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I.

Ein furchtbarer, donnerähnlicher Knall erschreckte das ganze Goldeggsche Fabriketablissement. Die ungeheure Detonation überdröhnte das Surren der Räder, das Stampfen und Pfauchen der Maschinen. In dem riesengroßen, weit ausgedehnten Anwesen hielt plötzlich Jedermann in seiner Arbeit inne und lauschte ängstlich. Der Betrieb war erst vor wenigen Minuten nach der Frühstückspause wieder aufgenommen worden, und nun stand plötzlich Alles still; es war, als ob eine höhere Gewalt Halt geboten hätte.

Und jetzt bemerkte man, daß dicker Rauch aus dem chemischen Laboratorium drang, welches sich der Chef kürzlich eingerichtet. Er pflegte dort emsig mit Paul Basler, dem chemischen Assistenten, zu arbeiten. Es hieß, sie hätten ein neues Färbeverfahren erfunden. Goldegg hatte sich schon immer besonders für Chemie interessirt und Paul Basler war ein aufstrebendes Talent in diesem Fache.

Zertrümmerte Fensterscheiben und ein klaffender Riß in der noch neuen Außenwand des Gebäudes wiesen auf eine Explosion hin. Ein einziger Schreckensschrei erfüllte den weiten Fabrikhof, und der Diener, der jetzt, selbst halb betäubt, sich durch die windschief gerückte Thür herauszwängte, jammerte laut:

»Mein armer Herr! Und der arme Paul Basler!«

Eine unbeschreibliche Verwirrung hatte sich Aller bemächtigt; das ganze Personal war im Augenblick rathlos. Nur ein Einziger hatte sich schnell gefaßt und ging nun mit voller Besonnenheit an die Rettungsarbeit, Herr Hassemann, der Inspektor, ein junger Mann mit energischen Zügen. Schon rief er mit fester Stimme nach einer Leiter, nach Wasser; eine kleine Gruppe von Arbeitern hatte sich schnell um ihn geschaart.

Noch bevor man den dichten Qualm zu durchdringen vermochte, kam Paul Basler herbeigestürzt. Er hatte das Laboratorium für einige Augenblicke verlassen, um drüben in der Fabrik-Kantine eine Kleinigkeit zu frühstücken. Dieser Zufall hatte ihn gerettet.

Aber der Chef! Was war mit dem Chef geworden?

Man fand ihn zu Füßen des zertrümmerten Ofens, blaß, regungslos, das Gesicht von Ruß geschwärzt. Der Arzt kam nach einer halben Stunde. Auf die Weisung des Inspektors war ein Wagen in die nahe Stadt geschickt worden, um ihn zu holen.

Frau Goldegg war noch nicht zurück von ihrem Morgenspaziergange; sie pflegte an schönen Tagen gleich früh mit dem Malkasten auszuwandern. Die Fabrik lag in dem anmuthigen Thal der Schwarza – da gab es Motive, wohin das Auge fiel, und die leidenschaftliche Dilettantin konnte skizziren nach Herzenslust. Sie hatte noch keine Ahnung von dem Unfall. Ihr Mann betrieb mit dem gleichen Eifer seine Experimente, wie sie die Aquarellmalerei.

Man hatte den Verunglückten, einen Mann in den besten Jahren, auf ein Sopha gebettet. Hassemann, Paul Basler und andere Bedienstete drängten sich um ihn. Fräulein Rose, die Stütze der Hausfrau – eine etwas verblühte Rose – erfüllte das Zimmer mit ihrem Jammergeschrei.

Der Arzt zuckte die Achseln. Da kam jede Hilfe zu spät. Der arme Goldegg war durch Einathmen giftiger Gase erstickt; der Tod mußte binnen wenigen Minuten eingetreten sein. Wie das Furchtbare hatte geschehen können, würde wohl ewig ein Geheimniß bleiben. Man würde ja versuchen, durch eine Sektion die Todesursache noch genauer festzustellen. Aber auch dann würde man schwerlich etwas mehr wissen, als daß hier eine Unvorsichtigkeit, ein Zusammentreffen von kaum noch aufklärbaren Umständen, vielleicht auch Uebereifer ein schweres Unglück herbeigeführt …

So sprach der Arzt mit feierlicher Amtsstimme, die ein wenig zitterte. Denn auf dem Lande kennt man sich, ist befreundet mit einander. Wie oft hatte er mit dem nun so jäh Verschiedenen geplaudert, auch wohl Abends ein Stündchen Karten gespielt, bevor Goldegg sich verheirathet! Seit den etwa sechs Monaten freilich, seitdem die junge Frau im Hause war, hatte man des Arztes seltener bedurft, und er war nur gekommen, wenn man ihn rief.

Das zahlreiche Personal, bis herunter zum Pförtner – alle waren sie geradezu erstarrt, als sie jetzt die Leiche ihres Herrn umstanden. Er war ein gütiger, großmüthiger Mann gewesen, hatte für Jeden von ihnen Herz und Sinn gehabt.

Paul Basler weinte, ohne sich dessen zu schämen. Herr Goldegg hatte ihn immer sichtlich bevorzugt. Hassemann war vielleicht nicht minder erschüttert, aber doch äußerlich ruhig. Auch er hatte unter dem Verstorbenen rasch Carriere gemacht.

Aber gewiß, in diesem Augenblick bedachte Keiner, was nun werden sollte. Ein einziger, überwältigender Eindruck lag lähmend über Allen –: Todt!

Welch ein thätiger Mann! Welch ein warmherziger Arbeitgeber! Und in der Blüthe der Jahre schon stand er auf der Höhe des Lebens. Er hatte sich aus eigener Kraft dahin emporgerungen. Mit ganz geringen Mitteln hatte er vor etwa fünfzehn Jahren hier begonnen, hatte mit unermüdlichem Fleiß und einem nicht geringen Grade gediegener, praktischer Erkenntniß unausgesetzt an der Erweiterung der ursprünglich so bescheidenen Anlage gearbeitet, und sein Unternehmen war fast zusehends gediehen. Er nahm seit Jahr und Tag einen ersten Platz ein. Freilich, für Herrn Goldegg war keine Zeit übrig geblieben, das Leben zu genießen. Erst in diesem Winter hatte er den Muth gefunden, auch an sich zu denken und hatte sich mit der schönen und begabten Tochter seines ehemaligen Lehrers, eines Göttinger Universitätsprofessors, verheirathet.

Obgleich er fast zwanzig Jahre älter war, als seine Frau, schien die Ehe glücklich. Goldegg freute sich über seine junge Frau, die er ja nur aus aufrichtiger Neigung sich hierhergeholt hatte – er begann, neben seinem Geschäft, noch ein anderes, reges Interesse zu verspüren und gab dem lebhaften Ausdruck. Wozu er nie Zeit gefunden hatte in all den Jahren, jetzt opferte er Tage dafür, mit Kamilla die reizenden Winkel dieses Thales zu durchwandern. Sogar ein paar kleinere Reisen hatten sie schon gemeinsam unternommen, obwohl doch der Fabrikbetrieb seinen Leiter gar nicht entbehren zu können schien. Wohlstand und Behagen wuchsen. Den Wünschen seiner Gattin entsprechend, hatte Goldegg die hübsche Villa, die außerhalb des Fabrikhofes, an der Bergstraße, stand, mit allerlei Kunstschätzen reich geschmückt; auch ein, wenn auch kleiner, so doch gut gewählter Kreis von Freunden fing an, sich an gewissen Abenden zu beleben – kurz, Alles schien sich zu vereinen, um hier eine Stätte reinen Menschenglücks zu schaffen. Und da lag Bernhard Goldegg nun, kalt und starr, ein Opfer übertriebener Hingabe!

Als Frau Kamilla von ihrer Waldpromenade heimkehrte, den Mahlkasten unter dem Arme, war der Todte schon in seinem Schlafzimmer aufgebahrt worden. Der Inspector Hassemann war es, der ihr entgegenging, um sie vorsichtig und schonend vorzubereiten; Niemand sonst hatte den Muth.

Hassemann überhaupt hatte sofort das Erforderliche angeordnet. Auf seine Weisung war die Arbeit in ihrem ganzen Umfange wieder aufgenommen worden; er hatte Leute beordert, welche an der Unglücksstelle Ordnung schufen, nachdem ein städtischer Polizeibeamter sie in Augenschein genommen; er war es, der den Transport der Leiche, ihre Aufbahrung leitete. Er nahm auch die eben einlaufenden Briefschaften zunächst an sich und zog unmerklich den Schlüssel vom Pulte des Chefs ab. Von den älteren Beamten der Fabrik stand gerade keiner an erster Stelle. Paul Basler, der eigentlich dem so plötzlich aus dem Leben Gerissenen näher gestanden, schien selbst völlig zerbrochen. Und so wagte Niemand eine Widerrede, als Hassemann sofort die Zügel ergriff – im Gegentheil, es erwies sich das als eine wahre Wohlthat.

Nur hatte man gar nicht geglaubt, daß er mit so milder Stimme sprechen, mit so sanfter Miene blicken könnte wie jetzt, da er die schöne, junge Frau in das vom Unglück betroffene Haus führte.

Sie war eine große, prachtvoll gewachsene Blondine in der zweiten Hälfte der Zwanzig. Mit ängstlicher Spannung, aber ohne ihre stolze Haltung zu verlieren, hörte sie Hassemann an. Nur in seinem Blick, in seiner Haltung schien sie etwas Furchtbares zu ahnen.

Sie ward blaß, todtenblaß, biß die Zähne aufeinander und winkte, sie allein zu lassen. Allein, ganz allein betrat sie das Unglückszimmer; keinen Laut hörte man – dann fiel der Riegel in's Schloß.

Gewiß, sie war eine stolze, stark innerliche Natur! Sie wollte allein mit sich selbst fertig werden – sie wollte den banalen Redensarten entgehen, mit denen man versuchen würde, sie zu trösten.

Indessen schaltete Hassemann weiter. Mit Umsicht und Sicherheit traf er die erforderlichen geschäftlichen Anordnungen; es sollte zunächst Alles in dem gewohnten Gange bleiben. Er bereitete aber auch das Leichenbegängniß vor: das gesammte Personal sollte theilnehmen, um der Feier ein würdiges Gepräge zu geben.

Bis zum Abend wunderte sich schon der oder Jener, daß Hassemann so den Herrn spielte. Aber wer hätte widersprechen sollen? Es war Niemand da. Kamilla und Paul Basler hingen ihrem Schmerze nach – die Uebrigen hatten nichts zu reden.

Allerdings, Kamilla schien gefaßt; aber sie mochte sich auch um nichts kümmern. Und was ihr Hassemann am folgenden Tage von seinen Maßregeln berichtete, das billigte sie. Nur als sie das Arbeitszimmer des Verstorbenen betrat, brach sie in Thränen aus. Da stand und lag noch Alles wie gestern. Nur das große Cylinderbureau hatte Hassemann zugerollt, nachdem er die offen daliegenden, noch zu erledigenden Briefschaften an sich genommen. Sonst hatte Niemand gewagt, hier etwas anzurühren.

Nun befahl Kamilla ausdrücklich, es solle hier Alles unverändert stehen bleiben. Hassemann überreichte ihr den Pultschlüssel, schloß auch das Zimmer ab.

Dienstfertig, umsichtig, mit den Verhältnissen vertraut, wie kaum ein Anderer, hatte er der Herrin zahllose, kleine Bemühungen abgenommen. Er hatte telegraphisch den Rechtsanwalt des Herrn Goldegg herbeigerufen, hatte die Todesanzeigen einrücken und versenden lassen; Kamilla mußte ihm wahrhaft dankbar sein.

Und bevor noch der Todte in das neubegründete Familiengrab gebettet, war der thätige Hassemann dem ganzen Hause und der Fabrik, einer großen Baumwollweberei, unentbehrlich geworden.

Schon am Tage nach dem Begräbniß wurde das gesammte Personal, einschließlich der Arbeiter, zusammengerufen, und Hassemann stellte sich selbst als provisorischer Leiter vor. Mit fabelhafter Energie bemächtigte er sich der Geschäfte. Er empfing die geschäftlichen Besucher, traf sicheren Tones seine Verfügungen, er zeigte sich als der geborene Herr.

»Da sehen Sie, Herr Hassemann,« sagte eines Tages der alte Wilhelmi, der Obermeister der Färberei, »wie schön der Flanell aussieht!« Er brachte ein Stückchen Baumwollstoff, der probeweise mit Biebricher Scharlach gefärbt war – eine Farbe, die man bis dahin nur auf Wolle zu übertragen gewußt. »Und das ist ohne jede Beize gemacht – sitzt eisenfest, ist schon mit Soda gewaschen! Ist so etwas schon je erhört? Und da mußte der arme Herr so wegsterben! Es ist niederträchtig! Glücklicherweise versteht der Paul Basler auch etwas davon.«

Hassemann war von Beruf Maschinist, er hatte sich bisher um die Färberei wenig gekümmert. Dennoch übersah er im Augenblick das glänzende Resultat. Da lagen Millionen im Keime. Nur mußte man sich das neue Verfahren durch Patente sichern. Was mit dieser, am schwierigsten zu behandelnden Farbe möglich geworden, würde zweifellos auch mit anderen gelingen. Dann war man auf dem Punkte, Baumwollstoffe genau so schön zu färben, wie es bisher nur bei rein wollenen Geweben erreicht worden. Das Beizverfahren, mit dem man sich jetzt behalf, befestigte gewisse Farben nur nothdürftig und schädigte überdies die Haltbarkeit der Pflanzenfaser. Hier war also ein Schritt von außerordentlicher Tragweite gethan – hier war nicht nur sehr viel Geld zu verdienen, sondern man konnte die Fabrik mit einem Schlage, so zu sagen, außer Concurrenz stellen. Das Alles ging dem jungen Manne blitzschnell durch den Kopf.

»Wer hat diesen Versuch geleitet?« fragte er jetzt scharf.

»Herr Paul Basler,« erwiderte Wilhelmi, fast verwundert über diese Frage, die sich Herr Hassemann doch wohl selbst beantworten konnte. Und er fügte hinzu: »Es hieß ja schon seit Wochen – wissen Sie, Herr Hassemann, seit es uns mit der blauen Azofarbe geglückt war! – daß Herr Basler Theilhaber werden sollte, weil er eigentlich der Erfinder des neuen Verfahrens sei …«

Der Inspektor blieb in tiefem Nachdenken zurück. Da stand er nun vor einer der Grenzscheiden von Gut und Böse? Paul Basler konnte ihn hier verdrängen.

Kaltblütig, scharf beobachtend und urtheilend, wie Hassemann war, hatte er längst gemerkt, was dem guten, seligen Goldegg verschlossen geblieben –: daß der junge Paul die schöne junge Herrin mit seinen dunklen, glühenden Augen verschlang. Wie oft hatte Hassemann bemerkt, daß es dem jungen Menschen förmlich die Rede verschlug, wenn die reizende, junge Frau gelegentlich einmal in das Bureau ihres Mannes oder in das Laboratorium trat. Bisweilen war Hassemann in Versuchung gewesen, etwas zu verrathen. »Sehen Sie denn nicht, Herr Goldegg,« hätte er dem ganz von seinen Geschäften Erfüllten zurufen mögen, »sehen Sie denn nicht, daß der Bursche die Augen verdreht, daß ihm das Blut zu Kopfe schießt, so oft er Ihrer Frau begegnet?« Aber Paul Basler als Chemiker war ihm nicht im Wege. Auch verrieth sich der junge Mann mit keinem Worte, während Frau Goldegg vollends unbefangen blieb. Wenn sie überhaupt eine Ahnung hatte – und das war zweifelhaft – so gab das doch noch keinen Grund, von der Sache zu reden. Wenn aber nicht, so mußte Hassemann fürchten, sich lächerlich, unangenehm zu machen.

Jetzt aber standen die Dinge anders. Kamilla war frei – Paul ein hübscher, junger Mann, der etwas gelernt hatte. Vorläufig freilich nur ein armer Teufel, schüchtern und gerade in seiner Verzücktheit für die trauernde junge Herrin, linkisch und unbeholfen. Aber die Erfindung gab ihm ein Ansehen, gab ihm ein Recht im Hause, wie sonst keinem Anderen.

Und doch hatte er, Hassemann, selber noch ein junger Mann, in dessen Seele die Wünsche zwar schwiegen, aber nicht erstorben waren, er selbst hatte alle Anwartschaft auf die erste, leitende Stellung in der Fabrik; er vor Allem kam in Frage, wenn hier irgendwer Direktor oder gar Theilhaber werden sollte. War er nicht jetzt schon unentbehrlich? Ruhte nicht die ganze Führung des Etablissements ausschließlich in seiner Hand? Und war er, Hassemann, nicht ganz die geeignete Persönlichkeit, um noch viel weiter hinauf den begehrlichen Blick erheben zu dürfen?

Schrittweise war er hier emporgestiegen, von jenem Tage an, da er vor fast zehn Jahren als eben absolvirter Techniker hierherkam. Damals stand das Unternehmen noch im ersten Entwicklungsstadium. Und der energische, rastlos arbeitende Goldegg sah es gern, wie sich der junge Mensch mit dem ganzen Eifer eines echten Strebers in's Zeug warf. Er ließ seinen Leuten reichlich Zeit zur Bethätigung, war für jeden, wenn auch kühnen Versuch zu haben und verstand es, sich dankbar zu erweisen für das Gelungene, ohne des Mißglückten sich zu erinnern. Unter einem solchen Chef mußte man ein tüchtiger Mann werden. Und Hassemann durfte sich heute sagen, er war es geworden. Die Welt stand ihm offen – weshalb sollte ihm nicht auch Kamilla's Hand erreichbar sein? Dazu aber durfte ihm Niemand im Wege stehen. Und wer es that, den mußte man beseitigen.

Uebrigens – war man denn gezwungen, dem Paul Basler zu glauben? Lag nicht das Laboratorium in Trümmern und unter dem Schutthaufen, den eben Arbeiter bei Seite schafften, für immer begraben, was etwa beweisen könnte, daß der Chef mit dem jungen Chemiker gemeinsam die Neuerung ersonnen? Freilich, Paul Basler war immer ein ehrlicher Mensch gewesen, wahrscheinlich log er nicht! Aber – mußte man nicht an Lüge glauben, wenn man weiterkommen wollte? Und man wollte weiterkommen! Nun, er, Hassemann, würde ja sehen, wie Paul sich zu der Sache stellte …

Eine Woche nach der Beisetzung Goldeggs kam Paul Basler in's Comptoir. Schon thronte Hassemann auf dem Direktorposten.

Paul sah etwas finster aus und war auch nicht höflich genug. Er meinte mit Hassemann noch auf kollegialem Fuße verkehren zu dürfen.

»Da man Frau Goldegg jetzt doch mit Geschäften nicht kommen kann,« sagte Paul, »so muß ich mit Ihnen sprechen, Herr« – er preßte mühsam genug heraus –: »Direktor …«

»Sehr gerne …« Hassemann hob den Kopf und sagte hart und hochmüthig: »Aber ich habe keine Ahnung, was Sie wollen, Basler!«

Paul Basler stutzte – Hassemann mußte doch eine Ahnung haben! Und einigermaßen rauh stieß er hervor:

»Sie wissen es – müssen es wissen! Ich habe das neue Verfahren mit den Azofarben erfunden! Und ich – ich sollte an Ihrer Stelle sitzen …«

Paul hatte Alles verdorben.

In diesem Augenblick überschritt Hassemann den Rubikon zwischen Gut und Böse. Paul Basler hatte ihn zu heftig gereizt. Ein Glück, daß er, Hassemann, nicht auch, wie Jener, ein Temperamentsmensch war. Wie leicht konnte auch er sich hinreißen lassen zu irgend einer Heftigkeit! Aber er übersah im Moment, wie wenig damit zu erreichen war. Allerdings, er stand augenblicklich fest, im Vollbewußtsein seiner Macht. Wenn er jetzt einfach erklärte: »Das neue Verfahren ist Eigenthum der Fabrik« – was würde die Folge sein? Daß Paul Basler sein Bündel schnürte und bei dem nächstbesten großen Konkurrenz-Unternehmen willige Aufnahme, dankbares Gehör fand. Denn hier handelte es sich nicht um irgend ein vom Zufall geborenes und nun unter den Trümmern des Laboratoriums begrabenes Geheimniß – hier lag das Ergebniß sorgsam erdachter und glücklich zu Ende geführter Versuche vor, eine logische Kette, die Niemand leichter von Neuem schließen konnte, als eben Paul Basler. Sein Recht konnte man ihm streitig machen; aber ihm nehmen, was er im Bewußtsein trug, das ging nicht an. Und nicht nur die eine Gefahr stand zu fürchten, daß Basler gehen, sein Verfahren anderweit verwerthen würde. Man würde auch ohnmächtig sein, etwas dagegen zu unternehmen, weil hier in der Fabrik die Probefärbungen noch in den allerersten Stadien sich befanden. Noch braute und mischte und kochte nur Paul Basler selber die kleinen Versuchsquanten; noch hatte er, seit der Chef nicht mehr war, keinen Mitwisser. Er würde auch nicht die Spur seines Geheimnisses zurücklassen, und das Etablissement Goldegg hatte das Nachsehen.

Nein, hier mußte man äußerst vorsichtig zu Werke gehen, ihm, dem naiven Träumer, Hoffnungen machen, bis man völlig Herr des neuen Verfahrens war. Und dann – ei, dann mochte er zum Teufel gehen!

»Sie regen sich ganz unnütz auf, lieber Basler,« sagte er jetzt überlegenen Tones, »Sie sollten doch wissen, daß ich mich gerade um das unglückselige Laboratorium am allerwenigsten gekümmert habe! Schlimm genug, daß der arme Chef seine Experimentirlust so hart büßen mußte. Wenn nun bei diesen Versuchen irgend etwas Brauchbares zu Stande kam, so wird ja freilich heute nicht zu beweisen sein, wie weit daran der Chef, wie weit Sie daran betheiligt sind. Ein solcher Beweis erscheint mir im Augenblick schon deshalb nicht möglich, weil ja, wenn ich nicht irre, zunächst noch gar keine wirklich verläßlichen Resultate vorliegen … Oder, bin ich falsch unterrichtet – waren die Arbeiten schon abgeschlossen?«

»Das freilich nicht,« mußte Basler zugeben, »aber wir sind doch darüber klar, daß mein Verfahren für Azoroth und für gewisse Nüancen in Blau anwendbar ist. Ich selber zweifle nicht einen Augenblick, daß wir noch ganz andere Resultate erzielen werden …«

»Sehen Sie, Basler, da kommen wir also schon zusammen! Vor Allem muß die Sache vollkommen spruchreif sein!«

»Ich verstehe nur nicht, weshalb meine Rechte nicht auch jetzt schon klarzustellen, festzulegen wären.«

Hassemann zwang sich zur Ruhe; er streifte mit einem Blick die vor ihm liegenden Briefschaften – er hatte ja so viel zu thun!

»Es thut mir wirklich leid, Herr Basler, aber Sie sollten doch begreifen, daß ich zur Zeit selber noch kein Recht habe, Ihnen Rechte einzuräumen. Komme ich später einmal in die Lage, dies zu thun, nachdem Sie mich überzeugen konnten, daß es sich hier wirklich um Ihr geistiges Eigenthum handelt, so bin ich natürlich der Letzte, der Ihnen hinderlich sein will. Bis dahin natürlich halte ich es für meine Pflicht, nicht Ihre angeblichen Rechte, sondern diejenigen des Hauses Goldegg zu vertreten.«

Paul Basler, weit weniger des Wortes mächtig, als Jener, auch nicht so Herr seiner selbst, hatte wiederholt mit heftigen Bewegungen die kühlen Erklärungen Hassemanns zu unterbrechen versucht. Jetzt mußte er den zornflammenden Blick senken. Der äußeren Form nach hatte der »Direktor« Recht. – Sie waren von jeher Rivalen gewesen. Herr Goldegg liebte die jungen Kräfte, die auf der Höhe der Zeit standen. Allerdings, er hatte Paul Basler persönlich vorgezogen. Er hatte in ihm eine verwandte Natur erkannt, einen Mann, zum Erfinden, Unternehmen, Verbessern, zum Hoffen, ja, zum Träumen geneigt, wie er selbst. Hassemann war ruhig und energisch, alle Aufmerksamkeit auf das richtend, was war, nicht darauf, was werden konnte; er wußte sich dem Chef durch Fleiß, Umsicht, durch die Bestimmtheit seines Wesens unentbehrlich zu machen. Das war bei Paul Basler nicht in gleichem Maße der Fall, dafür theilte dieser die Träume seines Chefs, hatte die Experimentirlust mit ihm gemein. Gewiß, Herr Goldegg hätte zu Gunsten Paul Baslers entschieden, wenn sich je etwas wie eine Cabinetsfrage ergeben hätte.

»Ich werde mich an Frau Goldegg wenden,« brach Basler die Unterredung harsch ab und ging mit kurzem Gruße – in der Haltung eines Mannes, der gesonnen ist, sein Recht zu wahren.

Hassemann war allein geblieben in seinem Bureau. »Soll er's doch beweisen!« sagte er sich. »Dem Beweis werde ich mich fügen!«

Aber Kamilla schien wirklich von der Erfindung nichts zu wissen. Er hatte da schon auf den Busch geklopft. Freilich, ob der interessante Jüngling nicht dennoch etwas ausrichtete, das war die Frage! Man mußte trotzdem den Dingen ihren Lauf lassen; Basler war für die Dauer nicht von Kamilla ferne zu halten und jeder Versuch, das zu erreichen, war unklug, ja gefährlich! Also abwarten!

Hassemann blickte durchs Fenster; Paul Basler lief direct hinüber nach der Villa. Unmöglich, Frau Goldegg zu warnen. Hassemann ahnte nicht, wie sehr ihm das Glück günstig war.

Kamilla befand sich noch immer in tiefer Trauer; sie fühlte sich tief vereinsamt, allein, wie sie nun auf der Welt stand, vollkommen rathlos, was weiter beginnen. Auch ihre Lieblingsbeschäftigung, das Malen, war ihr verleidet. Sie lebte völlig abgeschlossen, hatte bisher Niemand empfangen, als Hassemann, der täglich kam, um ihr Bericht zu erstatten. Von den Geschäften wollte sie so gut wie nichts wissen; sie hatte niemals Sinn dafür gehabt und es berührte sie geradezu peinlich, davon zu hören.

Und nun drang Paul Basler in seiner Aufregung fast unangemeldet bei ihr ein, ihr mit leidenschaftlichen Worten von seiner Erfindung sprechend. Vielleicht hätte sie gerade ihn gern angehört, sich von ihm für seine Sache gewinnen lassen, der ja ihrem Gatten so nahe gestanden hatte. Aber er war so unvorsichtig, von Beize, von Azofarben zu sprechen – sie schnitt ihm das Wort ab:

»Ich habe jetzt weniger als jemals Interesse für Geschäfte, Herr Basler – das hätten Sie sich selbst sagen müssen! Warten Sie doch damit, bis meine tiefste Trauer vorüber ist … Natürlich wird man Ihnen Ihre Mithilfe an den Arbeiten meines Mannes noch besonders bezahlen. Wenn Sie mit der Abrechnung nicht warten wollen, so bitte, wenden Sie sich an Hassemann!«

»An Hassemann? O gnädige Frau –« die Stimme des jungen Mannes bebte – »Hassemann ist nie mein Freund gewesen. Er beneidete mich immer um die Gunst des Herrn Goldegg – der wird mir nie gerecht werden! Aber Sie, gnädige Frau – Sie … o ich habe Sie immer verehrt wie – wie ein höheres Wesen! Wenn Sie nicht im Stande wären, gerecht zu sein – Sie, die mir mehr sind, als …«

Kamilla trat vor seinem flammenden Blick zurück – sie erkannte die Leidenschaft des Mannes für das Weib.

Einen Augenblick stutzte sie, dann fühlte sie jene leichte Genugthuung der begehrten Frau – »er liebt mich!« sagte sie sich – schließlich überwog die sittliche Entrüstung.

»Ich trage tiefe Trauer, lieber Basler,« sagte sie in noch nicht ganz sicherem Tone, »und es ziemt Ihnen nicht, in solchem Ton von Ihrer Verehrung für mich zu sprechen. Sie hätten unbedingt von der ganzen Sache schweigen müssen, bis später … Und das werden Sie von nun ab auch thun! Ihnen geschieht kein Unrecht, so lange ich noch da bin.«

Er hatte sich über ihre freundlich hingereichte Hand gebeugt und diese geküßt. Da sie gebot zu schweigen, so schwieg er.

Mit einer tiefen Verneigung ging er.

Aber draußen, vor der Thür, schlug er sich vor die Stirn, wie Einer, der eben zur Besinnung kommt.

Warum auch hatte er sich von einem Blick, von einem bittenden Wort einschüchtern lassen – warum? Thor, der er war! Durch etwas mehr Kühnheit konnte er sie auch von seinem Rechte überzeugen. Sie aber sagte nur: Heute nicht! und es blieb dabei –: heute nicht.

Und dennoch, dennoch, trotz der herben Enttäuschung entflammte es wie Seligkeit. Sie hatte in seinen Blicken gelesen, und sie war auch gar nicht eigentlich böse geworden! Er sollte nur warten …

Kein Zweifel, sie verstand gar nicht die Tragweite der Sache. Sie wußte kaum, was ein Patent sei, und doch konnte nur ein solches seine Erfindung schützen.

Hassemann that gar nicht, als ob er eine Ahnung von Pauls Mißerfolge hätte, und er mußte einen solchen doch vermuthen. Natürlich wäre der »Erfinder« sofort gekommen, hätte seine Ansprüche geltend gemacht, wenn er nicht bei Frau Kamilla abgewiesen wurde. Dort also hatte er, Hassemann, zunächst starken Rückhalt. Um so besser! Und er begann gelegentlich den gestrengen Herrn zu spielen, auch gegen Paul Basler. Mochte Jener doch gehen, wenn's ihm nicht recht war …

Inzwischen war Hassemann definitiv zum Director der Fabrik bestallt worden. Es hatte sich natürlich nicht die Spur einer letztwilligen Verfügung vorgefunden. Goldegg mit seinen dreiundvierzig Jahren hatte noch gar nicht an den Tod gedacht – er wollte ja erst zu leben anfangen. Uebrigens hatte er keine nahen Verwandten, seine Wittwe war unbestrittene Erbin seines Nachlasses. Eine Gesammtschätzung ergab ein Vermögen von nahezu einer Million. Kein Zweifel, die schöne, junge Frau war eine begehrenswerthe Partie, ein wahrer Treffer für einen Mitgiftjäger.

Etwa dreiviertel Jahr waren seit jenem Spätsommertage vergangen, der sie so plötzlich zur Wittwe gemacht hatte. Ein langer Winter lag dazwischen, den Kamilla in tiefer Trauer und Zurückgezogenheit verlebte. Sie stand wirklich allein auf der Welt, ihre Eltern waren todt – nur Fräulein Rose, die angejährte »Stütze«, leistete ihr Gesellschaft. Und das war gut so, denn Fräulein Rose war, trotz ihrer fünfzig Jahre, eigentlich eine lustige Person. Schon im Hause von Kamillas früh verwittwetem Vater hatte sie eine Rolle gespielt, seit man sie dem jungen Mädchen als Duenna beigegeben. Zwar, ihre Lustigkeit war ein wenig forcirt – sie hatte ja wenig Grund zur Heiterkeit: häßlich, alt und arm, wie sie war. Aber es lebte eine naive Daseinsfreude in ihr. Sie betreute mit ebensoviel Hingebung den Gemüsegarten, wie ihre reiche Sammlung von Kakteen; sie war besonders empfänglich für den Kleinreiz der Natur. Ein schönes Moosfleckchen, eine lebhaft gefärbte Raupe konnten sie in Extase versetzen. Daneben nahm sie ihrer jungen Herrin die Lasten der Haushaltung ab und fühlte sich bedankt genug, wenn Kamilla sie »Tantchen« nannte.

»Nicht mehr Trübsal blasen!«

So hatte Tantchen damals gerathen, als der Professor Littolf, Kamillas Vater, gestorben und ein Jahr darüber hingegangen war. »Nicht mehr Trübsal blasen«, so wagte sie auch heute schon zu sagen, wo sich rings die Natur wieder verjüngte, wo sie auf Schritt und Tritt neues Leben wieder erwachen sah. Ganz allmählich begann sie, zuerst die Bilder und Skizzen Kamillas, dann ihre Maler-Requisiten, den Feldstuhl, den großen Schirm wieder hervorzusuchen; sie wartete nur eine günstige Gelegenheit ab, um die junge Frau wieder hinauszulocken in den lachenden Lenz.

Hassemann war jetzt unumschränkter Herr der Fabrik. Der wohlwollende, ermunternde Ton, der früher die Arbeit so sehr gefördert, der sie leicht und fast erfreulich gemacht hatte für Jedermann, war nun völlig geschwunden. Der neue Chef bewährte sich als Muster von Fleiß und Energie, aber er hielt unerbittlich auf strenge Zucht. »Kein Wort zuviel!« lautete die Devise, die er über seinem Schreibtisch hatte anbringen lassen.

An Fleiß und Hingabe ließ es auch Paul Basler nicht fehlen. Er war nicht der Mann danach, nur so nach dem Wanderstabe zu greifen. Was hier geschaffen und erreicht worden, das war zu einem schönen Theile sein Werk, und daran hing er, wie ein ganzer Träumer. Er wollte die Azo-Färbeversuche zu Ende führen. Waren sie endgültig geglückt, dann würde man ihm sein Recht nicht streitig machen. Hielt ihn doch noch ein Anderes hier zurück – eine Herzenssache, die er noch viel weniger leichten Kaufes preisgeben oder auch nur gefährden wollte.

Zum Herbst sollten die ersten Waarenmuster in den neuen Farben hinausgeschickt werden. Bis dahin schien Alles seinen geordneten Gang gehen zu wollen.

Paul Basler harrte aus, mit einer Geduld, die Hassemann unbegreiflich erscheinen mußte, wenn er sich nicht sagte: der Mensch liebt Frau Goldegg und hofft auf ihren Besitz. Nur des Trauerjahres wegen wagte er sich nicht heran.

Es war ein Tag wie jeder andere, als Hassemann bei dem gewöhnlichen Vormittagsrapport ganz nebenher bemerkte: »Auch wäre es Zeit, unser neues Färbeverfahren patentiren zu lassen. Da Herr Goldegg todt ist, muß das auf den Namen seiner Erben geschehen, gnädige Frau. Wenn Sie gestatten, werde ich mich mit unserm Rechtsanwalt, Herrn Doctor Müllhardt, in Verbindung setzen.«

Während Kamilla sonst auf derlei Mittheilungen mit einem gleichgiltigen »Gut, Gut!« zu antworten pflegte, wurde sie diesmal aufmerksam. Vielleicht stieg in ihr eine Erinnerung an jene Scene mit Paul Basler auf. Lebhafter als seit langer Zeit sagte sie:

»Ich bitte Sie aber dringend, mit Paul Basler zuvor abzurechnen, ihn angemessen zu entschädigen.«

»Gewiß, das werde ich besorgen! Wenn ich nur auf Ihre Zustimmung in der Patent-Angelegenheit rechnen darf – es wird nöthig sein, daß Sie das Gesuch persönlich unterschreiben.«

»Gut, Herr Hassemann! Ich werde seiner Zeit unterschreiben.«

Sie sagte es bestimmter, als er's von ihr gewohnt war …

So ganz einfach lag die Sache nicht!

Nun, zunächst ließ er sich einmal Herrn Basler kommen.

»Frau Goldegg läßt Ihnen sagen,« begann er trocken, »daß sie bereit sei, Ihnen für Ihre besonderen Mühewaltungen im Dienste des Herrn Goldegg eine Entschädigung zu zahlen. Ueber die Höhe können Sie sich mit mir verständigen.«

Paul Basler fuhr zusammen, als habe Jemand die Hand gegen ihn erhoben. Da war es nun also doch, was er durch seinen Fleiß, durch seine vertrauensvolle Hingabe abzuwenden gehofft hatte! Man wollte ihn abfinden, wie einen Tagelöhner, um ihm dann womöglich die Thüre zu weisen. Sein Innerstes empörte sich gegen diesen Vertrauensbruch.

»Ich nehme keine sogenannte Entschädigung an,« antwortete er finster, »ich bestehe auf meinem Rechte!«

Achselzuckend entließ ihn der Director. Auch er hatte den Conflict kommen sehen. Da war nichts zu machen, als die Patentanmeldung zu beschleunigen. Nachher würde man mit dem Namen schon fertig werden. Er eilte zu seiner Herrin, um ihr in entsprechend verschärfter Fassung den Bescheid des chemischen Assistenten zu überbringen. Aber hier erwartete seiner eine verblüffende Wendung. Er fand Kamilla inmitten umfassender Reisezurüstungen. Sie hatte sich über Nacht entschlossen, während der Sommermonate zu reisen. Schon für heute Nachmittag war der Wagen bestellt.

Hassemann war außer sich vor Bestürzung. Für seine Auffassung war die Patentangelegenheit eine Frage von einschneidendster Wichtigkeit, eine Sache, die man nicht so zwischen Thür und Angel abmachen konnte. Noch lag nicht einmal das zur Unterzeichnung fertige Schriftstück vor – die Auseinandersetzung mit Paul Basler war in weite Ferne gerückt. Die unklare Situation und mit ihr dieser hochmüthige Bursche, dieser Basler, blieben ihm auf dem Halse! Und Kamilla entrann ihm – nicht nur für den Augenblick, nein, in's Nebelhafte, in's Unfaßbare! Sie konnte, ja sie mußte eine andere Liebe finden – wer weiß, wohin das führte.

Sein deutlicher Schreck rührte die stolze, junge Frau.

»Aber Hassemann,« begütigte sie, »Sie brauchen mich ja nicht!«

»In der That, gnädige Frau,« stammelte er, »Sie sehen mich ganz fassungslos … Ich war so glücklich, so glücklich durch das Vertrauen, dass Sie mir zu schenken schienen! Und nun fällt mir solch eine plötzliche, ungeahnte Entschließung auf den Kopf …«

Seine Befürchtungen wuchsen von Minute zu Minute. Erst, da er darüber sprach, ward es ihm klar – gewiß, sie hatte schon irgend ein Interesse, am Ende gar Paul Basler, der ihr im Kopf steckte.

Und nun verlor er völlig die Besinnung und mit nur mühselig verhaltener Leidenschaft stieß er hervor:

»Ich hatte gehofft, daß Sie mir mehr vertrauen würden …«

Mit ihrer stolzen Sicherheit nahm sie jetzt das Wort.

»Sie hofften,« sagte sie kühl überlegen, »daß ich hier so sitzen bleiben würde und zusehen, wie Sie, wenn auch noch so trefflich, regieren? Das, mein lieber Hassemann, das war thöricht von Ihnen! Ich will offen sein – so offen, wie nie zuvor: Ich habe meinen Mann geliebt und habe ihn ehrlich betrauert. Aber es war doch nur eine edlere Versorgungsheirath, wenn man sich die Dinge ganz ehrlich ansieht. Ich hatte nur zu lange gewählt; die Tochter des gefeierten Göttinger Professors mochte eben nicht Jedem folgen. Aber ich suchte und zweifelte so lange, bis ich endlich froh sein mußte, hier in den Hafen einzulaufen. Das war eine milde Strafe. Aber – abgeschlossen ist mein Leben damit nicht!«

»Gott bewahre!« mischte sich hier die kräftige Stimme Tantchens ein. Fräulein Rosa kannte, was ihren Verkehr mit Kamilla betraf, keine Etiquette. Besonders in der Aufregung des Packens, wo sie ab und zu ging, bald mit einer Schachtel, mit einem Packet, mit einer kleinen Batterie von Parfumflaschen. »Gott bewahre!« wiederholte sie, »das fehlte noch! Abgeschlossen! Es wird nicht mehr Trübsal geblasen!«

Hassemann hätte die fidele alte Jungfer am liebsten in's Pfefferland gewünscht! Natürlich – sie brauchten nicht mehr Trübsal blasen! Aber er?

Kamilla hatte sich gar nicht durch die Zwischenrufe ihrer garde-dame unterbrechen lassen.

»Freilich,« beschloß sie ihre Erklärungen, »nur einer echten, großen Liebe würde ich mich jetzt ergeben wollen, einem Manne, der mich nicht um des Geldes Willen begehrt. Wenn mir das nicht gelingt, dann verzichte ich … Einstweilen aber, lieber Hassemann, sind Sie mir unentbehrlich. Nur weil ich Sie habe, weil ich Ihnen unbedingt vertrauen darf, kann ich meinen Träumen nachjagen. Sind Sie nun zufrieden?«

Er betheuerte seine Hingebung, aber es klang etwas conventionell.

»Wissen wir ja,« sagte Tantchen. »Glauben wir ja!«

Und am selben Abend noch reiste Kamilla ab.

Nun, wenn es wirklich nur Träume waren, so würde sie ja wohl von diesen geheilt werden. Mochte sie die »echte, große Liebe« suchen! Die findet man nicht so leicht.

Hassemann hoffte, wenn auch für den Augenblick die Aussichten nicht eben vielversprechend waren. Aber auch er wollte nicht Trübsal blasen.


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