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VI.

Beim Justizrath Müllhardt war große Gesellschaft. Man pflegte hier mancher bedeutenden Persönlichkeit zu begegnen. Anwälte freilich waren in der Regel ausgeschlossen. Der Justizrath hatte einen wahren Horror davor, in seinen freien Stunden von seinem Beruf reden zu hören. Natürlich hinderte das nicht, daß in dem einen oder anderen Falle einer der jüngeren Advocaten oder Assessoren, der Gnade gefunden hatte vor Loras Augen, mit einer Einladung beehrt wurde. Sonst fand man hier Schriftsteller, Künstler, Financiers, und ganz besonders liebte es der Justizrath, sich mit höheren Schulmännern zu umgeben. Im Ganzen eine außerordentlich glücklich gemischte Gesellschaft.

Müllhardt war ein sehr stattlicher, in seiner Redeweise lebhafter Mann, energisch und entschieden in allen Bewegungen und Aeußerungen. Nur seiner Tochter gegenüber verließ ihn die Energie. Er hatte es schnell zu einer ersten Stellung gebracht, war viel beneidet und umschmeichelt, Klienten überliefen ihn, junge Juristen drängten sich darnach, in seinem Bureau die erste Versuchsstation zu absolviren.

Lora, seine einzige Tochter, hatte das Recht, die Prinzessin zu spielen, und sie nützte es weidlich aus. Sie war eine launische Schönheit, deren Hochmuth zu bekämpfen der Vater sich vergeblich bemühte.

Wenigstens ein halbes Dutzend Körbe hatte sie schon ausgetheilt und eben so viele Bewerber waren von ihrem Vater abgewiesen worden, ohne daß er sie auch nur fragte, denn er konnte sich selbst kein rechtes Bild von seinem Schwiegersohn machen. Wer sollte dieses launische Geschöpf bändigen? Im Grunde war sie so anspruchsvoll, daß ihre Mitgift durchaus nicht zu groß erschien.

Diesmal hatte Lora gebeten, den Doctor Guido Horn, ihre Reisebekanntschaft, einzuladen. Der Vater hatte erstaunt aufgehorcht bei Nennung dieses Namens. Es waren Monate inzwischen vergangen; natürlich nahm er an, Lorchen hätte den Mann längst vergessen. Aber sie konnte nicht vergessen, daß dieser interessante junge Mann sich so kühl gegen sie verhalten hatte. Dergleichen wird eine Lora nie verwinden.

Sie mußte Eindruck auf ihn machen, mußte ihn zu einer stummen, bewundernden Abbitte zwingen, mehr wünschte und wollte sie nicht, dann konnte er wieder wegbleiben. Aber erobern mußte und würde sie ihn.

Niemand ahnte, warum das schöne Mädchen so aufgeregt war. Er kam nicht.

Sie sah Abends in hellblauer Toilette besonders reizend aus: ein Rococogesichtchen von blendend weißem Teint, dazu sprühende Augen und eine ewig wechselnde Miene. Als sie jetzt an einem Spiegel vorüberschritt, huschte ein bitteres Lächeln über diese pikanten Züge. Und nun mußte er nicht kommen, da sie auf ihn wartete!

Endlich kam er doch noch. Mit seinem Freunde Arnsburg, denn Papa hatte darauf bestanden, auch diesen zu laden. Es wäre sonst zu auffällig gewesen. Uebrigens machten die Freunde gute Figur neben einander. Arnsburg war stattlicher, größer, aber Lora fand gerade Gefallen an dem jungen Anwalt mit den dunklen, schwärmerischen Augen. Wie melancholisch er aussah – sonderbar!

Ja, Guido war tief melancholisch. Er hatte nichts mehr von Kamilla gehört. Die Trotzige, Grausame war im Stande gewesen, ihn wirklich ganz zu verlassen. Bisweilen war es ihm, als hätte er nur geträumt, wenn ihn nicht die für seine Schwester verwahrte Schenkungsurkunde eines Besseren belehrt hätte.

Er sah sein ganzes Lebensglück zertrümmert. Etwa vierzehn Tage nach Kamillas Flucht hatte er eine Zuschrift von ihrem Hamburger Sachwalter empfangen. Der Mann schrieb ihm in ihrem Namen, sie wünsche sofortige Scheidung, er möge sie wegen böswilliger Verlassung verklagen. Sie bot ihm zur Entschädigung die Summe von 100 000 Mark.

Zitternd hielt er das Blatt in den Händen. Da stand er nun am Ziel seiner Wünsche! Er hatte die Mitgift in der Hand, ein großes Vermögen, und er war dabei frei, wenn er wollte und konnte sein Glück suchen, wo es ihm beliebte. Denn sie hatte ihn wirklich böswillig verlassen, das Gesetz mußte ohne Weiteres in die Scheidung willigen.

Aber er schwankte keinen Augenblick. Niemals wollte, konnte er diesen Schandlohn annehmen. Lieber zu Grunde gehen, als Geld nehmen von der Frau, die er liebte, diesen Kaufpreis – niemals!

Er entgegnete ihr, freilich nur durch den Anwalt, denn sie verbarg ihm ihren Aufenthalt, er willige ein, gebe ihr die Freiheit, aber nur unter der Bedingung einer vorhergehenden, persönlichen Unterredung. Sie sollte ihm Rede stehen, die Trotzige, Hochmüthige! Sie mußte wissen, daß er sie liebte, darin giebt es keine Komödie! Ein heiliges Band verknüpfte sie. Ja, Rede sollte sie ihm stehen. Ins Auge wollte er ihr sagen: »Du sündigst an mir, denn Du weißt, daß ich Dich liebe. Behalte Dein Geld, ich will es nicht, gehe hin und suche Dir Dein Glück.«

Freilich, er hatte gefehlt, aber schon bis heute hatte er furchtbar gebüßt und dies eine Recht hatte er errungen: Sie war sein Weib und so durfte sie ihm nicht entlaufen.

Ein furchtbares Gericht war über ihn ergangen. Er hatte reich heirathen wollen und nur weil er es wollte, war er jetzt um seine Liebe betrogen und ebenso arm, nein, viel tausendmal ärmer als er je gewesen.

Klementine tröstete ihn. Er mußte und würde Kamilla wiederfinden. Bei dem allem schämte er sich in den Tod. Wenn man erfuhr, daß er sich über Hals und Kopf, ohne seine Kreise heranzuziehen, verheirathet hatte, und daß seine Frau ihm nach 24 Stunden davon gelaufen war – schon das war genug, um sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Es mußte ihn tief compromittiren, ja, es konnte seine Stellung unmöglich machen.

Aber wie es schien, hatte Niemand von seiner romantischen Heirath erfahren. In Berlin bleibt man leicht unbeachtet. Doctores Horn giebt es wohl die schwere Menge. Niemand schien den Anschlag am Rathhause beachtet zu haben. Wer bleibt auch da stehen, um fremde Namen zu lesen? Und wer auch von Guidos Bekannten war in dieser Hochsommerszeit überhaupt in Berlin gewesen? Arnsburg schwieg und Klementine auch und das großstädtische Leben rauschte mit seinen Millionen von Geschicken dahin wie gewöhnlich, Niemand fragte nach der Verheirathung Horns.

Kamilla hatte wieder durch den Anwalt antworten lassen, sie lehne ab. Nun standen freilich die Sühnetermine in Aussicht.

Aber da mochte sie trotzen, wenn sie wollte. Er, Guido wußte genau, wie diese Termine verlaufen. Da wurde kaum etwas gesühnt. Da pflegte ein steifer, vielbeschäftigter Richter nach einer bestimmten Formel zu fragen, ob denn nicht ein Ausgleich zwischen den streitenden Parteien besser wäre. Wenn er ein Uebriges that, so stellte er Demjenigen, den er für den schuldigen Theil hielt, mit dürren Worten vor, daß er ja den Kürzeren ziehen würde und fruchtete das nicht, wie es die Regel war, so wurde protokollirt, daß der Termin erfolglos verlaufen war.

Guido entgegnete seiner Frau, daß er unbedingt auf seinem Wunsch beharre.

Darauf trat eine lange, räthselhafte Stille ein. Wochen und Monate vergingen. Einmal hatte es ihm nicht Ruhe gelassen, er hatte sich aufgemacht, war nach Hamburg gefahren und hatte den Kollegen dort bestürmt, die Sache in Guidos Sinne zu Ende zu führen. Aber der Hamburger Rechtsanwalt konnte ihm nur achselzuckend erwidern: »Ich habe nicht nur keinen Auftrag, sondern ich weiß seit Monaten schon nicht, wo meine Mandantin sich befindet. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen zu dienen, Herr Kollege.«

Und der arme Guido reiste trostlos zurück. Kamilla schien verschollen.

In ohnmächtiger Wuth knirschte Guido. Die Summe, die sie für ihn bestimmt hatte, lag zu seiner Disposition. Sie hatte ausdrücklich erklärt, er möge sie angreifen, wenn er wollte. Sie sei dann seiner Zustimmung sicher, auch wenn er diese nicht formell abgegeben hätte.

Obgleich er mit schweren Sorgen kämpfte, war er nicht einen Augenblick in Versuchung gekommen.

Klementine sprach ihm täglich Muth zu. Zwei Menschen, die sich so gefunden, konnten einander nicht ganz verlieren. Kamilla werde noch bereuen, werde ihm wieder Gelegenheit bieten, sich ihr zu nähern.

Er war und blieb rathlos, verzweifelt, denn er schämte sich. Noch hatte freilich Niemand außer Klementine und Arnsburg etwas erfahren; sein Bureauvorsteher war – glücklicherweise, mußte er sagen – gestorben. Jeder Tag aber konnte durch Zufall irgend Jemanden die Wahrheit erfahren lassen und was sollte er dann sagen, wie stand er dann da? Er schämte sich vor sich selbst, bereute, verwünschte jede Mitgift. Lieber ein armer Schreiber sein, als sich des Geldes wegen so beschmutzen vor den Augen der Geliebten.

Er versuchte schließlich gar nicht mehr, Kamilla wieder aufzufinden. Ohne sein Wissen hatte Klementine einmal an die Firma geschrieben, um den Aufenthalt der Schwägerin zu erfahren; sie, Klementine, wollte die Versöhnung anbahnen.

Aber die Firma antwortete ihr: Frau Goldegg halte sich im Süden auf, man wisse selbst nicht genau, wo.

Wahrscheinlich hatte die trotzige Kamilla Ordre gegeben, nichts zu thun, nichts zu verrathen. Es war nicht leicht, mit der Frau fertig zu werden.

Und die arme Klementine mußte dabei noch immer scharf auf Guido achten, weil sie seine Selbstmordversuche fürchtete.

Nur ungern war Guido der Einladung gefolgt; aber er konnte unmöglich alle seine Beziehungen aufgeben, wie schwer es ihm auch wurde, sich aus seinem Trübsinn aufzuraffen. Er war zu spät, fast unhöflich spät gekommen. Ihm graute vor der steten Heuchelei und Lüge. Trat er doch als lediger Mann auf; und ein solcher im Salon eines Hauses, das eine schöne Tochter besitzt, ist immer ein Heirathskandidat.

Jetzt trat ihm Fräulein Lora in ihrer duftigen Robe, Blumen in dem glänzenden Haar, entgegen, wie ein Genius der Freude. Welche unsinnigen Hoffnungen wären sonst in ihm erwacht bei der deutlich zur Schau getragenen Liebenswürdigkeit der »Loreley«.

Jetzt wich er aus, blieb kühl. Lora betrachtete ihn mißtrauisch von der Seite. In seinen Augen flammte nichts von der Begeisterung, welche ihr Anblick oder gar ihr freundliches Entgegenkommen sonst zu wecken pflegte.

Dieser Mann war kühl bis an's Herz hinan. Warum? Sie konnte nicht darüber hinweg.

Da war heute ein wirklicher Graf hier aus altem Geschlecht, Graf Uhlenhorst; freilich ein wenig stark verschuldet, aber sonst ganz annehmbar, auch sehr beliebt in der Gesellschaft. Er machte Lora lebhaft den Hof, mit jener ritterlichen Feinheit und Vornehmheit, die das launische Mädchen sonst gewiß bezaubert haben würde.

Auch Herr von Arnsburg, eine von ihren Freundinnen vielgesuchte Persönlichkeit, war bereit, ihr auf den Wink des Auges, auf Leben und Tod die Cour zu schneiden, aber sie winkte nicht. Mit zerstreuter Freundlichkeit hörte sie dem Grafen zu. Hochmüthig ließ sie sich von Arnsburg Bericht erstatten über einen Hofball, dem er gestern beigewohnt hatte und in dessen Strahlenglanz nur sie ihm gefehlt. Ihr Herz war wo anders.

Warum drückte sich Horn nur so in den Ecken herum? Sie vermochte keinen anderen Gedanken zu fassen, keinen Blick von ihm zu wenden. Warum gefiel sie ihm nicht? Das war ihr noch nie passirt.

Mit Mühe nur behauptete sie ihre Fassung. Wäre sie nicht großgezogen gewesen in jener Welt, in der die Lüge zu täglicher Gewohnheit wird, sie hätte sich verrathen müssen.

Es wurde getanzt. Mit fieberhaft glänzenden Augen wartete sie, daß Guido Horn sie auffordern würde. Aber er tanzte nicht. Doch kam er in einer Pause und bat deshalb um Entschuldigung.

Mit ihrem süßesten Lächeln sagte sie:

»Aber mit mir tanzen Sie doch, Herr Doktor?«

»Verzeihung mein gnädiges Fräulein, ich kann heute nicht.«

Das war doch geradezu unerhört.

»Sind Sie krank?«

Er zögerte einen Augenblick. Durfte man einer Lora die Wahrheit sagen?

»Ja oder nein, mein Fräulein. Ich trage Trauer, wenn auch unsichtbare.«

Sie horchte erstaunt auf.

»Ist Ihnen Jemand gestorben?«

Wieder zögerte er mit der Antwort. Dann meinte er, sie fixirend:

»Ja, mir ist Jemand gestorben – eine Frau, die ich glühend liebte; und vielleicht werde ich das niemals verwinden.«

Sie sah ihn an, halb erschrocken, halb zweifelnd. Wer enthüllte hier so sein Herz? Oder wie, wagte er es, sich über sie zu moquiren? Oder auch wollte er ihr deutlich machen, daß sie nicht an ihn denken dürfe? Sie platzte heraus:

»Sie halten mich zum Besten, Doktor Horn! Keiner von unseren jungen Herren liebt wirklich, kein einziger. Ich glaube es nicht. Verschiedene schon haben mir von ihrer Liebe gesprochen, in mehr oder minder wohlgesetzten Worten, mit mehr oder weniger glaubhafter Begeisterung. Manche machen das sogar sehr nett – vielleicht in Folge längerer Uebung. Aber ich glaube ihnen nicht. Sie wollen mich alle nur des Geldes wegen heirathen. Ich weiß das ganz genau. Und Sie, Sie sollten lieben können, sollte das wahr sein?«

Er versetzte schlicht:

»Es ist unwahrscheinlich, und doch wahr. Ich liebe über alles, liebe ein Weib, das mir durch eine Verkettung von Umständen unerreichbar geworden ist. Ich werde an dieser Liebe vielleicht zu Grunde gehen.« Er machte eine kurze Pause. »Werden Sie mir nun verzeihen, daß ich nicht tanze?«

»Ja,« sagte sie leise.

Er verbeugte sich tief und ging.

Sie war außer sich. Es gab solche Liebe und sie, sie war nie so geliebt worden? Und er hatte den kühnen Muth ihr in's Gesicht zu sagen, daß er eine Andere liebe? Nie in ihrem Leben war sie so sehr gedemüthigt worden.

Und wer konnte Jene sein? Noch auf dem Rheindampfer war Guido Horn ja ganz heiter gewesen, hatte sich in seiner zart-schwärmerischen Weise um sie bemüht. Aber schon als sie ihn zum ersten Mal in Berlin wiedersah, schien er ihr ernster. Im Grunewald war er völlig melancholisch gewesen. Es mußte also in der Zeit geschehen sein, wo sie mit ihrem Vater in Ems zur Kur gewesen war. Wer konnte sie sein, die Glückliche? Wie viel hätte sie darum gegeben, es zu erfahren.

Sie tanzte zwar weiter, denn sie wollte ihre Erregung nicht zeigen, aber sie amüsirte sich nicht mehr.

Inzwischen hatten sich die nicht tanzenden Herren in den Rauchsalon begeben, der Justizrath an der Spitze. Er hatte eben eine wichtige Erziehungsfrage auf dem Rohre, die er sich von einem hervorragenden Pädagogen beantworten lassen wollte. Die Erziehung war nämlich sein Steckenpferd, aber ihm folgten jüngere Herren in das anheimelnde Rauchzimmer, Herren, die für dergleichen ernste Gespräche wohl keinen Sinn hatten. Auch Horn und Arnsburg hatten sich hierher zurückgezogen.

Verwundert fragte der Justizrath die Beiden, warum sie nicht tanzten. Sie hätten doch keine Sorgen, wie seinesgleichen. Er meinte damit sich.

Sie protestirten lebhaft. O gewiß, sie hätten schwere Existenzsorgen, von denen wohl er, der Glückgewohnte, keine Vorstellung haben mochte.

Er lächelte und kam in's Plaudern. Die Erziehungsfrage war vergessen. Und die jungen Leute lauschten gespannt dem Geheimniß seiner Erfolge.

»Ja, ich hatte mir's in den Kopf gesetzt,« erzählte er, »emporzukommen. Dazu giebt es heutzutage nur ein sicheres Mittel, eine Mitgift. Natürlich – Sie lächeln! Ja, ich fand eine Mitgift. Allerdings, da war Alles, was man sich wünschen konnte, ein vornehmes Haus, gute Gesellschaft, vor allen Dingen reiche, weitverzweigte Beziehungen, wie sie gerade ein junger Anwalt am wenigsten entbehren kann. Aber nicht das hat mich emporgebracht, sondern, glauben Sie es mir, meine Energie. Freilich, der äußere Anstoß zu aller meiner Kraftentfaltung war wieder nur meine Frau gewesen. Sie war die einzige Tochter eines schwer reichen Bankiers, war verwöhnt in einer Weise, von der ich mir bis dahin keine Vorstellung machen konnte. Sie ist es wohl auch gewesen, die meine pädagogischen Privatneigungen geweckt hat,« schaltete er, sich selbst belächelnd, ein. »Ja, Geld hatte sie, das ist wahr, aber auch Ansprüche, meine Herren, was für Ansprüche! Vom ersten Augenblick an, da sie mein Haus betrat, stellte sie die naive Forderung an mich, in Toilette, Luxus, Vergnügungen aller Art mit den ersten ihrer Kreise zu wetteifern. Um diesen Wünschen nur annähernd zu genügen, reichten die Zinsen der Mitgift kaum zur Hälfte aus. Ich mußte das Kapital selbst angreifen. Meine Frau hatte gar nicht die Vorstellung eines Unrechts, sie war ja reich, hatte mir ja eine namhafte Summe in's Haus gebracht. Ihr schien es durchaus selbstverständlich, daß sie nur Modellkostüme trug, daß sie bei den vornehmsten Modistinnen arbeiten ließ, daß eine Loge im Opernhause, ein Abonnement auf alle Konzerte ihr unausgesetzt zur Verfügung stand, daß mindestens drei verschiedene Bäder ihre Sommerreisen ausfüllten, daß sie in Berlin niemals zu Fuß und nie ohne Diener einen Weg machte – ja, sie war erstaunt, daß ich keine Equipage hatte, das hatte sie als ganz selbstverständlich betrachtet.

Sie bat mich gar nicht, fragte mich nicht, sie ließ mir nur ihre Rechnungen zugehen und wenn ich mich je unterstand, es mit einem sanften Vorwurf zu versuchen, sah sie mich aus ihren schönen Augen verwundert an und bewies mir unwiderleglich, daß sie noch sehr sparsam gewesen war. Sie begreifen es, meine Herren: die Mitgift war bald weg und die Eltern meiner Frau lebten sehr lange. Reiche Eltern leben immer lange. Ich aber hatte furchtbare Lasten auf mich genommen. Ich schämte mich, sie irgend etwas entbehren zu lassen. Ich sagte mir, dazu habe ich kein Recht, denn sie war doch einmal ein reiches Mädchen! Und so mußte es gehen, ging auch schließlich. Ich arbeitete unmenschlich, Tag und Nacht, ich übertreibe nicht, ich arbeitete für viere. Aber ich war verpflichtet, mir Vermögen und Namen zu machen. Meine Schwiegereltern sagten mir immer so verwundert, daß man meinen Namen so wenig in der Zeitung lese, daß man mich nicht kenne, und so weiter. Ja, warum hatte ich auch eine Mitgift geheirathet? Und so mußte ich ein reicher, angesehener Mann werden und wurde es. Aber meine Herren, hüten Sie sich vor der Mitgift! Sie ist ein zweischneidiges Schwert! Ich muß auch sagen, denn ich bin ehrlich: meine Tochter wird nicht minder anspruchsvoll sein als ihre Mama. Sie ist ihr Ebenbild. An ihr haben sich meine Erziehungsstudien leider noch nicht bewährt.«

Horn bemerkte, es sei gewiß am besten, ohne Mitgift zu heirathen, Arnsburg dagegen, der sich von dem Vater ermuthigt glaubte, schwor: Loras Gatte werde es schon zu etwas bringen. Die Mitgift mache es nicht allein, sondern auch die Person, die hinter ihr stehe, diese könne das Geld beleben, könne ihm treibende Kraft geben.

Graf Uhlenhorst war eben zu der Gruppe getreten. Er hatte dringend mit dem Justizrath zu sprechen und dieser zog sich mit ihm zurück.

Graf Uhlenhorst mochte es für selbstverständlich halten, daß man ihm mit voller Bereitwilligkeit, ja mit Freude entgegenkomme, wenn er hier als Bewerber um Lora auftrat. Sie war ja immer nur die Tochter eines bürgerlichen Rechtsanwalts und dieser selbst, der Herr Justizrath, war der Sohn eines Gemüsekrämers.

Justizrath Müllhardt kannte die Welt. Ihm selbst schmeichelte es, als Schwiegersohn einen Grafen zu haben und sein Lorchen eine Gräfin – welche Laufbahn. Er war ein aufgeklärter Mann, freisinnig in jeder Beziehung, aber Gräfin, das ist doch eine schöne Sache für die Enkelin eines Krämers. Und er fand heute, daß Lora mit ihrem feinen Rococogesichtchen, mit ihren Launen und Exzentrizitäten, mit ihrer tadellosen Eleganz zur Aristokratin wie geboren war. –

Er hatte eine starke Klientel in der Aristokratie und die Heirath würde das vervollständigen.

Kaum fand er seine Tochter einen Augenblick allein, als er auch schon mit dem neuesten Manne herausrückte, den er ihr zu bieten hatte. Da bedurfte es doch eigentlich nicht vieler Worte: Ein vornehmer, nicht unschöner Mann von vollendeten Manieren – was konnte sie gegen ihn einzuwenden haben?

Aber Lora blickte ihn enttäuscht und verdrießlich an.

»Was soll ich mit Graf Uhlenhorst,« sagte sie rund heraus, »der gefällt mir ja nicht.«

Es fehlte nicht viel, und der Vater hätte sich zu einem Zornesausbruch hinreißen lassen.

»Was willst Du denn eigentlich,« sagte er mit mühsam verhaltenem Groll, »hast Du etwa eine sentimentale Liebe? Das wäre denn doch zu dumm! Ich habe Dich bis jetzt für verständiger gehalten. Der Graf ist freilich verschuldet, aber er ist jetzt ganz vernünftig, wird ein ausgezeichneter Gatte werden. Ich kenne das, der hat sich die Hörner abgelaufen. Du würdest Gräfin, von allen Deinen Freundinnen, von aller Welt beneidet. Was willst Du eigentlich.«

Lora weinte jetzt.

»Mir gefällt er nicht, Papa, sonst kann ich Dir nichts sagen.«

»Da steckt etwas dahinter, Lorchen, mich kannst Du doch nicht täuschen.«

Ihre ehrliche, wenn auch despotische Natur siegte. »Ja, Papa,« sagte sie, »mir gefällt ein Anderer«.

»Aber um Gottes willen, wozu denn die Umschweife, dummes Mädchen? Ist der Mann ledig, unseresgleichen?«

»Ja,« antwortete sie mit aufleuchtenden Augen.

»Nun, dann wirst Du ihn haben, aber um Gottes willen keine Szene und keine Heulerei!«

Er sprach ehrlich, wie er's meinte. Seine Tochter war schön, elegant, chic, reich, von guter Herkunft – weshalb sollte sie nicht Jeden haben können? Er, der Anwalt selbst, arbeitete noch heute Tag und Nacht, hatte keine Leidenschaften, lebte verhältnißmäßig anspruchslos; wozu war das viele Geld da, wenn seine einzige Tochter nicht nach Belieben heirathen sollte?

»Wer ist der Andere, heraus damit.«

»Rechtsanwalt Doktor Horn.«

Der Justizrath lachte laut auf.

»Der arme Teufel? Die einzige Gefahr ist, daß er vor Glück verrückt wird! Ich freilich hätte höher hinaus gedacht; aber wenn Du willst, durchaus willst – er ist ein talentvoller Mensch, ist ansehnlich, es spricht sonst nichts gegen ihn. Ich werde mich mit ihm associiren und das ist auch eine schöne Sache. Wenigstens werde ich dann einen dankbaren Schwiegersohn haben.«

Er war schon getröstet, hatte den Grafen leicht verschmerzt. Der junge, begabte, fleißige Anwalt erschien ihm jetzt beinahe besser.

Aber Lora schluchzte noch immer und nun gerieth der Justizrath von Neuem in Zorn.

»Jetzt beträgst Du Dich wieder wie eine dumme Person! Warum zum Teufel weinst Du?«

Sie stieß endlich hervor:

»Er liebt eine Andere.«

Doktor Müllhardt mußte wieder lachen.

»Ich dachte nicht, daß Du so einfältig bist,« sagte er. »Närrisches Ding, Du. Er liebt eine Andere! Welche Andere könnte er Dir wohl vorziehen? Paß auf, wie er betheuern wird, niemals in seinem Leben und Niemanden je geliebt zu haben als Dich, wenn ich ihm anbiete, mein Socius zu werden!«

»Du mußt damit warten, Papa, bis er sich mir erklärt hat,« sagte sie aufathmend.

»Nun, das wird ja auch geschehen. Ich weiß übrigens nicht, Lorchen, warum es gerade dieser sein muß.«

»Ja, Papa,« versicherte sie mit komischem Ernst, »es muß dieser sein.«

»Nun ruhig, Mädel, meinetwegen dieser.«

Der Justizrath wollte dem Heißgeliebten doch gleich einmal auf den Zahn fühlen. Aber Horn benützte den ersten Moment, wo er mit dem Herrn des Hauses allein war, um ihn, zu nicht geringer Verwunderung Müllhardts, nach Frau Kamilla Goldegg zu fragen. Der Justizrath sei ja ihr Vertreter, ob er nicht ihren Aufenthalt wüßte? Er, Guido, habe einen ihre Firma betreffenden Prozeß, für welchen er einen Ausgleich wünsche, und ein solcher sei ohne persönliches Eingreifen der Frau Goldegg nicht möglich. Das war wenigstens nur zur Hälfte gelogen.

Müllhardt zuckte die Achseln.

»Das ist eine ganz unberechenbare, launische Person. Soweit ich sie kenne, ist nichts mit ihr zu beginnen. Ich bin übrigens ausdrücklich ersucht worden, nicht zu verrathen, wo sie ist. Wer weiß, was die wieder hat!«

Horn erschien ihm für den Augenblick zu melancholisch, das war nicht die rechte Stunde, auch hatte er sich inzwischen schon wieder anders besonnen. Solch ein junger Rechtsanwalt mußte ihm kommen, wenn er etwas hoffen wollte.


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