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... Die Sonne scheint ... Vier Stunden Schlaf haben mir genügt. Ich bin leise aufgestanden und an das Fenster der Wellblechbaracke getreten.

Wellblech?! – Nein, Aluminiumblech ist es, von derselben Stärke wie das zum Bau des Braunen Falken benutzte, geliefert von einer Firma in Schanghai, sagte mir John Burr.

Vor mir liegt das Wiesental des Smaragdlandes, des unseligen Landes, das in der verflossenen Nacht acht Menschen im Feuer fraß.

Von den zwölf Finnländern, die vor drei Jahren die Heimat verließen, um im fernen Osten, hier auf Formosa, die von Professor Burr vermuteten Mineralschätze zu heben und die dann – ein Zufall – auf diese Insel im Sumpfgürtel gerieten und die ersten Smaragde offen im Rinnsal eines Baches umherliegen sahen –, von diesem Dutzend kühner wilder Abenteurer lebten nur noch drei, und einer ist darunter, den Elsie liebt.

Ich blicke über das ausgedehnte Tal hin und staune erneut den Riesenleib des Braunen Falken an, der dort drüben im Grase, phantastisches Vogeluntier, zu sitzen scheint: auch des Professors Erzeugnis – auch dem Hirn dieses genialen Mannes entsprungen, der hier die kleine Kolonie in aller Stille zur technischen Werkstatt höchster Vollkommenheit ausbaute.

Ich weiß nun alles über diese Kolonie, über ihre geheimen Geschäftsverbindungen, über ihre vertrauten Mittelsmänner in den Hafenstädten, über die Konstruktion des Schwingenfliegers, über den glücklichen Zufall der Errettung Mita Malcolms aus den Wogen des Ozeans beim ersten längeren Probeflug des Braunen Falken.

Alles weiß ich. Mir hat man nichts verheimlicht, auch Mita nicht ... Und Mita ist glücklich. Sie hatte nie geglaubt, daß in des alten Sven Burrs mächtiger Brust und kühlem Hirn auch das Fünkchen »Mitgefühl« Nahrung finden könnte.

Es war so. Es war längst beschlossen, Mitas Gatten und damit auch der Besatzung des Dreimasters »Eisvogel« im südlichen Polargebiet Hilfe zu bringen, nachdem man hier die kaum verständlichen Morsezeichen des Senders der von Eis und Schnee eingeschlossenen kanadischen Expedition des Doktors Vandermar aufgefangen hatte. Das war vor drei Monaten gewesen.

Sven Burr hatte nur noch gewartet, bis die Edelsteinmiene nichts mehr zu Tage förderte. Deshalb auch der mir unverständliche Inhalt des Gesprächs an der Kampferbaumhütte, deshalb der Inhalt des Zettels ...

Auch das war nun geklärt. – Mita Malcolm war hoffnungsfreudig. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten wir Formosa schon heute verlassen. Wenn es nach Elsie gegangen wäre, hätte sie John Burr schon heute geheiratet. Richtige Liebesleute kennen kein Abwarten.

Liebesleute ...

Woher kommt es, daß sich da plötzlich auch in mein Herz die Weichheit der Sehnsucht einschleicht?! Woher kommt es, daß ich plötzlich an ein fernes Grab denke, das die Ebbe auftauchen läßt und das die Flut wieder verschlingt?!

Und ... Ingrid?! Auch ein Weib, das meinen Weg kreuzte und das sich an mich schmiegte und das mir versprach: Ich komme wieder! – Ingrid wird kommen, und dann wird sie auf der höchsten Kuppe der Wand der Goßli, die gekentert ist, jene Blechbüchse und den Zettel finden – einen Abschiedsgruß! Vielleicht wird Ingrid ein paar Tränen vergießen und ... mich doch verstehen: Ein Löwe im Käfig bleibt stets ein gefangener Löwe, mag er noch so prächtig anzuschauen sein!

Hinter mir reckt sich Taito, knurrt sanft und mahnt mich, daß selbst er, freies Geschöpf der Wildnis, mein Hund nur aus Dankbarkeit, die frische Luft stets der Enge dieses Stübchens der Baracke vorzieht.

Ich stecke die Pistolen zu mir, und ganz leise schleichen wir hinaus und begegnen dem Massai-Neger Wumbo, der bereits draußen etwas aufgeräumt hat. Vieles war zu begraben, was der Erde angehörte: Zu Staub sollst du werden, der du aus Staub geboren bist.

»Jazinto habe ich drüben verscharrt ...« erklärt der Schwarze gleichmütig. »Die verbrannten Leichen und die Leichenteile ruhen dort ...« – er zeigt stolz auf einen hohen Steinhügel, auf dem ein Holzkreuz steht aus rauchgeschwärzten Balken.

»Wer half dir?« Allein kann er das alles nicht geschafft haben.

»Mylord«, erwidert er achselzuckend und beißt ein frisches Stück Kautabak ab.

»Und wo steckt der?!« Ich bin noch immer argwöhnisch. Bellegard scheint sehr wenig geschlafen zu haben.

»Er sitzt mit Mr. Burr im Braunen Falken« – und Wumbo grinst und zeigt die mächtigen Hauer.

Der neutrale Wumbo, glaube ich, freut sich über die Versöhnung der Parteien.

Ich auch.

Langsam wandere ich dem Schwingenflieger zu. Rumpf und Kopf sind mit Ölfarbe fast künstlerisch gestrichen. Die Imitation des Federkleides ist ebenso gut gelungen wie bei den Schwingen, deren große Schwungfedern durch leichte Brettchen nachgeahmt sind, und ein Stück eines solchen abgesplitterten Brettchens habe ich in der Hand gehabt – früher einmal – – bei dem Kampferbaum.

Ich als Fachmann stehe abermals staunend vor diesem genialen Werk von Menschenhand. Täuschender hat wohl kein Konstrukteur jemals die Vogelform eines Flugzeuges gewahrt, genialer ist nie die Frage gelöst worden, ob eine Maschine, die schwerer als die Luft ist, mehr durch Propellerantrieb oder durch »Flügelschlag« leistet.

Sven Burr war ein Genie.

Wie alle großen Geister kannte er keine Hemmungen. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, für sein Vaterland Millionen zu erringen – er errang und starb unter den schmierigen Händen eines schmierigen Mischlings.

Ich betrachte den Braunen Falken, den Geisteradler ...

Vorn die »Brusttür« steht offen ... Die Augen glänzen im Sonnenlicht ... Es sind die Fenster für den Führer. Und vorn, ganz vorn im Hakenschnabel ragt unmerklich eine blanke Stahlwelle hervor mit zwei Schrauben. – Auch daran hat der Professor gedacht: ein kleiner Propeller ist rasch befestigt, und John Burr versicherte mir, daß der Falke dann seine 180 Kilometer spielend schafft. – Ich glaube es ...

Ich weiß auch, daß man diesen Propeller zum Abflug von glatten Flächen braucht, nachher jedoch entfernen kann – von geneigten Flächen erhebt der Falke sich ohne diese Nachhilfe nach kurzem Anlauf.

Die zur »Brusttür« führende Leiter ist herabgeklappt, und ich steige die Sprossen empor. In der geräumigen Kabine sitzen Mansfield Bellegard und John Burr und Freund Tikku, der Häuptlingssohn eines verfetteten Lamsi-Vaters.

Durch die Seitenfenster aus gewölbtem Glase, das gleichfalls Farbstriche zeigt und nur wenig Licht durchläßt, jedoch immerhin Ausblick gestattet, fällt ein verirrter Sonnenstrahl auf Lord Bellegards frischrasiertes, müdes Gesicht.

Ich begrüße die drei und strecke auch ihm die Hand hin. Er ist befangen, schuldbewußt, und als John Burr davon redet, daß wir mittags zu dreien nach dem geheimen Benzindepot an der Westküste fliegen wollen, um genügend Brennstoff für die lange Fahrt gen Süden zu haben, meint der Lord bitter:

»Nehmt mich nur mit ... Es ist besser so. Ich traue mir selbst nicht mehr ...«

Burr, der blonde Erbe des Smaragdlandes, zerstreut Bellegards feige Gedanken mit einem braven Lächeln.

»... Sie sind jetzt mein, Schwiegervater, Mylord, und wir gehören zusammen ... – Nein, Sie bleiben besser hier, nur Frau Malcolm und Abelsen und Tikku begleiten mich ... So war es doch abgemacht.« Seine Hand sucht die Bellegards, und der stämmige Recke mit dem fragwürdigen, schwachen Charakter bekommt feuchte Augen.

»... Abelsen muß es lernen, den Falken zu steuern«, fährt John rasch fort. »Er wird es lernen. Der Falke liegt so sicher in der Luft, wie ein lebender Adler im Äther schwebt ...«

Das weiß ich, denn das sah ich.

Wir sprechen noch über dieses und jenes – John Burr wird mit seinen beiden Landsleuten und den beiden Bellegards und Wumbo heute abend den Marsch zur Küste antreten, und wir anderen drei werden zur selben Stunde den abenteuerlichen Flug in das Polarland beginnen. – Es gibt noch vieles zu erörtern ... Sollten wir Thomas Malcolm finden (was ich bezweifele), oder sollten wir ihn nicht finden und irgendwo Brennstoff erneuern müssen, soll der Falke nur nachts in der Nähe bewohnter Orte landen ...

»... Die Konstruktionspläne meines Vaters sind mit verbrannt«, betont John nochmals. »Ich vertraue Ihnen sehr viel an, Mr. Abelsen, wenn ich Ihnen den Falken überlasse. Er hat nicht seinesgleichen.«

Wir beugten uns über die Seekarten und neueste, allerneueste Karten des Südpolargebietes, die Sven Burr aus Tokio beschaffte.

»... Sie sehen hier den Antarktischen Kontinent«, erläutert John eifrig und tippt mit einem Bleistift auf eine bestimmte Stelle. »Dies hier ist der große Eiswall, der der Südostküste vorgelagert ist – – dies etwa der Punkt, wo der ›Eisvogel‹ in genau südlicher Linie von Neuseeland und nordwestlich von Tasmanien im Packeise liegt und nicht mehr freikommt, wenn die Angaben des Funkspruches richtig sind ...«

Antarktis!!

Wer weiß etwas darüber?! – Ich schaue die Karte mit den Blicken des Neulings an ...

Ich bin erstaunt, daß zum Beispiel die äußerste Spitze von Südamerika, Kap Hoorn, nur durch die verhältnismäßig enge Drake-Straße von den südlichen Shetland-Inseln, den weitesten Ausläufern der Antarktis, getrennt ist. Ich bin noch erstaunter über Johns Kenntnisse, was die Südpolargebiete betrifft. Namen umrauschen mein Ohr, die einen großen Klang besitzen, berühmte Forscher: Roß, Scott, v. Drygalski – viele andere noch. – Sie alle versuchten den Pol zu erreichen, keinem gelang es, keinem ... Der Südpol ist störrischer als sein Freund im Norden, der sich wenigstens durch Flugzeuge überfliegen ließ ...

John redete sich förmlich in Begeisterung hinein ...

»... Hier also, unweit des Reynold-Berges, der auf tausend Meter Höhe geschätzt wurde, soll die Große Eisbarriere im Südwesten einige freie, offene Stellen haben, hier scheint Doktor Vandermar mit dem ›Eisvogel‹ in den inneren Packeisgürtel eingedrungen zu sein ...«

Er kramt in Papieren und sucht ein Blatt heraus.

»Ein Glück, daß diese Karten und Notizen meines Vaters sich hier im Falken befanden ...! – Dies ist die Funkdepesche, die wir auffingen – verstümmelt – mein Vater hat sie zu ergänzen versucht ... Hören Sie genau hin, denn Sie wissen noch nicht alles, ich habe die Hauptsache vor Frau Malcolm verschwiegen ...«

Selbst der am wenigsten interessierte Lamsi, der bisher wohl kaum eine rechte Vorstellung vom Südpol oder Nordpol gehabt hatte, blickte den stattlichen, braven John erwartungsvoll an.

 

»Hier Motordreimaster Eisvogel, Expeditionsschiff der Kanadischen Südpolexpedition unter Leitung Doktor Vandermars. – Sender wieder notdürftig repariert. Liegen im Packeis hinter Großer Eisbarriere etwa fünf Meilen nordwestlich von Reynold-Berg, Wilkes-Land. Lebensmittel, insbesondere Hülsenfrüchte, verbraucht. Schlittenhunde an Seuche eingegangen. Keine Möglichkeit zur Rückkehr. Erbitten Hilfe durch Flugzeuge. Berg brennt, Feuer frißt weiter. Besatzung bis auf vier Leute an Skorbut tot. Hilfe eilt. Können höchstens noch vier Monate durchhalten. – Doktor Lincoln Vandermar.«

 

Nachdem wir eine Weile hin und her geraten hatten, was der Satz »Berg brennt« bedeuten könnte, erbat ich mir von John die verstümmelte Originaldepesche aus. – Professor Burrs Ergänzungen waren zweifellos richtig oder kamen doch zumindest der Wahrheit sehr nahe.

Bellegard, der als Reporter auch über die Ergebnisse der jüngsten Südpolarforschungen genau unterrichtet war, betonte wiederholt, daß die vorjährige Expedition seines Landsmannes Sir Burton, die doch mit zwei Wasserflugzeugen ausgestattet gewesen, ebenfalls an der Großen Eisbarriere entlanggefahren sei, jedoch nichts von dem Dreimaster entdeckt habe, den man für längst verloren halte, nachdem auch andere englische und kanadische Hilfsexpeditionen ergebnislos hätten umkehren müssen.

»Anderseits«, schloß er mit allem Nachdruck und mit einer warmen Teilnahme, die ihn mir wieder sympathischer machten, »halte ich diese Radiodepesche niemals für eine grobe Mystifikation. Ich bin wie Sie, lieber John, überzeugt, daß noch einige Leute vom Eisvogel am Leben sind und daß Ihr Entschluß ...« – er wandte sich mir zu – »ebenso tapfer wie hochherzig ist, Mr. Abelsen. Wenn Sie aus dem Vorratskeller der Kolonie hier sämtliche Konserven mitnehmen, wenn Sie unterwegs die nötigen Fellanzüge aus dem hier noch unversehrten Pelzlager anfertigen und der Braune Falke das leistet, was John ihm zutraut, können Sie den Südwestteil des antarktischen Kontinents meiner Schätzung nach in vier Tagen erreichen.«

Ich nickte nur zustimmend, denn ich war bereits dabei, mir eine flüchtige Skizze der Antarktis für alle Fälle auf einem Stück festen Papiers zu entwerfen.

Die anderen ließen mich dann bei meiner Arbeit allein und bereiteten die Bestattung Professor Burrs vor, der mit aller Feierlichkeit beigesetzt werden sollte.

Ich überflog auch nochmals Professor Burrs Aufzeichnungen und Dispositionen für den schon von ihm geplanten Flug zum »Eisvogel«, fand darin sehr viel Beherzigenswertes und überlegte genau, was wir alles im Falken, der außer uns drei Menschen und Taito noch rund vier bis fünf Zentner zu tragen vermochte, am praktischsten verstauen könnten. Ich notierte jede Kleinigkeit, damit nichts vergessen würde, und riß mich erst von dieser Arbeit los, als Tikku mir meldete, daß alles für das Begräbnis bereit sei.

Ich übergehe hier in meinen Aufzeichnungen diese ernste Feier, will auch nur ganz kurz andeuten, daß unser Flug zu dem Benzindepot an der Westküste bei der Schnelligkeit des Schwingenfliegers kaum vier Stunden in Anspruch nahm, daß ich sehr rasch mit der Steuerung des Falken vertraut wurde und daß wir so viel Brennstoff mitbrachten, daß er unbedingt für mindestens sechs Tage reichen mußte.

Nachmittags sechs Uhr waren wir wieder auf der Smaragdinsel gelandet, nachdem wir beim Rückflug aus großer Höhe mit Ferngläsern auf der Goßli-Insel im Biba-Schoni-See deutlich etwa ein Dutzend Menschen erkannt hatten, darunter zwei Frauen, also ohne Zweifel auch Ingrid, Major Sakomo und Helga.

Mir wurde es doch recht schwer ums Herz, als ich die treuen Gefährten von einst tief unter mir auf dem gekenterten Eiland erblickte, doppelt schwer, weil da all jene poetischen Stunden in mir wieder lebendig wurden, deren stilles Glück »Ingrid« hieß: die Flußfahrt durch die schweigenden Walddome, Ingrids Zärtlichkeiten, so manche freudige Episode – – es war einmal!

Ich mußte all das aus meinem Gedächtnis streichen, ich hatte MacBarny in die erkaltende Hand gelobt, seinem Kinde beizustehen, und seine Mita bangte um das Leben des Gatten und wollte Gewißheit haben.

Das, was Sven Burr ihr verschwiegen (und er tat recht daran, sie zu schonen), war die traurige Tatsache, daß von der ganzen Vandermar-Expedition nur noch vier Leute am Leben. Ob sich Thomas Malcolm mit unter diesen vier Widerstandsfähigen befand, ob inzwischen nicht diese vier noch weiter zusammengeschmolzen waren – wer wußte es! – Ich wollte gleich Mita die Hoffnung nicht aufgeben. Ich war überzeugt, daß wir den Reynold-Berg erreichen würden, denn der Falke hatte sich auf diesem Fluge zur Küste zum Teil inmitten schwerster Gewitterstürme glänzend bewährt. Ich freute mich auf diese Luftreise, das alte Abenteurerblut pochte lebendiger denn je in meinen Adern, und die vielversprechende Aussicht, nun auch einmal Gebiete in der Antarktis, die bestimmt noch keines Menschen Fuß betreten hatte, aus allernächster Nähe kennenzulernen – schließlich doch als Wichtigstes die frohe Genugtuung, einer so prächtigen Frau wie Mita Malcolm helfen zu können, versetzten mich in jene gehobene Stimmung, in der Geist und Körper Doppeltes und Dreifaches leisten.

Alle, alle griffen mit zu, als nun der Falke mit seiner vielfachen Fracht versehen wurde, deren Gewicht genau nach Professor Burrs Angaben verteilt werden mußte.

Daß John uns nicht begleitete, daß John seine Hauptpflicht darin sah, die Edelsteine ihrer uneigennützigen Bestimmung persönlich zuzuführen und auf kürzestem Wege seine ferne Heimat, das Land der tausend Seen, zu erreichen, konnte ihm niemand verargen, zumal auch Elsie Bellegard hierbei als besorgte Braut ein entscheidendes Wort mitzureden hatte.

Mein wackerer Tikku war inzwischen durch die Grotte wieder in die Wälder geeilt und hatte auch glücklich die beiden Reitochsen noch erwischt, die das Gepäck der kleinen Karawane sowie die zarte Elsie, wie schon einmal, tragen sollten. Der umsichtige Lamsi hatte sich gleichzeitig auch im Urwalde nach Fährten der feindlichen Chis umgetan, jedoch nichts Verdächtiges gefunden.

Daß selbst mir nicht der Gedanke kam, der weithin sichtbare Feuerschein des nächtlichen Brandes müsse unbedingt von irgendeiner auf der Jagd befindlichen Abteilung der Wildnisbewohner bemerkt worden sein – daß auch ich nicht daran dachte, die Ausgänge des unterirdischen Höhlenpfades irgendwie zu sichern, mochte wohl daran liegen, daß wir hier auf der Smaragdinsel so vollkommen von anderen Dingen in Anspruch genommen waren.

Diese Unterlassungssünde sollte sich ausgerechnet in dieser Minute bitter rächen.

Um acht Uhr war der Falke startbereit. Der Propeller war befestigt, die Ablaufbahn in Ordnung, und zum letzten Male vereinte uns nun ein reichliches Abendessen in dem größten Raume der Wellblechbaracke.

Kein Festessen war es, im Gegenteil, die Stimmung war recht gedrückt. Es galt ja in kurzem Abschied zu nehmen – vielleicht für immer. Auch Bellegard, der neben mir saß, schien wortkarger als bisher, und das wenige, was er zu mir sprach, betraf zumeist ihn selbst und seine moralischen Verirrungen, die er bitter bereute. Er war ein Hüne mit dem Herzen eines unmündigen, begehrlichen Kindes. Wir hatten uns jetzt völlig ausgesöhnt, nichts trübte mehr diese ernste Stunde ... John Burr hatte vorhin noch schnell mit Elsie das Grab seines Vaters und den zweiten großen Steinhügel mit blühenden Sträuchern bepflanzt, er saß zumeist Hand in Hand mit Elsie da, und er machte kein Hehl daraus, wie schwer es ihm wurde, diese phantastische Insel inmitten der Sümpfe zu verlassen, auf der er volle drei Jahre in harter Arbeit zusammen mit seinem Vater und seinen opferfreudigen Landsleuten zugebracht hatte.

Neger Wumbo spielte bei Tisch den Diener. Seine Kochkunst hatte wieder einmal wahre Triumphe gefeiert, aber zu seiner Enttäuschung wurden die erlesenen Gerichte, hier in der Wildnis fast ein Schlemmermahl, nicht recht gewürdigt.

Wumbo und Freund Tikku waren entschieden die seelisch am wenigsten Beschwerten. Der Lamsi machte sich über die Gefahren und Mühsale des weiten Fluges keinerlei Gedanken. Ihm blieb die Hauptsache, daß er sich nicht von mir zu trennen brauchte. Seine Anhänglichkeit übertraf noch die des Musterhundes Taito, der sich nunmehr, weil seine Freundin Elsie einen besseren Freund gefunden, reuevoll nur noch mir widmete.

Das Wetter war schön geblieben. Weniger schön war der kräftige Wind, der zwischen den Bergketten von Norden her ziemlich kühl entlangblies und vielleicht den Start des Falken behindern konnte. Die untergehende Sonne blinkte rosenrot durch die kleinen Fenster, der Wind säuselte draußen in den Büschen, die Fenster standen offen, und gerade als Bellegard seinen ernsten, herzlichen Trinkspruch auf uns drei Passagiere des Falken und auf einen glücklichen Erfolg ausbrachte und betonte, der Schwingenflieger des Professors würde hoffentlich recht bald wieder bewohnte Gegenden erreichen und dann für Sven Burrs geliebte Heimat eine neue Epoche des Flugzeugbaus bedeuten – in dem Augenblick, als er diesen Satz vollendet hatte, schnellte Mita Malcolm von ihrem Schemel hoch und riß blitzschnell beide Pistolen aus ihrem Gürtel und feuerte über unsere Köpfe hinweg in die eine nahe Buschinsel hinein ...

»Alles niederwerfen – – hinlegen!« – ihre Stimme übertönte noch den blechernen Knall der hastigen Schüsse ...

»Niederwerfen!!« – brüllte auch Bellegard, war mit einem Satz in der Ecke und griff nach seiner Büchse ...

Ein Hagel von Giftpfeilen fegte durch die Fenster über den Tisch hinweg ...

Wumbos feine Hirschkeule, am Spieße gebraten und ebenso fein garniert, erhielt einen Pfeil und kollerte auf den Fußboden. Flaschen stürzten um – Sekunden heilloser Verwirrung folgten ...

Ein Zuruf genügte – Tikku ergriff mit mir den plumpen Tisch an den Füßen, wir kippten ihn um, schoben ihn vor die Fenster, und die ärgste Gefahr war beseitigt.

Aber draußen wimmelte die Lichtung von heulenden, kreischenden, halbnackten Chis, die jedoch schlau genug waren, stets in Deckung zu bleiben.

Es mußten an die hundert sein – wir waren regelrecht umzingelt – wir kamen kaum zum Schuß, und das Ärgste war, daß die braunen Strolche dort drüben auch dem Falken wenig angenehme Beachtung schenkten. Wir hatten die »Brusttür« offen gelassen, auch die Leiter war herabgekippt, bequemer konnten die Kerle es kaum haben!

Ich schielte hinaus. Bei Gott – da schleppten die Halunken schon die Gewehre ins Freie ...! Es kribbelte um den Schwingenflieger wie um einen Ameisenhaufen, unglücklicherweise verdeckten ein paar Felsen das Schußfeld, und die Lage für uns wurde noch heikler, als nun auch ein paar Büchsenkugeln glatt die dünnen Aluminiumwände durchschlugen.

Freund Tikku, der gemütsruhig eine von Lord Bellegards Zigarren köpfte und anzündete, lehnte an der Tür, die in den Flur führte. Auch im Flur hörten wir tappende Schritte, und Mita Malcolm feuerte rücksichtslos dicht an Tikku vorüber durch die Brettertür, Tikku zog nur mißbilligend die Stirn kraus, im Flur aber ertönten ein paar vielsagende Schreie.

Das Übelste blieben natürlich die Giftpfeile. Die geringste Streifwunde bedeutete sicheren Tod, denn die Medizinkästen lagen natürlich draußen beim Falken oder bei dem großen Gepäck, das für den Reitochsen bestimmt war.

Seit dem ersten Pfeilregen waren kaum drei Minuten verflossen. Elsie und John kauerten in der geschützten Ecke auf dem Fußboden, John hatte Elsie zärtlich an sich gedrückt, Wumbo kroch auf den rohen Dielen umher und suchte überflüssigerweise von der Mahlzeit zu retten, was noch zu retten war, wir anderen kauerten hinter der Tischbarrikade und gaben uns die redlichste Mühe, einen Schuß anzubringen ...

Die Stube glich einer Stätte wüsten Gelages. Aber wir alle waren nur zu nüchtern, keiner redete viel, ein geflüstertes Wort dann und wann – – ein Schuß, ein schwirrender Pfeil, neue Kugeln durch die Wände ...: eine klägliche Falle für uns!

Was mich am meisten beunruhigte, war das Schicksal des Braunen Falken. All unsere Pläne wurden zu Wasser, wenn die Chis die Motoren demolierten oder sonstwie den Flieger beschädigten.

Aber gerade aus dieser Sorge um das uns so wertvolle Flugzeug erwuchs auch bei mir ein waghalsiger Plan, bei dem ich mit der abergläubischen Furcht der Chis einerseits, anderseits mit dem kleinen Maschinengewehr des Falken rechnete.

Tikkus dunkle Augen suchten jetzt die meinen, er hatte die Zigarre im Mundwinkel hängen, er sagte nichts, deutete nur nach rückwärts, wo die Baracke sich dicht an die Steilwand lehnte.

Seine Hand beschrieb einen Bogen, der etwa am Standort des Schwingenfliegers endete – dann zuckte er die Achseln, tippte sich auf die Stirn und nickte mir mehrmals energisch zu.

Ich verstand ihn.

Unsere Gedanken waren dieselben gewesen – aber den Plan konnte nur ich ausführen.

Ich füllte die Pistolen mit frischen Ladestreifen, füllte ebenso die zuverlässige Winchester, und wortlos schlüpfte ich in den Flur – die Tür hatte mir Freund Lamsi geöffnet.

Ich sprang zur Außentür, riß sie zu, schob den Riegel vor, und gleich darauf kroch ich zwischen Rückwand der Baracke und Felsabhang durch das Gestrüpp den Brandruinen entgegen, fand den Weg frei, schlängelte mich dicht am Boden weiter und gelangte unbemerkt in die durch Feuer vernichteten Schuppenreste hinein, hatte hier noch bessere Deckung und sah schließlich die glatte Ablaufbahn und den Falken zwanzig Meter vor mir.

Es half nicht – ich durfte hier keine Kugel sparen, und schon nach den ersten neun Schüssen war die räuberische Bande, die zum Glück noch nicht allzu viel aus dem Rumpf des Riesenvogels herausgeschleppt hatte, in langen Sprüngen spurlos in die nächsten Buschinseln verduftet, freilich nicht ohne Verluste – aber viel Kopfschmerzen werden die sieben Chis da nicht mehr gehabt haben.

Ein flinker Galopp brachte mich bis zum Falken – im Nu war ich die Leiter empor – ein Pfeil sauste noch haarscharf an meiner Schulter vorüber, und ein Schuß und ein Fußtritt beförderten auch diesen letzten Burschen aus dem Innenraum ins Freie.

Ich bückte mich – Leiter empor – da fliegt eine schlanke Gestalt mit wehendem Braunhaar über das freie Gelände, gefolgt von einem lustig kläffenden dummen treuen Vierfüßler, der sich der Bezeichnung »Hund« schämen müßte und der mir doch so sehr ans Herz gewachsen ist.

Pfeile schwirren, Kugeln pfeifen – ich reiße Mita nach oben, packe dann Taito beim Genick – – schlage die Metalltür zu – hin zum Schaltbrett, drücke den Hebel, weiß, daß der Falke die Schwingen ausbreitet – ein Dankgebet, der Motor springt an, der zweite auch, der Propeller surrt, pfeift ...

Und draußen ein einziger infernalischer Schrei.

Massenpanik ...

Grauenhafte Angst der Wilden vor dem rollenden Ungetüm, das sich leicht vom Boden hebt ... schwebt ... kreist ...

Massenpanik ...!!

Alles werfen sie von sich, stürzen der Steintreppe zu, drängen sich zu brüllenden Haufen, kollern übereinander ...

Und der Falke kreist – enge Kreise zieht er, bis der letzte verschwunden.

Daß die Brüder nicht wiederkehren, jeden Eid leiste ich darauf!

 

* * *

 


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