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V.

Die Verhandlung bei dem Notar hatte viel länger gedauert, als Guido vorausgesehen. Wie ungeduldig mußte Kamilla sein, draußen im Vorzimmer. Er, Guido, hätte ja eigentlich wissen müssen, daß ihre Anwesenheit hier gar nicht mehr nöthig war. Aber woran dachte er denn überhaupt in diesen Tagen! Wie glücklich hätte er sein können – sein müssen! – ohne dieses belastete Bewußtsein! Ach – nur noch Stunden! Nur erst draußen sein mit ihr – irgendwo in der Fremde, vielleicht im dahinrollenden Eisenbahnwagen! Da würde er ihr sagen können, wie schuldig-unschuldig er war …

Er hatte aufgeathmet, als die dumme Förmlichkeit vorüber war. Dann nur noch zu seinem künftigen Vertreter! Und von da ab war er frei – frei! Das heißt –: wenn er sich's von der Seele gesprochen haben würde …

Guido war sehr erstaunt, als er, aus dem Sprechzimmer des Notars tretend, statt seiner Frau – Arnsburg in dem Warteraum sitzen zu sehen.

Die Freunde umarmten sich; sie waren einander wirklich zugethan. Auch Klementine wurde von Arnsburg zutraulich begrüßt.

»Ich gratulire Dir von Herzen, mein Junge,« rief Arnsburg, »ich habe soeben von Deiner Frau erfahren …«

Guido war etwas verlegen. Wußte Arnsburg Alles oder nicht? Wie weit hatte ihn Kamilla eingeweiht?

Inzwischen plauderte Arnsburg, während sie nun das Bureau verließen.

»Denke Dir, Guido, ich bin meiner ›Lorelei‹ bis hierher gefolgt, obgleich ich eigentlich noch gar nicht nach Berlin wollte; die Ferien sind ja noch nicht zu Ende. Aber sie zog mich an, wie das Licht die Motte …«

»Oder wie die Blume den Schmetterling,« schaltete Klementine ein.

»Die Blume bedankt sich, Fräulein Horn – ich meine nämlich für mich Schmetterling! Ich habe leider noch nichts erreicht bei ihr. Aber ich harre auf meinem Posten. Die Goldfische sind rar heutzutage … Du Teufelskerl, Du hast eine arme Frau geheirathet. Ich beneide Dich, Du Glücklicher, der den Muth fand, seinem Herzen zu folgen. Ach – wer das doch auch könnte! Mir ist es nicht vergönnt.«

Eben wollte Guido dem Freunde sein Glück verkünden, wollte sich ihm gegenüber ein Ansehen geben, seinen Idealismus, der nun doch zum Ziele geführt hatte, in das rechte Licht setzen und sich nun erst recht beneiden lassen. Aber da fiel ihm auf, daß er Kamilla, die er im Vorzimmer verlassen hatte, auch hier auf der Straße nirgends sah. Sie hatte doch warten wollen?

»Deine Frau ist schon fort,« sagte Arnsburg, Guido's suchenden Blick auffangend, »sie ging ganz plötzlich.«

»Meine Frau – fort?« fragte Guido beinahe ungläubig, »wohin denn?«

Nun schaute Arnsburg verdutzt drein.

»Sie meinte, das würdest Du schon wissen. ›Wir treffen uns schon‹, rief sie mir mit Bezug auf Dich zu. Sie hatte hier gewartet – hier bin ich ihr ja begegnet – aber Du kamst so lange nicht. Mit einem Male, während ich ihr klar zu machen suchte, was für ein Heidenglück Du hast, lief sie davon, als fiele ihr in diesem Augenblicke sehr Wichtiges ein … Aber so erzähle mir doch Genaueres, Guido! Wie hat sich denn die Sache so rasch gemacht? Und Sie, Fräulein Klementine – was sagen Sie zu der ›plötzlichen‹ Schwägerin?«

Weder Guido, noch seine Schwester konnten gleich antworten. Sie waren Beide beunruhigt. Was war denn Kamilla eingefallen? Warum lief sie fort, ohne ein Wort zu hinterlassen, ja, anscheinend ohne rechten Grund?

»Entschuldige, Hermann, daß ich Dir jetzt nichts erzähle, auch etwas zerstreut bin. Ich muß doch meine Frau aufsuchen! Hat sie Dir wirklich nichts für mich aufgetragen?«

Zwar, er schämte sich vor dem Freunde, aber doch war die Unruhe stärker in ihm.

»Was habt Ihr denn mit einander gesprochen, Du und Kamilla? Erzähle Du doch – was sagte sie denn?«

»Nicht der Rede werth,« versicherte Arnsburg. »Ich gratulirte ihr, rühmte Dich, beneidete Dich – ganz aufrichtig, weißt Du. Sie sah starr vor sich hin. Auf einmal zuckte sie zusammen. »Ich muß fort!« rief sie – ich werde dabei wohl ein sehr dummes Gesicht gemacht haben … Aber sie, wie gesagt, sie eilte davon. ›Guido wird schon wissen, wo wir uns treffen!‹ Und fort war sie – in dem Gewühl der Straße wie verschwunden! Ich glaubte nicht anders, als Ihr hättet Euch ein Rendezvous gegeben und sie wollte zuvor noch etwas besorgen.«

Guido wußte von keinem Rendezvous; es war wirklich keinerlei Verabredung getroffen worden.

»Vielleicht eine ihrer Launen,« sagte er gezwungen, »oder eine neue Ueberraschung. So ist sie nämlich,« glaubte er erklärend hinzufügen zu müssen. »Sonst also sprachet Ihr nichts mit einander?«

»Deine telegraphische Aufschneiderei habe ich ihr lachend gezeigt. Du weißt, Deine Depesche!«

»Welche …«, stieß Guido mit blassen Lippen hervor.

»Nun, diese hier, in der Du mir aufbindest, Du hättest einen Goldfisch gefangen!«

»Die hattest Du noch? Und Du Unseliger hast …?«

»Ja – gewiß, die habe ich ihr gezeigt! Aber was erschrickst Du denn? Deine Frau ist arm, das wußte ich, und so konnte es ihr nur schmeicheln, daß sie trotzdem ein Goldfisch genannt wird.«

Guido zitterte am ganzen Leibe. Eine entsetzliche Ahnung durchzuckte ihn … Aber er bezwang sich – es war ja unausdenkbar! Mit Mühe seine Haltung bewahrend, schritt er jetzt neben dem plaudernden Freunde her, dem Stadtbahnhof Friedrichstraße zu. Er lud Arnsburg ein, ihn in der Villa »Eden« zu besuchen – »wo?« warf der verblüffte Hermann ein – »Du wirst schon noch Alles erfahren!« Er war jetzt nicht in der Laune, sich beneiden zu lassen.

Klementine ahnte zwar noch nicht den Zusammenhang, aber sie war doch beunruhigt. Wenn sie sich auch sagte: Kamilla ist excentrisch – sie hatte irgend etwas vor, so widerstrebte doch derlei ihrem, Klementinens, schlichtem Wesen. Sie selbst würde ihren Albert nie so erschrecken.

Guido war bleich und still geworden. Ihm schwebte etwas Fürchterliches vor. Um sein Benehmen vor Arnsburg zu erklären, warf er hin:

»Meine Frau hat nämlich eine große Erbschaft zu erwarten, da mag sie vielleicht der ›Goldfisch‹ beleidigt haben.«

»Warum nicht gar,« rief nun Arnsburg, seinerseits erschrocken. Aber er fühlte sich doch in seinem Innern vollkommen unschuldig. Auch war er viel zu sehr von seinen eigenen Plänen und Hoffnungen erfüllt, um sich die Sache ernstlich zu Herzen zu nehmen.

Er hatte sich wegen dieser Reise von Neuem in Schulden gestürzt, um einer Mitgift nachzujagen. »Loreley«, die einzige Tochter des Justizrathes Müllhardt, war notorisch eine glänzende Parthie. Freilich, sie war auch ein verwöhntes, launisches Geschöpf, und so hatte Arnsburg seinem Ziele noch nicht näher kommen können. Aber wenn er die Freiheit, die der Verkehr auf Reisen mit sich bringt, nicht benutzt hätte, um wenigstens einigermaßen Fühlung mit ihr zu gewinnen, so machte sich die Geschichte in dem steifen Berlin noch viel schwieriger.

Der arme Mitgiftjäger war ganz abgehetzt. Weder Land noch Meer boten ihm Genuß, er dachte nur noch an seine Beute, sonst an nichts. Er rechnete, darbte – hungerte zeitweilig. Um immer tadellose Wäsche und parfümirte Taschentücher tragen zu können, sparte er an seinem Leibe. Er mußte ja auch immer in einem fashionablen Hotel logiren – womöglich da, wo Justizrath Müllhardt abgestiegen war. Dafür wurde dann auch einmal hungrig zu Bett gegangen, wenn man sich schicklich um das Souper herumdrücken konnte.

Bisher war das Alles vergeblich gewesen. Und dieser Kobold »Loreley« war so unberechenbar! Man konnte nicht aus ihr klug werden.

Lora war excentrisch, aber doch nicht ohne eine gewisse Mäßigung. Vielleicht sogar rechnete sie zu viel; etwas mehr Natürlichkeit hätte ihrem ganzen Wesen nicht geschadet. Sie war ein hübsches Mädchen von neunzehn bis zwanzig Jahren, mit herrlichem, rothblondem Haar, das sie ohne Rücksicht auf die Mode offen trug, mit blendend weißem Teint, unregelmäßigen, aber sehr pikanten Zügen und blitzenden braunen Augen. Ein reizendes Geschöpf – zum Verlieben! Aber der arme Arnsburg wagte das nicht einmal recht – er durfte die Besinnung nicht verlieren. Ein Gran Leidenschaft zu viel für dieses, immer auf das Absonderliche gerichtete kokette Ding, und seine Sache war verloren! Den Verliebten spielen – das konnte man allenfalls wagen; aber sich wirklich verlieben, war gefährlich. Man mußte den Kopf oben behalten …

»Sich verlieben – das dürfen reiche Leute thun; oder ganz arme Teufel, die nichts, rein nichts zu verlieren haben. Ein Mitgiftjäger darf sich diesen Luxus des Herzens nicht gestatten. Er spielt immer nur die Rolle eines Verliebten!«

Lora Müllhardts Mitgift wurde auf rund hunderttausend Mark geschätzt. Und nach dem Tode ihres Vaters fiel ihr ein vielleicht doppelt so großes Erbe zu. Den armen Arnsburg schwindelte, so oft er sich diese Zahlen wieder in's Gedächtniß rief –: Aus seiner »lackirten« Noth herauskommen! Seine Schulden bezahlen können! Und mitten aus solcher Misere hineinspringen in diese märchenhafte Herrlichkeit – ach – es war ein zu schöner Gedanke!

Er durfte Lora heute hinaus begleiten in den Grunewald. Berlin war jetzt unerträglich in diesen letzten Augusttagen, aber Lora hatte ihrem Papa folgen müssen, der einer der gesuchtesten Anwälte Berlins war. Besonders in Civilstreitigkeiten galt er als Autorität. Er war Syndicus vieler Aktiengesellschaften, Sachwalter einiger vornehmer Bankhäuser. Besonders auch befaßte er sich mit den zahllosen, oft um Hunderttausende sich drehenden Prozessen in Bau- und Grundstücksangelegenheiten.

Da stand denn im Anfang September eine gewaltige Gerichts-Kampagne bevor, und der Justizrath war unentbehrlich in seinem Bureau. Dieser Thatsache mußte sich selbst sein eigenwilliges Töchterchen fügen.

Nach Schluß der Bureaustunden aber sehnte man sich doppelt hinaus aus dem Brodem der überheißen Stadt, und so war Müllhardt bereitwillig der Bitte Lora's entgegengekommen, Abends mit ihr hinauszufahren an den Halensee. Und der getreue Reiseknappe, Doktor Hermann von Arnsburg, sollte mit von der Parthie sein. Bei dieser Gelegenheit wollte er denn der Jungfrau »Loreley« tapfer den Hof machen.

»Komm doch auch mit Deiner Frau, Guido! Da Ihr ohnehin im Grunewald hauset, sind's ja nur ein paar Schritte!«

»Wir wollen uns noch gar nicht blicken lassen vor der Welt,« versetzte Guido, »wir haben ja unsere Verheirathung noch gar nicht publizirt … Meine Frau hat da gewisse Rücksichten zu nehmen – ich bitte Dich, bis auf Weiteres zu schweigen.«

Arnsburg fand das freilich sehr sonderbar, aber er gab das gewünschte Versprechen. Da mußte irgend etwas nicht richtig sein.

Horn indessen war von quälenden Ahnungen erfüllt. Wo war seine Frau?

Er und Klementine kehrten mit der Stadtbahn in seine Villa zurück. Kamilla war nicht hier, auch »Tante« Rose nicht. Sie sei durch einen Boten abgerufen worden, meldete der Diener, vermuthlich, um die Koffer in Empfang zu nehmen, die von Thüringen heute ankamen und gleich vom Bahnhofe aus umspedirt werden sollten. Die Annahme, daß Rose nur der Koffer wegen in die Stadt gefahren war, hatte in der That viel Wahrscheinlichkeit für sich. Von Kamilla selbst wußte Niemand im Hause etwas.

Es war inzwischen Abend geworden, ein herrlicher Mondscheinabend. Guido hatte noch eine thörichte Hoffnung. Vielleicht hatte Arnsburg gesprächsweise erwähnt, daß er Abends mit Müllhardt zusammentreffe; und der Justizrath war Kamillas Rechtsfreund, seit Jahren schon der Mandator der Firma Goldegg. War es nicht möglich, daß sie nach Erledigung ihres heimlichen Geschäfts nun gleich zu jenem Rendezvous ging?

Mit schwacher Hoffnung schritt er längs der neuen Seeanlagen durch den düsteren Föhrenwald, der seltsamer Weise der »grüne« Wald heißt. Dort unten glänzte schon das Bogenlicht des großen Restaurants. Vielleicht doch? Nein – keine Spur von Kamilla! Aber Guido wollte den Schein wahren; er flüsterte Arnsburg zu, seine Frau sei zu Hause, nicht ganz wohl, sei zu Bett gegangen. Arnsburg konnte an einen kleinen Zwist glauben. Es that ihm einen Augenblick lang leid, denn offenbar war er der, wenn auch unschuldige, Anlaß gewesen. Schon aber traten seine Bedenken hinter dem Programm zurück, das er sich für den heutigen Abend gestellt.

Guido hatte den älteren, auch in Kollegenkreisen sehr geachteten Anwalt begrüßt, auch mit Fräulein Lora ein paar gleichgiltige Worte gewechselt, und saß nun stumm und düster in einer Ecke. Justizrath Müllhardt meinte:

»Sind Sie auch kaput, Herr Kollege! Gerade so wie ich! Man darf nur hineinriechen in die Praxis, da ist man auch schon wieder ihr Sklave. Ich brauche immer erst eine Stunde nach Bureauschluß, bevor ich anfange, mich wieder Mensch zu fühlen.«

Und der ersichtlich überarbeitete Mann reckte die Schultern, dehnte den Brustkasten aus; er sog die weiche Sommerluft mit innigem Behagen ein.

Fräulein Lora kokettirte mit einem Barytonisten der Hofoper, der am benachbarten Tische saß; sie hatte aber schließlich die Freundlichkeit, sich von Arnsburg auf dem kleinen Tümpel rudern zu lassen, den die Berliner schönfärberisch den »Halensee« nennen.

Inzwischen war das Souper servirt worden und nun schlug plötzlich ihre Laune wieder um, denn es ärgerte sie, daß der Rechtsanwalt Doktor Guido Horn von ihr fast gar keine Notiz nahm. Das war sie nicht gewöhnt, – es reizte sie. Uebermüthig und willkürlich, sprang sie von Einem zum Andern über; sie glaubte, Jeden ungestraft beleidigen zu dürfen. Schon in der Art, wie sie ihr pikantes Köpfchen zurückwarf, daß die jetzt im Mondlicht goldrothen Haare nur so flatterten, sprach sich der ganze Hochmuth ihrer hunderttausend Mark Mitgift aus.

Doktor Müllhardt speiste so recht con amore. Er war ein Mann der Arbeit, der nicht nur ganz enorme Arbeitsquanten zu bewältigen, sondern auch völlig aufzugehen im Stande war in seiner Aufgabe. Mit dem Augenblick jedoch, wo er das letzte Aktenstück, die letzte Unterschrift abgegeben hatte, schüttelte er mit kräftigem Ruck die Berufslast ab von seinen weit ausladenden Schultern, um, wie er sagte, Mensch zu werden. »Ein Organismus, der so angespannt ist, wie der meine, muß gut behandelt werden, soll er nicht eines Tages plötzlich versagen,« meinte er. Und nichts und Niemand auf der Welt hätte ihm außerhalb der Amtsstunden seine Freude am Genuß, am Leben, an selbstzufriedener Beschaulichkeit vergällen können. Auch Lora war dies nicht im Stande. Gewiß, er sah und erkannte ihre Fehler, aber er gab ihnen nach um seiner Ruhe willen. Mochte einst ihr Mann sich mit ihr ärgern! –

Fräulein Lora war unwillig und verdrießlich. Da saß ein junger Mann, der ihr bekannt war, den sie wiederholt ausgezeichnet hatte, den sie sogar merken ließ, daß er ihr gefiel. Und er kümmerte sich nicht um sie! War das nicht einfach unerhört? Unverschämt? Durfte man das einer Lora Müllhardt gegenüber wagen? Und sie beschloß, ihn unter allen Umständen zu erobern. Aber ganz bestimmt! Das war doch eine Kleinigkeit für sie. Der Mann mußte erst noch geboren werden, mit dem sie nicht sollte spielen dürfen. Einmal mit sich klar, wurde sie unfreundlich, so abweisend gegen Arnsburg, daß dieser sich vornahm, die demüthigende Jagd aufzugeben. Es wurde ja schließlich unmöglich, um ein Mädchen zu freien, das ihn so häßlich behandelte.

»Lieber will ich mich denn doch an das nächste Vermittlungsbureau wenden, und die erste, beste, dicke Brauerwittwe heirathen, um meine Schulden loszuwerden,« sagte er jetzt zu seinem Freunde, als der Justizrath und Lora aufgebrochen waren.

Aber Guido hatte seinerseits wenig Sinn für den Kummer des Freundes. Was am Ende liegt daran, bei einem launischen Mädchen abzublitzen? Aber sich eine angebetete Frau entschlüpfen zu sehen, – so ganz plötzlich verschwinden, gleichsam in einen Abgrund versinken, das ist entsetzlich!

»Unsinn! Laß doch den Kopf nicht hängen! Du wirst Dich wieder mit ihr versöhnen!« tröstete Arnsburg. »Es ist eben auch nichts als eine Caprice und – das mußt Du ja zugeben – ein wenig emancipirt ist Deine Frau! Aber die Geschichte kommt schon wieder in's Gleiche!«

So glaubte auch Guido. Er hoffte, seine Gattin zu Hause, in der Flitterwochen-Villa zu finden.

Aber sie kam nicht – sein »Eden« blieb leer und ausgestorben. Und er war im Augenblick völlig ohnmächtig. Was nun thun, um die Flüchtige wieder einzufangen? Er konnte doch nicht auf's Geradewohl in die Welt reisen, um seine Frau zu suchen! Einen Moment lang dachte er daran, in der Fabrik telegraphisch anzufragen. Aber auch das ging nicht an. Man wußte ja dort noch gar nicht von der Verheirathung der Frau Goldegg – man würde ihm gar nicht antworten!

Warum hatte er sich auch auf diese abenteuerliche Heimlichthuerei eingelassen? Andererseits – hatte er nicht schweigen müssen zu Allem, was seine Frau wünschte und anordnete? Er hatte sich ja aller Rechte begeben!

In verzweifelter Stimmung verlebte Guido den folgenden Tag. Die Villa »Eden« wurde ihm heute zur Hölle. In sein Bureau zu gehen, war ihm peinlich, denn er hatte sich gestern schon eigentlich endgiltig verabschiedet. Schließlich telephonirte er dem Bureauvorsteher, er sei unwohl und werde vielleicht seine Abreise verschieben müssen. Er wagte sich ja auch nicht fort, weil jeder Augenblick ihm Nachricht von ihr bringen konnte, bringen mußte.

Wie unangenehm auch war seine Stellung dem angestellten Dienstpersonal gegenüber! Was sollte er der Köchin, der Zofe, den beiden Dienern sagen, wenn Kamilla wirklich nicht zurückkam? Wie sich überhaupt zu der ganzen Sache stellen, die ihn mit Anderen und noch mehr mit sich selbst in einen wahren Rattenkönig von Conflicten brachte? Und schlimmer noch als das Alles zehrte an ihm die Erkenntniß, daß er selbst es gewesen, der sein Glück zerstört hatte.

Aus der marternden Ungewißheit, aus diesem selbstquälerischen Grübeln riß ihn gegen Abend ein Brief – ein Brief von Kamilla's Handschrift. Dem Poststempel nach heute früh in Hamburg aufgegeben! Wenigstens würde nun Licht in dieses Chaos von Vermuthungen und Befürchtungen, von Selbstanklagen und matten Versuchen, sich zu trösten, kommen. Mit fester Hand schnitt er das Couvert auf.

»Kannst Du leugnen, daß Du mich betrogen hast?« schrieb Kamilla. »Ich frage Dich bei Deinem Eide! Du wußtest, wer ich war und verschwiegst mir, daß Du es wußtest. Das war ein schändlicher, häßlicher Betrug. Wir sind geschieden. Ich habe hier einen Anwalt beauftragt, die erforderlichen Schritte zur gerichtlichen Scheidung einzuleiten. Inzwischen begebe ich mich nach England und hoffe, daß Du mir eine Begegnung mit Dir ersparst.«

Da war es nun, das Furchtbare, das er seit vierundzwanzig Stunden hatte kommen sehen!

Soviel mal hatte er den Gedanken daran im Kopfe herumgewälzt, immer wieder sich fragend, wie er sich zu der immer sicherer zu erwartenden Katastrophe verhalten sollte, freilich, ohne zu einer Antwort zu kommen. Und nun er es schwarz auf weiß in Händen hatte – daß sie tödtlich beleidigt, daß er sie nie, nie wieder sehen sollte – nun brach ein schwerer Kampf aus in seiner Seele. Sein Schuldbewußtsein, seine Beschämung rangen mit seiner Sehnsucht, mit seiner Liebe.

War es noch möglich, zu leugnen, die begonnene Rolle weiter zu spielen und der makellose Mann zu scheinen sein Leben lang? Oder sollte er zu ihr eilen mit einem offenen, reumüthigen Bekenntniß? Sein Leben zu einer glänzenden Lüge gestalten oder zu trauriger, niederdrückender Wahrheit? Ja – wenn er nicht mit seinem innersten Herzen betheiligt gewesen wäre! Wenn er es hätte abschütteln können, wie ein widriges Begegniß, wie einen verlorenen Prozeß. Aber sein ganzes Selbst hing an diesem Prozeß – sein Lebensglück war das Streitobjekt.

Während er jetzt zerstört und gebrochen auf der Veranda saß und in den schwülen Sommerabend hinausstarrte – nur ganz von ferne drang das dumpfe Rollen der Stadtbahnzüge an sein Ohr – kam Klementine, die auch noch keine ruhige Stunde gefunden hatte seit gestern Nachmittag.

Es war ihm fast wie eine Erleichterung, daß er's nun herunterwälzen konnte von der Brust. Mit hastigen Worten, ohne der Schwester auch nur Zeit zu lassen zu einer Unterbrechung, gestand er ihr in einem Zuge Alles – Alles.

Zum ersten Mal, daß er sich selbst die volle Wahrheit eingestand.

Ja – er hatte nicht nur dunkel geahnt, wer Kamilla sei und daß sie reich und unabhängig – er hatte es genau gewußt! Ohne zu fragen, ohne Erkundigungen einzuziehen – er hätte blind sein müssen, wollte er nicht sehen, nachdem er einmal ihren Namen in Beziehung wußte zu jener großen Firma. Und tausend Einzelheiten schrien es ihm förmlich zu – er konnte sich ihnen nicht verschließen!

Und er that es dennoch – dem Scheine nach – er spielte diese erbärmliche Komödie – er belog Kamilla, seine Schwester – sich selbst! Immer nur die eine Entschuldigung sich wiederholend, daß er Kamilla ja geliebt hatte, noch bevor er ihre Verhältnisse kannte! Und daß er sie nun doch nicht weniger liebe, – nein, sie nur um so mehr für sich gewinnen mußte …

»Ja – sie hat Recht! Tausendmal Recht, Klementine: ich habe sie betrogen – schändlich betrogen … Was aber soll ich jetzt beginnen?«

Nicht viel fehlte und er hätte geweint in seiner Ohnmacht.

Das arme Mädchen, dessen ganzes Leben Plage und Entbehrung gewesen, zögerte nicht eine Secunde.

»Du mußt ihr die Wahrheit sagen,« entschied sie. »O, natürlich – Alles! Das bist Du ihr schuldig, Guido!«

Mit sanften Vorhaltungen suchte sie ihm das zu beweisen. Daneben seufzte sie im Stillen. Ach, dieser glänzende und geliebte Bruder, dieser stolze, reine Mann – auf welche Abwege war er gerathen – um einer Mitgift willen!

Nun würde der böse Traum von einer Geldheirath wohl zerrinnen – für immer! Denn Guido mußte Alles zurückgeben – es war aus und zu Ende.

Ganz leise, nur einen Moment lang, dachte sie auch an Albert und sich. Auch das war nun wohl vorbei … Aber Guido's Verzweiflung absorbirte sie doch völlig. Sie ließ nicht nach, er mußte sofort an Kamilla schreiben.

Die Stolze hatte es verschmäht, sich zu verstecken. Auf einem Briefbogen des »Hamburger Hofes« hatte sie ihm geschrieben.

Und Guido antwortete seiner Frau unter der Adresse »Hamburger Hof«:

»Dir kann ich nicht lügen, weil ich Dich liebe! Ja – ich ahnte, wußte beinahe von Deiner wirklichen Lebensstellung. Aber ich liebte Dich schon vorher – bei Gott! Auch im Angesicht des Todes könnte ich nichts Anderes sagen! – ich liebte Dich und warb um Dich und schwieg nur, um Dich nicht zu verlieren«.

Das war Alles. Es folgten zwei Tage furchtbaren Schweigens, während deren Guido vergeblich versuchte, sich in Geschäften zu betäuben. Endlich kam ihre Antwort; ein langer Brief.

Sie schilderte, wie sie jung gewesen und wie sich der schnöde, verächtliche Begriff der Geldheirath schon auf die ersten zarten Regungen ihrer Seele gelegt hatte, wie ein giftiger Nebelthau. Wie sie dann, ein armes, leider nicht anspruchslos erzogenes Mädchen, selbst nach Versorgung gesucht und auf das Glück der Liebe verzichtet habe. Denn für ihren Gatten habe sie nur Gefühle der Dankbarkeit hegen können. Und schon war sie damit versöhnt, da griff das Geschick zu ihren Gunsten ein – sie wurde frei! Und nun drängten sich die Gierigen an sie, die man Mitgiftjäger nennt und die am liebsten die Mitgift nähmen – ohne die Frau. Wie dann ein tiefer Ekel sie erfaßt habe vor diesen modernen Raubrittern und sie in die Flucht trieb. Und sie schwor sich, lieber zu sterben, ohne je die Liebe kennen gelernt zu haben, wenn sie nicht um ihrer selbst willen geliebt werden sollte. Sie wiederholte, was sie schon erzählt hatte. Wie sie dann, sich für arm ausgebend, ihm begegnet und wie sie ihn lieben gelernt, glühend, wie ein junges Mädchen.

Und eine berauschende Glückseligkeit erfüllte ihre Brust – ihre stolzesten Hoffnungen nahmen greifbare Gestalt an, ihre Ideale gewannen Fleisch und Blut: man liebte sie um dessen willen, was sie war, nicht was sie hatte! Das leidige, häßliche Geld spielte keine Rolle in dem so heiß ersehnten, so aufjubelnd begrüßten Roman ihres Lebens! Und doch – sie konnte ihn damit glücklich, oder doch froh und frei machen! Zum ersten Male, daß sie sich nun doch freuen durfte über das Geld … Aber ach! es währte nicht lange, da stürzte jenes frivole Telegramm sie aus allen Himmeln. Und sie erkannte, daß Alles nur ein schöner Traum gewesen. Er hätte sie nie geheirathet, wenn er sie nicht für reich gehalten – das wagte er selbst nicht zu leugnen. Er liebte sie nicht, sonst hätte er sie nicht belogen. Ihr Geld wollte er erschmeicheln – weiter nichts. Und das sei für sie ein unerträgliches Bewußtsein. Sie betrachte die Ehe als gelöst, denn sie war unter falscher Voraussetzung geschlossen. Sie wollte nicht mit, nicht neben ihm leben. Er möge von ihrem Vermögen, das sein Miteigenthum sei, nach Belieben Gebrauch machen. Aber sie wollte nichts von ihm wissen. Beigefügt folge die Adresse eines Hamburger Anwalts, durch dessen Vermittlung die Auseinandersetzungsfrage geregelt werden sollte. Im Uebrigen trat sie eine längst geplante Weltreise an, die sie mindestens ein Jahr lang fern halten würde. Sie wiederholte den Wunsch, Guido nie wieder zu sehen, und sprach schließlich nur noch die feste Zuversicht aus, daß sein Ehrgefühl doch wohl hinreichen würde, über ihre Vermählung unverbrüchliches Schweigen zu bewahren. Seinen Namen legte sie ab – sie mochte ihn nicht tragen. Hoffentlich würde es ihr auch gelingen, die Erinnerung an diese schwere Enttäuschung abzuschütteln …

Die furchtbare Ruhe und Klarheit dieses Briefes wirkte niederschmetternd auf Guido. Und doch, er mußte noch einen Versuch wagen. Wie er ging und stand, stürzte er zum Stadtbahnhof, um mit dem nächsten Zuge nach Hamburg zu fahren. Aber im »Hamburger Hof« konnte man ihm nur sagen, daß Frau Goldegg nebst ihrer Gesellschafterin vor drei Stunden nach England abgereist sei.

Da stand er auf dem regenfeuchten Jungfernstieg – in Hamburg regnet es immer! – und nur ein paar Schritte trennten ihn von dem Alsterbecken. Das war tief genug für seinen Kummer! Aber die geschäftig über die unbewegte Fläche dahineilenden kleinen Dampfer! Man würde ihn herausfischen, auch gegen seinen Willen. Und Klementine? Nein – er mußte zunächst etwas Klarheit in seine Angelegenheiten bringen.

Hier in Hamburg den von Kamilla bezeichneten Anwalt aufzusuchen, schien ihm unter seiner Würde. Er hatte keine »Geschäfte« mit dieser Frau – mit seiner Frau! Er liebte sie – mehr als je zuvor. Und da empörte ihn der Gedanke an einen Dritten.

Zerschlagen, völlig zerrüttet, kehrte er nach Berlin zurück. Es war Alles verloren. Und er war ärmer denn je. Mit gebrochenem Herzen, zerschmetterten Hoffnungen, ohne inneren und äußeren Halt stand er da. Denn nie würde er etwas von ihrem Gelde anrühren – niemals. Da sie ihm nicht gehören wollte, so gehörte auch nichts ihm, was ihr eigen war. Wenn er von dem Ehevertrage Gebrauch machte, so verdiente er ihre Verachtung. Und er wollte nicht von ihr verachtet sein.

Wieder war es ein schöner, linder, weicher Mondscheinabend. In dem »neuen See«, an dessen Rand die »Villa Eden« stand, spiegelte sich tiefblauer Sommernachtshimmel. Kein Lufthauch, kein Wölkchen – einem submarinen Lichte gleich strahlte der Mond aus dem klaren Wasser zurück. Welche Flitterwochen wären das gewesen!

Jetzt sah Klementine vom Balkon aus, wie ihr Bruder aus dem Hause schlich, das Boot losmachte und abstieß. Wie harmlos wäre ihr sonst solch eine Bootfahrt auf diesem »Teich« erschienen. Heute aber beschlich sie eine furchtbare Ahnung – sie eilte ihm nach. Klementine rief so laut und bat, daß er umkehren und sie mitnehmen mußte.

»Guido – Du willst Dich tödten!« sprach sie in eindringlichstem Tone.

»Was fällt Dir ein! Hier in dem Tümpel! Luft wollte ich schöpfen, mir noch ein wenig Bewegung machen!«

»Wenn es sich nur darum handelte, hättest Du mich mitgehen heißen!«

Er verharrte in finsterem Schweigen, während das Boot leicht dahinglitt. Welch ein Gegensatz zwischen diesem lieblichen Idyll und der Nacht in seiner Brust.

»Du wirst sie wiederfinden, Guido, denn sie liebt Dich, wie Du sie liebst,« tröstete die Schwester.

Er schüttelte den Kopf.

»Sie verachtet mich und – sie hat Recht. Ich hätte nicht schweigen dürfen – es war ein Verbrechen! Aber ich büße furchtbar.«

»Gewiß, Du hast Dich blenden lassen! Aber ich bin sicher: auch wenn sie zehnmal so reich gewesen wäre und Dein Herz hätte nicht für sie gesprochen – Du wärest dem Zauber nicht unterlegen. Und das wird auch ihr eines Tages klar werden! Sie wird – sie muß Dich kennen lernen, so wie ich Dich kenne. Nur braucht das Zeit und Stunde, Guido! Laß den Muth nicht sinken!«

Es ging an seinem Ohr vorüber, was sie Ermuthigendes, Aufrichtendes zu sagen wußte. Finster und verschlossen blieb er – alle Güte dieser besten aller Schwestern konnte ihn nicht anderer Stimmung machen.

Nun hatten sie das kleine Gefährt verlassen, waren in's Haus getreten. Guido versprach Klementine, zu Bette zu gehen.

Und nun war es lange nach Mitternacht – er schritt noch immer ruhelos in seinem Zimmer auf und ab. Nur ein Verzweifelter flieht so dem Schlaf, der ihm doch wenigstens Vergessen bringen würde.

Klementine, die sich im unteren Stockwerk einquartirt hatte, hörte in der stillen Nacht jeden seiner Schritte. Sie fühlte gleichsam seine düstere Stimmung nach und war in Todesangst. Wenn ihr nur ein Gott eingeben wollte, womit sie den Bruder trösten könnte!

Jetzt wurde es oben still. Es fuhr ihr mit einem Male an die Kehle, als müsse sie ersticken. Aber sie raffte alle ihre Kraft zusammen und stürzte hinauf.

Guido hatte sich eingeschlossen. Sie flehte an der Thür, drohte die Dienerschaft zu wecken – endlich öffnete er. Die Thür nach dem Balkon stand offen, ein geschlossener Brief lag auf dem Tische. Gewiß, er hatte nur abwarten wollen, bis sie schlief, um dort hinabzuspringen!

Sie fiel ihm zu Füßen und stand nicht eher auf, bis er versprochen hatte zu leben – ihretwegen zu leben! Denn sie war sicher, daß noch Alles gut werden würde.

Am folgenden Tage verließen sie die Villa »Eden«.

Unter verhältnißmäßig schweren Opfern wurde die Dienerschaft abgelohnt. Nur den Gärtner behielt man unter der Bedingung, daß er zugleich Portier und Wächter bleibe.

Das schöne Märchenspiel war zu Ende. Guido war entschlossen, nichts anzunehmen, nichts zu verrathen. Wußte doch nur Arnsburg und der Bureauvorsteher von der Sache und diese Beiden würden schweigen. Die nun entlassenen Leute waren selbst nicht klug daraus geworden, wer eigentlich der Herr in »Eden« sei.

Klementine würde bis auf Weiteres sich als Besitzerin der Villa betrachten, die ihr ja auch in aller Form Rechtens gehörte. Eine seltsame Mitgift für ein armes Mädchen, wie sie! Aber wenn Kamilla wirklich nicht zurückkam und auch die Villa nicht reclamirte, so konnte man vielleicht auf den Luxusbau so viel Capital aufnehmen, wie sie zu ihrer Einrichtung gebrauchten und dann war wenigstens dies eine Paar gerettet …

In diesen Tagen war es, daß Guido zum erstenmal als Vertheidiger amtirte. Ihm war von Amts wegen ein kleiner »Fall« überwiesen worden – ein armer Teufel, der sich eines Betruges schuldig gemacht haben sollte, »durch Verschweigung ihm bekannter Thatsachen«.

Guido stand noch nicht so sehr »darüber«, daß er den Muth gefunden hätte, den Mann herauszuhauen. Er setzte eine kleine Geldstrafe durch. Den Betrag steckte er dem Verurtheilten nach Schluß der Verhandlung zu – wie wenig er auch zu verschenken hatte. Aber das Verschweigen allein muß sich doch nicht gleich so hart bestrafen …


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