frage, ob die Fehler in dem betrachteten Gegenstande, oder nicht vielmehr in dem überreizten, spähenden Auge liegen. Lassen wir also vorderhand alles Theoretisieren, sondern schaffen Sie in guter Stunde, wenn Ihnen dieselbe geschenkt wird und senden Sie mir gütigst Ihr fertiges Werk, ehe Sie es der Direktion einreichen. Ich werde es bei der ersten Lektüre auch nicht mit kritischem Auge, sondern mit dem Herzen lesen, wie ein ganz naiver Hörer mir die Worte herankommen lassen und erwarten, wie mich dieselben bewegen. Der Stoff scheint ein glücklicher und so vertrauen Sie Ihrer günstigen Stunde und sperren das alte Weib, die kritische Sorge, vor die Tür. Ich hoffe, im Herbste von Ihnen zu hören und werde mich Ihrem Werke gänzlich hingeben.

Mit herzlichen Wünschen und voller Aufrichtigkeit

Ihr Josef Lewinsky.«


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