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X.

Eine furchtbare Enttäuschung hatte Helenens geharrt, als sie Abends aus Rudolstadt zurückkehrte. Freilich, auch heute wartete Paul auf sie, aber nur, um ihr die Mittheilung zu machen, daß er bereits nach dem »Adler« umgezogen sei und demnächst die Gegend verlassen werde. Seine Angelegenheit wollte er Doctor Müllhardt überlassen, der schon in den nächsten Tagen hier eintreffen sollte.

»Ich bin Ihnen zu so tiefem Dank verpflichtet,« stammelte er, »Sie haben so treu zu mir gehalten, Fräulein Helene, daß ich kaum weiß, wie ich Ihnen danken soll.«

Gedankenlos hatte er die moralische Unterstützung des jungen Mädchens angenommen, erfreut, daß eine Seele an ihn glaubte.

Heute aber war Helene gar so schweigsam; es schien, als wäre ihr der plötzliche Abschied schwer aufs Herz gefallen und jetzt reichte sie ihm, wie mit einem Entschluß, die Hand.

»Ich wünsche Ihnen alles Glück, Herr Basler – auch daß es Ihnen besser gelinge mit einer nächsten Erfindung.«

So ließ sie ihn stehen. Gewiß, auch sie zweifelte jetzt an ihm, da er seine Erfindung anscheinend stecken ließ. Und es fiel ihm von Neuem ein, daß er als Ehrenmann verpflichtet war, sich selbst Lügen zu strafen.

Ach, nur das freundliche Lächeln Kamillas hatte ihn schwankend gemacht. Das Patent gehörte ja ihr und nicht Hassemann.

Was sollte er thun, um Helenen zu versöhnen, zu entschädigen? Er sah voraus, daß sie auch von ihrer Mutter noch Vorwürfe hören würde. Und so war es auch.

Neue Leiden erwarteten das tapfere Mädchen. Frau Bauer hatte vorher an der Thür gehorcht und überschüttete nun ihre Tochter mit argen Vorhaltungen. »Ihr« Basler schwärmte ja für Frau Goldegg und hatte Helene nur zum Besten gehabt! Sie hatte mit eigenen Ohren gehört, wie närrisch er jener von seiner Liebe gesprochen.

Helene trug auch das schweigend. Sie hatte im Verlaufe der Zeit wohl gemerkt, daß Paul irgend etwas vor ihr verbarg. Sein Geheimniß also war die Liebe zu Frau Goldegg. Nun war ja alles klar.

»Sei ganz ruhig Mutter,« sagte sie, »es ist alles zu Ende! Du hast Recht gehabt. Ist Dir das nicht genug?«

Paul Basler hatte in den folgenden Tagen noch einen Versuch gemacht, Kamilla zu sprechen, um doch noch seine Patentangelegenheit in irgend einer Weise zum Abschluß zu bringen. Aber Kamilla ließ ihn nicht vor, Niemand wußte warum.

Man wurde überhaupt nicht aus ihr klug. Kein Mensch konnte ihr sonderbares Benehmen recht begreifen. Während das Haus mit bewährten Dienstboten besetzt war, hatte sie sich eine sogenannte »Bonne« aus England mitgebracht zu ihrer persönlichen Bedienung, wie es hieß, ein Posten, der bisher allerdings nicht existirte. Und diese Person hatte sogar ihr Kind bei sich. Man erzählte, Frau Goldegg habe Erbarmen mit ihr, es sollte eine eheverlassene Frau sein. Aber sonderbar war diese Laune der Frau Goldegg doch – sehr sonderbar.

Und nun spielte Frau Goldegg auch noch unausgesetzt mit dem Baby, und fand es reizend, war im Stande, sich mit dem kleinen zappeligen Dinge auf dem Teppich herumzukugeln. Sie sprach davon, es zu adoptiren. Es war ja wirklich allerliebst, das Baby, aber gleichviel, dieser Einfall mußte denn doch jedem unbegreiflich erscheinen.

Für Paul Basler war Kamilla überhaupt nicht weiter zu sprechen, sie wollte von Geschäften nichts weiter hören, mochte er sich mit Hassemann auseinandersetzen.

In der That hatte Kamilla denn doch, beunruhigt durch die Patentsache, sich selbst überhaupt nicht trauend, an Müllhardt depeschirt, er solle sogleich herkommen. Der Anwalt hatte Anfangs abgelehnt, dann aber wegen Vertagung eines wichtigen Termins seine Ankunft telegraphisch angezeigt.

Und nun wollte Kamilla ihm alles überlassen. Sie interessirte nichts als der kleine Smith. Nur nothgedrungen war sie gekommen, um anscheinend nach dem Rechten zu sehen; in Wirklichkeit wünschte sie nur Müllhardt und Hassemann die ganze Last ihrer Geschäftssorgen endgültig aufzuhalsen. Aber Basler war ihr beunruhigend mit seiner ewigen Erfindung und sie hätte nichts lieber gesehen, als wenn man ihn möglichst ausgiebig abgefunden hätte, damit endlich einmal Ruhe werde – denn Unrecht sollte Keinem geschehen.

Auch als Hassemann von Neuem auf das Patent zurückkam – sie hatte gerade den kleinen Smith auf dem Arme – gab sie diesem Wunsche Ausdruck. Sie beabsichtigte, wie sie sagte, jetzt das Kind zu malen und wollte es mehr an sich gewöhnen.

»Ja, ja, lieber Hassemann,« meinte sie, »verdienen Sie nur recht viel Geld, ich wünsche das dringend! Nur daß dem Paul Basler kein Unrecht geschieht, ich bitte Sie.«

»Dem geschieht ja viel zu viel Recht, gnädige Frau, Sie dürfen mir's glauben,« wiederholte er, »ich konnte keine Spur von seinem sogenannten Rechte finden, und ich habe es doch an Mühe nicht fehlen lassen.«

»Um so besser,« sagte Kamilla befriedigt. »Sehen Sie doch nur, Hassemann, wie reizend das Kind aussieht.«

Hassemann gab sich große Mühe, das reizende Kind zu bewundern, aber es wollte ihm nur unvollkommen gelingen. Er hatte Kinder nie geliebt und dieses fremde Balg gar machte ihn rathlos. Das war ein Rivale, von dem er gar nicht wußte, was gegen ihn beginnen.

Sehr verdrossen kehrte er auch diesmal in das Bureau zurück.

Es war Sonnabend, der Tag der Abrechnung, das ist in jeder Fabrik ein unangenehmer Tag. Nicht so sehr der Zahlung wegen, als weil bei dieser Gelegenheit auch Alles zur Sprache kommt, was Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenseitig auf dem Herzen haben.

Hassemann war verstimmter noch als sonst. Das Patent freilich hatte er erreicht, aber als bloßer Direktor hatte er doch eigentlich nichts davon, obwohl sich seine Provision ja mit den steigenden Einnahmen der Fabrik erhöhte. Aber er mußte, wie er es jetzt mehr als je glaubte hoffen zu dürfen, Mitbesitzer werden! Dann erst war seine Arbeit belohnt. Wenn indessen Kamilla nicht hier blieb und so närrische unbegreifliche Launen hatte, was war da zu machen?

Die Arbeiter hatten unter seiner üblen Laune zu leiden. Er machte wieder allerlei Abstriche. Dem Einen zog er die Viertelstunden ab, die dieser wegen der Krankheit seines Kindes hatte versäumen müssen, dem Andern ließ er ein paar verbeizte Garnsträhnen in Anrechnung bringen. Er war ja nie ein gütiger Chef gewesen und kein Mensch stand zu ihm.

Paul Basler andererseits hatte Anhang unter den Arbeitern, obwohl er sich nie eigentlich gemein mit ihnen gemacht hatte. Sie mochten instinktiv fühlen, daß er der Besiegte sei.

Es herrschte heute eine grollende Mißstimmung unter der ganzen Schaar. Hassemann mit seinem scharfen Blick hatte es sehr wohl gemerkt, als er wie gewöhnlich bei der Auszahlung erschien. Dies Letztere war ja nicht nöthig, aber gewissenhaft, wie der Direktor war, pflegte er auch hier nie zu fehlen. Er sah genau die verdrossenen Mienen, bemerkte den Widerwillen im Gruß. Aber das erzürnte ihn nur noch mehr. Herrisch und unfreundlich tadelte er Einzelne. Als Bärmann herankam, rief er ihm zu:

»Sie sind nicht nüchtern, Sie Frecher! Ich habe es schon heute bemerkt, als ich durch den Maschinensaal kam.«

Bärmann hatte sich sehr verändert. Zwar, seine Theilnahme an den sozialdemokratischen Bestrebungen war dem Direktor bis zur Stunde unbekannt, aber bis heute auch hatte er ihm die Heirathsbewilligung versagt, einerseits auf Grund des Hausgesetzes, andererseits, wie er versicherte, zu Bärmann's Bestem, denn die hübsche Rosine Keller hatte keinen guten Ruf, war auch keine tüchtige Arbeiterin. Aber Bärmann meinte, er würde mit der Rosine schon fertig werden. Sie oder keine, hatte er sich vorgenommen. Sein Zorn und Trotz wuchs. Dabei mochte er wegen Rosine auch nicht gehen. Das leichtfertige Mädchen war stets bereit, den Lohn mit ihm gemeinsam zu verjubeln, und nach und nach hatte sich der sonst so fleißige und nüchterne Bärmann das Trinken angewöhnt; doch war er noch nie betrunken zur Arbeit gekommen.

Heute gab er auf Hassemann's direkten Vorwurf eine unverschämte Antwort.

»Sie sind entlassen,« sagte Hassemann kurz.

Die Kameraden sahen ängstlich nach ihm. Er mußte wegen Rosinen von der Entlassung schwer getroffen werden.

Zwar, formell war Hassemann im Recht. Dennoch ging ein Murren durch die Reihen der Arbeiter, die heute Alle ohnehin gereizt waren.

»Ja freilich,« hörte man sagen, »der Bärmann hat vielleicht ein Glas zu viel getrunken, aber das kann ja wohl einmal passiren.«

Bärmann war sehr beliebt, er war ein Mann von umgänglichem Wesen. Und einige seiner Genossen verlegten sich auf's Bitten.

Hassemann blieb bei seinem Ausspruch; ja, wüthend über die Opposition, die er fand, fügte er drohend hinzu: »Wer heute die Volksversammlung im ›Adler‹ besucht, ist ebenfalls entlassen. Das ist eine sozialdemokratische Veranstaltung, und ich dulde derlei nicht.«

Die Arbeiter entfernten sich murrend. Nur Bärmann lachte und draußen rief er laut:

»Ich gehe natürlich hin, wer kommt mit?« –

Nun saß Hassemann in seinem Bureau, um die Abendpost zu erledigen. Der Zug ging in einer halben Stunde. Da lagen allerhand Korrespondenzen, die noch zu unterschreiben waren, da lag auch die Assekuranz, ja die mußte auch heute bezahlt werden. Durch einen Zufall war diese Zahlung bis auf den letzten Termin verschoben worden. Es war immerhin ein erheblicher Betrag und inzwischen war die Kasse bereits geschlossen worden. Aber Hassemann konnte ja aus Privatmitteln die 600 Mark verauslagen und morgen wiederum erheben.

Während er eben seine Brieftasche zog und das Geld abzählte, sagte der auf die Post wartende Jakob:

»Unsere gnädige Frau bekommt heute noch Besuch – wissen Sie schon, Herr Direktor?«

Hassemann sah fragend auf:

»Wer denn?«

»Ein feiner, junger Herr ist gekommen, ich dachte erst, er wollte zu Ihnen, Herr Direktor. Aber er fragte ein paar Kinder und ging dann gleich nach der Villa.«

Hassemann legte das Geld, das er in Händen hielt, nieder. Wer konnte das sein? Er ahnte Böses. Da mußte er gleich hinüber, sich orientiren; gewiß so irgend eine Reisebekanntschaft, natürlich!

Er gab dem Diener die Post und raffte sein Geld zusammen.

»Die Anweisung, Herr Direktor, ist noch zu erledigen.«

»Das hat Zeit bis morgen. Man nimmt auch morgen, Sonntag, das Geld an, aus Gefälligkeit für mich,« versetzte er, und er schloß sein Bureau ab.

»Da liegt noch Ihre Brieftasche, Herr,« mahnte der Diener. »Gewiß, es kommt wohl nichts weg, aber doch …«

Hassemann war schon fort, hinauf in seine Wohnung. Draußen wartete Bärmann, anscheinend ganz nüchtern. Er wollte es doch noch mit einem guten Worte versuchen.

»Der Direktor läßt sein Geld nur so herumliegen,« meinte der geschwätzige Diener jetzt, » sein Geld allerdings, denn das Andere ist in der Feuerfesten.«

»Wie ist der Herr Direktor denn jetzt gelaunt?« fragte Bärmann. »Etwas besser?«

»Nein, eher schlechter, scheint mir. Er ist so zerstreut, ich weiß nicht, was er hat, ich glaube jetzt ist nichts zu machen.«

Dennoch wollte es Bärmann versuchen. Als Hassemann, der nur seinen Hut genommen hatte, jetzt durch das Vorzimmer ging, trat der Arbeiter mit gezogener Mütze auf ihn zu, einige bescheidene Worte murmelnd. Der Direktor konnte leicht errathen, was Jener sagte. Aber er wollte nicht. Diese Bestien von Arbeitern mußte man streng im Zaume halten.

»Was wollen Sie noch hier, Bärmann?« fuhr er ihn an, »Sie haben hier nichts mehr zu suchen.«

Der Arbeiter ballte die Faust und verbiß sein drohendes: »Dir tränk' ich's ein!« Er wartete, bis Hassemann verschwunden war, dann betrat er das Bureau, das heute zum Zweck der Reinigung offen blieb. Wenn das Geld nur so offen herum lag, das Geld des Direktors, warum es nicht nehmen? Er konnte damit flüchten und Rosine gleich mitnehmen. Dann mochten sie sehen, wie sie ihn kriegten.

Nie hatte Bärmann gestohlen, aber diesen Direktor bestehlen – dazu entschloß er sich leicht, mit Vergnügen.

Aber das Geld lag nicht herum. Der ordnungsliebende Hassemann hatte es fast mechanisch weggeschlossen, gar nichts lag herum. Das Geld des Direktors war gewiß hier im Pulte, kombinirte Bärmann, denn hier war Hassemann zuletzt gewesen, nicht an dem eisernen Geldschrank, das hatte er gesehen. Man mußte sich die Sache anders zurechtlegen. –

In der Villa hatte sich indessen Folgendes zugetragen: Schon Nachmittags hatte Frau Goldegg Besuch erhalten aus der Nachbarschaft. Es kamen die alten bekannten Mitgiftjäger. Da war ein adliger Rittergutsbesitzer, ein Fabrikant aus Rudolstadt und ein höherer pensionirter Offizier mit einem heiratsfähigen, recht ansehnlichen Sohne. Sie hatten nur auf die Kunde von Kamilla's Rückkehr gewartet, um sich neuerdings vorzustellen, sich liebenswürdig zu machen, sich sehr angelegentlich nach dem Geschick der verwittweten Millionärin zu erkundigen.

Vorläufig vertrugen sie sich noch ganz gut untereinander, weil noch Keiner von ihnen begründete Aussicht hatte.

Sie erschöpften sich in Artigkeiten gegen die junge Wittwe. Und Kamilla spielte nun einmal wieder die reiche Dame. Die Gäste wurden königlich bewirthet, kostbare Weine, feine Leckereien wurden servirt. Die großen Salons waren geöffnet und Kamilla's reizende Yacht zu einer Spazierfahrt in Bereitschaft gesetzt, genug, hier zeigte sich der Reichthum in seiner verlockendsten Gestalt. Kamilla fand an dieser Abwechselung wieder einmal Vergnügen. Sie machte mit dem Anstand einer Fürstin die Honneurs.

Aber welch sonderbarer Einfall war doch das Baby, das da draußen im Garten in dem weichen Grase herumzappelte und mit seinen Händchen die schönen Blumen aus der Teppichgärtnerei riß?

Jetzt stürzte Kamilla auf das Kind zu und küßte es wie närrisch ab. Dabei erzählte sie ihren Gästen den Roman seiner Mutter, der Frau Smith.

Ebenso bestürzt wie Hassemann betrachteten die jungen Herren das kleine Geschöpfchen, das Kamilla's Gesicht, dem sie nur ein mattes Lächeln zu entlocken vermochten, erstrahlen machte. Es war ja sehr niedlich und hübsch gekleidet, wie ein kleiner Prinz, Frau Kamilla hatte es eben in ihren besonderen Schutz genommen. Da sie es so offenkundig that, mußte es mit dem Roman der Frau Smith ja wohl seine Richtigkeit haben.

Aber mit Frau Goldegg war heute nichts anzufangen, sie hatte nur Ohren für das Lallen des Baby, nur Augen für seine Drolligkeit. Fröhlich lachend gab sie zu:

»Ja, es ist eine Laune, das Baby, aber ist es nicht eine hübsche, niedliche Laune? Ist es nicht vernünftiger, ein Baby zu lieben, als ein Pferd oder einen boshaften Papagei?«

Die Mitgiftjäger sahen einander etwas bestürzt an. Das war ein ungeahnter Rivale, dieser kleine Freddy.

Inzwischen ahnte Niemand, was sich in den letzten Minuten draußen im Vorzimmer ereignet hatte.

Da war ein ganz fremder Herr erschienen und hatte nach einer Frau Horn gefragt. Man wies ihn natürlich ab. Er machte ein sehr finsteres Gesicht und verlangte nunmehr Frau Goldegg zu sprechen. Sie habe Besuch, sagte man ihm.

Er ging, ohne seinen Namen zu nennen, ohne ein Wort als: »Ich werde sie schon noch sprechen.« Und das schien er mehr zu sich selbst gesagt zu haben.

Bald darauf verließen auch die Gäste, einigermaßen entnüchtert das Haus. Das räthselhafte Baby war ihnen denn doch sehr im Wege.

Kamilla war allein geblieben. Es dunkelte bereits. Der kleine Freddy aber wollte heute nicht ruhiger werden, er jauchzte und strampelte, als wäre er eben aufgewacht.

In tiefe Gedanken versunken, sah ihm Kamilla zu. Wie seltsam hatte das Schicksal sie geführt, daß sie jetzt nach so stolzen Hoffnungen alle ihre Zukunft in diesem kleinen Kinde sah! Aber sie wollte nicht grollen, nicht hadern. Es war gut so und sie wollte es nicht anders.

Da wurde ungestüm geklopft, kaum daß sie Herein gesagt, erschien Hassemann in der Thür.

»Sind Sie böse, gnädige Frau, daß ich störe?«

»Nein, nein,« wehrte sie lächelnd, »Sie dürfen immer kommen.«

Sie wies auf einen Sessel. Das Kind jauchzte und johlte, daß man Mühe hatte, sich verständlich zu machen.

Hassemann sah unwillig nach dem kleinen Geschöpf, welches ganz ernstlich die Absicht zu haben schien, diese Unterredung zu stören. Aber er wagte nichts gegen das »Wurm« zu sagen.

»Gnädige Frau,« begann er mit seiner klingenden Stimme, »Sie sind doch überzeugt, daß ich Ihr treuester Diener bin, daß ich Ihre Interessen in gewissenhaftester Weise gewahrt habe.«

»Gewiß, gewiß, Hassemann,« versetzte sie, einigermaßen verwundert über diese Einleitung.

»Ich fordere mehr, gnädige Frau, als eine so allgemeine Zusage. Sie sind ja leider nicht dazu zu bewegen, Zahlen zu prüfen, Aufstellungen durchzusehen. Sie wollen sich um nichts kümmern, aber Sie sollten wissen, meine Gnädige, sollten es würdigen, daß ich den Ertrag der Fabrik Schwarzenau in diesen eineinhalb Jahren um mehr als achtzigtausend Mark erhöht habe. Ich habe nicht nur den Umsatz vergrößert, habe das Patent in der vortheilhaftesten Weise auszunützen verstanden, sondern auch dem gegenüber Ersparnisse eingeführt, die lediglich Ihnen zu gute kommen. Justizrath Müllhardt, der ja heute oder morgen eintreffen wird, kann Ihnen das Alles bestätigen.«

Er machte eine Pause. Man mußte einen Uebergang finden.

»Wie oft soll ich Ihnen sagen, daß ich das Alles nicht einen Augenblick bezweifle. Ja, ich bin Ihnen dankbar, ehrlich dankbar, lieber Hassemann.«

Er athmete schwer auf.

»Ich glaube Ihnen, gnädige Frau, aber Ihnen scheint dies alles wohl sehr natürlich und einfach, gar nicht besonders der Rede werth. Dennoch: verzeihen Sie, daß ich jetzt abgeschmackt werde, dennoch war das nur mit einer Hingebung möglich, deren ein gewöhnlicher Beamter nicht leicht fähig ist.«

»Ich bin auch davon überzeugt, ohne Weiteres, lieber Direktor, und ich bin gern bereit, Ihnen jede Konzession zu machen.«

»Ach, gnädige Frau, keine Bezahlung will ich, keine Gehaltserhöhung, ich wünschte mir nur Eines: – Ihr Vertrauen.«

Er hatte gesucht nach diesem Worte, es war gewiß nicht das, was er meinte.

»Mein Vertrauen – haben Sie das nicht? Vertraue ich Ihnen nicht grenzenlos, Hassemann, mein ganzes Hab und Gut? Wenn Sie mehr leisten als ein gewöhnlicher Beamter, so genießen Sie ja auch eine ganz ungewöhnliche Vertrauensstellung. Was also wünschen Sie?«

»Das höchste Ziel meiner Wünsche ist, daß Sie mich Ihrer – Freundschaft würdigen, gnädige Frau! Ich weiß nicht, was Sie thun und treiben und das ist mir sehr schmerzlich. Ich weiß nicht, ob Sie mir nicht über kurz oder lang einen Herrn geben werden, vielleicht einen Herrn, unter dem ich nicht weiter dienen kann.«

»Wie thöricht, mein Lieber! Ein Mann, den ich als Herrn hierherbrächte …«

»Ich will mich korrigiren – vielleicht unter gar keinem Herrn könnte ich weiter dienen, unter keinem.«

Sie lächelte.

»Ich hätte nicht gedacht, mein Bester, daß Sie ein solcher Phantast sind. Wenn Sie vernünftig sind, Hassemann, müßten Sie sich auch darein fügen. Und Sie werden es auch. Aber seien Sie ganz ruhig, Direktor, Sie werden keinen neuen Herrn bekommen. Jede Möglichkeit dazu ist völlig ausgeschlossen. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf. Genügt Ihnen das?«

Ja, es genügte ihm. Zwar er hatte für sich nichts erreicht, aber soviel war gewiß, sie gehörte noch keinem Andern.

Er führte stumm ihre Hand an seine Lippen mit einem glücklichen Lächeln, das sein etwas hartes Gesicht verklärte.

In diesem Augenblick pochte es wieder sehr stürmisch. Ganz erschrocken rief Kamilla: »Herein!«

Und beim Anblick des Mannes, der jetzt in der Thür erschien, stieß sie einen lauten Schrei aus. Sie machte eine abwehrende Bewegung. Hassemann sah fragend nach ihr hin. Gewiß, es war der fremde Herr, von dem der Diener vorhin gesprochen hatte. Aber nach Kamillas Betheuerungen hatte Jener kein Recht, hier einzudringen, und Hassemann wäre mit Vergnügen bereit gewesen, ihn hinauszuwerfen.

Der Fremde sagte jetzt lakonisch:

»Ich wünsche mit Dir allein zu sprechen, Kamilla. Du wirst die Freundlichkeit haben, diesen Herrn …«

Sein Ton war gebieterisch. Hassemann stand wie auf dem Sprunge. Er würde doch zupacken dürfen, diesen Unverschämten vor die Thüre setzen? Aber es kam anders.

Todtenbleich und doch ruhig sagte Kamilla:

»Bitte, Herr Direktor, verlassen Sie mich gefälligst. Wir sprechen uns dann weiter.«

Und der Fremde blieb allein mit ihr, während Freddy Smith lallte, jauchzte und auf dem Teppich strampelte.

*

Frau Goldegg schellte heftig, gleich nachdem der unerwartete Besuch eingetreten war. Die neue Bonne, Frau Smith, trat ein und nahm auf Befehl das Kind hinaus.

Der fremde Herr stand stolz und hoch aufgerichtet mitten im Zimmer. Er sah sichtlich erstaunt zu, wie das Kind, das jetzt lebhaft schrie, fortgebracht wurde.

Draußen im Vorzimmer stand eben Jakob, der Comptoirdiener. Er bat Frau Smith, doch heute einmal das Comptoir statt seiner zu fegen, denn er selbst, er wollte doch gar so gerne nach dem »Adler« in die Volksversammlung. Da der Herr Direktor den Besuch verboten hatte, mußte es wohl etwas Besonderes sein, und das Verbot galt doch gewiß nur für die Arbeiter.

Frau Smith und Jakob waren sehr befreundet mit einander. Jakob schwatzte gern, war auch beim Direktor nicht beliebt, aber Frau Goldegg hatte ausdrücklich gewünscht, daß der Diener ihres verstorbenen Mannes behalten werde. Frau Smith ihrerseits horchte gerne im Hause herum; trotz ihres schweren Geschickes nahm sie sehr viel Interesse an den Dingen, und so hatten sich die Beiden gefunden.

Die Smith also versprach, das Comptoir zu reinigen, und sie begab sich mit dem Kleinen hinüber in das Fabrikgebäude, wo in den Bureaus das Gas noch brannte. Das Kind wurde jetzt müde, aber wenn es einmal zu Bette war, erlaubte Frau Goldegg nicht, daß sie sich entferne. Sie mußte also vorher im Comptoir aufräumen. Jetzt legte sie Freddy auf das Sopha in Hassemann's Kabinet und deckte ihn zu. Das Aufräumen dauerte länger als nothwendig, weil die neugierige Frau Smith alles durchstöberte, und so schlief der Kleine auf dem Sopha ein. Inzwischen war Jakob, jetzt umgekleidet, noch einmal hereingekommen, um ihr zu danken.

»Drüben in der Villa« – sie war mit der Fabrik und dem Comptoir durch einen Glasgang verbunden, den man im Winter heizte und im Sommer öffnete – »drüben giebt es Skandal, wissen Sie, Frau Smith. Die gnädige Frau und der fremde Herr sind furchtbar aneinander gerathen.«

»Ach, was Sie nicht sagen,« rief Frau Smith; da mußte sie doch schnell ein wenig horchen gehen. Das Kind schlief ja ganz fest.

Sie eilte hinüber, hörte noch die erregten Stimmen. Aha, sagte sie sich, jetzt würde man wahrscheinlich hinter die Geschichte kommen, welche der Frau Smith so unerklärlich war; und sie lauschte an der Thür.

Frau Goldegg erklärte sich für belogen und betrogen. Der fremde Herr nannte sie pflichtvergessen, ja direkt verrückt. Das war sehr interessant. Unten im Souterrain rief man zum Abendessen der Dienstboten. Die gnädige Frau hatte heute den Thee erst für zehn Uhr befohlen, da wegen der vielen Gäste erst spät dinirt worden war, und so speisten die Dienstboten zuerst.

Frau Smith hatte die dunkle Vorstellung, sie müsse zuvor Freddy holen und zu Bett bringen, denn die gnädige Frau erlaubte nicht, daß das Kind hinunter genommen wurde. Freddy wurde durchaus wie ein Prinz behandelt.

Die Fabrik lag völlig im Dunklen, da Sonnabend um sechs Uhr der ganze Betrieb geschlossen wurde. Hassemann war nach seiner Dienstwohnung gegangen, er hatte die Absicht, in die Stadt zu fahren. Jakob war auf seinem Gange dem Bärmann begegnet, der anscheinend abermals aus der Richtung der Arbeiterwohnungen kommend, nach dem sogenannten »stillen Flügel« ging, nach jenem Seitenbau der Fabrik, in welchem Zeichner und Maler untergebracht waren und in dessen Parterregeschoß sich jener Glasgang befand, der zur Villa hinüberführte.

»Wohin wollen Sie denn, Bärmann, es ist ja gar Niemand mehr da.«

Bärmann brummte etwas Unverständliches in den Bart. Er hatte inzwischen schon wieder Branntwein getrunken, obgleich er noch nicht völlig nüchtern geworden war.

»Sie wollen gewiß zur gnädigen Frau,« sagte Jakob wohlwollend, »aber sie hat Besuch, ist nicht zu sprechen; auch müssen Sie dazu erst nüchtern werden, denn auf den Branntwein ist die gnädige Frau nicht besonders zu sprechen. Ich rathe Ihnen gut, lassen Sie's bis morgen, wenn's überhaupt etwas nützen soll, und das glaube ich nicht einmal, denn sie thut ja doch nichts gegen Hassemann.«

»Ich wills trotzdem versuchen,« knurrte Bärmann, »will warten, bis der Besuch fort ist.«

»Nun meinetwegen,« sagte Jakob und für sich selber fügte er hinzu: »dem Kerl ist nicht zu helfen.«

Jakob ging. Auf dem Wege durch die Arbeiterkolonie traf er Paul Basler. Der schwatzhafte Jakob erzählte zunächst von dem Verbot, nach dem »Adler« zu gehen.

»Sie sind doch als Redner gemeldet, Herr Basler,« sagte der geschwätzige Alte, »aber freilich, Sie können machen was Sie wollen! Uebrigens wissen Sie schon, der Bärmann ist heute hinausgeflogen.« Und er brachte seine Neuigkeiten an. Auch daß ein fremder Herr gekommen war und sich mit Hassemann sehr gezankt hatte, wußte er zu berichten. So nämlich erschien die Neuigkeit im Lichte des Klatsches.

»Ich frage nichts nach Hassemann,« versetzte Paul, »aber Sie müssen schon allein nach dem »Adler« gehen, ich habe noch etwas zu thun.« Und er wandte sich der Villa zu. Er hatte heute kaum gegessen, noch weniger getrunken, dennoch taumelte er wie ein Betrunkener. Dunkel nur entsann er sich, daß Jakob von einem fremden Herrn gesprochen hatte; gewiß, das war Doktor Müllhardt. Wer sollte denn sonst um diese Zeit Frau Goldegg aufsuchen? Er wollte versuchen, ihn zu sprechen, wollte an dem »stillen Flügel« warten, bis der Justizrath herauskam und ihn um Rath fragen. Er ging zurück nach der Fabrik.

Zehn, fünfzehn Minuten hatte er gewartet, da übermannte ihn die Ungeduld und er schritt durch den Glasgang hinüber zur Villa. Die Dienstboten waren beim Abendessen, so kam er ungesehen bis in's Vorzimmer. Ganz deutlich hörte er jetzt die erregten Stimmen der Frau Goldegg und des Fremden. Es wollte ihm scheinen, als sei das nicht Doktor Müllhardt, den er schon sprechen gehört hatte; aber ganz sicher wußte er es nicht. Unwillkürlich mußte er horchen.

»Ich kann einfach nicht,« sagte Frau Goldegg. »Es ist mir unmöglich zu glauben und zu vertrauen, wo ich einmal getäuscht wurde. Es würde jede natürliche Grundlage fehlen zu einem Zusammenleben. Alle Deine Vorwürfe sind vergebens. Du hättest besser nicht kommen sollen. Es ist eine unnütze Qual für uns Beide …«

Paul hörte noch eine leidenschaftliche Gegenrede. Der Mann beschwor Erinnerungen der Liebe herauf.

»Wenn Du nicht weißt, nicht fühlst, daß ich Dich liebe, so fehlt Dir jedes bessere, menschliche Empfinden. Und dies ist das Entscheidende zwischen uns.«

Sie aber beharrte mit weiblichem Eigensinn:

»Du hast mich belogen, mache was Du willst, ich kann darüber nicht hinaus.«

Paul wollte sich entfernen. Man schien aber drinnen die Thür klappen gehört zu haben. Frau Goldegg öffnete diejenige des Salons und sie gewahrte Paul. Etwas unwillig sagte sie:

»Ach, Sie sind es wieder, Basler.«

»Entschuldigen Sie, gnädige Frau,« stotterte er ganz betroffen, »ich glaubte, Doktor Müllhardt wäre da und wollte die Gelegenheit benützen; ein paar Punkte …«

»Ach wegen Ihrer Angelegenheit,« unterbrach sie ihn. »Ach die wird ja auch noch herankommen.« Und sie schlug ärgerlich die Thür zu.

Unwillkürlich ballte er die Faust. Ach, er wurde immer nur so fortgewiesen wie ein Verrückter, wie ein Ueberlästiger. Sein ganzer, durch Kamillas Güte abgedämpfter Groll erwachte.

Da stand er wieder draußen in dem wohlgepflegten, blumengeschmückten Garten, der jetzt in nächtliches Dunkel gehüllt war. Er begriff in diesem Augenblick, wie man zum Verbrecher werden kann. Wenn es ihm nicht um Helene gewesen wäre, er hätte die Brandfackel schleudern mögen gegen dies schwarze, finstere, fühllose Riesengebäude da.

Und nun verlachte er sich selbst. Was hätte das genützt? Diese reichen Leute sind ja doch versichert, denen kann nichts passiren! Nur die armen Arbeiter werden brodlos bei solcher Katastrophe.

Er glaubte jetzt eine dunkle Gestalt zu erblicken, welche in dem Glasgang hinschlich, aber gewiß, das war nur eine Ausgeburt seiner Phantasie, die Rache wünschte.

Er eilte fort. Er war bereit, sich mit Hassemann zu messen, der ebenfalls bei der Versammlung sein würde. Man hatte das bereits erzählt. Der Herr Direktor würde doch kontrolliren, wer von den Arbeitern seinem ausdrücklichen Befehl zu trotzen wagte. Wahrscheinlich keiner.

Hassemann hielt seine Leute streng. Da gab es gleich Entlassung ohne weiteres.

Basler schritt jetzt rüstig dem »Adler« zu. Wirklich, er überholte Hassemann.

Und in diesem Augenblick reifte Paul Basler zu dem heran, was er nach Hassemanns Behauptung längst war, zu einem wüthenden Anarchisten. Hätte er nur ein Mittel gehabt, die bestehende Ordnung zu untergraben, gewiß, er hätte nicht gezögert. Eine fulminante Rede würde er halten, dem Hassemann gerade in's Gesicht, aber auch das war noch viel zu wenig.

So wird ein Einzelschicksal zum Ausgangspunkt für eine Bewegung, an der dann die sinnlosen Massen ohne Wahl, ja ohne Bewußtsein theilnehmen, von der sie sich fortreißen lassen zu Bahnen, auf welchen sie niemals Besserung ihrer Lage erzielen können.

Inzwischen rangen dort, in dem luxuriösen Salon der Villa, noch immer zwei glühende Seelen mit einander. Mann und Weib standen einander gegenüber und kämpften. Jedes von ihnen um sein Lebensglück.

Leidenschaftlich erregt durch ihre Flucht, durch ihren Trotz, durch die Verleugnung geheiligter Bande, war bei ihm das Gefühl des eigenen Unrechtes zurückgetreten. Er war gekommen, um ihr zu sagen: »Ich gebe Dich frei, bedingungslos frei, denn ich will Dein Geld nicht. Du aber hast thöricht gehandelt, denn ich habe Dich geliebt, besser als Einer!«

Sie dagegen warf ihm immer und immer wieder ihr Geld vor die Füße und rief: »Du hast das Geld gewollt, nicht mich!«

Und er knirschte unter dem Vorwurf wie unter einem Peitschenhieb, und dennoch wußte er ihn nicht zu entkräften.

»Ich habe geliebt,« schrie er, wie ein Verzweifelter, und sie erwiderte: »Du hast gerechnet,« und dabei blieben sie.

Und dennoch kamen sie nicht auseinander, wiederholten sie sich immer denselben leidenschaftlichen Vorwurf. Jedes von ihnen suchte sich zu rechtfertigen und hoffte von dem Andern ein erlösendes Wort. Aber stolz und trotzig, wie sie waren, fanden sie es nicht.

Drei Mal schon hatte er seinen Hut ergriffen und ausgerufen: »Es ist umsonst, ich gebe Dich frei!« Und er ging nicht, denn er sagte sich: »Ich werde sie nie wieder sehen und jetzt sehe ich sie doch noch, auch wenn ihre Augen Zornesblitze schleudern, ich höre sie noch, auch wenn sie grollt und schmäht.«

Und auch sie, konnte sie ihn nicht hinausweisen aus ihrem Hause? Warum that sie es nicht, warum standen sie einander gegenüber wie zwei Todtfeinde, die doch einander nicht lassen können?

Ueber eine Stunde schon währte der Kampf und noch länger.

Die Dienstboten kamen eben schwatzend aus dem Souterrain. Frau Smith hatte gegessen, dazwischen noch einmal nach dem Glasgang gehorcht. Es war Alles still, der Kleine schlief. Sie würde ihn dann geschwinde entkleiden, ohne daß er recht munter würde.

Eben, als sie ihn holen wollte, ganz leise, sie stand schon in der Thür, die vom Korridor nach dem Glasgange führte, fiel plötzlich ein sonderbarer, räthselhafter Lichtschein in die dunkle Gallerie und auf einmal stieß sie einen gellenden Schrei aus.

»Feuer, Feuer!« schrie sie.

Kamilla riß die Thür auf.

»Was ist's, was haben Sie?«

»Es brennt im Comptoir,« gellte es ihr entgegen.

Kamilla blieb ziemlich ruhig.

»Schnell die Handspritze,« befahl sie, »den Schlauch an die Wasserleitung und Hassemann rufen!«

Aber die Smith stürzte schnell nach der Thür des Comptoirs, sie war verschlossen. Die Frau stieß ein Geheul aus:

»Das Kind, der Freddy – allmächtiger Gott, der Freddy!«

Kamilla begriff nicht gleich.

»Das Kind, was ist damit, wo ist es?«

Und außer sich, mit irrem Blick, schrie die Smith:

»Es ist drinnen auf dem Sopha, drinnen im Feuer! Mitten drin.« Und sie warf sich jammernd auf die Erde wie eine Wahnsinnige.

Jetzt war es Kamilla, die gellend aufschrie:

»Das Kind, mein Kind!« Und sie stürzte nach der Thür. Aber eine kräftige Hand riß sie zurück. Sie sah Guido's blasses Gesicht hinter sich.

»Dein Kind,« dröhnte es ihr entgegen, »oh, ich ahnte es schon vorhin, Elende! Dein Kind – das Meine!«

Die Thür wich einem wüthenden Hieb, den er mit dem Fuße führte.

»Auf dem Sopha, auf dem Sopha,« schrie die Smith.

Das Zimmer war voll Rauch und Flammen, Guido Horn schien sich direkt in das Feuer zu stürzen. Was auch wußte er, wo das Sopha stand? Aber zwischen dem Prasseln der Flammen unterschied er ein dumpfes Wimmern. Einen Augenblick später erschien Guido, einen schon glimmenden Teppich in der Hand, aus welchem das Wimmern deutlich hervor drang. Kamilla wollte ihm das Bündel entreißen, aber mit seinen brennenden Händen, halb betäubt, wehrte er sich.

»Es ist mein Kind,« donnerte er sie an, »rühr' es nicht an! Du hast mich verlassen, Du bist die Schuldige, das Gesetz spricht mir das Kind zu, es ist und bleibt mein.«

Die Umstehenden hatten in dem Schreck und Aufruhr kaum verstanden, was er sagte, sie sahen nur, wie er die Smith und Kamilla fortstieß. Er war verwundet, aber mit übermenschlicher Kraft hielt er sich aufrecht.

»Fort,« schrie er, »aus dem Wege!«

Und er stürzte hinaus, in die vom Feuerschein erhellte Nacht.

Niemand hatte etwas begriffen; Kamilla war mit gräßlichem Aufschrei zusammengebrochen.

»Es geschieht Dir ganz recht,« sagte »Tante« Rose, »so mußte es kommen.«


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