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IX.

Ein lakonisches Telegramm meldete Hassemann ganz plötzlich die Ankunft der Herrin. Er blieb einen Augenblick starr, sprachlos. Wie schneite sie da so unvermuthet herein? Aber es blieb nicht Zeit zum Nachdenken: es gab viel zu thun, um sie wenigstens einigermaßen würdig zu empfangen.

Kein Zweifel, sie war noch frei! Und sein Selbstbewußtsein erwachte. Warum sollte er sie nicht noch erringen?

Er, der ernste Mann der Arbeit, der sich kaum Zeit zum Essen ließ, stand jetzt vor dem Spiegel. Prüfend betrachtete er sich. Er sah gut aus, männlich, ein wenig älter als er war, aber ein Bild der Kraft; seine Gestalt war etwas gedrungen, aber das war kein Fehler. Er überlegte, wie sich kleiden. Elegant, als Weltmann, oder ganz schlicht, nur als Mann der Arbeit? Er entschloß sich für das letztere, das würde möglicherweise sehr gefallen; und er legte den bunten Schlips wieder fort.

Jetzt trat Anna ein, seine Wirthschafterin. Sie kochte und hielt die ziemlich geräumige Wohnung in Ordnung. Da standen leere Zimmer, die ihrer Bestimmung harrten, und auch in den bewohnten sah's noch nicht behaglich aus. Vorher war ja kein Direktor da gewesen, und man hatte ein Depot für Musterzeichnungen zur Direktionswohnung adoptirt. Hassemann bewohnte davon zwei Zimmer; er that sich etwas zu Gute auf seine Einfachheit. Wenn er auch einerseits jede Regung von Unzufriedenheit bei den Arbeitern energisch bekämpfte, so gab er doch selbst das Beispiel von Nüchternheit und Mäßigkeit. Er gönnte sich kaum ein Vergnügen; in den anderthalb Jahren von Kamillas Abwesenheit war er kaum ein halbes Dutzend mal in Rudolstadt gewesen. Freilich, diese Enthaltsamkeit war nicht ganz ehrlich, denn innerlich glaubte er sich berufen zu Luxus und Genuß. Aber vorläufig spielte er eine Rolle, und diese Rolle spielte er gut. Es würde ja einmal anders werden.

Anna war zwar aus der Fabrik hervorgegangen, aber es hatte doch eine eigene Bewandtniß mit ihr. Eines Tages war ihr Vater, ein Magazinaufseher, gestorben, Frau und Kind mit der immerhin schmalen Wittwenpension zurücklassend. Und es stellte sich heraus, daß der Verstorbene Schulden gemacht hatte, man wußte nicht, wie. Damals hatte Goldegg eingewilligt, daß man Anna's Mutter einen namhaften Vorschuß auf ihre Pension bewilligte, damit sie sich der Gläubiger zu entledigen vermöchte. Nur das Eine war dabei nicht in Rechnung gezogen worden: daß von den schmalen Bezügen die Rückzahlung des gewährten Darlehens unmöglich werden würde! Und es währte nicht lange, so trat das Unvermeidliche ein – Frau Hensel hatte nichts mehr zu essen. Da erbarmte sich denn, ganz gegen seine Natur, der damalige Inspektor Hassemann ihrer – vielleicht, weil er zum ersten Mal bemerkt hatte, daß die Tochter der Hensel eigentlich ein sehr hübsches Mädchen war. Er schlug der alten Frau vor, seine Wirthschaft zu versehen, wohingegen sie mit ihrer Tochter irgend einen Hinterraum seiner Dienstwohnung beziehen sollte. Frau Hensel, ein altes Weibchen, taugte nicht viel zur Arbeit, Anna mußte sehr bald für sie eintreten, und ein halbes Jahr später, da war sein bischen Wirthschaft ganz in ihrer Hand. Ja, er begann sich eine Zeit lang mit dem Gedanken zu tragen, das liebenswürdige und fleißige Mädchen zu heirathen. Als indessen nach dem Tode Goldeggs neue, kühne Hoffnungen in ihm erwachten, änderte sich die Sache und Anna fiel auf einmal in Ungnade. Heute war sie ihm nicht mehr als ein Dienstbote, und doch war sie schon in's Gerede gekommen. Kein anderer wagte sich ihr zu nähern.

Anna hatte ihrem Herrn das Erforderliche zur Toilette zurechtgelegt; sie räumte jetzt stumm alles fort. Im Begriff, zu gehen, schon die Thür in der Hand, fragte sie, wie er es heute mit dem Mittagessen halten wolle.

»Wie gewöhnlich,« sagte er in seinem gewohnten herrischen Tone.

Aber er würde nicht zu Mittag kommen. Anna wußte genau warum. Die gnädige Frau traf heute ein und er war auf den Bahnhof gefahren, sie abzuholen.

Das einfache Mittagessen blieb stehen, denn auch die arme Anna rührte es nicht an. –

Hassemann wartete, äußerlich gelassen, aber doch fieberhaft erregt, auf die Ankunft der Frau Goldegg.

Als er ihrer ansichtig wurde, stand seine Meinung fest. Sie hatte ein Abenteuer gehabt, vielleicht ein ernstes, aber gut hatte es nicht geendet, gewiß, er hatte Aussichten …

Respektvoll begrüßte er sie und in seinen Augen lag grenzenlose Verehrung und Hingebung.

Als sie die Fabrikschlote rauchen sah, entschlüpfte es ihr:

»So habe ich mir meine Rückkehr nicht gedacht.«

Oh, keine Frage, sie hatte schlimme Erfahrungen gemacht. Sein Herz pochte freudig, wenn er sich vorstellte, daß der Boden gut vorbereitet war für seine Wünsche, für seine himmelstürmenden Hoffnungen.

Er wurde zu Tische eingeladen. Das hatte er erwartet; er selbst hatte veranlaßt, daß in der Villa alles zum Empfange bereit war.

Es war, wiederum auf Anordnung der Frau Goldegg, die alte Köchin im Dienst geblieben, die schon zur Zeit des seligen Herrn als Wirtschafterin das Szepter führte. Es widerstrebte Kamilla, die Leute auf die Straße zu setzen. Und voller Dankbarkeit hatte diese Köchin nun Ordnung gemacht, die Gazebezüge von den Kronleuchtern genommen, geklopft und geputzt, ja, hie und da ein Blümchen aufgestellt und endlich war sie daran gegangen, nach den Angaben Hassemann's ein solennes Frühstück herzurichten.

Jetzt genoß Hassemann die Früchte seiner Vorkehrungen: ein prächtiges Dejeuner, welches an die Stelle seines häuslichen Mittagessens trat. Er hatte sich die Kenntniß solcher Dejeuners freilich nur auf schriftlichem Wege aneignen können; vorher besaß er keine Ahnung davon, auch in dem Haushalt des verstorbenen Goldegg war es einfach hergegangen, bevor er heirathete.

Aber Kamilla war ja zum Genuß des Reichthums bestimmt, für sie konnte nicht genug aufgewendet werden, und er hatte Alles geschickt genug angeordnet.

Als die junge Frau in den eleganten, geheizten Salon kam, und die wohlgedeckte Tafel sah, sagte sie mit einem Anfluge von Behagen: »Zu Hause.« Dann besann sie sich.

»Das haben gewiß Sie angeordnet, lieber Hassemann.«

Er verneigte sich bescheiden und nahm ihr gegenüber Platz.

»Ich werde nicht lange hier bleiben,« meinte sie, »nur ein paar Tage.«

Es wollte ihm scheinen, als hätte sie einen Seufzer unterdrückt. Nun schwieg sie wieder. Sie hatte sicher irgend eine Enttäuschung erlitten.

Berückende Bilder, wie er hier als Herr schalten würde, neben ihr sitzen würde, nicht mehr respektvoll ihr vis-à-vis, erfüllten seine Phantasie.

Mit mattem Lächeln ließ Kamilla sich berichten, was seither geschehen war, offenbar nur mit Mühe fand sie sich in das heimische Leben. Sie besann sich nur langsam auf Alles. Jetzt fragte sie nach einzelnen Arbeitern.

Ganz unbefangen erzählte er:

»Ja, Peter Heinze hat sich verheirathet und Lorenz Kohlmann ist gestorben, glücklicher Weise, ohne Kinder zu hinterlassen. Unser Vortragssaal ist fertig und inzwischen schon einige Male benützt worden. Freilich, die Arbeiter laufen heute anderen Lockungen nach …«

Und dann warf er so hin:

»Und Basler ist noch immer unzufrieden.«

»Ach – Basler …«

Sehr schwer nur konnte sie sich erinnern. »Oh, jener junge Mann, der Chemiker, mit dem mein Mann immer Versuche machte! Ja, warum ist der unzufrieden?«

»O mein Gott – Größenwahn, gnädige Frau. Der junge Mann hat etwas gelernt und glaubt sich nun zu Besserem geboren! Es ist immer die alte Sache!«

Kamilla dachte nach.

»Wie ich glaube, ist er sehr gut gestellt,« sagte sie, »besser als irgend Einer seinesgleichen, oder irre ich mich?«

»Nein, nein, gnädige Frau, er verdiente viel Geld.« Und Hassemann rechnete Pauls Bezüge vor. »Aber er ist eine jener Persönlichkeiten, welche man nicht gern in größeren Etablissements duldet – er ist ein gefährlicher Sozialdemokrat.«

Frau Kamilla horchte auf.

»Wie? Mein Mann hatte ihn sehr gern, bei seinen chemischen Experimenten besonders, und ich kann mich nicht erinnern, jemals gehört zu haben …«

»Die Neigung Paul Baslers hat sich auch erst seither entwickelt. Er verdirbt mir die Andern; er hat erst neulich eine Aeußerung gethan, die mich erschreckte.«

»Welche?« fragte Kamilla aufmerksam.

Er sagte mir in's Gesicht, er würde die Fabrik einmal anzünden.«

»Ach, das wird er ja nicht thun, lieber Hassemann!«

»Nein, nein, gewiß nicht, gnädige Frau, aber man darf so etwas weder sagen, noch denken! Genug, ich wünschte dringend, daß er gehe.«

Und leichthin setzte er hinzu:

»Nun sind wir ihn los, Gott sei Dank.«

Wieder horchte Kamilla auf.

»Wie, er ist fort?«

»Ja, er hat selbst gekündigt, schon seit fast sechs Monaten.«

»O, das thut mir aufrichtig leid. Freilich, der thörichte Mensch war ein bischen verliebt – ich mußte mir ihn vom Leibe halten! Aber er war doch begabt und interessant. Wie kam denn das so plötzlich?«

Hassemann mußte nun konsequent bleiben.

»Da ist nichts zu bedauern, gnädige Frau, derlei Leute sind auf die Dauer immer schlechte Arbeiter. Der einfältige Mensch glaubte, gewisse Rechte zu haben auf unser Patent.«

»Welches Patent?«

Nur ganz unbestimmt wußte Kamilla, was ein Patent sei.

»Sie erinnern sich doch, unser Patent, die Azofärbung betreffend.«

Hassemann spielte eben einen Trumpf aus, auf die Gefahr, gestochen zu werden. Denn er hatte das Patent ohne Kamillas Unterschrift, nur auf Grund seiner Generalvollmacht, im Namen der Erben genommen. Aber was wußte Kamilla noch von einem Patent und von den Azofarben!

»Ja, ja, das Patent,« sagte sie. »Ich besinne mich dunkel.« Sie wußte nicht recht, was darin Kränkendes für Paul Basler liege. Müde und zerstreut suchte sie dies Thema abzuschließen.

»Jedenfalls muß Basler reichlich entschädigt werden,« meinte sie, »wenn er irgend welche Ansprüche hat. Nur nicht sparen, bitte ich Sie, nicht rechnen! Mein Mann zeigte mir einmal irgend eine Strähne, die ich für Seide hielt. ›Nein,‹ sagte er, sich wie ein Kind freuend, ›das ist Baumwolle. Nach unserem neuen Verfahren gefärbt!‹ Aber mehr weiß ich nicht. Jedenfalls muß man den Paul Basler entschädigen,« schloß sie mit Entschiedenheit.

»Gut, ich will das noch besorgen, gnädige Frau.«

»Wo übrigens ist Paul Basler jetzt?«

»Er arbeitet privat, für, ich weiß nicht, wen. Ein halbes Jahr lang war er fort, zur Aushilfe, wenn ich nicht irre, in Jena. Jetzt ist er wieder hier. Ich weiß selbst nicht, warum er immer noch hier sitzt.«

»Wo wohnt er denn?« fragte Kamilla jetzt wieder lebhafter.

»Bei der Wittwe Bauer.«

»Es ist gut, Herr Hassemann, ich danke Ihnen sehr,« und sie entließ den Direktor mit königlicher Huld.

Hassemann ging, nicht ganz so ruhig, wie er heute diesen Raum betreten hatte. Dieser Paul Basler stand ihm noch immer im Wege. Warum war der verrückte Mensch nicht fortzubringen?

Kaum war er gegangen, als Kamilla sich fertig machte, auszugehen.

Seit mehr als Jahresfrist betrat sie zum ersten Male wieder die Arbeiterkolonie, in der sie früher an der Seite ihres Gatten etwas wie eine wohlthätige Fee gewesen war. Fast mit Selbstvorwurf dachte sie daran, daß sie sich so wenig um alle diese armen Leute gekümmert hatte. Der Himmel hatte ihr ein reiches Erbe bescheert, und sie achtete auf nichts, dachte an nichts, an gar nichts. War das nicht sträflich? Mit Beschämung sah sie, daß sie nicht einmal wußte, wo Frau Bauer wohnte.

Hier in der Kolonie hatte kein Mensch eine Ahnung von der Ankunft der Herrin. Hassemann hatte vielleicht absichtlich geschwiegen. So waren die Straßen jetzt, während der Arbeitszeit, leer und verlassen; auch Kinder gab es nicht. Die Güte des verstorbenen Goldegg hatte sich nicht begnügt, eine Schule zu bauen, es gab auch einen Kindergarten. Es schien Alles wie ausgestorben.

Frau Bauer war allein in ihrem Stübchen. Sie glaubte, zu träumen, als jetzt die »Gnädige« in Person eintrat. Sie zerfloß in Devotion und Dankbarkeit. Nun aber Kamilla nach Basler fragte, platzte sie los:

»Ja, er ist noch im Hause! Aber ich habe ihm die Wohnung schon gekündigt. Der Mensch ist ja seit einem Jahre ohne Stellung, bald da, bald dort. Ich meine immer, der will nicht arbeiten. O ja, Prozesse führen, wie ein großer Herr, und gar gegen den Herrn Direktor! Ja, wer tüchtig arbeiten will, der geräth nicht mit dem Herrn Direktor zusammen. Aber Herr Basler ist ein ›Erfinder‹, hat große Rosinen im Sacke, und derlei freilich verträgt Herr Hassemann nicht.«

»Meine liebe Frau Bauer, warum ärgern Sie sich so sehr über den Basler,« unterbrach Kamilla den Redestrom der Alten. »Ist er Ihnen Geld schuldig?«

»Nein, das nicht, aber meine Helene hat sich eingebildet, er wird sie heirathen, das dumme Ding! Und nun sitzt der Mensch da und thut nichts dergleichen. Bezahlt freilich hat er Alles.«

»Hat er etwas Bestimmtes versprochen?«

»Auch nicht, aber ein junges Mädchen kommt doch bald in's Gerede.«

»Nun, ich will mit Basler sprechen,« sagte Kamilla. Sie dachte, wenn man den Mann abfindet, ihm Geld giebt, wird er ja wohl heirathen können. Und da ergab sich also Gelegenheit, ein glückliches Paar zu machen, etwas von dem Versäumten nachzuholen.

Oben packte Paul seine Sachen. Frau Bauer hatte Recht, ihn nicht behalten zu wollen und nicht minder hatte Helene Recht, an seiner Zukunft zu verzweifeln. Seine Angelegenheit kam nicht vorwärts. Zwar, er hatte einen Prozeß begonnen, aber ohne Aussicht auf Erfolg, weil seine Mittel zu gering waren. Der allmächtige Hassemann hatte die Kleinigkeit von 200 000 Mark als Depot verlangt, wenn er den Betrieb mit den neuen Patentfarben einstellen sollte bis zum Austrag des Prozesses. 200 000 Mark, woher eine solche Summe beschaffen? So strich der Streit langsam dahin, er drohte zu versickern im Sande. Frau Goldegg war wie aus der Welt verschwunden. Längst hätte er, Paul, eine dauernde Stelle finden können; aber er brachte es nicht über sich, von hier fort zu gehen, von hier, wo alle seine Träume wurzelten, wo diese Träume ihm trotz aller Enttäuschungen noch immer wundervolle Bilder vor das trunkene Auge führten. Vor Allem wollte und mußte er noch einmal Frau Goldegg sprechen, mußte aus ihrem Munde hören, daß es ihr Wille war, der ihn so schwer geschädigt hatte.

Er wollte vorläufig in den »Adler« ziehen, dann den Rest seiner Baarschaft darauf verwenden, nach Berlin zu Doktor Müllhardt zu reisen. Das sollte die entscheidende Konferenz werden.

Er erschien Allen als ein Narr, beinahe sich selber auch, und so verübelte er der Frau Bauer ihre Engherzigkeit nicht. Nur Helene that ihm leid. Das arme Mädchen hatte so tapfer zu ihm gehalten, hatte sich mit ihrer Mutter herumgestritten, und immer zu ihm gesagt: »Wenn Sie siegen, Herr Basler, so hab' ich Ihnen doch ein wenig dazu geholfen.« Sie allein zweifelte nicht an ihm. Wenn er einmal sein Recht durchgefochten haben würde, dann wollte er sich ihr auch erklären. Jetzt brauchte er sein bischen Zeit und Sammlung für den Prozeß. Trotzdem war Helene jetzt auch Baslers schwerster Kummer. Erst war er aus der ihm so lieben Fabrik vertrieben worden, dann aus der vertrauten Wohnung, und das hieß doch wohl Abschied nehmen von der Einen, die noch mit ihm fühlte. Aber er hätte auch das leicht ertragen, wenn er sich nicht den Vorwurf hätte machen müssen wegen Helene.

Da auf einmal rief Frau Bauer mürrisch in sein Stübchen hinein:

»Die gnädige Frau ist gekommen. Sie wartet unten auf Sie.«

»Welche gnädige Frau?«

»Nun, meine Helene ist es nicht, die ist noch immer ledig,« versetzte Frau Bauer spitz. »Natürlich meine ich Frau Goldegg.«

Paul taumelte. Frau Goldegg war zurück, war hierher gekommen, um ihn zu sprechen? O, das war zu viel! Sollte sich doch noch Alles wenden? Hatte sie etwa einen Beweis für ihn gefunden? Wie ein Trunkener schwankte er die Treppe hinab. Sie kam zu ihm – er konnte es noch nicht fassen.

Frau Bauer begab sich in die Küche. Kamilla hatte zwar gewünscht, sie solle bleiben, aber die Frau mußte nach ihrem Essen sehen.

Wirklich, da saß Kamilla in der dürftigen Stube auf dem harten, steiflehnigen Sopha. Sie lächelte ihm entgegen. Er that ihr ja so leid.

Und unter ihrem Lächeln verlor er vollends die Besinnung. Nach diesen unsäglichen Leiden dieses Glück, dies Wunder! Sie hier, in diesen engen Räumen, seinetwegen, ja wahrhaftig, es gab Wunder! Er war immer ein nüchterner, verständiger Mensch gewesen, aber er glaubte jetzt plötzlich an ein Eingreifen des Himmels. Sein blasses Gesicht beseelte sich wunderbar, seine dunklen Augen loderten unheimlich, und ehe sie es hindern konnte, fiel er Frau Kamilla zu Füßen.

So hat Mortimer vor Maria gekniet. Ihr Kleid preßte er an die Lippen.

Sie war Anfangs sprachlos, obgleich sie etwas Aehnliches fast geahnt hatte.

In einer beschwingten Sprache, die dem träumerischen, etwas ungelenken Jüngling sonst nie ähnlich gesehen, sprach er von seiner Liebe. Ja, vom ersten Blick an hatte er sie geliebt. Aber sie war die Frau seines gütigen Chefs, und das hatte ihm die Lippen versiegelt, wenn auch sein Herz flammte und glühte. Wie ein Licht aus Himmelshöhen, wie eine göttliche Offenbarung, schwebte diese Liebe über seinem armen Leben. Die Madonna war ja auch so gütig gegen ihn. Täglich durfte er sie sehen, wenn auch nicht immer sprechen. Schlaflose Nächte lang zehrte er dann an ihren wenigen Worten – er träumte nichts, als ihr einmal, nach Jahren einmal, sagen zu können: Ich habe Dich immer geliebt, immer geliebt! und aus Liebe zu Dir habe ich gestrebt, gelernt, um einmal wenigstens Deinesgleichen zu werden, damit Du Dich meiner nicht zu schämen hättest! Daran hatte auch der Tod des guten Herrn nichts geändert. Wie hätte er, armer Teufel, es wagen dürfen, an ihren Besitz zu denken? Aber er hoffte, ihr mit der Zeit als Freund näher zu treten. Gerade in den Tagen ihrer Trauer wagte er sich kaum an sie heran. Er irrte verstohlen um ihre Villa, um sie nur auf einen Augenblick vorüber huschen zu sehen, oft umschwärmt von Freiern und Hofmachern, die sie doch Alle nicht so lieben konnten, wie er sie liebte …

Und jetzt war sie da, war gekommen, war gütig zu ihm, o er durfte endlich einmal seine Seele ausschütten …

Sie hörte ihm geduldig zu. Ach, wie traumhaft schön war das! Ja, sie hörte ruhig mit an, was ihm so glühend von den Lippen strömte, sie lauschte theilnehmender vielleicht, als es die gute Sitte erlaubte. Ach, so wurde sie doch geliebt, um ihrer selbst willen! Denn dieser Jüngling hatte ja nie versucht, nach ihrem Besitz zu streben. Er wollte ihr Geld nicht, er hatte es nie gewollt.

Ein süßes Glücksgefühl überkam sie. Nicht um des Geldes willen ergiert, sondern geliebt, geliebt! Zu spät erinnerte sie sich der vollen Gegenwart.

»Sie vergessen sich, Basler,« sagte sie leise, »wir vergessen uns beide.«

Aber sie zürnte nicht.

»Sie sind ein Thor,« fuhr sie fort, »wie kann man so sein ganzes Herz an ein Luftgebilde hängen, und wie wenig war ich Ihnen, konnte ich Ihnen sein! Aber ich danke Ihnen und ich glaube an die Reinheit Ihrer Empfindungen. Nur bitte ich, bekämpfen Sie Ihr Empfinden und versuchen Sie es, Ihr Glück wo anders zu finden, denn ich – ich bin nicht mehr frei.«

Ihr entschlüpfte jetzt ihr wohlgehütetes Geheimniß, denn eine große Leidenschaft wirft die Schranken der Convenienz um. Er blickte auf, indeß sie fortfuhr:

»Ich bin gebunden und doch tief, tief unglücklich, viel unglücklicher als Sie! Wir müssen es beide tragen, mein Freund!«

Und jetzt erst fiel ihr die Patentsache ein.

»Ach ich kam ja wegen des Patents, ich wußte nicht, …«

»O sprechen Sie nicht davon,« rief er, hingerissen von seiner Schwärmerei, »was liegt daran, das Patent gehört ja Ihnen.«

Kamilla begriff nur halb.

»Aber Sie müssen entschädigt werden, das ist keine Frage.«

Das Wort »entschädigt« entnüchterte Paul ein wenig. Er hatte in dem Sturm seiner Leidenschaft sein Recht vergessen. Kamilla glaubte nur, daß er ein Recht auf Entschädigung habe, nichts weiter, und jetzt sagte sie noch streng:

»Ich rathe Ihnen dringend, sich mit Eifer Ihrer Anstellung im Laboratorium anzunehmen.«

Das hieß doch nichts anderes, als sie rieth ihm zu gehen. Er gehörte auch nicht mehr hierher. Er hatte Kamilla seine Liebe gestanden und nun war alles zu Ende.

Aber in diesem Augenblick war ihm alles gleichgiltig. Zum ersten Male erfüllte ihn eine stolze Hoffnung, zum ersten Male in seinem Leben. Sie war nicht frei, aber unglücklich. Würde Sie nicht wieder ganz frei werden? Und wenn er dann etwas war, etwas erstrebt hatte …

Die Patentsache, die hatte er nur mit Hassemann zu führen, nicht mit Kamilla, das war eine Profanation.

Frau Bauer war eingetreten. Er raffte sich zusammen, nahm eine respectvolle Haltung an und empfahl sich von der Gnädigen, als hätte er eine geschäftliche Angelegenheit mit ihr besprochen. Dann stieg er hinauf in seine Mansarde und packte seine Sachen weiter. Helene war in der Stadt, sie würde erst zum Abend wiederkommen; so hatte er Gelegenheit jetzt zu gehen, unbemerkt, fast wie ein Flüchtling.

Er wollte in den »Adler« übersiedeln, wollte die Stellung im Laboratorium behaupten und wollte weiter um sein Recht fechten.

In diesem Augenblick erst fiel ihm Doctor Müllhardt ein, den er ohnehin hatte consultiren wollen. Der sollte Kamilla fragen, ob sie wegen der Patentsache etwas wisse.

Indessen hatte Kamilla abermals einspannen lassen, um zur Bahn zu fahren. Vielleicht kam Rose und das neue Mädchen, die sie schon früher erwartet hatte, mit dem folgenden Zuge. Hassemann kam eben dazu, als sie fortfuhr und erbat die Erlaubniß, sie begleiten zu dürfen. Kamilla konnte nicht umhin, es zu gestatten.

Und wirklich, Fräulein Rose traf ein, mit dem neuen Mädchen.

Das war eine große starke Person mit einem kleinen Kinde auf dem Arm. Sonderbar. Sehr sonderbar!

»Er hatte den Gummipfropfen verloren,« rief Rose heiter, »darum versäumten wir den Zug.«

Kamillas schönes Gesicht wurde seltsam verklärt.

»Ich werde Ihnen noch alles auseinandersetzen, lieber Hassemann,« sagte sie. »Das ist eine arme, verlassene Person, deren ich mich angenommen habe und sehen Sie nur, wie allerliebst das Baby ist. Ich habe Frau Smith erlaubt, es bei sich zu behalten. Das ist eine kleine Zerstreuung für mich.«

»Es ist aber ein Unsinn,« brummte Rose dazwischen, »der Junge ist ja sehr niedlich, aber wer soll das befürworten, ein Kind vom Vater zu trennen?«

Hassemann fand, daß das kleine Kind um kein Haar anders aussehe, wie andere kleine Kinder. Ihm schien diese neueste Laune seiner Gnädigen schier unbegreiflich.

Kamilla ließ Rose und Frau Smith mit dem Kinde einsteigen; sie wollte mit Hassemann zu Fuße gehen. Geschwinde küßte sie noch einmal das Baby. Wie närrisch sie sich geberdete!

»Albern,« sagte sich Hassemann im Stillen.

»Ich wollte Ihnen nur erzählen, was mit der Smith ist. Sie ist eine Deutsche, hat in London einen Engländer geheirathet und der Mann hat sie belogen und betrogen. Er gab vor, eine Stellung zu haben, war aber entlassen worden. Ist das nicht unverschämt? Nicht wahr? Sie trennte sich von dem Lügner. Ich lernte die arme Frau kennen und wurde Pathin des Kindes, dem sie das Leben gab. Mich empörte das Betragen des Mannes, der jene belog, welche ihm ihr ganzes Schicksal anvertraut hatte. Ich beschloß Frau Smith für das zu entschädigen, was sie gelitten, und sie in die Lage zu setzen, ihr Kind bei sich zu behalten. Das kleine Wesen würde ihr ja überall ein Hinderniß sein. Ihr Mann hat sich kürzlich nach Indien eingeschifft und die arme Frau steht ganz verlassen da. Ich will mich ihrer und besonders ihres Kindes annehmen.«

»Das ist ja sehr großmüthig von Ihnen, gnädige Frau,« erlaubte sich Hassemann zu bemerken, »aber ich kann es doch nicht einsehen, warum Sie Frau Smith mit hierher brachten. Sie konnten sie ja auch in England versorgen.«

»Oh, das Kindchen gefiel mir und sie ist auch sonst recht brauchbar! Ich habe mich an sie gewöhnt; wie ich Ihnen schon sagte, lieber Hassemann, will ich weiter reisen, einen klimatischen Kurort im Süden aufsuchen. Ich habe den südlichen Frühling noch nicht gesehen, da nehme ich die Smith mit. Es ist angenehm, in der Fremde eine vertraute Dienerin zu haben.«

»Mit dem Kinde?« stammelte der verblüffte Hassemann.

»Bewahre,« versetzte Kamilla, »das Kind kommt in Pension, natürlich – aber ich will es im Auge behalten. Vielleicht nehme ich es einmal an Kindesstatt an,« sagte sie, ihn mit einem Seitenblicke prüfend. »Mein Leben ist ja so leer, ach, so leer.«

Hassemann stotterte irgend eine Phrase über ihr edles Herz. Innerlich jubelte er. Die junge Frau mußte Herzensenttäuschungen schwerster Art erlitten haben, daß sie sich an dieses Wurm hängen wollte. O er zweifelte kaum noch, der große Wurf würde ihm gelingen. –

Kamilla sprach jetzt weiter, wie unentbehrlich er ihr sei, denn sie könne es hier nicht mehr aushalten und bei ihrer ferneren Abwesenheit müßte sie alles in seine Hände geben. Ihre Stimme klang bewegt.

»Sie müssen gut, recht gut wirthschaften, lieber Freund,« sagte sie und er ergänzte im Stillen, »für den kleinen Smith.«

Mit der ihm eigenen mannhaften Festigkeit betheuerte er, er habe treulich seines Amtes gewaltet. Einige Zahlen, die er ihr nannte, bestätigten seine Angabe. Allerdings sie verstand wenig davon, aber schon Müllhardt hatte ihr von der Tüchtigkeit Hassemanns gesprochen.

»Hurrah, er schläft schon wieder und die ganze Flasche hat er ausgetrunken,« rief Rose, als sie ankamen.

Sonderbar, sehr sonderbar! Wieder nahm er seinen Platz ein an dem köstlich besetzten Frühstückstische. Und diesen Platz wollte er behaupten – eventuell als Adoptivvater des kleinen Smith.


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