Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.

Albert und Klementine glaubten ja im Anfang von einer Fee beschenkt zu sein. Es sah wirklich aus, als wären sie am Ziel ihrer Wünsche.

Eine Villa! Sie besaßen eine Villa! Es war fast komisch, sich das immer wieder zu sagen. Aber bei näherer Betrachtung zeigte sich, daß die Sache bei Weitem nicht so glänzend war, als sie aussah.

Die Villa war nur im Sommer zu vermiethen, auf die kurze Zeit von zwei oder drei Monaten, und selbst da nicht immer, da sie etwas abseits vom Bahnhofe lag. Irgend ein Liebhaber hatte sie erbaut und diesem Sonderling hatte sie Kamilla Goldegg in einer Sonderlingslaune abgekauft. Als sie die Villa verschenkte, hatte sie an den Werth gedacht, aber nicht an den Ertrag. Als Klementine sie erhielt, war die Saison vorbei und an weitere Vermiethung nicht zu denken.

Vorläufig kostete die Villa nur Geld. Man mußte dem Gärtner sein Gehalt erhöhen, damit er zugleich die Aufsicht über das ganze Anwesen übernahm. Auch eine lange Rechnung für allerlei Geräth, für Schläuche an den Wasserleitungen, für einen Rasenmäher und für dergleichen »ausgefallene Dinge« legte der gute Mann bald vor; Steuern waren zu bezahlen und sonstige Erhaltungskosten. Und die Pietät der Beschenkten für die Geberin ging so weit, daß an dem kostbaren Geschenk nichts beschädigt werden durfte. Schließlich wurde die Villa zu einem Ungeheuer, das alles verschlang, was man bis dahin mühselig sich abgespart hatte und was dereinst dazu dienen sollte, das kleine Heim zu errichten.

Der Herbst war gekommen, dunkel und einsam lagen die prächtigen Zimmer, denn Albert hatte in seiner weit draußen im Osten liegenden Schule zu thun und bewohnte ein kleines Stübchen in der Markusstraße; Klementine aber versah wiederum die Wirthschaft ihres Bruders.

So schön der Herbst auch war, sie konnten nichts davon genießen, sie hatten nur das Bewußtsein, sie besaßen eine Villa und der Winter brachte eine Wiederholung derselben Situation, der Frühling reichliche Rechnungen für die glückliche Besitzerin. Zwei Menschen, den Gärtner und seine Frau mußte man mit ernähren, daneben zerstörte bald das Wasser, bald der Schnee, bald der Sturm, bald eine Rotte von vorübergehenden Tagedieben irgend etwas am Hause – die Kosten nahmen kein Ende. Klementine mußte jetzt gar die Kasse ihres Bruders in Anspruch nehmen, der selbst sehr knapp war. Hatte ihn doch das ganze Heirathsabenteuer in nicht geringe Unkosten gestürzt. In Folge seiner bedrückten Stimmung war auch sein Geschäft zurückgegangen und von seiner steinreichen Frau hatte er nichts.

Zwar in seiner Hand lag der Ehecontrakt, der auf Gütergemeinschaft lautete, der ihn in den Besitz eines großen Vermögens, einer fortdauernd steigenden Rente setzte, aber er konnte, er durfte keinen Gebrauch davon machen.

Guido hatte nichts angerührt, er wollte lieber sterben, lieber verhungern! Der arme Mitgiftjäger war ärmer als je zuvor, ja wirklich noch viel ärmer, denn er war jetzt verheirathet und hatte keine Hoffnung mehr, eine Mitgift zu erheirathen, hingegen hatte er noch von seiner kümmerlichen Praxis die Kosten der Villa zu bestreiten.

Aber Klementine konnte wirklich nichts dafür. Nein, sie war im Gegentheil sehr zu beklagen. Denn weniger als zu irgend einer Zeit konnte Guido daran denken, ihr das ausgelegte Kapital zurückzuzahlen, und weniger als je konnte sie daran denken, mit ihrem Albert vor den Altar zu treten, denn es kam ja noch die unselige Villa dazu, dies Schmerzenskind. Aber Klementine grollte der Villa nicht.

Allerdings, auch der Sommer kam und brachte keine Vermiethung. Es war ein kalter Sommer und die Geschäfte lagen allgemein darnieder. Nur für die ganz Reichen war die bedrückte Lage des Weltmarktes nicht fühlbar; diese aber besaßen eigene Villen; wer eine solche miethen mußte, hatte jetzt kein Geld dazu.

Die Villa »Eden« wurde nicht vermiethet, gar nicht, und da saßen die armen Villenbesitzer mit ihrem Defizit und ihren langen Rechnungen.

»Es ist eine Schickung Gottes, diese Villa,« sagte Albert ergeben. Er betrachtete das Haus im Grunewald einfach als ein Unglück wie jedes andere. »Wir werden auch das überwinden! Und wenn Du nur wolltest, Klementine, wir würden auch noch die Villa unterhalten können. Siehst Du, mein Kind, ich bekomme von nächsten Monat ab eine Zulage von 35 Mark – soviel kostet die Villa gar nicht.«

Klementine lächelte. Freilich, die Villa kostet nicht so viel, dafür aber waren auch die Ersparnisse aufgezehrt, mit denen man anfangen wollte. Sie hatten wiederholt daran gedacht, das schöne Landhaus zu verkaufen, aber wer nahm es sogleich? Und dann, durfte man sie denn aus den Händen geben, diese Villa, die doch eigentlich nur im Scherz, im Uebermuth in ihre Hand gelangt war? Endlich aber wollten sie sie nicht verschleudern, während sich zu gutem Verkauf in diesen schweren Zeiten keine Gelegenheit bot. Und das war besser so, meinte Klementine wenigstens, die ja heilig an das künftige Eheglück ihres Bruders glaubte. Das alles mußte noch gut werden und deshalb durfte man sie nicht verkaufen, die Flitterwochenvilla ihres Bruders, man durfte aber auch nicht ans Heirathen denken, bevor nicht Guido glücklich und versorgt war. Nein, nein, das war ganz ausgeschlossen.

Und trotz der 35 Mark Zulage Alberts mußte vorläufig verzichtet werden. Der gute Junge irrte sich ja auch. Er mochte ja sehr gut den ABC-Schützen seiner Volksschule das Einmaleins beizubringen wissen, ihnen auch ganz prächtig erzählen können mit seiner sonoren Stimme vom Paradiese, und von der Güte Gottes. Aber selber rechnen, selbst ein Urtheil gewinnen über seine Lage, nein, das konnte er nicht. Klementine wußte ja genau, was Guido brauchte. Freilich, er hatte sein Bureau zu erhalten, aber gleichviel, da waren eine Menge Ausgaben, an welche Albert gar nicht dachte. Er hatte eine Liste aufgestellt, worin er Miethe, Kost, Kleider und sonst noch einige Posten sorgsam verzeichnet hatte, dabei fand sie ihn selbst immer mit lächerlich kleinen Beträgen angesetzt. Klementine behauptete immer, sie würden mehr brauchen und so oft er ihr die Liste vorlegte, fand sie irgend einen nicht vorhergesehenen Posten, z. B. Zeitungen, Bücher, Cigarren u. s. w. Und immer wieder erklärte Albert, darauf zu verzichten. Rauchen würde er gar nicht mehr. Er habe längst gefunden, daß ihm das Essen darnach nicht schmecke. Lesen dürfte keine besonderen Kosten verursachen. Es war ja mancherlei in der Schulbibliothek vorhanden.

Und so stellte sich das Budget immer genauer her, näherte sich immer mehr einer greifbaren Wirklichkeit. Sehr vergnügt zeigte sie es einmal Guido. Er sah es ruhig an und versetzte:

»Ja, Tinchen, es stimmt ja Alles, aber wie, wenn Ihr nun Kinder bekommt? Wo steht dieser Posten?«

Sie schwiegen erschrocken – damit hatten sie noch nicht gerechnet.

»Dazu freilich,« gab Albert endlich zu, »müßte die Villa vermiethet werden. Vorher dürften wir keine Kinder haben.«

Die Villa stand aber leer und sie waren nicht einmal hingegangen, denn sie hatten kein Geld übrig für die ewigen Fahrten nach dem Grunewald. Ueberdies waren sie ja auch noch nicht verheirathet, konnten also nicht zu Zweien da hinauswandern, noch viel weniger gemeinsam in der Villa wohnen. Sie hatten sie immer nur ansehen können, und das thaten sie auch – in der Photographie. Klementine zeigte das hübsche Bild ihren Freunden. »Das ist unser ›Eden‹,« sagte sie, »unsere Villa,« und Alle antworteten staunend: »Wie glücklich sind Sie! Wer doch auch solche Villa hätte.«

Inzwischen stand Guido noch immer auf demselben Flecke. Keine Nachricht kam, keine Möglichkeit wollte sich zeigen, sich mit Kamilla zu verständigen. Sie war den Winter in Italien, den Sommer über in England gewesen. Man sagte ihm, Näheres sei nicht bekannt. Justizrath Müllhardt log offenbar, aber man konnte ihn ja nicht zum Reden zwingen.

Gewiß, Kamilla bereute die übereilte Heirath, sie wollte nur eine Anstandsfrist herbeiführen und dann doch die Scheidung energisch durchsetzen. Dergleichen ist ja mit Gewalt immer zu erreichen, und einer reichen Frau scheint das um so leichter. Sie aber sollte sich darin irren! Er ließ sich nicht so leicht zwingen, wie sie glaubte, denn er liebte sie noch immer.

Von allen Frauen, die er sah, erschien allein sie ihm begehrenswerth. Er begriff nicht, was die Andern an Lora Müllhardt fanden. Ihm gefiel ihre pikante Schönheit nun einmal nicht.

Monate vergingen. Nichts rührte sich, nichts wollte sich ändern. Empört über Kamillas Verhalten hatte er jetzt bedingungslos geklagt auf Scheidung wegen böslicher Verlassung. Aber die Klage hatte ihr nicht zugestellt werden können, weil das Gericht ihren Aufenthalt nicht ausfindig zu machen wußte.

Guido war wüthend, er glaubte sie zu hassen. Warum floh sie so hartnäckig, warum verbarg sie sich so ängstlich vor ihm?

Es war unerhört. Unauffindbar versteckte sie sich vor ihm, wer weiß wo, nur um ihm auszuweichen, um ihn nicht mehr zu sehen. Und dabei hatte doch sie selbst die Scheidung gewünscht. Aber das hätte Auseinandersetzungen zur Folge gehabt, Sühnetermine, Verhandlungen, bei denen sie sich schließlich sehen mußten. Das wußte sie, die Trotzige, und reich und unabhängig, wie sie war, entzog sie sich ihm.

Er verzehrte sich in ohnmächtiger Wuth. Mit der Hartnäckigkeit eines Fieberwahnes sah er das schöne stolze Weib vor sich, das neben ihm stand und ihm glückstrahlend die Hand zum ewigen Bunde reichte. Manchesmal sagte er sich, daß es vielleicht anders gekommen wäre, wenn ihrem Bunde nicht die höhere, die kirchliche Weihe gefehlt hätte. Aber sehr bald verwarf er, ein durch und durch moderner Mensch, diese Gedanken. Heiliger als die Stunde war, in der sie ihre Hände ineinanderlegten, hätte ihnen keine Stunde schlagen können, auch nicht im Dome von Sanct Peter.

Wie überselig war er damals gewesen. Er konnte sich vor Glück und Freude nicht fassen. Alle seine Träume waren erfüllt, alle seine Wünsche Wirklichkeit geworden. Aber bald folgte der furchtbare Zusammensturz. Das angebetete Weib versank in bodenlosen Abgrund und es wollte keine Möglichkeit kommen, sie zu finden, sie wiederzusehen.

Und wenn in ihrer trotzigen Seele nur noch ein Funke für ihn glühte, so mußte seine Scheidungsklage ihn ersticken, das wußte er. Aber sein männlicher Zorn mußte sich endlich Luft machen.

Schon war das Bewußtsein seines Verschuldens in den Hintergrund getreten vor dem Groll gegen sie, die ihn so hartnäckig floh. Er wurde fast unfähig, seine Pflicht zu erfüllen, so ganz erfüllte ihn der Gedanke an die Treulose. Sein Geschäft ging zurück – er war nicht mehr dabei – und seine finanziellen Schwierigkeiten mehrten sich.

Bei Müllhardt war weder Horn noch Arnsburg wieder gewesen. Arnsburg, weil er bei Lora abgefallen war und Horn, weil er nicht die Stimmung finden konnte, sie wieder aufzusuchen.

Arnsburg war unaufhörlich auf der erschöpfenden Jagd nach einer Mitgift, so entmuthigend auch seine Versuche bei Lora gewesen waren.

Aber seine ganze Hoffnung stand nun einmal darauf, und er wußte sonst keinen Ausweg. Dabei gerieth er immer tiefer in Schulden, denn er hielt es für seine Pflicht, gesellig zu leben, alles mitzumachen. Er war bedacht auf elegante Toilette, besuchte Theater und Konzerte und musterte nur immer die jungen Damen. Aber er hatte nun einmal kein Glück. Wenn ein junges Mädchen ihm gefiel, so erfuhr er hinterdrein, daß es keine oder eine ganz geringe Mitgift habe, und wenn er aufmerksam wurde auf eine fette Mitgift, so fand er schließlich, daß es sich um eine kleine Philisterstochter handelte, um irgend eine semmelblonde, sommersprossige Schönheit, ein Gänschen, das ihm gänzlich mißfiel. Denn er wollte denn doch eine Frau, die repräsentiren konnte.

Lora Müllhardt gefiel ihm in ihrer graziösen Pikanterie und ihrer vornehmen Manier. Ach, ihm gefielen die großen Damen überhaupt und er sagte sich, daß ihm sehr wohl das Schicksal des Doktor Müllhardt erreichbar sein konnte, nämlich das, sich durch eine Mitgift, d. h. durch eine anspruchsvolle Frau zu ruiniren. Und dabei nahm er die Mißerfolge seiner Mitgiftjagd sehr tragisch, und wenn er wieder einmal ein Körbchen erhalten oder auf falscher Fährte gewesen war, so bejammerte er sein Unglück. Andererseits wollte die Zahl seiner Hörer nicht wachsen, denn er war selten bei Laune und verstand sie nicht zu fesseln.

Doch setzte er jetzt seine große Hoffnung auf ein gelehrtes Werk über die Reinheit der indogermanischen Rasse, das er unter der Feder hatte.

Trotz Horn's heftiger Gegenrede hatte er es jetzt mit der Zeitung versucht. Horn fand das unwürdig, aber Arnsburg wußte ihn geschickt zu widerlegen. Die Ehe ist ja immer eine Lotterie und in einer großen Stadt kann man sich nicht leicht finden und kennen lernen. Er schwor sich, Alles auf eine Karte zu setzen und die erste Dame zu heirathen, die sich ihm auf seine Annonce darbot. Aber da er eine hohe Mitgift forderte, so antwortete Niemand. Das Schicksal nahm ihn nicht beim Wort.

In der zweiten Hälfte des Winters hatte Guido einmal Lora Müllhardt auf der Eisbahn getroffen. Sie erschien ihm verändert. Sie zeigte nicht mehr die raffinirte Koketterie, die ihm an ihr so sehr mißfallen. In der That, sie hatte ihn bei jener Gesellschaft im Herbst so sehr abgestoßen, daß er, wie gesagt, jede fernere Einladung ablehnte.

Guido Horn war kein Geck, und er ahnte nicht, daß Lora's verändertes Wesen auf seine Reserve zurückzuführen war. –

Sie war so ernst, sie blieb so unempfindlich gegen die Artigkeiten der anwesenden Herren, sie erwiderte so stolz Horn's Gruß, daß sie ihm in diesem Augenblick besser gefiel als je zuvor. Er versuchte es, sich ihr zu nähern. Das war am Ende natürlich, da er wiederholt Gast im Hause ihres Vaters gewesen.

Mit jener Offenheit, von der Lora meinte, sie kleide ihr, fragte sie:

»Warum haben Sie uns so lange nicht besucht, Herr Doktor?«

Ihm wäre es leicht gewesen, eine Ausrede zu finden. Er aber sagte:

»Ich habe gänzlich zurückgezogen gelebt wegen verschiedener schwerer Sorgen und Kümmernisse.«

Sie entsann sich ihres Gesprächs mit ihm und fuhr muthig fort:

»Sie haben mir damals von einer Herzensangelegenheit gesprochen, nicht wahr? Diese hat also bis jetzt zu keinem glücklichen Ende geführt?«

»Leider nein, mein Fräulein,« mußte er antworten, »zu meinem großen Schmerze.«

Sie beobachtete ihn von der Seite, während er melancholisch in das kahle Gezweig blickte. Spielte er Komödie oder gab es ein Weib, das ihn verschmähte? Ach, und wie sehr gefiel er ihr, mit seinem ernsten Wesen, mit seiner männlich entschiedenen Weise, seinen schwärmerischen Augen! Sie sagte:

»Wie glücklich muß jene Dame sein, so geliebt zu werden, wenn es auch nicht zu dem gewünschten Ziele führte. Ich werde leider nie so geliebt werden, ich weiß es ganz genau. Man begehrt immer nur meine Mitgift.«

Guido verfärbte sich. Ja, so dachte Kamilla auch. O diese unselige Mitgift. Dabei merkte er gar nicht, wie wenig glaubwürdig dieser Seufzer Lora's klang und wie kokett sie ihn herausbrachte. Er dachte ja an Kamilla und zugleich auch an Arnsburg. Wenn sein Freund auch keine Leidenschaft für Lora hatte, so war er ihr doch geneigt. Und er nahm das Gespräch wieder auf.

»Ich wüßte Jemand, einen guten Freund von mir, dem Sie tiefer im Herzen sitzen, Fräulein Lora, als Sie annehmen. Er wagt es nur nicht zu sagen, eben aus Furcht, daß man ihm nicht glaubt.«

In Lora's hübschem Gesicht blitzte es triumphirend auf. Sie rieth nicht auf Arnsburg. Aber sie äußerte mit gutgespielter Gleichgiltigkeit:

»Wenn er mich davon überzeugen könnte, gewiß Herr Doktor. Ich wäre leichter gewonnen als Sie glauben.«

»Er wird Sie davon überzeugen, mein gnädiges Fräulein, mein Wort darauf.«


 << zurück weiter >>