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XII.

Die schlimmste Gefahr war vorüber. Auch Kamilla kam endlich dazu, sich niederzulegen. Sie war kaum erstaunt, daß wieder Jemand, ohne zu klopfen, die Thür öffnete. Ein blasses verweintes Mädchen erschien, Helene Bauer.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich störe, aber es handelt sich um ein Menschenleben.«

Sie hielt nur mühsam ihre Thränen zurück.

Kamilla hatte sich schon wieder erhoben und ging ihr theilnahmsvoll entgegen.

»Setzen Sie sich, mein liebes Kind, und erzählen Sie.«

»Ach, gnädige Frau, die Leute schreien es auf den Gassen aus: Paul Basler hätte das Feuer angesteckt. Hassemann hat es im ›Adler‹ erzählt und von da her hat es sich verbreitet – so schnell fast wie das Feuer selber.«

»Aber Kind,« beruhigte sie Kamilla, »ich glaube das ja nicht. Mir brauchen Sie weiter nichts zu sagen. Paul Basler steht unter meinem besonderen Schutz. Wer, wie ich, gesehen hat, wie tapfer er löschte, und rettete, wie selbstvergessen und muthig, kann dergleichen Geschwätz nicht glauben. Er ist überhaupt dazu unfähig. Machen Sie sich darum keine Sorge, meine Liebe.«

Helenens verweintes Gesicht nahm einen Ausdruck von Festigkeit an.

»Ich danke Ihnen sehr, Gnädige. Aber damit ist nichts geholfen. Sie kennen eben die Ursache nicht. Paul Basler ist bekannt als unzufrieden – er prozessirt gegen Ihr Haus, Sie wissen wohl wegen des Patentes, Frau Goldegg. Und Herr Hassemann ist sein Feind, das nährt den Verdacht.«

Kamilla wurde ungeduldig.

»Liebes Kind, ich habe nun endlich genug von dieser Patentgeschichte. Basler wird entschädigt werden. Was kann ich weiter thun?«

Das junge Mädchen hatte sich erhoben. So klein und zierlich wie sie war, so stolz aufgerichtet stand sie jetzt vor der reichen Frau, und mit einem Blick, aus dem der ganze Stolz der Armuth leuchtete, sagte sie entschiedenen Tones:

»Er will kein Geld, gnädige Frau, er will sein Recht, auch wenn er keinen Bissen Brot davon hat.« Sie wuchs zusehends, während sie so sprach, die Macht der inneren Ueberzeugung gab ihren Worten, ihrer Haltung Nachdruck und Würde.

»Er ist der Erfinder, gnädige Frau, ich weiß es genau. Hassemann hat ihn mit dem Patent überlistet, überrumpelt. Und er, Basler, hat keinen Beweis in Händen. Können Sie sich nicht denken, gnädige Frau, daß ein ehrlicher Mensch außer sich geräth, wenn man ihm nicht glaubt? Und nun meinte ich, gnädige Frau, Sie müßten ihm darum glauben, weil er ehrlich ist.«

Kamilla war fast betroffen über die eindrucksvolle, markige Art, mit welcher sich hier ein sonst bescheidenes Mädchen des jungen Mannes annahm.

»Dazu bin ich auch gerne bereit, liebes Kind, nur weiß ich nicht – warum sagte mir Paul dies Alles nicht selbst?«

Helene stockte.

»Oh, den Grund, den glaube ich zu kennen. Er wagt es nicht, weil – weil er Sie verehrt. Das Patent gehört ja – Ihnen

Kamilla schlug sich vor die Stirn. Daran hatte sie nicht gedacht, gewiß, das Patent war ja ihr Eigenthum, ihr Vortheil, und deshalb hatte er nicht weiter davon zu reden gewagt. Mit plötzlich aufflammender Herzlichkeit fragte Sie jetzt:

»Und warum sind Sie es, die für ihn plaidirt?«

Ein dunkler Blutstrom schoß dem bleichen Mädchen ins Gesicht.

»Weil – weil Basler zwei Jahre bei uns wohnte … Ist es da nicht begreiflich, daß ich Theilnahme, Mitleid mit ihm empfinde?«

Kamilla lächelte.

»Schön, ganz schön, mein liebes Kind – Sie haben also Mitleid mit ihm … Woher aber soll ich den Beweis nehmen? Denn ich kann ja auch nicht so ohne weiteres Hassemann Lügen strafen – einen Mann, der mir Jahre lang mit redlicher Hingabe diente.«

»Ich weiß nur eine einzige Möglichkeit, gnädige Frau. Basler hat mir erzählt, daß damals gerade in der Stunde der Entscheidung der Diener Jacob in das Laboratorium gerufen wurde. Vielleicht vermag der etwas zu sagen.«

Sofort wurde Jakob herbeigeholt. Ja, am Abend vor der Explosion hatte ihn der selige Herr gerufen, hatte ihm irgend ein Fläschchen gegeben mit der Weisung, es auf sein Pult in der Villa zu stellen. Weiter wußte auch er nichts.

Jakob wurde wieder entlassen, und nun sagte Kamilla:

»Ich werde also sofort das Pult meines Mannes durchsuchen; sowie Basler erwacht sein wird, soll es in seiner Gegenwart geschehen. Wenn man einen solchen Anwalt hat, wie Sie, mein liebes Fräulein, so muß die Sache doch zu richten sein.«

»O ich bitte, gnädige Frau,« wehrte Helene, »es ist nur Menschlichkeit, was mich zu Ihnen führte.«

Kamilla überlegte einen Augenblick, dann sagte sie fast noch weicher als zuvor:

»Nun meinetwegen – Menschlichkeit – Theilnahme – Freundschaft, nichts weiter, wenn Sie wollen! Aber Sie haben ganz recht gesehen: der gute Basler schwärmt ein bischen für mich, so wie junge Leute schwärmen. Nun sage ich Ihnen unter uns, Helene – wir Frauen verstehen einander ja – ich bin ihm ganz und gar unerreichbar! Und deshalb« – sie legte den Arm um die Schultern des jungen Mädchens – deshalb verzeihen Sie ihm und nehmen Sie sich auch fernerhin tapfer seiner an! Wollen Sie mir das versprechen, mein Kind – aus Freundschaft für mich?«

Auch Helene zauderte eine Weile, sie sperrte sich noch ein wenig; dann versprach sie es mit einem leisen, bebenden »Ja.«

»Aber gewiß?« fragte Kamilla noch einmal.

»Ganz gewiß, gnädige Frau.«

Thränen stürzten der Kleinen aus den Augen, und fast gegen ihren Willen brach es jetzt aus ihr hervor:

»Ja, ja – ich hab' ihn gerne, sehr gerne!«

Kamilla drückte sie fest an sich, küßte sie und sagte:

»Seien Sie ruhig, mein Kind! Die Narrheit mit mir wird ihm ja auszutreiben sein. Ich werde über Euch Beiden wachen.«

Es war Abend geworden. Der Brand war im Wesentlichen gelöscht, auch die dringlichsten Aufräumungsarbeiten so weit gefördert, daß man den ungeheuren Schaden annähernd übersehen konnte. Von drei gewaltigen Bauten standen thatsächlich nur noch die Umfassungsmauern. Zwischen diesen bogen sich die Eisenrippen des Gebälks und an ihnen hingen Fetzen der Cementverkleidung. Maschinentheile, die man gerettet hatte, lagen in großen Haufen auf dem Vorplatze; ein Waarenmagazin, welches auf der der Villa entgegengesetzten Seite stand, war merkwürdiger Weise nur in seinem oberen Stockwerk vom Feuer erfaßt worden, dagegen hatten die ungeheuren Wassermassen die unteren Geschosse völlig überfluthet. Es war kaum anzunehmen, daß von den enormen Beständen noch irgend etwas brauchbar sein würde. Der Verlust bezifferte sich auf Millionen.

Paul Basler hatte bis zum Abend geschlafen. Eben kam Kamilla leise herein, um nach ihm zu sehen. Sie sah sehr leidend aus mit ihren verweinten Augen, nach der durchwachten Nacht. Sie versuchte nicht, ihn zu wecken, doch schlug er die Augen auf und raffte sich auf.

Jetzt sah er nach Kamilla und dann zum Fenster hinaus und rief in verzweifelndem Tone:

»Oh, wäre ich doch mit verbrannt.«

»Sie sind ein Thor, Paul Basler,« verwies ihn Kamilla, »ich werde mich um Ihr Recht kümmern! Gewiß, jetzt gleich. Ich habe es dem Doktor Müllhardt versprochen und will sofort einmal in dem Pulte meines Mannes nachsehen. Kommen Sie mit mir.«

Er folgte ihr schwankend. Er glaubte an kein Heil mehr. Sie schloß das seit dem Tode Goldeggs versperrt gewesene Zimmer auf. Auch hier waren einige Scheiben gesprungen, und eine hineinleckende Flamme hatte die dunklen Portieren durchfressen. Rauch und Dunst erfüllte den Raum. Man stieß die Fenster vollends auf, ließ frische Luft herein in den so lange verödet gewesenen Raum.

Nun schloß Kamilla das Bureau auf und begann zu suchen. Da fand sich eine Mappe vor mit der Aufschrift: »Technischer Betrieb«. Hieraus konnte sich vielleicht etwas ergeben, oder aus den Notizbüchern: »Laboratorium«, »Chemie«. Aber während man in diesen Stücken noch blätterte und suchte, stieß Paul, dessen Blick über die Fächer geglitten war, einen Schrei aus.

»Meine Eprouvette – mein Probirglas!« Und er hielt es mit zitternden Händen empor.

Da stand ein Fläschchen, auf das er mit bebenden Lippen – mit den Augen eines Verliebten starrte.

»Hierin ist meine erste Präparation der Azofarben zum Zwecke der direkten Uebertragung auf Baumwolle. Ach, gnädige Frau, wenn Sie es doch glauben wollten.«

Sie nahm ihm das Fläschchen aus der zitternden Hand, tief bewegt durch die Erinnerung an ihren ersten Mann. In diesem Augenblicke sah sie ihn vor sich, hier an diesem Pulte, in seinem Fleiße, in seiner nimmer ermüdenden Hingebung. Und sie sah, was Paul nicht bemerkt hatte, daß auf dem Fläschchen eine Etiquette klebte. Auf diesem Schildchen stand mit der kritzlichen, etwas »kurzsichtigen« Handschrift Goldeggs:

»Erster Versuch Paul Baslers mit den Azofarben ohne Beize.«

Das gekürzte, aber deutlich erkennbare Datum bezeichnete den Tag vor seinem Tode. So erhob sich die Hand des gewissenhaften Mannes sozusagen aus dem Grabe, um Pauls Recht zu schützen, um seine Erfindung zu bezeugen.

Paul küßte entzückten Blickes das Zettelchen. Er dachte in diesem Augenblick nicht an das Patent, nicht an den Gewinn, den es ihm bringen könnte – nur daran, daß man nicht mehr an ihm zweifeln durfte, daß er kein Lügner mehr war. Oh, wie schön war das!

Kamilla weinte, ihres eigenen schweren Kummers vergessend.

»Oh, können Sie mir verzeihen, lieber Paul?« sagte sie, und unter ihren Thränen erschien sie ihm fast schöner, als je zuvor. »Ich hätte ja längst suchen müssen – ich glaubte dem Hassemann zu sehr. Aber wenn Sie wüßten, was ich selbst durchgemacht habe, wie viel Schreckliches, Schmerzliches, Sie würden mir gewiß vergeben. Nun aber sollen Sie reichlich entschädigt werden. Ich überlasse Ihnen das ganze Patent – werde das noch heute mit Müllhardt und Hassemann ausmachen. Sind Sie nun mit mir zufrieden?«

»Gnädige Frau, das ist zu viel. Ich verlange nichts, als mein Recht. Gewiß, die Erfindung ist von mir, aber sie war doch nur möglich durch die eingehenden, ausdauernden, oft kostspieligen Versuche, die Herr Goldegg mit mir gemeinsam machte.«

»Ich muß Sie doch aber schadlos halten, das sehen Sie ja ein.«

So stritten sie eine Weile, die Eine ihre Pflicht betonend, der Andere sein so lange heiß erstrittenes Recht nun selbst herabmindernd.

»Uebrigens, wissen Sie, mein lieber Freund, wer mich dazu veranlaßte, an der richtigen Stelle zu suchen? Helene Bauer war es – das brave, tapfere Mädchen.«

»Helene? Oh, die Gute – Gute.«

Weiter konnte er nichts hervorbringen.

In der Lebhaftigkeit ihres Gesprächs hatten sie nicht beachtet, daß draußen ein schwerer Tritt sich näherte. Jetzt wurde ohne Klopfen die Thür aufgestoßen und Hassemann trat ein, bleich wie ein Gespenst, in einer an ihm völlig fremden, gebrochenen Haltung.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich – ich …«

»Wo blieben Sie, Hassemann?« sagte Kamilla streng. »Seit vierundzwanzig Stunden habe ich Sie nicht gesehen?«

Er antwortete nicht, denn er war Paul Basler gewahr geworden, und sein stierer Blick ruhte jetzt auf ihm.

»Sie haben dem Paul Basler Unrecht gethan,« wollte Kamilla sagen, aber Hassemann hörte nicht auf sie. Mit geballter Faust stürzte er auf Paul zu.

»Lassen Sie ihn verhaften!« schrie er. »Er hat die Fabrik angezündet, nur er! Er hat wiederholt damit gedroht. Einmal mir in's Gesicht – Jakob ist mein Zeuge – und dann gestern Abend noch im ›Adler‹ sprach er von der ›Brandfackel‹, die man gegen das Kapital schleudern müsse. Er war wüthend wegen des Patentes, und gestern Abend strich er hier herum, ganz spät, allein, unbeachtet. Er wählte den Samstag, wo sich das Feuer ungestört verbreiten konnte, wählte einen Abend, wo Alles im ›Adler‹ war. Er war es, er hat mich elend gemacht, er hat mich in's Verderben gestürzt!«

»Aber Hassemann,« unterbrach Kamilla den nur noch mit heiserer, krächzender Stimme Keuchenden, »beruhigen Sie sich doch! Sie behalten ja Ihren Posten, obgleich Sie dem Paul Basler Unrecht gethan haben. Ich nehme an, Sie irrten. Sie thaten es in gutem Glauben. Ich werde neu aufbauen und Sie bleiben Direktor. Der Brand hat sie nicht vernichtet.«

»Sie wissen nicht – Sie wissen nicht –« gurgelte Hassemann, »oh, er, er hat's gethan. Mein Vergehen ist gering, ist menschlich …«

»Hassemann, Sie reden irre!«

»Nein, nein, Sie wissen noch nicht, gnädige Frau. Sie haben noch keine Ahnung von dem Schlimmsten …«

»So sprechen Sie, um Gotteswillen!«

Er schien reden zu wollen, brachte aber kein Wort hervor. Gebrochen sank er zu Kamillas Füßen nieder. Ein Schuß krachte – er hatte ihn gegen seine Brust abgefeuert.

»Ist denn die Hölle los?« rief Kamilla. »Der Mann muß völlig geistesgestört sein.«

Paul hatte die kostbare Eprouvette fallen lassen – sie zerschellte. Er stürzte zu dem Verwundeten. Hassemann röchelte noch.

»Der Arzt, schnell der Arzt!« schrie Kamilla.

In diesem Augenblicke stürzte mit gellendem Geschrei Anna herein. Sie hatte gesehen, wie ihr Herr den Revolver nahm, und war ihm gefolgt; aber sie wagte nicht, in das geheiligte Zimmer einzudringen, darum konnte sie auch gar nichts hindern.

»Ich, gnädige Frau,« sagte Paul Basler, nachdem Hassemann, der noch lebte, gebettet und gelabt worden war, »ich gehe, mich den Gerichten zu stellen. Man wird die Wahrheit ermitteln. Ich aber verlange eine strenge Untersuchung.«

»Aber Basler, ich glaube es ja nicht.«

»Genug, wenn es die Anderen glauben. Und sie werden es thun, weil Hassemann es verbreitete.« Er stürzte davon. Noch in der Thür wandte er sich um: »Bitte, gnädige Frau, nehmen Sie sich der armen Helene an.«

Auch in dieser furchtbaren Aufregung hatte er an die »arme Helene« gedacht. –

Inzwischen hatte Guido im »Adler« sein kleines Köfferchen gepackt. Er mußte rasch zu Klementinen und dem Kinde. Gegen Mittag ging ein Zug, schlafen würde er in der Bahn. Nur noch ein kurzes Abschiedswort an Müllhardt und Lora. Da trat der Justizrath in sein Zimmer.

»Lieber Doktor,« begann er, »wir wollen doch die Situation völlig klar stellen, bevor Sie reisen. – Also, ist es ernstlich Ihre Absicht, sich von der Goldegg zu scheiden? Geben Sie mir Ihr Wort darauf.«

»Mein Wort,« antwortete Guido dumpf.

»Nun denn, mein Lieber, so gratulire ich Ihnen! Denn Frau Goldegg ist heute eine arme Frau – vielleicht nicht völlig vermögenslos, aber doch arm im Verhältniß zu ihren Ansprüchen. Denken Sie nur, der Tölpel, der Hassemann, hat aus Dusselei versäumt, die Assekuranz zu erneuern. Der Schaden ist ungeheuer, weil außer der Vernichtung der Bestände und Maschinen es reichlich ein Jahr dauern wird, bis ein neuer Betrieb möglich ist. Außerdem ist Paul Basler eben bei mir gewesen, und es ist klar gestellt: er ist der Erfinder jener Azofarben, durch deren Patentirung die Firma Goldegg einen so enormen Aufschwung genommen hat. Das Patent gehört ihm, der Beweis dafür ist erbracht, und dieser Umstand dürfte der Frau Goldegg den Rest ihres Vermögens kosten. Der junge Mann muß abgefunden werden.«

Guido hatte sich aufgerichtet und lauschte mit steigender Aufmerksamkeit auf die schnell und beinahe im Tone des Triumphes hervorgebrachten Mittheilungen des Justizraths. Und jetzt trat er vor den Anwalt hin.

»Ist das auch wahr, was Sie mir da sagen? Irren Sie sich nicht?«

»Nein, lieber Herr Kollege, es ist Alles notorisch richtig. Seien Sie froh, daß Sie Frau Goldegg los sind! Suchen Sie mit meinem Mädel fertig zu werden. Freilich, es ist eine kleine launische Hexe – aber Ihr Glück ist gemacht.«

Horn schüttelte dem Justizrath die Hand, so daß dieser fast geschrieen hätte.

»Wir sprechen uns noch,« sagte er mit ganz eigentümlichem Ausdruck – ich fahre erst Abends.«

Und er stürzte davon. Müllhardt blickte ihm kopfschüttelnd nach. Der Mann sah ihm gar nicht vertrauenerweckend aus. –

In der Villa Goldegg stand der Arzt am Lager Hassemanns und erklärte den Zustand für bedenklich, aber nicht hoffnungslos. Man schaffte den Schwerverletzten hinüber in seine Wohnung, wo Anna bereits alle Vorbereitungen getroffen hatte, ihn zu pflegen.

Kamilla athmete auf, dies räthselhafte Schreckniß wenigstens aus den Augen zu haben. War sie doch genug mit ihrem eigenen Jammer beschäftigt. Sie hatte keine Nachricht von Müllhardt über Horn und den Verbleib ihres Kindes. Sie mußte still halten, müßig warten wie irgend ein rechtloses Weib. Und doch, wie gerne hätte sie selbst mit eigenen Händen ihr Kind geholt! Sie wollte es auch, aber Müllhardt hatte ihr noch keine Nachricht gegeben. Vielleicht wußte er selber nichts? Wenn es Wochen dauerte – o mein Gott, wie diese Wochen überleben?

Sie blickte hinaus nach den qualmenden Trümmern, in sträflicher Gleichgiltigkeit. Sie hatte für nichts mehr Sinn und Gehör als für ihre Sehnsucht nach dem Kinde.

Nur den Strafpredigten Rosas konnte sie nicht entgehen.

»Das geschieht Dir ganz recht,« knurrte die »Tante«. »Reichthum ist keine Schande – den braucht man nicht zu verleugnen! Doktor Horn ist ein netter, junger Mann, weshalb sollte er nicht nach Gelde heirathen? Das war ganz vernünftig von ihm. Du bist es, die verdreht gehandelt hat, und jetzt können wir uns unsern Jungen suchen.«

Da riß wieder Jemand, ohne zu klopfen, die Thür auf.

Guido Horn stand unter dem Plüschvorhang, lächelnd, strahlend, als wäre nichts geschehen.

Kamilla starrte ihn an wie ein Gespenst. Waren sie heute alle wahnsinnig?

»Wie wagst Du es – Räuber, Dich hier noch blicken zu lassen?« rief sie ihm entgegen.

Mit offenen Armen schritt er auf sie zu.

»Ich konnte den Kleinen nicht mitbringen,« sagte er, fast gemüthlich, »er ist schon nach Berlin zu Klementinen. Aber morgen früh sind wir bei ihm – Du und ich.«

Sein siegesgewisser Ton verblüffte sie, sie schwieg.

»Willst Du mir jetzt glauben, Du thörichtes Weib? Ich will Dich so wie Du bist, ohne Mitgift! Der Teufel hat sie geholt, die Mitgift.«

»Ich verstehe nicht …« stammelte Kamilla.

»Oh, Du weißt noch nichts, Du Arme? Dein braver Hassemann hat es versäumt, die Versicherung zu erneuern und eine halbe Million Mitgift liegt in Asche; ein weiteres Viertel bekommt Paul Basler und für die brodlosen Arbeiter muß auch ein ganz erklecklicher Brocken abfallen. Genug – Du hast nichts mehr! Es ist alles futsch, in einer Nacht zum Teufel gegangen! Oh Kamilla, wie ich mich freue, wie ich überselig bin! Nun sind alle Deine Grillen mitverbrannt. Wie glücklich werden wir sein … Wir machen uns ganz klein – so klein – ich bleibe draußen in Charlottenburg sitzen und werde arbeiten und sparen für unser Kind und Du, Du wirst eine gute Hausfrau werden! He?«

Sie stand ganz steif da. Sie begriff noch nicht. Zweimal noch mußte er ihr die Sache widerholen, ganz gründlich, das letztemal that er's, als plaidire er vor dem Senat des Kammergerichts. Dann fiel sie ihm aufjubelnd in die Arme.

Es war, wie in dem reizenden Märchen »Hans im Glücke«, der aufjubelte, als ihm nun auch der Stein in's Wasser gefallen war, der ihm als letztes Tauschobjekt für seine schöne fette Kuh geblieben. Sie waren wie zwei junge Thoren! Wie zwei närrische Kinder freuten sie sich, daß die dumme Mitgift sie nicht mehr trennte … Sie zweifelte nicht mehr an ihm und er war selig, daß sie ihm glaubte.

Sie hatten einander gefunden mit ganzer freier Seele. Nur das eine warf einen leichten Schatten in dieses Strahlenmeer von Glückseligkeit, daß der kleine Freddy nicht dabei war, nicht mit seinen kleinen Füßchen Beifall strampeln konnte.

Sie wollten direkt nach dem Bahnhof zu Freddy. Aber Guido besann sich, daß er doch noch zuvor mit Müllhardt sprechen müßte. Erstens mußte er sein Mandat die Scheidung betreffend, zurücknehmen, dann aber mußte er Lora aufklären und schließlich auch Müllhardt bitten, sich der Dinge hier anzunehmen, da Hassemann fehlte.

Noch ein bitterer Tropfen fiel in den Kelch ihrer Freude, als Helene weinend kam. Paul war verhaftet worden, zwar auf eigenen Wunsch, aber doch verhaftet. Frau Bauer war außer sich.

Und Kamilla entschloß sich, noch bei der Wittwe Bauer vorzusprechen und sie zu beruhigen. Paul Basler war ja unschuldig und mußte frei werden.

Aber die wüthende Frau Bauer wollte von dem allen nichts wissen. Sie hatte keine Gemeinschaft mit einem, der »im Kriminal« war. So bestimmte denn Kamilla, daß Helene vorläufig in der Villa bleibe, um nach dem Rechten zu sehen.

Nun nur noch nach dem »Adler« …

Herr und Fräulein Müllhardt saßen sehr verstimmt im Speisesaal. Guido Horn's Verschwinden nach der »Findeszene« war doch sehr sonderbar. Was sollte man davon glauben? Dabei war der Anwalt todtmüde und das Essen selbstverständlich ganz miserabel. Er wurde, was wohl selten geschah, verdrießlich gegen die Tochter. Warum war sie auch mit hierher gekommen! Warum bildete sich die Närrin gerade diesen Horn ein, der denn doch einem andern Weibe gehörte?

»Ich will ihn aber, Papa,« sagte die verwöhnte Kleine mit dem Fuße aufstampfend. »Ich will nur ihn, und nehme keinen Andern.«

»Dummes Zeug,« schalt der Justizrath, »Du bist ein bloßes Kind! Es ist Deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den zu heirathen, den ich will. Ich habe Dich nur schlecht erzogen.«

So stand die Sache, als Kamilla und Guido eintraten – Arm in Arm, mit leuchtenden, wie vom Sonnenschein überflutheten Mienen. Müllhardt und Lora ließen a tempo die Gabeln fallen.

»Hören Sie, lieber Freund,« sagte der Anwalt aufstehend, »da hört denn doch Alles auf! Sie haben sich mit Ihrer Frau versöhnt – das sieht man auf eine Meile! Aber noch vor zwei Stunden haben Sie mir hier an dieser Stelle ihr Wort gegeben, daß sie sich scheiden lassen wollen. Donnerwetter – wenn man solche Klienten hat, dann legt man lieber sein Mandat nieder. Ueberhaupt …«

Er schob den Teller mit dem harten Beefsteak fort.

»Ja, ich hatte mein Wort gegeben, Herr Justizrath,« versetzte Horn, »aber es geschah unter einer irrigen Voraussetzung, nämlich unter der, daß Frau Goldegg eine große Mitgift besitze. Inzwischen aber haben Sie selbst mich eines Besseren belehrt und da habe ich mich anders besonnen und nun – er warf sich komisch in die Brust – nun behalte ich meine Frau.«

Kamilla sagte lachend: »Ich werde Stunden geben im Malen, und wenn es nicht geht, so werde ich lernen, die Schreibmaschine zu behandeln, die hoffentlich nicht mitverbrannt ist. Etwas muß sich doch damit verdienen lassen, denn wir sind ja arme Leute, ganz arme Leute!« Und das klang so, als ob sie sagte: »Ich habe das große Loos gewonnen.«

»Arme Leute,« widerholte Guido, beinahe wären sie vor Vergnügen herumgesprungen.

Müllhardt ächzte.

»Da sei einer Rechtsanwalt, wenn es so verrückte Menschen giebt!«

Lora saß da und die Thränen liefen ihr über die Wangen. O Gott, wie diese Beiden sich liebten! Warum hatte der Papa ihr nicht auch solch eine Liebe verschafft mit all seinem Gelde? Jetzt stand sie auf und, in heftiges Schluchzen ausbrechend, rief sie, zu Kamilla gewendet:

»Wie macht man es nur, so geliebt zu werden?«

Nun war diese vielbeneidete Kamilla nicht einmal reich und doch so schauderhaft geliebt! Es war nicht auszudenken!

Kamilla wußte keine Antwort, aber Guido sagte zu dem armen, reichen Kinde:

»Sie werden ganz ebenso geliebt, Fräulein Lora – auf Leben und Sterben, von einem meiner Freunde. Er wagt sich nur nicht an Sie heran.«

Lora horchte hoch auf. War denn das möglich? Und sie wußte nichts davon.

Guido log. Seinem Freunde Arnsburg gefiel Lora freilich, aber er liebte sie nicht »so«. Gleichviel, Guido war übermüthig gestimmt und wollte Lora trösten. So wagte er die fromme Lüge, die unter diesen Umständen seinem Freunde wahrscheinlich eine Mitgift eintrug.

Der Eintritt von Helene Bauer unterbrach das Gespräch. Mit rothgeweinten Augen kam sie der gnädigen Frau nach. Sie hatte einen sonderbar verbogenen Schlüssel in der Hand.

»Dieser Schlüssel,« sagte sie, »ist von den Arbeitern soeben in dem Schutt des Comptoirs gefunden worden. Jakob meint ganz sicher, ihn zu erkennen und behauptet, es wäre der Schlüssel zum Spritzenhaus. Ein Schlosser, der sich bei der Feuerwehr befindet, hat das bestätigt und ich dachte, gnädige Frau, das könnte vielleicht auf die Sache Paul Baslers Einfluß haben.«

»Ich kenne den Schlüssel nicht, mein Kind,« antwortete Kamilla, »wohl aber weiß ich, es gab eine, von den Arbeitern selbst gebildete Feuerwehr, die eigens bezahlt wurde. Derjenige, der die Wache hatte, besaß den Schlüssel. Kann es Herr Hassemann gewesen sein?«

»Nein,« sagte Helene, »nur Arbeiter waren an der Feuerwehr betheiligt.« Kamilla dachte nach.

»Jener, der die Feuerwache hatte, scheint mir, warf den Schlüssel fort und zwar im Comptoir, wo das Feuer ausbrach. Man wollte die Verbreitung des Feuers begünstigen und darum wurde der Schlüssel zum Spritzenhaus weggeworfen. Danach aber läge doch eine Brandstiftung vor. Wer um Himmelswillen hatte die Feuerwache? Wer besaß den Schlüssel?«

Kamilla wußte es nicht, die Andern noch weniger.

»Gehen Sie gleich zur Polizei, Fräulein Helene, und machen Sie dort Ihre Angaben, deponiren Sie den Schlüssel.« –

Paul Basler saß in der Polizeistube. Man hatte noch nicht recht gewußt, was mit ihm beginnen.

Die ganze Polizeimacht war aufgeboten wegen des Brandes, der Bürgermeister, der Stadtsergeant und zwei Landgendarmen, die hierher gehörten – die ganze Truppe war in furchtbarer Aufregung. Wenn Paul Basler den Brand angestiftet hätte, sagte sich der Bürgermeister, so wäre er doch sicher davongelaufen, wie andere Spitzbuben. Man glaubte ihm nicht recht, als er verlangte, verhaftet zu werden. Indessen, da er es wünschte, so mußte man ihn dem Staatsanwalt ausliefern. Heute aber ging das nicht. Die Pferde waren alle noch im Dienste der Feuerwehr und zwei Transporteure hatte man nicht übrig. So hieß man ihn warten und hatte doch nicht recht den Muth, ihn in das Gefängniß zu stecken.

Finster brütend saß er da, die Minuten zählend, bis er befreit sein würde aus dieser unklaren Lage.

Da kam Helene, lächelnd, mit strahlenden Augen, den Schlüssel in der Hand. Sie wäre sonst halb gestorben, wenn sie »zur Polizei« hätte gehen müssen; sie bedachte auch nicht, daß ihre Mutter ihr vielleicht die Thüre weisen würde, weil sie mit dem Schlüssel davongelaufen war, aber sie war dabei gewesen, als man den Schlüssel fand, und da sie dachte, er könne vielleicht etwas für Paul beweisen, so war sie damit zu Doktor Müllhardt gelaufen.

Jetzt erzählte sie mit fliegendem Athem, was es mit dem Schlüssel für eine Bewandtniß habe und daß sie inzwischen festgestellt, Bärmann habe die Feuerwache in der letzten Woche gehabt – so sei also wahrscheinlich Bärmann der Schuldige. Das war Alles so einleuchtend, und der Bürgermeister war so froh, diesen komplizirten Fall los zu werden, daß er Paul Basler bat, zu gehen, von seiner Selbstanklage abzustehen.

Und Paul und Helene gingen miteinander die Straße entlang. Paul begann tief erschüttert:

»Werden Sie mir verzeihen können, Helene, daß ich bis jetzt so undankbar geblieben bin gegen Alles, was Sie für mich gethan? Sie sind ein muthiges, kluges, hochherziges Weib und Sie stehen hoch über Ihresgleichen.«

Er wagte jetzt nicht, mehr zu sagen. Aber es war klar, diese Helene hatte das volle Anrecht, sein Weib zu werden. Er war ein Narr, dem Phantom Kamilla nachzujagen.

»Ich habe Alles gern gethan,« flüsterte sie, »und es ist auch nicht der Rede werth.«

»Wir sind untrennbar verbunden, Helene – wenn Sie es nicht anders wollen,« antwortete er.

»Ueberlassen wir das der Zukunft,« sagte sie mit dem Takt der großen Dame und dann fügte sie hinzu: »Wissen Sie schon, Herr Basler, daß Frau Goldegg sich mit ihrem Manne wieder versöhnt hat? Sie ist nämlich schon seit einem Jahre wieder verheirathet und war mit ihrem zweiten Manne verfallen gewesen …«

Oh, wie froh war Helene, daß sie dies nicht gleich verrathen hatte, bevor er ihr sagte, wir sind »untrennbar verbunden«. Und auch Paul hatte gesprochen, bevor er jene Neuigkeit erfahren. Jetzt aber sagte er hochklopfenden Herzens: »Untrennbar verbunden!«

*

»Es wird uns nicht beschieden sein, einen eigenen Heerd und eigene Kinder zu haben,« sagte Albert zu Klementine – »so wollen wir den kleinen Alfred lieben, der ja augenscheinlich keine Mutter hat.«

Klementine hatte mit Albert Frau Smith und das Kind abgeholt. Sie war ganz aufgelöst vor Glückseligkeit. Guido hatte ein Kind, und es war ein Knabe, und er behielt es für sich! Gewiß, man hatte das Kind nun auch noch zu versorgen – aber Kinder kommen von Gott, man muß sie als Gottesgeschenk betrachten.

Frau Smith war in Alles eingeweiht. Die Deutsch-Engländerin hatte zufällig Kamilla kennen gelernt; sie, die Smith, war von ihrem Manne verlassen, saß da mit einem kleinen Kinde, und Kamilla engagirte sie als Amme. Das Kind der Smith wurde in Pension gegeben. Es war übrigens inzwischen gestorben. Als Frau Goldegg nach Deutschland reisen wollte, vertraute sie der Smith ihre Lage an, gestand ihr, daß sie dem Vater die Existenz des Kindes verschwiegen hatte. Für die eine Woche, die genügen würde, um hier in Deutschland die Angelegenheiten zu ordnen, sollte der kleine Freddy als das Kind der Smith gelten, dann würde man in's Ausland gehen und nicht wieder hierher zurückkehren.

Klementine war entrüstet über die Gewissenlosigkeit der Frau. Nein, sie wollte dem kleinen Alfred Mutter sein. Und Beide, sie und Albert, redeten sich ein, daß es eine sehr schöne Aufgabe sei. Sie vermieden es dabei, einander in die Augen zu sehen, denn da lag die stumme, verschwiegene Klage, daß es mit ihrer Heirath wohl zu Ende wäre. Bis Freddy versorgt sein würde und erwachsen, das dauerte doch gar zu lange …

Nachdem Frau Smith das Kind in der engen Wohnung untergebracht, versorgt und verköstigt hatte, wanderten sie zum zweiten Mal hinaus nach dem Bahnhof, denn eine Depesche Guido's hatte seine Rückkehr angezeigt. Zwar, er war kaum drei Tage abwesend, aber er hatte so viel erlebt in der kurzen Zeit, und die treue Klementine brannte darnach, ihn zu versichern, daß sie mit ihm fühlte, daß sie Freddy bemuttern wolle.

Wiederum standen Sie in der großen, weitgeschwungenen Halle des Anhaltischen Bahnhofs. Dem Coupé entstiegen Guido und Kamilla … Klementine eilte auf die Letztere zu.

»Wir behalten den Jungen, gnädige Frau – geben Sie sich gar keine Mühe! Und die Villa können Sie auch zurücknehmen. Wir behalten dafür den Jungen.«

Kamilla lachte froh auf.

»Ich behalte aber den Mann – was sagen Sie dazu?«

Klementine begriff Alles und mit Freudenthränen fiel sie Kamilla in die Arme.

»Oh,« rief sie, »ich habe täglich gebetet, Sie möchten das viele Geld nur los werden!«

»Gott hat Ihr Gebet erhört,« meinte Kamilla scherzend, »vielleicht mehr als gut ist.«

Natürlich eilten sie sofort nach der kleinen Wohnung in Charlottenburg zu Freddy. Sie konnten sich nicht genug thun in ihrer Freude.

»Ich glaube, ich werde sehr eifersüchtig sein,« seufzte Guido.

Dazwischen fiel ihm ein, er müsse noch heute Arnsburg sprechen, es war dringend. Man schickte einen Lohndiener in die Stadt, der den Herrn Privatdozenten bei der gewohnten Billardparthie traf.

Arnsburg kam sogleich, sehr erschrocken; er glaubte, seinem Freunde wäre etwas zugestoßen. Man erklärte ihm rasch, was geschehen war.

Er selbst war sehr niedergeschlagen. Er hatte einen regulären Korb von der »vernünftigen Marianne« erhalten, und er war doch seiner Sache so sicher gewesen.

»Sie wollen mich doch nur wegen des Geldes, das ich zu hoffen habe, nur zu hoffen,« betonte Marianne.

Und was sollte er mit diesem Zukunftsgelde? Er mußte von seinen Schulden reden und fiel natürlich ab.

»Versuch's noch einmal bei Lora,« sagte Guido. »Ich habe in meiner Freude einen großen Schlag gewagt, lieber Hermann. Ich habe der Loreley gesagt, daß Du sie liebst – auf Tod und Leben liebst. Du riskirtest es nur nicht, ihr mit einem Geständniß zu kommen. Sie war sehr gerührt, und da ich ihr eine schwere Enttäuschung bereitet habe – ich konnte nicht anders, nicht wahr, Kamilla? – so wird sie gern bereit sein, Dich zu nehmen.«

Arnsburg erröthete.

»Du hast es ja gut gemeint, mein Junge, aber wie soll ich meine Existenz auf einer Lüge aufbauen?«

»Das sollst Du nicht, Hermann! Mache doch die Lüge wahr – gieb Dir Mühe, das zu sein, zu werden, was Du scheinst: ein ehrlich Liebender! Das Mädchen ist schön, auch nicht gerade schlecht geartet, sie gefällt Dir, also liebe, liebe sie, mein Junge, aber als ein Mann, nicht als Schmachtlappen! Die Kleine braucht nur strenge Zucht, dann wird sie noch ganz brav werden … Freilich, eine kleine Aufgabe ist es nicht, aber Du stammst ja aus einem alten, tapferen, arischen Heldengeschlechte, also – los!«

»Ich werde es mir zurecht legen,« murmelte Arnsburg.

*

Am folgenden Tage kamen Müllhardt's ebenfalls zurück und die Situation klärte sich vollends. Paul Basler war entlassen worden, denn nach aller Wahrscheinlichkeit hatte der hinausgeworfene Arbeiter Bärmann den Brand absichtlich angestiftet. In seinen Händen hatte sich der weggeworfene Schlüssel befunden, auch hatte man zwischen halbverkohlten Resten des Papierkorbes im Comptoir eine ihm gehörige Cigarrenspitze gefunden. Halb betrunken war er gekommen, hatte die brennende Cigarre in das Papier geworfen, wohl um sich an Hassemann zu rächen, der Geld und Papiere hier aufbewahrte. Warum er den Schlüssel zum Spritzenhause weggeworfen, blieb unklar; vielleicht um die Möglichkeit zu bieten, daß man das Feuer löschte, vielleicht auch in seinem sinnlosen Grausen über die That. Das Kind hatte er gewiß nicht gesehen. Aber der Schreck um das gefährdete Kind war so groß, daß man den mitten im Korridor liegenden Schlüssel nicht sah. Später, als die Thür zum Magazin der Feuerlöschrequisiten aufgesprengt worden war, beachtete ihn natürlich Niemand mehr.

Bärmann war spurlos verschwunden.

Hassemann war zwar verwundet, aber nicht lebensgefährlich. Anna, seine Wirthschafterin, pflegte ihn mit hingebungsvoller Aufopferung. Indessen hatte Müllhardt übersichtlich den Bestand aufgenommen, es waren Baarmittel vorhanden, aber sie reichten kaum hin, um Paul Basler zu entschädigen und den Neuaufbau der Fabrik zu beginnen. So blieb als Besitzobjekt vorläufig nicht viel mehr als die Villa.

Aber es fand sich auf einmal ein Käufer für die Villa – Doktor Müllhardt. Er kaufte sie für Lora zum Sommeraufenthalt. Diese hatte sich über Hals und Kopf mit dem Manne der »großen Liebe« verlobt.

Sie war Arnsburg auf einmal so freundlich entgegengekommen, daß dieser den Muth fand, um sie zu werben. Und er erhielt ihr Jawort. Sie wollte durchaus so sehr geliebt werden wie Kamilla – noch immer der Gegenstand ihres Neides.

Doktor Hermann von Arnsburg spielte seine Rolle als schwärmerischer, hochbeglückter Liebhaber manchmal im Schweiße seines Angesichts, aber er spielte sie tapfer. Er liebte seine Braut noch nicht so inbrünstig, als diese es annahm, aber er gab sich Mühe, redliche Mühe, ein treuer hingebender Ehemann zu werden. Schon heute war er beneidet von allen Mitgiftjägern Berlins.

Guido Horn blieb vorläufig Klementinen's Schuldner, denn von dem Kaufschilling für die Villa bezahlte er vor Allem seine übrigen Schulden. Er und Kamilla richteten sich als »kleine Leute« ein, ganz bescheiden. Klementine verheirathete sich, und sie behielten die Wohnung, in welcher bisher das Bureau gewesen war. Aber sie waren jetzt sehr glücklich in ihrer jungen, neuen Ehe, daß sie an Schiller's »kleinste« Hütte erinnerten. Die anspruchsvolle Frau Smith war entlassen worden. »Tante« Rose war unsinnig vernarrt in den Jungen und führte den Haushalt, bis Kamilla selber kochen konnte, wie sie sagte.

Sie wetteiferten mit einander, ihre Genügsamkeit zu beweisen.

Hassemann wurde hergestellt und wanderte aus, nicht ohne Anna, die sich nun ein letztes Recht um ihn erworben hatte. Er erhielt ein Jahresgehalt zur Abfertigung, und falls die »Thuringia«, wie vorauszusehen war, doch noch Coulanz zeigen sollte und wenigstens einen Theil des Schadens ersetzte, würde man ihm auch noch erstatten, was er an baarem Gelde verloren.

Paul Basler wurde zur Entschädigung Alleinbesitzer des Patentes und Direktor der Fabrik, die vorläufig freilich noch im Schutte lag. Aber man hoffte auf die Zukunft – sie würde neu auferstehen und sich mit der Zeit unter Paul's energischer Leitung wieder gut rentiren.

Inzwischen bezog Paul einen ganz kleinen Gehalt; aber er hatte ja eine genügsame, bescheidene, fleißige Braut, Helene Bauer.

So hofften sie Alle auf die Zukunft und waren dennoch glücklich in der Gegenwart.

 

Ende.

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