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Um drei Uhr nachmittags erwache ich. Sofort spüre ich auch, daß durch die Ritzen der Fenster eisige Zugluft hereindringt, und im Augenblick bin ich völlig munter. Sofort fällt mir auch mein letztes Gespräch mit Mita wieder ein – es war kein Gespräch, sie sprach allein, und ich hörte beklommen zu. Diese Beklemmung empfinde ich auch jetzt, als ich eilends wie üblich für Mita das Essen herrichte, mich um Taitos störende Andenken an mangelnde Bewegung im Freien kümmere und auch hinter dem Vorhang verschwinde.

Die Motoren surren, schnurren – der Falke schwebt recht hoch über graublauer Flut, die Sonne steht ganz tief, und ich habe ehrliches Verlangen nach heißem Tee oder Kaffee.

Mita hat mir nur zugenickt, und als ich sie nun ablöse und ihren Platz einnehme und mit ihr ein paar gleichgültige Worte tausche, sagt sie mit einem mühevollen Lächeln:

»Vergessen Sie Thora nicht, Olaf!!«

Da beschlagen zum ersten Male die Augen des Falken, feiner Dampf setzt sich auf den Fenstern fest, es wird bitterkalt, und nur die Nähe der Motoren spendet noch einige Wärme.

Ich winke der Gefährtin ...

»Mita, bitte – – Putzlappen und das feine Öl ... Wir müssen die Fenster einreiben ... Ich sehe nichts mehr.«

Sie bringt das Gewünschte, sie arbeitet flink, aber durch das Fenster, mag es nur Sekunden offen bleiben, trifft mich ein so eisiger Luftstrom, daß mir der Atem wegbleibt.

Mita verharrt neben mir ...

Und jetzt – es ist keine Täuschung – erblicken wir in der Ferne weiße, schneeweiße Wolkenberge ... Nein, keine Wolken – – die Eisküste der Antarktis ist es, und unwillkürlich rufe ich, alles andere vergessend:

»Mita – das Südpolargebiet, vielleicht schon die Große Eisbarriere ...!!«

Ihre Hand ruht auf meiner Schulter ...

Der Druck dieser Hand wird stärker ...

»Ja, Olaf – – Südpol!! Und meine Heimat waren die Wälder am Gegenpol, am Nordpol ... Dort war ich glücklich ... Der Süden hat mir kein Glück gebracht ... Ich wünschte, die Entscheidung wäre bereits gefallen!«

»Welche?!«

Unsere Augen begegnen sich im Spiegel.

»Die, die fallen muß!« erwidert sie hart, und um ihren blühenden Mund graben sich tiefe Fältchen ein.

Sie wendet sich ab, und ich beobachte, wie sie mit ihrer Pelzausrüstung hinter dem Vorhang verschwindet.

Das Thermometer zeigt, unter dem Spiegel angebracht, fünf Grad Kälte, und die Quecksilbersäule sinkt immer mehr.

Wärmte Taito mir nicht die Füße, würde auch ich zu den Pelzgewändern greifen.

Ich lasse den Falken im Gleitflug tiefergehen – bis auf dreihundert Meter –, und wieder packt uns da der Sturm, wieder schießen wir dahin, daß ich getrost die Schwingen drosseln kann, es genügt, sie ein wenig schräg zu stellen, trotzdem jagen wir mit mindestens 150 Kilometer gen Südwest ...

Eine kleine Insel blinkt schneebedeckt wie ein Fleck auf dem Ozean – es kann nur die Emerald-Insel sein, neben deren Namen die Seekarten zumeist ein Fragezeichen sehen lassen. Man bezweifelt ihr Vorhandensein, aber sie ist da – ich sehe sie, sehe mit dem Glase das vereiste Innere, sehe dünne schwarze Küstenlinien – Gestein ...

Antarktischer Kontinent, Gegenpol zur nördlichen Arktis – gänzlich verschieden von dieser, ohne Landtiere, ohne Eisbären, Füchse, Wölfe, nur an den Küsten bewohnt von Vogelscharen und der vielgestaltigen Gattung der Wassersäugetiere: Blauwal, Finnwal, Robben, See-Elefanten und ihren Spielarten, nur belebt von ganzen Herden kältefester Pinguine, nie betreten von jenen uns aus Reiseschilderungen liebgewordenen Landvierfüßlern! Noch kein Forscher entdeckte dort einen Schneehasen, einen zottigen Eisbär – diese Schneewüsten spotteten auch der mehrfachen Versuche, dort Vierfüßler anzusiedeln. Man hat Polarhunde dort zurückgelassen, man hoffte, sie würden sich vermehren, fortleben. Sie verschwanden spurlos, kamen um vielleicht – niemand weiß es. Niemand hat bisher einen vollen Überblick über die Antarktis gewonnen. Sie ist zu groß, wehrt sich gegen Eindringlinge ...

Uns schien sie mit offenen Armen aufnehmen zu wollen, uns schickte sie den Rückenwind, und schneller als je geahnt hatten wir den südlichen Polarkreis hinter uns, erblickten treibende Eisschollen, ganze Eisfelder, sahen wieder offenes Meer ...

Mita schläft in ihrer Pelzkleidung. Die Nacht ist da. Mita hat mich vorhin für kurze Zeit abgelöst am Steuer, damit ich meine durchfrorenen Glieder gleichfalls in die weichen Felle der großen Affen der großen Insel Formosa einhüllen könnte. Wir haben auch dem Südpol unseren Gruß entboten mit einem bisher sorgsam geschonten Schluck Whisky.

Es ist Nacht und doch nicht Nacht, es ist das Zwielicht des ewigen Eises, wenn der Sonnenball dicht unter dem Horizont bleibt. Die Augen gewöhnen sich schnell an diese ungewisse Beleuchtung. Der Falke stürmt weiter dahin als Riesenvogel, der sein Nest sucht. Der Falke sucht ein großes Schiff mit starken Motoren, auf dem dreißig Männer und zwei Frauen in kühnem Wagen gen Süden fuhren. Was blieb von ihnen?! Schlittenhunde tot, Skorbut zerfraß die Menschen – vier sollen noch leben, vier ... sollen!

Wer? – Lebt Malcolm noch, lebt jene Thora Vandermar noch, eleganter Weibsteufel ohne Gewissen, mit unbeherrschten Begierden?

Und wir?!

Läßt der Sturm nicht nach, dann ist an Landen nicht zu denken. Der Falke würde zerschellen. Wohin wird uns der Orkan treiben? Werden wir der Kälte widerstehen, die schon jetzt die Brust einschnürt und Ohrensausen hervorruft?! Hat nicht der kluge, neutrale Professor Burr warnend notiert: »Sehr dünne Luft – Vorsicht!« – Ich fühle es, auf meinen Trommelfellen lastet ein starker Druck, ich höre das berüchtigte Glockenläuten, mein Herz arbeitet mühsamer, Müdigkeit schleicht herbei, ein Traumzustand im Wachen erfordert höchste Energie der Abwehr.

So hatte ich mir unsere Ankunft am Ziel nie gedacht. Erst jetzt wird mir bewußt, daß unser Falke für diese Kältegrade – das Thermometer zeigt minus 12°R – eine klägliche, eisige Blechkiste ist. Tollkühn haben wir uns in dieses Abenteuer gestürzt, das wenig Chancen auf guten Ausgang bietet. Meine Glieder erstarren langsam – ich lechze nach heißem Tee – dort lehnt die angebrauchte Whiskyflasche in Griffnähe, ich könnte mir trügerisches Wärmegefühl verschaffen ... könnte. Ich hüte mich. Ich ringe gegen die Schlafsucht wie gegen ein heimtückisches Gespenst ... Noch siege ich ... Reiße die Augen weiter auf, beiße mir auf die Lippen ...

Traum nur?!

Dort rechts ganz fern steigt es empor in roter Lohe – eine gigantische Fackel, eine Fontäne von Flammen, überwölbt von einem ebenso gigantischen Rauchschirm ... schwarzem Qualm, der fest und starr in der Luft hängt, von unten grell beleuchtet, so daß diese Unterseite wie Kupfer schimmert, fast wie Mitas Haar ...

Staunen, Schreck lassen mein Herz jagen. Haben wir uns so versteuert, daß das am Ende der Vulkan Erebus ist?! – Unmöglich! Der Erebus mit fast viertausend Meter Höhe – – niemals!

Und noch anderes bedrückt die schwer keuchende Brust: ein Blick in die Tiefe – nur noch Eis – – Eis, ein Eiswall von phantastischen Maßen, endlos sich dehnend, hohe Zacken, matt schillernde Gletscher ...

Die Große Eisbarriere also – kein Zweifel!!

Wieder ein Blick auf die Riesenfackel, ein zweiter auf den bewußten Zeiger hinter Glas: der Falke fliegt langsamer, zu langsam – wir sind aus dem Gebiet des Sturmes heraus – fünfzig Kilometer nur ... es genügt – und die Last von meiner Brust weicht – ich bin wieder Herr der Lage, ich kann den Falken lenken, wohin ich will.

In weiter Ferne steht jenseits des Eiswalles, den wir sofort überfliegen werden, flammend rot die Fackel, über ihr das Dach von Rauch.

Das Hämmern in den Ohren läßt nach, mein gesunder Organismus hat sich an die dünne Luft gewöhnt. Ich höre den Propeller, die Motoren – ich möchte Mita wecken ...

Dieses grandiose Bild der gigantischen Flammensäule müßte auch sie genießen. Sie schläft, und vielleicht ist es besser so ... Ich will hier bestimmen, regieren, unser Schicksal meistern – Frauenhand, Frauenverstand gehorchen zu leicht der Eingebung des Augenblicks. Und daß zwischen Mita und ihrem Gatten die Liebe erstorben, das weiß ich – ich weiß, Mita hat nur geheuchelt auf der Smaragdinsel ... Hätte sie ehrlich erklärt: Ich will abrechnen mit denen, die mich betrogen haben, nur das will ich – niemals hätte Sven Burr ihr den Falken überlassen, ihr geholfen beim Werke der Vergeltung – auch ich hätte es nicht getan! Aber sie schob das heilige Gefühl der Liebe vor, und sie warb um Mitleid und fand es, während doch nur unbändiger Haß ihre Seele zermürbte.

Eins ist gewiß: Thomas Malcolm muß schändlich an dieser Frau gehandelt haben! So schändlich, daß ich Mita alles verzeihe, auch das trügerische Spiel von Liebe und Sehnsucht.

Und gerade jetzt, wo diese Gedanken mich völlig gefangennehmen, regt sich der schlafende Fettwanst Taito zu meinen Füßen und ... wedelt ...

Wedelt Mita entgegen, die hinter mir steht, die sich an mich lehnt und starr durch das rechte Auge des Falken hinausblickt in die Eisgefilde des Südpols ...

Starr staunt sie mit großen klaren Augen das Wundergemälde an:

Die Fackel des Südpols!!

Flammensäule, Riesenfanal – vielleicht eine brennende Gasquelle, fährt es mir durch den Sinn. – Wie unrichtig das war!

Dann senkt sich ihr Kopf, ihre Pelzkappe schmiegt sich an die meine, ihre Wange berührt mein heißes Gesicht ...

»Da, Olaf – da, schauen Sie hinab ... Dort liegt der Dreimaster, das Schiff des Fluches, denn – ich habe es verflucht, ich, als in jener Orkannacht im Chinesischen Meer mein Gatte mich über die Reling schleuderte und hinter mir her Thora Vandermars Hohnlachen erklang!! So war es, Olaf – – Mord, kaltblütiger Mord! – Begreifen Sie nun, daß ich vor euch allen heucheln mußte, daß ich mich rächen wollte, um jeden Preis! Denn ich bin MacBarnys, des Fallenstellers, und meiner heißblütigen indianischen Mutter echtes Kind! Kein Püppchen, das man, des Spieles überdrüssig, für ein reicher geputztes wegwirft! Mord war es – und ich werde richten, falls sie noch leben!«

»Arme Mita!«

Da lacht sie ... »Nicht mehr arm, Olaf, denn arm ist nur der, der in sich die Urinstinkte erstickte ... – Dort ist der Dreimaster, mein Fluch hielt ihn hier fest, seine Besatzung starb – – daß die beiden leben, ich weiß es!!«

Die Fackel ist näher gerückt ... Der Eiswall liegt hinter uns ... Und so blendend ist das Licht der ungeheuren Flammensäule, die da aus dem schwarzen Gestein eines mäßigen Berges hervorschießt, daß die Takelage des Seglers rot betupft erscheint, daß der »Eisvogel« zu brennen scheint ...

Er brennt nicht, er ruht eingebettet in rosige hochgetürmte Schollen – eingefroren, übergossen vom Fackellicht der Feuersäule drüben zwischen den Gletschern der Antarktis ...

 

* * *

 


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