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... Formosa?! – Wer kennt es?! – Wenige. – Die Japaner allerdings. Die fügten es 1895 nach dem siegreichen Kriege mit China ihrem Inselreiche zu. Viel Freude hat ihnen diese Eroberung nicht gebracht: blutige Kämpfe mit den Ureinwohnern, zumeist sehr kriegerischen Nachkommen der eingewanderten malaiischen Seeräuber. – Ein Fehlgriff war auch die Einführung des Kampfermonopols, das einen starken Rückgang der europäischen Handelsniederlassungen an den Küstenstrichen zur Folge hatte.

Im übrigen: eine 380 Kilometer lange und 120 Kilometer breite Insel an der Ostküste Chinas, von China durch die Fukienstraße getrennt – für die Japaner und Chinesen stets »Taiwan«, nicht Formosa –, nur schmaler bewohnbarer Küstenstreifen, im Innern Gebirge bis zu 4400 Meter Höhe – drei Gebirgsketten durchziehen dieses Taiwan, das durch Fieberluft, Regengüsse, Erdbeben, schwere Gewitter und kopfjagende braune Wilde berüchtigt ist. – Einwohnerzahl rund drei Millionen, davon eine halbe Million im schwer zugänglichen Innern (zwischen den drei Gebirgsketten) noch völlig selbständig und erst in letzter Zeit durch vorgeschobene Polizeiposten angeblich zur Kopfsteuer herangezogen.

Das mag genügen. Für mich. Vielleicht auch für andere. Ich weiß es nicht. Ob meine Tagebücher den Weg ostwärts in eine europäische Druckerei gefunden haben – mag sein. Schwieriger, nein, unmöglich wäre es einem Verleger, mir das Honorar zuzustellen. Die Gegenden, die ich besuchte, besitzen keine Postanstalten, und meine »Anschrift« wechselt zu häufig. Sie lautete vor Jahren: Zuchthaus Sowieso bei G. in Schweden – sie lautet heute:

 

Formosa, an den westlichen Abhängen der Taito-Gebirgskette, achtzig Kilometer vom Mount Morrison nach Süden zu, fünfzig Kilometer westlich der Polizeistation Bab Mandu, in Mr. MacLoow Barnys Unterschlupf.

 

Ob ein Oberpostschaffner oder gar ein Postminister damit etwas anzufangen wüßte, bezweifle ich ...

»Na, was sagst du nun, Olaf?!« meinte Freund Mac, als wir die steinige Waldlichtung erreicht hatten und er dann nochmals wiederholte:

»Dies ist eine meiner Notbehausungen – ich besitze davon im ganzen Mitteldistrikt verteilt so etwa ein Dutzend.«

Ich schaute, spähte, schaute mir die Augen aus – ich konnte beim besten Willen nichts weiter bemerken als einen dünnen Bach, der sich über die kahle, felsige Lichtung bescheiden hinwegschlängelte, und mitten in der Lichtung einen einzelnen jener riesigen Kampferbäume, die als Patriarchen der Urwälder ihre himmelhohen Kronen auf dem soliden Fundament eines Stammes von gut vier Meter Durchmesser emporrecken und die sämtlich im Kampf mit den Gewittern ihre ehrenvollen Narben in Gestalt von breiten Rindenfurchen davongetragen haben – – Blitznarben.

Wir standen mit unseren Rucksäcken etwa zehn Meter vor dem Baume – müde, in Schweiß gebadet. Und wir standen in der grellen Sonne, kein Vergnügen! Aber Mac schien gerade dies großen Spaß zu machen. Ihm tat die Sonne nichts, mir auch nicht viel, ich war an Hitze gewöhnt, nur der betäubende Duft dieses Urwaldgiganten bereitete mir fast Übelkeit.

Mac lachte. »Nun gib mal acht, Olaf ...! Du wirst noch überraschter sein!«

Er stieß einen gellenden Pfiff aus, der etwa dem schrillen Schrei eines Raubvogels glich. Daraufhin geschah folgendes: in Mannshöhe des Dryobalanoys, auch Flügeleiche oder Kampferölbaum, klappte ein viereckiges Stück der rissigen Rinde herab, und in dem Guckfenster erschien ein braunes, schmales, kühnes Gesicht, das dann sofort wieder verschwand.

»Tikku ist auf dem Posten«, lobte Mac schmunzelnd. »Tikku ist nämlich mein ... na, sagen wir Hausverwalter, ein reinblütiger Lamsi, und die haben noch das meiste malaiische Blut in den Adern.«

Das wußte ich längst. Dazu war ich doch schon lange genug auf Formosa.

»... Jetzt wird Tikku die Tür öffnen, und dann ...« – aber diese Erklärung Macs entsprach leider nicht den Tatsachen.

Ein anderes Gesicht tauchte hinter dem Klappfenster auf, zugleich ein Büchsenlauf, und Jazintos olivengrüne Gaunervisage nebst zugehörigem Nasenverband verriet eine geradezu diabolische Freude über den wohlgelungenen Streich.

»Werft eure Schießprügel weg!« sagte er patzig. »Ihr Tikku, lieber Mac, ist ein unedler Dummkopf ... – Weg mit den Büchsen!! Oder ...«

Mac schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Jazinto, du leierst hier ein Sprüchlein ab, das dir nicht recht liegt ... Wirklich nicht ...! Du magst ja so schlau gewesen sein, stets hinter uns zu bleiben und erst hier, wo du meinen Schlupfwinkel vermutetest, uns vorauszueilen. Du hast auch Tikku überwältigt und gezwungen, sich am Fenster zu zeigen. Alles sehr schön ... Nur die Rechnung stimmt nicht ganz, Jazinto. Ich habe nämlich zwei mir sehr ergebene Lamsi-Leute in meiner Behausung, und der andere, Jazinto, hockt dort auf jenem Ast und wartet nur auf mein Zeichen, dir eine Kugel durch dein Hirn zu blasen – – das ist es! Schau nur bitte mal nach oben, schräg rechts ... so – siehst du ...«

Nein, Jazinto sah gar nichts, konnte auch nichts sehen, denn es gab keinen zweiten Hausverwalter, es gab nur einen gewissen meterlangen Hund mit unglaublicher Gelenkigkeit, der auf den Namen Taito hörte und der jetzt sehr programmäßig auf meinen leisen Befehl wie ein Blitz vorschnellte und sich in elegantem Sprung an Jazintos Brust verbiß.

Der mexikanische Mischling brüllte wie am Spieß ... Half ihm wenig, denn Taito hielt fest, und Mac war genau so flink ... Die Rindentür befand sich auf der anderen Seite, er rannte hin, es war meines Erachtens eine verkehrte Taktik, mit Jazinto konnten wir schneller einig werden, und ich besorgte das sehr gründlich, indem ich den üblen Burschen samt dem an seiner Brust hängenden Taito einfach durch das Fenster ins Freie zog.

Der Hund hatte den Olivgrünen ziemlich übel zugerichtet. Ein Wunder war es, daß diese freche Spottgeburt von fragwürdigsten Blutmischungen überhaupt noch lebte. Hätte Taito auch nur einige Zentimeter höher zugepackt, wäre Signor Jazinto sämtlicher irdischer Sorgen für immer überhoben gewesen.

»Taito – loslassen!!«

Gut gesagt. – Taito hatte den Verlust des linken Ohres ebensowenig vergessen wie den zweiten Hieb mit dem Jagdmesser über seinen narbenreichen Schädel. Er ließ nicht los. Er hatte sich da in ein paar Hautfalten verbissen, und erst ein gehöriger Jagdhieb brachte meinen vierbeinigen Freund wieder zur Vernunft.

Jazinto lag blutend und nach Luft schnappend am Boden. Der Verband war von seiner Nase herabgeglitten – Signor Jazinto hätte unter diesen Umständen Mitleid verdient, wenn nicht sein minderwertiger Charakter derartige Empfindungen sofort im Keime erstickt hätte.

Er setzte sich aufrecht – ich traute meinen Ohren nicht, als er in demütigstem Tone hervorwinselte, das alles sei ja nur ein Spaß gewesen, er hätte uns nur abschrecken wollen – – und was so des unsinnigen Geredes noch mehr war.

Dabei spürte ich den heimlichen Haß und die wütendste Rachsucht in seinen schwarzen glühenden Augen so deutlich, als ob er mir unverhohlen seine wahren Gefühle ins Gesicht gebrüllt hätte. Das wäre ehrlich gewesen, das hätte ich ihm verziehen, aber diese widerliche Scheinheiligkeit empörte mich derart, daß ich den Burschen mit einem Fußtritt halb in den Bach beförderte ...

»Da, wasch dir deine Schrammen aus! Und wenn du den Versuch machst zu entfliehen, werden wir dir hier irgendwo ein genügend großes Loch schaufeln!«

Jammerlappen, wie er so im Wasser hockte und mit den tadellosen Raubtierzähnen knirschte und doch nicht wagte, nochmals das Maul zum Geifern zu öffnen!

Ich wandte mich weg.

Und – – vor mir stand Elsie Bellegard, dicht vor mir, an eine der leistenförmigen Außenwurzeln des Baumgiganten gelehnt, mit einer halberhobenen Pistole spielend, um den Mund ein rätselvolles Lächeln.

Also so lagen die Dinge!! Nicht nur Signor Jazinto war uns gefolgt, auch die Bellegards hatten sich an diesem Gewaltmarsch beteiligt, um uns hier abfangen zu können. Schade, daß meine Büchse zehn Schritt hinter mir im Geröll lag!!

»Nicht wahr, ein unverhofftes Wiedersehen!« meinte Elsie unmerklich schadenfroh. »Sie werden uns eben so leicht nicht los, Mr. Abelsen. Mein Vater fand es auch etwas übereilt von Ihnen, auf ein Wagnis einzugehen, das Ihnen Kopf und Kragen kosten kann – so sagt man ja wohl in mild umschriebener Form.«

»Ja – das sagt man« – – und Elsie Bellegard, getäuscht durch meine lässige Haltung, war peinlichst überrascht, als ich ihre Pistole sehr unsanft durch einen Fausthieb hoch in die Luft beförderte.

»Oh – – Sie sind kein Gentleman!« rief sie, als ich genau so rücksichtslos ihr auch das Messer und die zweite Pistole abnahm, wobei es sich nicht vermeiden ließ, daß unsere Körper in innigste, aber hier sehr unerwünschte Berührung gerieten.

Sie war wieder genau so blaß geworden wie heute früh, als der brave Mac ihr so kräftig die Leviten gelesen hatte. Schade, es hatte nicht viel geholfen, wie dieser neue Zwischenfall zeigte, und daß ich unter diesen Umständen zu energischen Erziehungsmethoden griff, konnte mir niemand verargen.

»Ihre Hände, Miß – – bitte!«

Mein Lasso bekam angenehme Verwendung.

Daß er einmal so zarte feine Handgelenke umspannen würde, hatte er sich wohl nicht träumen lassen, und daß er jetzt dieses reizende, kühne, fragwürdige blonde Mädel an einer Luftwurzel festhielt, mochte dem guten sechssträhnigen Riemen ungeahntes Erlebnis sein.

»Verhalten Sie sich still!« befahl ich eindeutig grob, holte rasch meine Winchesterbüchse und bedeutete dem klugen Taito, bei Elsie Wächter zu spielen.

Taito nahm die Sache nicht recht ernst, oder aber sein Instinkt für gut und böse versagte, denn er wedelte Elsie freundlich an, richtete sich an ihr hoch und erhielt als Dank ein süßes Lächeln und ein paar weiche Koseworte.

Damals zweifelte ich allen Ernstes an Taitos gesunder Urteilsfähigkeit.

Oder – war es bei mir ein anderes Gefühl?! Waren in mir doch Zweifel aufgestiegen, ob Elsie Bellegard hier nur eine undurchsichtige, trotzdem im Kern einwandfreie Rolle spielte?!

Ich umschritt den Kampferriesen, fand die Rindentür offen und daneben auf einem flachen, hohlen Stein, der halb mit Wasser gefüllt war, den riesigen Schwarzen sitzen, dem es gar nichts ausmachte, daß seine Englisch-Lederhose hinterwärts stark durchfeuchtet wurde.

Dieser Wumbo – Lord Bellegard hatte ihn genau wie den Musterknaben Jazinto erst in der Hafenstadt Anping angeworben – grinste mich vergnügt an und sagte achselzuckend:

»Mr. Abelsen, ich sein neutral, ich mich halten stets zu stärkerer Partei ...« – ein Ausspruch, der mir anderswo und unter anderen Umständen zweifellos ein ehrliches Lachen entlockt hätte. Jedenfalls war Wumbo ein Pfiffikus, der tadellos im Betriebe eines Kulturstaates abgeschnitten hätte.

»Wo ist Mac?« fragte ich, trotzdem etwas argwöhnisch.

Aus dem Halbdunkel des hohlen Baumes kam die beruhigende Antwort, daß Freund Mac soeben Seine Lordschaft wieder ins Bewußtsein zurückzurufen versuche.

»Olaf, meine Faust scheint für eine reinblütige englische Schläfe zu hart zu sein«, erklärte der gebürtige Schotte des weiteren mit seinem grimmigen Humor. »Bist du mit denen da draußen fertig? – Dann schneide mal meinen braven Tikku los, den sie hier wie einen Hammel auf kleiner Weide angeseilt haben.«

Man konnte wirklich nicht behaupten, daß diese Baumwohnung am Überfluß an Licht litt. Das hatte seine guten Gründe, denn so ein uralter, knorriger Kampferbaum der Gattung »Flügeleiche« wird von den Kampfersuchern meist wenig sachgemäß und sehr rücksichtslos behandelt.

Was Kampfer ist, weiß jeder. Mottenpulver, Kampferspritzen – – bekannt! Weniger bekannt, schätze ich, wie dieses Produkt gewonnen wird. Mich hat erst Freund Mac hierüber aufgeklärt. Zunächst gibt es zwei grundverschiedene Arten der Kampferbäume. Die eine, zur Gattung der sogenannten Laurazeen gehörig, ist mäßig hoch, gleicht einer Linde, bildet große Wälder in Ostasien, besonders auf Formosa, und liefert den »echten« Kampfer, indem man diesen auf chemischem Wege dem zerkleinerten Holze entzieht. Diese Art Kampferbaum ist derart mit Kampfer durchsetzt, daß selbst die feinsten Wurzeln, Blätter, Blüten, Rinde und jungen Triebe sehr scharf riechen und schmecken. Das Holz liefert außerdem wegen seiner Härte und feinen Maserung das Material für kostbare Möbel, denen für alle Zeit ein feiner Kampferduft anhaftet. – Ganz anders der sogenannte ostindische, der unechte Kampferbaum, der bis zu fünfzig Meter hoch wird, Flügeleiche genannt wird, weil der Stamm breite, leistenartige Wurzelansätze hat, und dem man durch Anbohren ähnlich wie bei Birken einen harzigen Saft entzieht, dessen chemische Bestandteile in der Hauptsache das Borneoöl, ferner Harz und schließlich Kampfer sind. Bei alten Stämmen tritt nun die merkwürdige Erscheinung ein, daß gerade der Kampfer sich inmitten des Holzes in Hohlräumen in Klumpen ablagert, so daß Kampfersucher einen solchen Baumgreis kunstgerecht mit Axt und Beil aushöhlen müssen, um diese Kampferstücke zu finden. Sie gehen dabei (Regierungsvorschrift!) so zu Werke, daß der Baum, obwohl innen ausgeplündert und hohl, nicht absterben kann, lassen also die Rinde und die Außenschicht unberührt. Ein solches Suchen nach Kampferstücken wäre nun außerordentlich mühsam, wenn das Holz etwa die Härte des »echten« Kampferbaumes besäße. Dies ist nicht der Fall. Im Gegenteil, je älter eine solche Flügeleiche ist, desto weicher, mürber wird ihr Kern. Nur Rinde und Außenring behalten ihre Härte und Tragfähigkeit. Trotzdem geschieht es häufig, daß derart ausgeplünderte Riesenstämme bei einem Gewittersturm umknicken und dann beim Sturz eine Menge anderer Bäume mit umreißen. – Ein weiterer Unterschied dieser Giganten zu den bescheideneren, aber häufiger zu findenden »echten« Camphoreen besteht darin, daß das Holz der »Flügeleiche« nur ganz schwach nach Kampfer riecht und nur die weißen Blüten sehr aufdringlich duften.

Unser Kampferriese hier stand nun gerade in vollster Blüte. Deshalb auch der scharfe Geruch, der mir so unangenehm gewesen war und der es mir, so glaubte ich zunächst, unmöglich machen würde, in dieser Baumhöhle auch nur eine Nacht zuzubringen. – Grober Irrtum: die Blüten duften nur bei Sonnenbestrahlung und schließen sich wieder, sobald auch nur der Himmel mit leichtem Gewölk bedeckt ist. Mithin verschwindet der Kampfergeruch nachts fast vollkommen.

Und nun das Innere unseres Baumes. Meine Schätzung auf vier Meter Durchmesser war zu bescheiden gewesen. Der Riese hatte gut fünf Meter, und die Höhlung im Innern war so geräumig, daß Freund Mac als praktischer Hausherr im Innern noch eine Art Hängeboden eingerichtet hatte.

Vor der Tür hing innen ein feines, enges Flechtwerk als Schutz gegen die Moskitos und war unten durch eine Holzstange beschwert, nahm jedoch sehr viel Licht weg, zumal in zwanzig Meter Umkreis um den Stamm ohnedies Schatten herrschte. – Ich schob den Vorhang beiseite, trat ein – er fiel hinter mir wieder zu, und erst nach einigem Bemühen unterschied ich dann auf dem lehmgestampften Boden ein paar Gestalten, befreite den mir sofort sehr sympathischen Tikku von seinen Stricken und half hierauf Freund Mac, den Lord ins Freie zu tragen.

Wer den kleinen dürren Mac und den fast athletischen Lord so nebeneinander sah, hätte nie im Leben geglaubt, daß MacLoow Barnys Faust diesen kräftigen Mann fällen könnte. Aber der Schotte war nichts als Knochen, Muskeln und Sehnen, an diesem mageren Körper gab es kein halb Pfund überflüssiges Fleisch. Nie lernte ich einen Menschen kennen, der über derartige Kräfte, über so gesunde Organe und über solche Zähigkeit verfügte. Selbst die Vorliebe für Reisschnaps konnte diesem Muskelgerüst nichts anhaben.

Der Lord kam zu sich. Als er die Augen aufschlug, fiel sein erster Blick auf Elsie. Sein braunes Gesicht wurde dunkler vor Zorn. Im Nu war er auf den Beinen – aber er taumelte, mußte sich gegen den Stamm stützen, und diese Pause brachte ihn wieder zur Vernunft.

Mac stand sehr hundeschnäuzig daneben und drehte sich eine Zigarre, der Lamsi Tikku, ein Prachtkerl von Kopfjäger mit wunderbar ebenmäßigen Gliedern und sehr intelligenten Zügen, hatte derweil den Signor Jazinto herbeigeholt und gleichfalls gefesselt.

Bellegard sah sein Spiel abermals verloren. Er wandte sich mir zu und sagte etwas beschämt: »Mr. Abelsen, ich hätte die Sache anders einleiten sollen ...«

»Scheint so«, nickte ich und nahm ihm kurzer Hand die beiden Pistolen ab, was er auch wortlos duldete.

»Sie mißverstehen mich«, fügte er dann erst leicht gereizten Tones hinzu. »Elsie hätte Ihnen und Mac schon heute früh die Wahrheit sagen sollen.« Er zögerte etwas. »Was Mac Ihnen erzählt hat, ist mir nichts Neues, Mr. Abelsen. Bitte – lesen Sie ...«

Er faßte in die Tasche und reichte mir einen Zeitungsausschnitt der »Little Times«, den ich rasch überflog.

Ich war wirklich erstaunt, hier schon all das gedruckt zu finden, was Mac mir über die Gerüchte von den blonden Fremdlingen inmitten der Sümpfe Formosas mitgeteilt hatte. Natürlich fehlte Macs persönliches Abenteuer jener Nacht, in der man ihn regelrecht hatte aufknüpfen wollen.

Bellegard steckte den Zettel wieder zu sich. »Sie sehen, Abelsen«, meinte er mehr vertraulichen Tones, »daß ich im Auftrage der ›Little Times‹ diese Gerüchte in aller Stille nachprüfen sollte – Sie sehen, daß ich nicht lüge. Nur deshalb hat man mich hier nach Formosa geschickt, Tatsache.«

»Ich glaube Ihnen« – und ich ging zu Elsie, entschuldigte mich und nahm ihr die Fesseln ab, was Taito, diesem treulosen Schürzenjäger, ein sehr reichliches Schweifwedeln entlockte.

Bellegard bat Mac und mich dann beiseite. »Ich möchte nicht, daß Jazinto und Wumbo uns hören«, sagte er leise – was man bei ihm so »leise« nennen konnte. »Ich gebe zu, Mr. Abelsen, daß mein Vorgehen gegen Sie auf der Insel recht brutal erschien. Bedenken Sie aber, daß ich in der Tat trotz meines Titels ein armer Teufel bin und daß mich der Goldrausch gepackt hatte. Ich kannte mich kaum wieder, als wir damals Ihre Freunde belauscht und so erfahren hatten, daß die Insel ungeheure Mengen gediegenen Goldes enthielt. Elsie suchte mich aus diesem Rausch wachzuschütteln – es gelang ihr nicht, erst als Mac auf Sie feuerte, kam ich gleichsam wieder zu mir und erkannte die Ungeheuerlichkeit meines verwerflichen Vorhabens. Ich will mich nicht besser machen, als ich bin – Armut ist mir das Kläglichste, Niederdrückendste, und die Abhängigkeit von Bonzen der ›Little Times‹ dort in London ...«

»Schon gut ...« wehrte ich ab.

Mir lag weit mehr an dem, was Bellegard bisher über die blonden Fremden nicht verraten hatte, und zweifellos war er in diesem Punkte besser eingeweiht als selbst Freund Mac.

Bellegard reichte mir impulsiv die Hand.

»Bitte, tragen Sie mir diese moralische Entgleisung nicht weiter nach ... Wir müssen gemeinsam handeln. Und als unversöhnliche Gegner ist das unmöglich.«

Wir blickten uns lange an, und der Händedruck zwischen uns tilgte dann wirklich alles aus.

»... Also nun zu meinem Auftrag – in aller Kürze«, fuhr der Lord sichtlich erfreut fort. »Meine Zeitung verdankt die Angaben des kurzen Artikels einem Konsulatsbeamten aus der Hafenstadt Kelung. Dieser Herr, ein eifriger Jäger, kam häufiger mit Ihren Kollegen zusammen, lieber Mac. Es mag ein Jahr her sein, als er auf gut Glück mit drei Eingeborenen gleichfalls bis zum Rande der Sümpfe vordrang ...«

Bellegard holte tief Atem ...

»Und – er kehrte allein zurück, mit einer Kugel im Schenkelfleisch, mehr tot als lebendig. Sein Onkel ist nun einer der Mitinhaber des Zeitungskonzerns, und ihm schrieb er seine Erlebnisse auf – ihm allein: seine Begleiter waren nachts aus dem Lager verschwunden – er selbst erhielt in derselben Nacht eine Kugel von oben und fand morgens seine drei braunen Gefährten ... erdrosselt vor ... erwürgt durch eine Schlinge.«

Mac nickte ernst. »Kenne ich – nur daß in meinem Falle der Mann mit dem Smaragd dran glauben mußte ...«

»Oh, Sie kennen nicht alles«, erklärte Bellegard immer erregter. »Denn jener Konsulatsbeamte hatte ein vorzügliches Fernrohr bei sich, hatte einen sehr hohen Baum erklettert und bei Tage jenseits des Sumpfgürtels deutlich einige Holzhütten mit rauchenden Schornsteinen und einen weit größeren langgestreckten Schuppen erkannt, bei Beginn der Dunkelheit dann auch mehrere Lampen von sehr starker Leuchtkraft ... – Auch ich neige deshalb der Ansicht zu, daß dort Edelsteine in großen Mengen geschürft werden und daß die Leute über ein Flugzeug oder Luftschiff verfügen und ihre Steine heimlich nach der Küste schaffen, wo sie irgendwo an einsamer Stelle einen Vermittler sitzen haben, der ...«

Macs verächtliches Grinsen verschlug ihm die Rede.

»Also – nur der Edelsteine wegen wollen Sie Ihre Haut zu Markte tragen«, meinte er achselzuckend und spie den Stummel seiner Giftnudel ins Gras. »Nein, Mylord – da mache ich nicht mit! Wenn Ihr sogenannter Konzern dort billige Fische fangen möchte – seine Sache!! Mich treibt anderes dorthin, ganz anderes – dreißig Jahre liegen hinter mir, dreißig Jahre, in denen ich wie ein Wilder gelebt habe und meine schottische Heimat nie wiedersah und nur ein paar wirklich glückliche Jahre kennenlernte.« Eine dunkle Wolke von Trauer glitt über sein Gesicht, das lediglich durch diesen furchtbaren ungepflegten Riesenbart und die rötliche Haarmähne verunstaltet wurde. »Was wissen Sie von mir, Lord Bellegard – – nichts!! In Schottland gibts ungezählte MacBarnys, die einen sitzen auf Pachthöfen, die anderen sind Fischer, ein paar andere hausen als Uradel auf uralten Schlössern. Suchen Sie sich da heraus, aus welchen dieser Nester ich da hervorgekrochen bin! Das eine sage ich Ihnen: Es war kein schlechtes! Aber der Teufel saß meinen Vätern im Blute, der Jähzorn war erblich, und ... daß ich ihn bei mir austilgte, danke ich den endlosen Winternächten in Nordkanada und der grauenhaften Einsamkeit. – Nicht wahr, Sie fragen sich nun im stillen: Was soll das alles?! – Oh, das soll schon etwas, das sollte nur der Vorspruch sein für dies. – Auch ich hatte damals ein Fernglas mit, auch ich erblickte so manches jenseits des Sumpfringes, über dem die Stechmücken wie Wolken schwebten! Auch ich möchte von dort aus dem Reiche der blonden Fremden etwas holen, aber keine Edelsteine, kein Gold, sondern das, was mein war, was mir höchstes Glück bedeutete, was Inhalt meines Daseins gewesen und mir ... entschwand, weil ich ein selbstsüchtiger Narr war! – Blicken Sie mich nicht so zweifelnd an, Lord Bellegard ...! Ihnen mag ich als halb vertierter Instinktmensch erschienen sein – Sie sind bei Gott kein Menschenkenner –, Abelsen liest besser in fremden Zügen, in euren Großstädten werdet ihr blind, nur die freie Natur macht sehend und schärft die Augen und stählt den Leib und die Seele. Die meine ging nie in die Irre, ich bin mir selbst nie untreu geworden – und heute schäme ich mich fast meines schäbigen, verwilderten Äußeren ... – Genug davon! Jedenfalls – wir, Lord Bellegard, können nicht Halbpart machen ...! Halbpart sagte ich zu Abelsen, und er verstand mich nicht und konnte mich auch nicht verstehen. Jetzt weiß er mehr als heute morgen. Der Rest aber bleibt mein, bis ich Gewißheit habe. – Nachmittags brechen Olaf, Tikku und ich von hier auf ... Was Sie tun – Ihre Sache! Und das ist mein letztes Wort.«

Er wollte davongehen. Bellegard packte seinen Arm. »Mac, noch einen Augenblick ...«

»Was soll das?!« knurrte der Schotte unwirsch. »Gemeinschaft zwischen uns?! – Niemals!!«

»Vielleicht doch«, sagte Bellegard besänftigend. »Wenn ich Ihnen nun mein Wort gäbe, daß ich lediglich als Forscher mit in jene unbekannte Wildnis eindringen will?! Würde Ihnen das nicht genügen?! – Mac, ich will sogar noch einen Schritt weiter gehen und Sie bitten: Nehmen Sie uns mit! Ich darf nicht ohne positive Ergebnisse von dieser Expedition zur Küste zurückkehren. Die Zeitung hat ein kleines Kapital drangesetzt, mich hierher zu schicken, und ich wäre ein Lump, wollte ich lediglich den Vergnügungsreisenden spielen ...«

Der Leopardenjäger zauderte. Seine scharfen Augen ruhten durchdringend auf Bellegards männlich-kraftvollen Zügen.

»Gut denn«, entschied er kurz. »Aber das merken Sie sich: Ich bestimme, was geschieht, ich allein, und der, der da etwa nach funkelnden Steinen greift, falls wir Glück haben und hinkommen, der ist geliefert! Ich schieße nie vorbei, Abelsen auch wohl nicht, und mein brauner Tikku legt Sie mit seinem Bogen und seinen vergifteten Pfeilen selbst auf achtzig Meter glatt um. – Tikku – hallo« – er winkte dem schlanken Burschen, den ich vielleicht auf dreißig Jahre schätzte.

Der Lamsi hatte bisher wie eine Statue regungslos an einer der hohen Wurzelleisten gelehnt. Vielleicht kam das vollendete Ebenmaß seiner Glieder – er trug nur ein braunes, schmales Hüfttuch, Sandalen und einen Hüftgurt mit Messer und veraltetem klobigem Revolver – gerade in dieser Ruhelage des Körpers und in dieser Entspannung der scharf abgezeichneten Muskelwülste so vorteilhaft zur Geltung.

Er hatte uns drei still beobachtet – das war mir nicht entgangen –, er hatte die ruhelosen schwarzen starren Augen all dieser Bergvölker des Innern von Formosa, fast unheimliche Augen mit kaltem durchbohrendem Blick – er besaß auch jenen ungewohnt hochmütigen Zug in dem schmalen, prägnanten Gesicht, der gleichfalls so vielen kriegerischen Naturvölkern eigen ist. Ich denke da nur an die Somals, die Somali, wie man fälschlich sagt, an viele indische Völker auch. Von den vier Hauptstämmen Formosas, den Pegohoans, Lamsihoans, Lekhoans und Chihoans, stellen die Lamsis zweifellos den reinblütigsten malaiischen Typ dar. Nach ihnen die Lekhoans, sie sind stark mit chinesischem Blute vermischt und haben daher auch die üblen Eigenheiten Chinas mit übernommen: Verlogenheit, ungeheure Gleichgültigkeit gegenüber dem Gemeinschaftsgedanken und kriecherische Unterwürfigkeit, gepaart mit raffiniertester Heuchelei. Anderseits: die Genügsamkeit der Chinesen, ihr nicht anzuzweifelnder persönlicher Mut, der bis zu unbegreiflicher Todesverachtung geht, dazu die unbegrenzte Heimatliebe und Verehrung der Vorfahren – das sind wieder Buchungen auf der Plusseite, die vieles wettmachen.

Tikku kam.

Langsam, federnden Schrittes, den Kopf mit dem straffen, gescheitelten, durch Muschelketten verzierten Haar leicht zurückgeworfen – ein Prachtkerl ...!

Ich ahnte in der Minute nicht, daß Tikku mir einst sehr, sehr nahestehen würde, fast so nahe, so teuer meinem Herzen wie der unvergeßliche Coy.

Er stand vor uns. Mac nickte ihm zu.

»Tikku, nachmittags brechen wir auf«, sagte Mac sehr selbstverständlich. »Besorge bis dahin noch Wild ... Wir werden bei dem bevorstehenden Eilmarsch kaum Zeit finden für die Jagd.«

Der Lamsi hob die rechte Hand und deutete ringsum auf die Randbüsche der Lichtung.

»Tuwan Mac«, erwiderte er und kniff die harten Augen klein, »es war nicht gut, daß am Biba Schoni geschossen wurde ... Der Urwald ist voller Feinde. Die Chis sind über die Berge gekommen, und ...«

Taitos jähes helles Blaffen ließ uns nach dem Hunde hinüberblicken, der sich von seiner neuen Freundin Elsie getrennt hatte und auf einen gestürzten Kampferbaum am Nordrande zugelaufen war.

»Hinwerfen!« schrillte Macs warnende Stimme. »Hinwerfen – die verdammten Chis wollen ...«

Ein leiser Aufschrei folgte – ein qualvolles Ächzen ...

In MacLoow Barnys Brust steckte ein meterlanger gefiederter Pfeil.

Andere Pfeile flogen über uns hinweg ... Schüsse knallten ... Selbst Wumbo gab sein fragwürdiges Prinzip schlauer Neutralität auf ...

Der Angriff wurde abgeschlagen.

Aber MacBarny starb im Innern des Kampferbaumes eine halbe Stunde darauf in meinen Armen. Nur Tikku und Taito waren noch zugegen.

Was Mac mir mit erlöschender Stimme als heiliges Vermächtnis anvertraute, war die beklagenswerte Tragödie eines Vaters, der sein einziges Kind suchte ...

 

* * *

 


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