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Noch näher kommen wir – der Braune Falke senkt sich tiefer, die Dämmernacht der Antarktis wird zum Flammenbad der Fackel des Südpols, Einzelheiten sehen wir, erkennen die Segel des Dreimasters, zum Teil zerfetzt, im Winde flatternd, rot bestrahlt die Fetzen wie Feuerzungen ...: ein Bild, das nur der Zeichenstift eines Künstlers wiedergeben wird, ein unvergeßlicher Anblick, sich einfressend ins Hirn wie Brandnarben.

Noch tiefer schwebt der treue Falke ...

Kreist gehorsam um das tote Schiff, das vom Eise nur halb begraben ward.

Zweimal umkreisen wir den Eisvogel – nichts regt sich an Deck, aber in den Schanzen von Schnee bemerke ich geschaufelte Pfade, sehe die freie Treppe in die Heckräume, noch überragt von einem Bretterdach.

Ganz niedrig fliegen wir, so niedrig, daß wir jedes Gesicht dort unten erkennen würden ...

Mita lehnt an meiner Schulter, weit vorgeneigt – späht, sucht ...

»... Wenn auch sie tot wären ...!« – und ich höre die Enttäuschung dieser leisen Worte und wünsche, daß dem so wäre, daß nichts mehr lebte hier in dem Flammenlicht der Riesenfackel.

Finger krallen sich in meinen Arm ...

»Olaf – – Olaf, sie ... leben!« Die Stimme schrillt jetzt ...

Auf der Treppe des Hecks zwei Gestalten, tief vermummt ...

Zwei, die zu uns emporstieren, die winken, rufen ... zwei, Mann und Weib, Arm in Arm, toll vor Freude, toll vor Hoffnung!

Arme Irre, verblendete Mörder – – das eine Fenster reißt Mita auf, beugt sich hinaus ... reißt die Pelzkappe herab, ihr Kupferhaar weht, und die da unten werden Stein, reglose Gestalten des Entsetzens ...

»Malcolm«, schrillt Mitas Stimme, »die Rache naht ..! Malcolm, dein Weib warfst du in die See einer Dirne wegen ...«

Sie hören es nicht, denn der Falke hat in kurzem Bogen den Bug erreicht, und die vereisten Segel versperren Auge und Schall den Weg.

Weiter kreist der Adler der Rache, naht wieder dem Heck – es ist leer ...

Jählings umfliegen uns Splitter geborstenen Glases – man feuert auf uns – Taito heult auf – durch den Boden fuhr ein Geschoß, streift ihm die Schnauze ...

Ich lasse im Nu den Falken steigen – wir sind Flüchtlinge, fliegen gen Himmel, und in der Tiefe auf den rosigen Eisfeldern hasten zwei Menschen dem Berge und der Riesenfackel zu – – fliehen ebenfalls, zwei, Mann und Weib, verbrecherisches Paar, das hier in der Eiswüste auf Rettung harrte und von den Freuden träumte, die ihnen die Millionen Doktor Vandermars bescheren könnten ... könnten, wenn ein Retter käme ...

Retter?!

Rächer!! – Nur das! Sie haben es verdient, daß sie jetzt schuldbeladen vor der vom Tode wieder Auferstandenen dahineilen zum schwarzen rissigen Bergmassiv, von dessen Hängen Schnee und Eis längst wegschmolzen durch die ungeheure Hitze der Fackel des Südpols ...

Hoffen sie nun dort in den dunklen Klüften des harten Granitständers der flammenden Fackel irgendwie, irgendwo auf leichtes Entkommen?! Soll der brennende Gipfel des Berges sie schützen?! – Niemals! Das, was sie Mita angetan, soll Vergeltung finden, aber nicht hier, nicht durch unsere Hände ... Wir werden sie fangen, mitnehmen, in Australien, in Melbourne den Behörden ausliefern.

Durch das zerschossene linke Auge des Falken streicht die Eisluft der Antarktis. Aber ich habe bereits gewendet, bin tiefer gegangen, wir fliegen der Riesenfackel entgegen, und wir spüren den warmen Hauch dieser gewaltigen Feuersbrunst, die dort in der schwarzen Bergkuppe wütet und ihre Flammenzungen zum Firmament emporsendet.

Die Flüchtlinge sind verschwunden ... Ein Trümmerfeld von Eiszacken umgibt den Fuß der dunklen Höhe, und in diesem Labyrinth von geborstenen Gletschern, von Schneehalden und Eisschluchten suchte das elende, gewissenlose Paar vor dem Adler der Vergeltung zwecklosen Schutz.

Denke ich ...

Und irre mich abermals ...

Sie tauchen wieder auf, sie erklettern die eisfreien Hänge, sie erreichen eine breite Steinterrasse, in deren Rückwand ein Loch gähnt ...

Kisten, Fässer, stehen dort umher ...

Ich ahne, daß die Höhle dort trocken und warm ist, geheizt durch die Glut des brennenden Berges ...

Ich muß den Falken herumreißen, denn Malcolms Arme heben die Büchse ...

Wieder ein paar Kugeln ... wieder flüchten wir gen Norden, kehren zurück, sehen abermals die hellbeschienene Felsterrasse – dort nach Osten zu sehe ich glatte Schneeflächen, eine breite, ebene Tenne, den Landungsplatz. Ich bin dieses Spieles überdrüssig, ich werde ...

Werde – – will?! Nur Menschenpläne.

Die Natur greift ein ...

Der brennende Berg, gefüllt mit kochender Glut, sucht ein neues Ventil ...

Mita schreit gellend auf ...

Mir stockt der Herzschlag ...

Aus dem Grotteneingang dort schießt eine Stichflamme hervor, glühende Lohe eines Flammenwerfers der Zyklopen – – und fegt die beiden hinweg, wirbelt sie wie armselige Papierknäuel durch die Luft, schleudert hinter ihnen drein Fässer, Kisten, Steine – – wirft all das aus fünfzig Meter Höhe zwischen die Eisklüfte – – in Sekunden.

Aber Sekunden, die auch uns den Rest geben.

Der Luftstoß dieser gewaltigen Explosion, der das unheimliche Krachen zusammenbrechender Bergmassen folgt, so daß die Riesenfackel ebenfalls für Sekunden zu erlöschen droht, dann jedoch in alter Stärke wieder emporfährt und rote Gluthelle von neuem über die Polarlandschaft verbreitet – dieser Luftstoß trifft auf den Falken, er bäumt sich hoch, die eine Schwinge löst sich, der Falke, todwund, überkugelt sich, sinkt, fällt, prallt auf – und aus dem Trümmerhaufen reiße ich mit letzter Kraft Mita ins Freie, dann Taito, schleudere sie auf die Schneewand, sehe sie im Pulverschnee abwärtsrutschen, höre in den Trümmern den dumpfen Knall hochgehenden Benzins, rutsche selbst hinterdrein, bin in eine Wolke von Schnee gehüllt, bremse mit den Füßen, kralle mich fest ...

Und erblicke dann vier Meter unter mir den Eisschlund, erblicke nichts anderes mehr als die Fackel des Südpols, den lodernden Falken, in dem das brennende Benzin allerletzte Zerstörungsarbeit verrichtet, krieche bis zum Rande der Kluft, starre hinab in die blinkende Finsternis, schreie, rufe – niemand antwortet.

Mita und Taito liegen dort im eisigen Grabe.

Und ich bin allein ...

So allein, wie selten ...

Stunden sind über alledem verstrichen.

Ich sitze in der warmen Kajüte des Dreimasters, und müde gleitet die Feder über das Papier ...

Ich muß mich ablenken.

Der Wahnsinn greift mit dürren Armen nach mir in dieser Welt von Eis und Schnee und vollkommener Leere ...

Deshalb schreibe ich.

Ich habe die verbrannten Leichen Malcolms und Thoras vorhin gefunden und in eine Spalte versenkt und Schnee darüber geschaufelt.

Abermals habe ich vor dem Eisschlund gekniet, in den Mita und Taito stürzten, und habe gerufen und gefleht und schließlich eine Leine mit einer Laterne hinabgelassen ...

Der Schlund gibt nichts mehr her. In seinen Tiefen rauscht es drohend – vielleicht ein Gletscherbach, warmes Wasser, das sich, vom brennenden Berge erwärmt, durch die Eismassen hindurchgefressen hat.

Ich bin dann auch wie im Traum den Berg hinangestiegen – so weit, bis mir die Hitze der flammenden Fackel Halt gebot – und die Dünste, deren Geruch ich kenne.

Ich weiß nun, daß in diesem Berge ein Kohlenflöz in Brand geraten ist, daß es kein Vulkan ist, der diese Fackel des Südpols speist. Nur Steinkohlen und deren Gase – also eine Gasfabrik der Natur, der Antarktis, wo kein Vierfüßler, kein Eskimo, kein flinker Eisfuchs die Einöde der Schneefelder belebt.

Ich weiß auch, daß ich hier mein Leben beschließen werde, wenn nicht ein Zufall mir Gelegenheit zur Rückkehr in frohere Länder bietet.

Ich werde von Robbenfleisch und Tran und Schmelzwasser leben – und schließlich wird doch einmal die Stunde kommen, wo der Irrsinn mich überwältigt, weil kein Mensch den Gedanken zu ertragen vermag, nie mehr andere Menschen und grüne Bäume und grüne Matten und blühende Blumen zu Gesicht zu bekommen ...

... Ich spiele mit dem Gedanken, ob es nicht am besten sei, nochmals die tiefe Kluft aufzusuchen und am Rande zu knien und eine kalte Pistolenmündung an die Stirn zu drücken und ... Schluß zu machen.

Ich spiele mit der Feigheit, fühle ich, weil meine Nerven versagen ...

Ist es ein Wunder?!

Ich wollte Mita und Taito retten, ich schleuderte sie in den Abgrund ... gerade ich! Ich bürdete mir diese Last der völligen Einsamkeit inmitten der Leere ewigen Eises auf ...

Wenn Mita noch lebte, wenn Taito noch lebte ...!!

Und dann entfällt mir die Feder, die einst Vandermars Finger hielten, wenn er die Eintragungen im Schiffstagebuch machte. Ich habe es überflogen. Das letzte schrieb Malcolm, und seine Dirne schrieb darunter frech, höhnend:

 

»Wir sind dem Skorbut entgangen, weil wir rechtzeitig die Konserven verbargen und heimlich Gemüsekost aßen ... Wir lieben uns.«

 

Also deshalb überlebten die beiden das große Sterben – – und starben dann als Flammenbündel.

Die Feder entfiel mir ...

Ich horchte ...

Draußen im Gang zwischen den Kabinen ein Schleifen und Tappen, Stöhnen, Winseln ...

Ich springe empor, reiße die Tür auf ...

»Taito!!«

Packe ihn, drücke ihn an mich ...

»Taito, du lebst?!«

Nun, mit dem Leben war es schlecht bestellt, aber nach zwei Stunden wedelte er bereits und blinzelte mich an und ... winselte ...

»Taito, noch immer Schmerzen?!«

Er kriecht zur Tür ...

Jäh wie der Blitz leuchtet da andere Hoffnung in mir auf ... Ich wickle Taito in Decken, nehme Taue mit, Laternen, zwei Bootshaken ...

Draußen empfängt uns der rote Schein der Fackel des Südpols ...

Fackel der Hoffnung!

Sie trog nicht.

Jetzt liegt Mita dort drüben und schläft ...

Wir haben sie herausgeholt aus dem Schlund, wir werden sie gesund pflegen, und die Antarktis wird vielleicht Dauerbewohner erhalten und ein Geschlecht kraftvoller Menschen, die in dieser weißen Wildnis ihre Heimat sehen und denen die lodernde Fackel des schwarzen Berges ein Symbol ist:

Glaube, Hoffnung, Stärke!

Vielleicht wird das alles so werden ...

Vielleicht erobern wir uns auch den Weg zurück zu sonnigen Gefilden.

Mein Weg war ja nie die gebahnte Straße des Alltags ...

Ich will den Weg zu bahnen versuchen ...

Ich will – – und ich werde!

 

* * *


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