Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

... Es gab kein Zaudern, keine Atempause – diese Frau da vor mir, die den Weg über Geröll und Pfützen und schleimige Höhlenmoose in unveränderter Eile fortsetzte, mußte Lungen und Muskeln einer Antilope haben – und mußte außerdem eine Liebe im Herzen bergen, die stärker war als die Mühsal dieser tollen Hatz, den Braunen Falken zu retten.

Was die Natur in den Schlünden der Erde als gangbaren Pfad durch ungangbare Wildnis launenhaft geschaffen, war zumeist eine kaum sechs Meter breite niedere Grotte mit einzelnen umfangreicheren Ausbuchtungen. Feuchtigkeit sickerte über schwarzes Gestein, kleine Rinnsale verschwanden in Löchern, dumpfe feuchte Luft erschwerte das Atmen, der Gestank eines Kellers voller faulender Kartoffeln war hier vielleicht treffendste Bezeichnung. Ganze Pilzfelder von weißen, farblosen Kümmerlingen entsprossen den nassen, verwitterten Stellen – auch an den Wänden zogen sich wie verblaßte Tapetenfetzen die häßlichen Höhlenmoose der Tropen entlang – – keine Grotte, in der Menschen hätten hausen können. Zu dumpf, zu ungesund die Luft, zu widerlich das Bild lichtscheuer Gewächse. Noch nie sah ich derartige Gebilde, noch nie an einer Höhlendecke taudicke bleiche Hängemoose gleich Därmen, die man zum Trocknen über Stangen breitet. Flüchtig erinnerte ich mich der Beschreibung irgendeiner Höhle, die ein Forscher in den Sumpfstrichen Sumatras entdeckt hatte. Ich entsann mich seines Hinweises auf die bisher wenig beachtete Pflanzenwelt solcher Höhlen unter tropischen Morästen, entsann mich, daß diese Grottenlianen, die da wie leblose helle schleimige Schläuche herabwachsen in die Finsternis der ewigen Nacht, reicher an Phosphor sind als faulende Baumstümpfe oder faulige Astlöcher im Morast wurzelnder Weiden.

Es war ein Weg, den ich nie geahnt, nie gekannt, und die Frau vor mir, getrieben von Hoffnung und Liebe, gehetzt von dem Gedanken, der Braune Falke könnte ein wahrscheinlich längst vernichtetes Polarschiff erreichen, stürmte vorüber, hinüber über all diese klägliche Pflanzenbrut, auf der unsere Füße ausglitten und strauchelten wie auf einem Parkett voller Schmierseife.

Mita Malcolm war besessen von dem blinden Eifer einer kritiklosen, unverständigen Hoffnung. Ich rief ihr mehrfach zu, vorsichtiger zu sein ... Ich kam selbst kaum zur Vernunft. Ihr Ungestüm wirkte ansteckend, und die Folgen konnten nicht ausbleiben.

Sie stürzte.

Fünf Schritt vor mir glitt sie aus, die Füße flogen in einem Beet dieser verteufelten schleimigen Pilze zur Seite, krachend sank sie auf die Hüfte, suchte den Fall mit dem linken Arm abzuschwächen, stieß einen schmerzlichen Schrei aus, lag still – die Laterne zerschellte, und um uns her schien mit einem Schlage eine unheimliche Geisterwelt erwacht zu sein, die bisher nur durch das grelle künstliche Licht in Schach gehalten wurde.

Was bis jetzt nur leblose Dinge, gewann Leben und grüngelbe Farbe ...

Was ich bisher für Finsternis der Tiefe hingenommen, erwachte mit seinen häßlichen Einzelheiten zu gespenstischem Dasein.

In der schwachen Zugluft, die durch die Grotte strich, bewegten sich die matt leuchtenden hängenden Gebilde wie die gräßlichsten Riesenpolypen ... Die hohen, bleichen, schimmernden Stengel der fadendünnen Pilze schwankten hin und her – Satans Vorratskeller konnte nicht abschreckender wirken als diese Unmenge unwahrscheinlich glimmender Grottengewächse ...

Das fahle Licht reichte gerade aus, Mita Malcolms schmerzverzerrtes Gesicht zu erkennen.

Ich bückte mich ... hob sie empor, sie stöhnte, sie flüsterte heiser, schuldbewußt: »Ich war eine Närrin ... Mein Fuß ... mein Arm!« – und dann lag sie bewußtlos an meiner Brust.

Ärgeres hätte mir kaum begegnen können. Der Vorwurf unbedachten Handelns traf auch weniger die Frau als mich. Ich hätte diesem sinnlosen Tempo steuern sollen, ich alter erfahrener Globetrotter und Abenteurer hatte mich mit hineinreißen lassen in diese zwecklose, folgenschwere Hatz.

Es half nichts: Weiter!!

Denn hinter mir, das wußte ich, würden nach diesen Explosionen die beiden Wachtposten schneller erscheinen, als es mir lieb sein konnte.

Weiter ...

Mita Malcolm ahnte nicht, was ich von meinen Muskeln und meiner Energie forderte, fordern mußte ...

Ich trabte dahin, die Frau in den Armen – ausgleitend, rutschend, taumelnd –, ich biß die Zähne zusammen, ich brauchte den Weg zum Glück nicht zu suchen in diesem dämonischen Halbdunkel – der Weg, von den Smaragdleuten so oft begangen, war zum erkennbaren Pfade geworden ...

Es gab Strecken, in denen ich nichts sah, in denen die Schwärze lichtloser Räume mich drohend umfing und ich das Fehlen der gespenstischen Gewächse bedauerte. Dann tappte ich vorwärts, Schritt für Schritt, die eine Hand halb vorgestreckt ...

Dann tauchten abermals die fahlen Felder der Pilze und der Tapetenfetzen und der schleimigen Fangschläuche auf.

Ich lief, stolperte, schwitzte ... Schweiß brannte mir in den Augen ... Die Anzeichen von Krämpfen ließen die Beinmuskeln zucken ...

Nur das nicht ...

Nur vorwärts – denn die Luft hier inmitten der Grottenwelt belastete die Brust mit dem Gifte gefährlicher Sumpfgase ... Ein gallenbitterer Geschmack im Munde und die Reizung der Schleimhäute der Nase und Kehle warnten mich. Ich kannte diese drohenden Signale ... Ich hatte mitgearbeitet in jenen Tagen meines anderen Daseins an der Durchbohrung der stolzen Berggiganten für eiserne Schienenstränge der Herdenreisenden – wir waren auch damals bei den gewaltigen Sprengungen auf heimtückische Quellen von Wasser und Gasen gestoßen, wir hatten flüchten müssen vor diesen Gaseinbrüchen und hatten ungewollte Explosionen erlebt.

Ich rannte hier mit meiner leblosen, schweren Last der ohnmächtigen Frau um das bißchen Leben, das mir nichts gilt, das aber für Mita Malcolm immer noch erfüllt war von dem Dreimaster Eisvogel, von eines Doktors Vandermar Südpolexpedition und dem Manne, den sie liebte.

... Ich war auf keine Zeitung abonniert ...

Ich?! Zeitung?! Presse, Neuigkeiten, Sensationen – – gedruckt?! Woher?! – Wenn mir in diesen Jahren des neuen Lebens ein Blatt mit protzigem Titel zufällig in die Hände geraten war, dann entblößte sich vor mir in Druckerschwärze eine mir fremd gewordene Welt ... Ich fand kein Begreifen mehr für die Nöte der Völker, die sich gegenseitig vier Jahre mit Waffen zerfleischt hatten und nach diesen Jahren die tiefen Wunden mit dem habgierigen Geschacher um die Beute vergifteten ... Ich stand über alledem ... Und nun hier fremdes Menschenleid, Frauenherzeleid um den Gatten, aussichtslos vermengt mit dem Wunsche ehrgeiziger Köpfe, selbst den starren Eisgefilden der Erdpole ihre letzten Geheimnisse zu entreißen. Verständnislos schaute ich in dieses Getriebe und selbstherrliche Getue derer, die die ewigen Eis- und Schneewüsten »erobern« wollten. Für wen?! Zu welchem Zweck?! Hofften sie dort auf ein Wunder zu stoßen, etwa auf grünendes Land, auf Land, geeignet für neue Kolonien?! Hatten die grausamen Winternächte der Polargebiete nicht bereits genug Menschen verschlungen? Was nützt es der Menschheit, daß etwa auf den Gletschern, die niemals schmolzen und die die Pole der Erde sein konnten, falls die Magnetnadel nicht trog, Flaggen gehißt würden?! – Müßige Spielerei mit Gefahren, die im Grunde stets dieselben blieben: Kälte, Nacht, Hunger!!

Trotzdem: dem sterbenden Mac, der sein einziges Kind über alles geliebt, hatte ich gelobt, für Mita zu sorgen.

Mitas Hoffnung war die meine.

Da vor mir auf dem felsigen Festland der Kolonie der Finnländer, deren Treiben mir auch ein Rätsel blieb, war vielleicht das einzige Mittel, das uns Gewißheit über den Dreimaster geben konnte: der Braune Falke!

Und das pulverte mich auf, das weckte den großen eisernen Willen zur Tat, den ich zu wecken gelernt hatte!

Durch – – vorwärts!

Und ich trug diese Frau, die mir von einem Sterbenden gleichsam ans Herz gelegt worden, mit stumpfer Verbissenheit Schritt um Schritt dem anderen Ausgang dieses höllischen Weges zu.

Ich lief mit ihr im Arm um das Leben, das sie dem Geliebten widmen wollte, ich war Maschine in ihrem Dienst, ich war Automat von Stahl und Motor – – und ich schaffte es ...

Tageslicht glomm vor mir auf ...

Eine Holztreppe sah ich – – sah schräg empor in das unbekannte Land und sank, von jäher Erschöpfung bezwungen, in hohes, frisches Gras.

Ruhte regungslos, pumpte die Lungen voll Luft – es war die reine, erquickende Luft jener steinigen, felsigen Anhöhen, die ich von dem Baume aus mit dem Fernrohr erspäht hatte. Der Ausgang der Höhle lag im Südteil dieses Höhenzuges.

Dann kam ein Windstoß, stinkender Qualm fegte über uns hin, und ich besann mich auf meine Pflicht, sprang auf die Füße und sah zugleich, daß Mita die Augen öffnete. Sie setzte sich von selbst aufrecht, ihr leerer Blick gewann wieder Leben und Feuer, und vorsichtig ihre Glieder befühlend sagte sie schlicht:

»Ich danke Ihnen, mein Freund ...«

»Und – haben Sie Schmerzen?« fragte ich zerstreut, denn dort nach Norden zu über den Wipfeln niederer Bäume leckten die Flammen in spitzen Zungen hoch, wälzte sich gelblicher Qualm wie träge Dünung auf uns zu.

Mita Malcolm erhob sich zu meinem Erstaunen, schwankte wohl noch ein wenig, tat einige vorsichtige Schritte ...

»Weiter!« meinte sie gepreßt, und ihre Züge verrieten, daß nur der starke Wille den Schmerz meisterte.

Ich stützte sie. Wir klommen die Anhöhe hinan, gelangten auf einen breiten ausgetretenen Pfad, der durch Buschwerk lief, und stiegen in ein weites, felsenumsäumtes Tal hinab, in dem freundliche Baumgruppen mit kahlen Felsgruppen abwechselten. Nur die Mitte des Tales war eine gewellte Grünfläche, und hier, nach Westen zu an eine Steilwand gelehnt, erhoben sich die Baulichkeiten der Kolonie – die brennenden, knisternden, fauchenden Holzschuppen, aus denen Funkenregen gen Himmel stiebten ... aus denen das Krachen und Poltern stürzenden Gebälks und das grelle Zischen dicker Harzadern harzreicher Bretter schaurige Musik erdröhnen ließen.

Mit einem einzigen Blick umfaßte ich das in roten Flammenschein gehüllte Bild der Lichtung ...

Mita stolperte weiter ...

»Dort ... dort ... der Braune Falke ...!!«

Im Moment erkannte ich die Gefahr. Der Schwingenflieger, der auf seinen jetzt herabgeklappten Füßen mit Pneumatikrädern und auf dem Fächerschwanze ruhte, stand mitten zwischen den lohenden Holzbaracken in einer breiten Lücke.

Im Moment war ich durch Hitzewellen und Funkensprühen bei dem riesigen künstlichen Vogel. Die Flügel waren an den Rumpf gedrückt – es blieb mir keine Zeit, Professor Sven Burrs Wunderwerk anzustaunen – ich stemmte mich gegen die Falkenfüße, schob, sog stickige Luft ein, schob ... und der Geisteradler rollte vorwärts – – spielend leicht, nachdem er erst einmal in Fahrt gekommen – – ein letzter Stoß – er war in Sicherheit ...

»Mita, wo sind die drei Gefangenen?« schrie ich durch Rauchwolken der Frau entgegen. »Wo – – Lord Bellegard, der Neger, der Mischling – – wo?!«

Sie deutete seitwärts auf die nackte Felswand.

»Im Stollen, Abelsen – im Stollen ... Dort kann ihnen nichts geschehen ... Dort ist der Zugang ... Aber lassen Sie uns lieber die nördliche einzige Blechbaracke schützen – – dort!«

Ihre Hand wies neue Richtung. Ich sah weder von einem Stollenzugang noch von einer Wellblechbaracke etwas. Ich sah nur jetzt, wo Augen, Gedanken, Sinne mehr zur Ruhe gekommen waren, über die Grassteppe verstreut die schaurigen Zeichen der heftigen Explosion vorhin: Bretter, Balken, Maschinenteile, Körperteile, Fetzen von Kleidern, blutige Schädelknochen mit blondem Haar – dort lag ein Bein, hier eine Hand – dort ein Etwas, das ein menschlicher Rumpf sein konnte, hier ein Etwas, das einst Teil eines Radioempfängers gewesen – dort wieder ein Stück eines Akkumulators.

Das hohe Gras, das von so vielen gewohnten Wegen der Smaragdsucher durchkreuzt wurde, verbarg wohltuend all diese Zeichen der Kraft hochgehender Benzinmengen.

Außer Mita und mir sah ich kein lebendes Geschöpf.

Sie war dorthin gestolpert, wohin ihre Hand zuletzt deutete – eine grüne Wildnis, ein eckiger Hügel von blühenden Schlinggewächsen, der erst aus der Nähe seine Eigenheit als Wohnung verriet. Wellblechbaracke, dicht umrankt – eine Tür, vier Fensterchen ...

Aber Pflanzen und Blüten, von Qualm und Brand bereits vergiftet und halb ermordet, hingen schlaff – Rauchschwaden jagte der leise Wind wie kriechende Gespenster in losen Hüllen gerade dorthin ... Sengende Hitze mit ihnen ...

Und als ich den eisernen Türdrücker berühren wollte, schreckte die unvorsichtige Hand rechtzeitig zurück.

Mita, dicht neben mir, die Augen zugekniffen, das Gesicht mit der Mütze halb bedeckend, zog mich noch weiter nach rechts ...

»Wasser!« flüsterte sie ... »Die Schlauchleitung für das ...«

Ich verstand den Rest nicht.

Da war hinter der Seitenfront ein Rohr im Boden, ein starker Wasserhahn aus Messing daran, ein Schlauchende angeschraubt, der Schlauch zur Schlange sauber gerollt ... Das Strahlrohr war lang und hatte vier Zentimeter lichte Weite, als ich es packte und den Schlauch hinter mir her zog, trieb der Druck des Wassers einer abgefangenen Quelle ihn mit der Stärke der Leibesmuskeln einer Boa constrictor mit mir vorwärts: Mita hatte den Hahn aufgedreht.

Knatternd, zischend schoß das Naß in schimmerndem Strahl gegen die glühenden, brennenden Wände der nächsten hölzernen Hütte ... Noch nie hatte ich mich in der Rolle versucht. Und der Kampf der beiden feindlichen Elemente begann – Feuer wehrte sich gegen Wasser, Wasser besiegte das Feuer, so kräftig kam der Strahl, daß die Bretterwände sich neigten, daß ein Maschinengewehr seine Saat auszuspeien schien ...

Weißer Dampf flog empor, schwarze Trümmer begannen zu triefen, Feuerzungen verkrochen sich ängstlich – ein Spiel, das meinen Eifer anspornte.

Diese Hütte da war abgelöscht, war Ruine ...

Ich selbst troff vor Nässe ... Der Schlauch war undicht ...

Ich selbst war schwarz und naß wie die Ruine – aber die Freude am Sieg überwog, ich hatte gesiegt ... Die Wellblechbaracke, mochte sie auch nur im Innern ausbrennen können, war gerettet.

Ich lenkte meinen Strahl dorthin, mir taten die freundlichen Schlinggewächse leid, und der Sprühregen würde ihnen die Dürre und den Tod vertreiben.

Im Bogen fuhr das Wasser von oben nun rauschend hernieder, mehr Fontäne als Spritze – feine Perlen, leuchtend im feurigen Rot der noch brennenden Schuppen, bestäubten das grüne Haus – vielleicht lächelte ich damals zufrieden über diesen nassen Segen, den ich den Kindern einer üppigen, fröhlichen Flora erteilen durfte.

Wo war Mita?!

Urplötzlich die Frage, auflebend wie ein vorwurfsvolles Erinnern ...

Wo?!

Wie lange war es, daß ich in meinem Eifer sie nicht beachtet?!

Ich wandte den Kopf ...

Umschau halten ...

Nur den Kopf ...

Und starrte in das blondbärtige Gesicht des kleinen Mannes, des kleineren Wächters ...

In das schwarze verhängnisvolle Loch, das Feuer speit ...

Sah noch mehr: den größeren Kerl, der Mita wie ein Bündel zum Falken schleifte ...

»Hände hoch, Abelsen!« sagte der Kleine kalt. »Weg mit dem Strahlrohr – – Hände hoch!«

Meine Augen überflogen seine Unscheinbarkeit.

Ich drehte mich ihm vollends zu, das Strahlrohr sank, meine Hände gehorchten, aber das linke Bein fing das Messingrohr auf, und eine jähe Bewegung bewirkte, daß dieser Wasserstrahl, hart, fest, auf die kurze Entfernung wie ein Knüttel, ihm gegen die Brust klatschte.

Armer Narr – so fängt man mich nicht!

... Er lag dann ganz still, hingemäht durch eine Faust, die er verfluchen würde, wenn er wieder zu sich kam ...

Ganz still ...

Und drüben der lange Schlagetot, der mit Mita MacBarny verfuhr wie mit einem nassen armseligen Sack, schickte sich gerade an, die Frau in das Innere des Vogels zu befördern, hatte die gewölbte Tür an der Brust der gefiederten Falken aufgerissen, eine schmale Leiter herabgeklappt, glaubte wohl, sein Kumpan würde schon mit mir fertig werden.

Wir waren ja auch fertig miteinander. Ich hatte noch keinen gesehen, der vor einer halben Stunde nach meinem Kinnhaken Lust zu weiteren Auseinandersetzungen verspürt hätte.

Aber der Lange da war fix, beängstigend fix, und hockte er erst einmal im Innern des Vogels, konnte ich ihm nachpfeifen – der Geisteradler würde die Fittiche entfalten und ...

... Ein graues Etwas kam da durch das hohe Gras gehüpft wie ein verstümmeltes Känguruh.

Ein Etwas, lang wie ein Sofa, gelb wie Stroh, stichelhaarig wie ein Igel, mit Boxerschnauze, mit langem wehendem Schweif ...

Taito!!

Hurra – Herr Taito!!

Und ...:

»Taito – pack an!!«

Nochmals: »Taito – – faß!!«

Taito schoß vor wie eine Walze – er sah nur ein einziges Opfer für seine Hauer ...

Der Lange hatte das linke Bein noch draußen.

Schade ...

Dieses Bein erhielt Gewicht ...

Wo Taito zupackt, läßt er nicht mehr los, und Taitos Reißzähne können eine Wade sehr ernstlich beschädigen.

Immerhin – etwas aufregend, etwas bedrohlich für meine Musterkollektion von Hunderassen, da der Lange in grimmer Wut seine Pistole jetzt nach unten richtete.

Und ... schoß ...

Nicht traf, denn Mita MacBarny hatte die bewaffnete Hand zur Seite geschlagen.

Taito zerrte, zog – ich rannte hinüber, wollte eingreifen – – nicht nötig mehr – aus dem Grase erhob sich die prachtvolle sehnige Gestalt Freund Tikkus, und der Finnländer verzichtete vorerst auf weitere Einwendungen gegen Tikkus primitive Methode, einen Gegner außer Gefecht zu setzen.

Der Lange hieß übrigens Niels Helsinggam, und sein Schädel hatte eine dicke Beule.

Insoweit war nun alles in Ordnung. Wir waren Herren der Lage, nur nicht Herren der blonden Elsie, die wie ein Wirbelwind herbeifegte und nur nach John Burr fragte und aus ihren Gefühlen gar kein Hehl machte ...

Nur John Burr galt ihr etwas – nur John Burr sollte gesucht werden – nur John Burr sollte leben ... leben ...

Elsie verlangte Unmögliches von mir.

»Olaf, Sie müssen ihn finden, er kann nicht tot sein, so hart ist das Schicksal nicht ...« – und Weinen und Befehlen, Bitten und Flehen und Tränen wechselten wie Aprilwetter.

Um Mita kümmerte Elsie sich nicht.

Mita – für sie nur Halbblut, Halbindianerin, Farbige, Nebenfigur.

Die erhabene Selbstherrlichkeit des englischen Vollblutes, hier Elsie Bellegard genannt, feierte Triumphe.

»Und Ihr Vater, Elsie?!«

Da erst schämte sie sich dieser unerquicklichen Szene.

Mita MacBarny lehnte als kühle Zuschauerin am seltsamen Fahrgestell des Braunen Falken. Um ihre vollen Lippen, die weit feiner geschwungen als Elsies eigenwilliger Mund, lag ein kaum merkliches nachsichtiges Lächeln. – Diese beiden Frauen würden sich nie verstehen, sie entstammten zwei grundverschiedenen Welten, die Fundamente ihrer Seelen waren andere, und keine Brücke gab es, so schien es mir, die die Gegensätze dieser Lebensanschauungen auf sicheren Pfeilern überwinden könnte. – Zuweilen täuscht man sich.

»Mein Vater ...« sagte Elsie stockend. »Ich nehme an, er ist gerettet, Sie werden doch sicherlich zuallererst nach ihm gesehen haben,« – so parierte sie meinen Hieb in nicht ganz ungeschickter Art.

Mita Malcolms tiefdunkle Augen begegneten dem unverhohlen hochmütigen Blick Elsies. »Miß Bellegard, Abelsen hatte hier zunächst Dringenderes zu erledigen. Soweit mir bekannt, hat Ihr Vater als Korrespondent der ›Little Times‹ lediglich die Interessen seines Zeitungskonzerns wahrzunehmen. Mr. Abelsens Interessensphäre ist wohl ausgedehnter, selbstloser, uneigennütziger. Aber machen Sie sich keine Sorgen ... Drüben im Stollen, der bereits abgebaut ist und keine Edelsteine mehr enthält, hat man ein Gefängnis eingerichtet. Ich will Ihnen den Eingang zeigen ...«

Sie schritt sehr selbstsicher über die halbversengte Wiese, sie hinkte noch ganz wenig, aber unnachahmlich stolz trug sie den Kopf, unnachahmlich federnd war ihr Gang, und wenn je ein Weib schon allein durch ihre Haltung ihr geistiges und körperliches Übergewicht zum Ausdruck bringen konnte – die Frau konnte es bestimmt.

Elsie mußte ihr folgen – eine kleine heilsame Lehre, dachte ich mir.

Auch ich schloß mich an, während Freund Tikku die beiden Gefangenen versorgte. Vorläufig waren sie Gefangene, ihr Schicksal würde sich später entscheiden.

Noch immer brannten die Reste der Holzschuppen, die ohne Zweifel früher an anderer Stelle gestanden hatten, dort, wo Mac sie damals erblickt hatte. Als ich von Mita hierüber Aufschluß erbat, erwiderte sie nur: »Das trifft zu, Mr. Abelsen ... Professor Burr, der hier die Kolonie leitete, übrigens ein älterer Mann von ausgesprochen rücksichtslosem Charakter und Vater des jungen John Burr, der ...«

Elsie Bellegard rief schneidend dazwischen:

»Ihr Urteil ist wirklich nicht maßgebend, Frau Malcolm ... Ich ...«

Mita sprach unbeirrt weiter: »... der zum Glück ganz anderen Schlages ist, obwohl man auch den Professor kaum verurteilen kann, denn seine Handlungen wurden nicht durch persönliche Motive bestimmt, er arbeitete lediglich für sein Vaterland, dessen Wohlstand er, wenn auch nicht mit ganz gesetzlichen Mitteln, zu heben trachtete ... Wie gesagt, John Burr war ein sehr liebenswürdiger, gütiger Mensch, und ich würde mich herzlich freuen, wenn er dieser Katastrophe hier entronnen wäre, worauf ich mit einiger Bestimmtheit rechne, da ich ...« – sie war vor der steilen Talwand stehengeblieben – »hier vor der Tür zum Stollen seine Mütze bemerke, die er seit einer gewissen Nacht und seit seiner raschen Genesung mit einem winzigen Batisttüchlein zu schmücken pflegte – hier, sehen Sie, Miß Elsie ... – wohl Ihr Tüchlein, glaube ich ...«

Und dieses liebe, nachsichtig-verständnisvolle Lächeln dieser Frau, die selbst soviel Leid erduldet und die gerade deshalb für Liebe und Liebeshoffnung ein so großes, offenes Herz besaß, schlug nun doch jene Brücke, die ich niemals in Gedanken mir hatte vorstellen können.

Elsie stand mit heißem Gesichtchen da, hob dann impulsiv die Arme, umfing Mita Malcolm und flüsterte ihr irgend etwas zu, das ich, diskret beiseite tretend, nicht hören konnte.

Ich beschaute mir das graue rissige Gestein – ich suchte nach der Stollentür, die Mütze sah ich im Grase liegen – – nichts mehr ...

Ich täuschte mich. Es gab eine Tür ... Und ein Teil des Gesteins schob sich nun wie von selbst nach außen, heraus trat barhäuptig, stoppelbärtig und etwas bleich Lord Mansfield Bellegard mit seiner ungebeugten Reckenfigur ... Auch seine herrische scharfe Stimme war unverändert ... Er blinzelte erst wie geblendet in den rötlichen Flammenschein, musterte flüchtig die beiden Frauen – Elsie kehrte ihm den Rücken zu –, erkannte mich dann, reichte mir beide Hände ...

»Abelsen – Sie?! Wirklich – – Sie?! Wie kommen Sie hierher?!«

Das klang nicht eben sehr erfreut. Irgend etwas an dieser Begrüßung mißfiel mir gründlich.

»... Na, macht nichts – wir werden schon einig werden, alter Freund«, fügte er etwas dunkel hinzu. »Die Hauptsache: wir haben den jungen Burr dingfest, und die anderen scheint ja glücklich der Teufel geholt zu haben ... Die Benzinexplosion kam uns wie gerufen ... Weshalb mußte dieser Professor auch beständig mit brennender Zigarre umherlaufen. – Hallo – – Mädel, du ...?! Her mit dir – an mein Herz, Elsie – jetzt erst bin ich der Riesenbeute so recht froh! Mädel, du ahnst ja nicht, welche Unmenge von Smaragden die Leute hier aus den Felsen gewühlt haben!«

Hinter ihm tauchte der Mischling Jazinto auf, über dem Rücken einen Ledersack, der gut einen halben Zentner wiegen mochte. Ihm folgten Wumbo und der an den Händen gefesselte, barhäuptige blonde John, dessen Gesicht deutlich schwarze, halb blutrünstige Brandwunden zeigte.

Bellegards kurze Sätze hatten mir genügend die Augen geöffnet.

Ein Zuruf lockte den stolzen Lamsi an meine Seite.

»Tikku, nimm Mr. Burr die Riemen ab«, befahl ich harmlos. »Und du, Jazinto, der du anscheinend die sogenannte Beute trägst, die Mr. Burr wohl vor den Flammen im Stollen in Sicherheit bringen wollte, lege den Ledersack dorthin. Er gehört Mr. Burr ... – Sie verstehen mich wohl, Lord Bellegard. Ich habe mit Banditen noch nie gemeinsame Sache gemacht – hier schon gar nicht!«

Bellegards Hünenfigur beugte sich vor.

»Herr – sind Sie verrückt!« Und diese gewaltige Stimme schien mich umblasen zu wollen. »Jazinto, du behältst den Beutel ...! Abelsen hat hier gar nichts zu bestimmen ... Ich bin kein Narr, ich gebe ein Millionenvermögen nicht mehr aus den Händen, und die Steine da sind viele Millionen wert ...!«

Kläglich, unsagbar kläglich diese bewußte Verschiebung, Verdrehung der Tatsachen!

Jazintos frech grinsendes Gesicht trieb mir das heiße Blut zum Hirn.

»Runter mit dem Sack, Schurke ...!! Du kennst mich! Runter damit – ins Gras!!«

Meine Stimme versuchte sich nicht im Übermaß unbeherrschter Kraft – ich hatte es nur leise, nur mit jenem bedenklichen Unterton gesagt, der am besten durch die Mündung einer Repetierpistole unterstrichen wird.

Bellegards Fäuste flogen hoch.

»Sie ... Sie – wollen Sie hier etwa ...«

Er brach jäh ab, denn nach dem harten blechernen Knall war Jazinto ihm direkt vor die Füße gekollert. Die Frauen schrien gellend auf – Elsie vor Schreck, Mita aus anderem Grunde ...

»Bravo, John Burr! Bisher hielt ich Sie stets für etwas weichlich – – bravo! Ich ahne den Zusammenhang: Ihr Vater flüchtete mit Ihnen in den Stollen, und ...«

»... der Schurke erwürgte ihn«, rief John Burr heiser und hielt Bellegard die Pistole vor die Stirn. »Wollen Sie noch immer Anspruch auf das erheben, was wir hier in drei Jahren mühseliger Arbeit dem Schoße der Erde abrangen?! Sagen Sie ja, und ... Sie sind ein toter Mann wie Ihr Kumpan dort zu Ihren Füßen!«

Das letzte Gebälk der Hütten brach in sich zusammen ... Neuer Funkenregen sprühte zum Himmel empor ... Aber über diesem stahlblauen Gewölbe des Firmaments lag bereits der Schein des neuen Tages, der Glanz der aufgehenden Sonne.

Bellegard wischte sich mit verkniffener Miene den Schweiß von der Stirn ...

»Wir ... wir reden später darüber«, murmelte er bissig und wollte sich entfernen.

Elsie vertrat ihm den Weg ...

Sie sprach kein Wort, sie blickte ihn nur lange, starr und mahnend an. Langsam senkte er den Kopf, seufzte – seines einzigen Kindes Arme rankten sich flehend um seinen Hals, und dieser Recke von Mensch mit dem wetterwendischen Herzen zog Elsie fest an sich ...

»Ich ... ließ mich blenden ...« – er stammelte nur ... »Ich wollte den Mord nicht – – bestätigen Sie mir das, John Burr ...«

»Es ist so«, erklärte der blonde Sohn der tausend Seen mit Nachdruck. »Sie haben mich geschützt, aber – die Smaragde wollten Sie sich aneignen, und das wäre Raub gewesen. – Mr. Abelsen, entscheiden Sie, was mit ihm und dem Neger geschehen soll.«

Wumbo beeilte sich zu versichern, daß er sich wie stets durchaus neutral verhalten habe. Sein Redeschwall gab mir die gute Laune zurück.

»Unter diesen Umständen mag Lord Bellegard sich als ungern gesehener Gast betrachten,« – und ich bückte mich, schulterte den Ledersack und winkte John Burr.

Wir schritten davon.

Eine halbe Stunde darauf wußten nur wir beide, wo die Millionenwerte verborgen waren.

 

* * *

 


 << zurück weiter >>