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... Und dieser Morgen damals war wie ein göttliches Geschenk: blauer Himmel, Westwind von den hohen, kühlen Bergkuppen, klare Luft, Vogelschwärme, in heiterer Sorglosigkeit im Sonnenglanz sich wiegend, ein paar breitmäulige Krokodile in einem nahen Tümpel, ganze Reihen von nachdenklich-ernsten Silberreihern hart am felsigen Ufer stehend und ins Wasser starrend, dazu bei mir das beglückende Gefühl, aller Verantwortung überhoben zu sein ...

Das war so die Stimmung, in der ich MacLoow Barnys langatmigen, immerhin bilderreichen Sang von dem Bergvolke der weißen Flüchtlinge auf mich wirken ließ.

Wir saßen an buschreicher Uferstelle, MacLoow rauchte wieder seine unmögliche Zigarre, aber er war nüchtern und voller Eifer und wollte mich um jeden Preis dazu bewegen, irgendeine Äußerung zu tun, die seine Phantasie noch mehr anfeuerte.

Ich hütete mich.

Ich genoß diesen Morgen auf meine Art, ich kraulte Taito das Fell, und die Hälfte meiner Gedanken war bei den fernen Freunden, die ich hier kennengelernt und die ich nicht mehr wiedersehen würde. Der Zettel, in einer Blechbüchse geborgen, lag schon drüben auf der neuen alten Insel auf höchster Kuppe als mein Abschiedsgruß. Wenige Worte nur, eigentlich zu knapp gefaßt für die Innigkeit unserer Beziehungen, aber genügend für mich, den immer Rastlosen, den es vorwärtsdrängte zu frischem Erleben.

Und dann unterbrach ich doch den für seinen Plan begeisterten Mac, blickte ihn mißtrauisch an.

»Haben Sie etwa das gelesen, was ich vor drei, vier Jahren am Gallegos in der zugigsten Ecke Südamerikas schrieb?! Es mag schon gedruckt sein. Ich weiß es nicht. Gelesen von Coy Cala und von Chubur und Chico und der Herrlichkeit der Pampas und der Wildheit der Inselstraßen um den Wellington-Archipel?! – Mac, mir scheint, Sie lasen's, denn in vielem gleicht Ihre Geschichte dem sonderbaren, armseligen Schicksal jener vertriebenen Araukaner.«

Er schüttelte energisch den Kopf. Heute waren seine Augen klar, sein Blick frisch und frei, und sogar die verdächtige Nase hatte sich entrötet.

»... Ich las nichts davon«, erklärte er unwirsch. »Übrigens hören Sie auch kaum zu ...« Er sprach durchaus wie ein Gebildeter, das Rohe, Rüde, Gewalttätige war von ihm abgeglitten, und unter der schäbigen Kluft enthüllte sich mir eine große, starke, in die Irre gegangene Seele. »Nichts!!« bekräftigte er nochmals. »Ich sagte ja: Die Gerüchte leben immer wieder auf ... In den westlichen Küstennestern Formosas gibt es Leute, die nachts jene Riesenlichter blinken sahen ... Ich selbst, Mr. Abelsen, war ein einziges Mal bis zum Rande jener Hochlandsümpfe vorgedrungen, die zwischen den inneren Bergketten Formosas ein Waldgebiet von unendlicher Weite drohend, fieberschwanger und undurchdringlich für jeden Fremden abschließen. – Es ist schon so, wie ich's erzählte: Es müssen dort Europäer hausen, und sie stehen auch mit der Außenwelt irgendwie in Verbindung – – lächeln Sie nicht, Mr. Abelsen, ich selbst habe damals, als ich am Rande des Sumpfes lagerte, spät nachts am Himmel einen hellen Strich beobachtet – es kann nur ein kleines schnelles Luftschiff gewesen sein.«

Ich kniff das linke Auge zu und schielte den phantasievollen Mac übermütig an. »Mein Lieber, ich lächelte gar nicht, ich gähnte, und sogar sehr herzhaft. Was Sie mir da auftischen, ist uralter Kram aus der Werkstatt jedes Schriftstellers, der kilometerlange Abenteuerromane verfaßt. Jedenfalls: all das reizt mich in keiner Weise! Sehen Sie, Mac«, fügte ich beschwichtigend hinzu, »drüben jenseits des Stillen Ozeans, der nie still ist, wohnt jetzt in San Franzisko ein sehr guter Freund von mir namens Chi Api ...«

Ich sah, daß MacLoow Barny leicht zusammenzuckte und dann um so kräftiger an der eigenhändig gerollten Giftnudel sog.

»Kennen Sie Chi Api, Mac?«

Er ließ sich mit der Antwort Zeit. »Ja und nein, Mr. Abelsen ... Gehört habe ich früher sehr viel von ihm, er soll seine Hände in allen möglichen Geschäften gehabt haben, und auf Borneo ...«

»... besaß er sein eigenes kleines unabhängiges Reich – – stimmt schon, Mac! Und dieses Reich lag ebenfalls fernab von jeder Kultur, jeder Polizeistation ... – Nein, für Geschichten dieser Art habe ich nichts mehr übrig, absolut nichts. Ich möchte außerdem weg von hier, ehrlich gestanden. Meine Sehnsucht gilt zur Zeit ...«

Er hatte mir die linke Hand mit eisernem Druck um den Unterarm gelegt. »Schweigen Sie!« meinte er leise und feierlich. »Verstehen Sie etwas von Edelsteinen? Können Sie einen echten Smaragd von einer Fälschung unterscheiden – – he?!«

Er besaß die graublauen, kühlen, großen Augen der reinblütigen Schotten, und in diesen heute so schnapsfreien Sternen wetterleuchtete es von überlegenem Spott. »Halten Sie mich für einen jämmerlichen Säufer und Phantasten, junger Mann?! Glauben Sie, ich wäre von Jugend an für dieses tolle Leben bestimmt gewesen: fünf Monate saufen, den Rest des Jahres wieder durch die Urwälder ziehen?! Denken Sie, die Familie des Lords sei wertvoller als der Stammbaum der MacBarnys von Barny-Castle?!« Seine Stimme sank zum Flüstern herab. »Junger Mann, dreißig Jahre sind es her, daß ich Barny-Castle verließ, weil mein jähzorniger Vater mir, dem Zwanzigjährigen, die Reitpeitsche um die Ohren schlug. Da schwor ich mir zu: Nie wieder betrittst du deinen Heimatboden, nie wieder liest du eine Zeitung, nie wieder willst du etwas von den Deinen vernehmen! – Ich ging nach Kanada – ich vergrub mich in die ungeheuren Einöden dieses wunderbaren Nordlandes und nannte mich einfach Mac und nichts weiter und stellte dem Wilde nach. Dann gab's auf Fort Chippeway Streit mit einem Beamten der berittenen Polizei, Schüsse knallten – ich schieße leider nie daneben, und ich ging abermals in die Fremde. Seit vielen Jahren hause ich nun hier auf Formosa ... Und da wollen Sie Grünspecht mir verwittertem Burschen so einfach ins Gesicht gähnen und behaupten, meine Geschichte interessiere Sie keinen Deut?!«

Der Druck seiner Hand verstärkte sich wieder. »Abelsen«, flüsterte er, »hätte ich nicht Vertrauen zu Ihrer so schön sauber rasierten Fratze, würde ich mich wohl hüten, Ihnen das Geheimnis preiszugeben. Da – sehen Sie!!«

Und er riß sein Wollhemd auf, zog einen Beutel hervor, öffnete ihn ...

»Bitte, Abelsen – das fand ich vorigen Oktober am Rande der Sümpfe in der Tasche des Lederrockes eines blonden hellhäutigen Toten – – das!! Und so wahr ich etwas von Edelsteinen verstehe, der Smaragd wäre in geschliffenem Zustande seine zehntausend Pfund wert – mindestens!«

Was ihm in der flachen Hand lag, war ein unscheinbares grünes Etwas, umgeben von bröckeligem Urgestein.

Nein – ich verstand nicht viel von Smaragden, und doch erkannte ich: MacBarny übertrieb nicht!

Ich betrachtete den Stein, und er flüsterte weiter: »Halbpart, Abelsen! Allein schaffe ich es nicht ...! Allein wage ich mich nicht in jene Sumpfwildnis. Zu zweien ist das eine andere Sache.«

Ich gab ihm sein Juwel zurück. »Stecken Sie es nur wieder weg. Auch das reizt mich nicht. Gold, Edelsteine – alles nur Tand für Genießer in den großen Metropolen! Nichts für mich!«

Er lachte kurz auf. »Brav so, junger Mann, sehr brav! Nichts für Sie!! Nun gut ...! – Und der Tote? Fragen Sie gar nicht nach dem Toten, dem ich den Stein abnahm?«

Ein gewisses Unbehagen beschlich mich da. MacBarnys Stimme hatte jetzt so eigentümlich heiser geklungen.

»... Abelsen – der Mann lebte, als ich ihn zu Gesicht bekam ... Der Mann wollte mich beschleichen an meinem Lagerfeuer ... Zwei Schüsse holten ihn herab, denn die Riemenschlinge lag mir bereits um den Hals ...«

»Also war er auf einen Baum gestiegen?« fragte ich nun doch mit rasch erwachter Neugier.

»Baum?!« Mac lachte leise. »Baum?! – Da gab es nur Büsche, Abelsen, und jene Nacht war finster wie ein schwarzer Sarg. Ich saß am Feuer, drehte meine Hirschlende über der Glut, hatte meine Büchse neben mir liegen und dachte an nichts Arges. Plötzlich fiel mir die Schlinge um den Hals – von oben, aus der Luft, Abelsen –, merken Sie auf: aus der Luft!! Und wenn ich nicht so verdammt gute Nerven hätte, wenn ich nicht blitzschnell emporgeblickt und gleichzeitig fast gefeuert hätte – senkrecht nach oben, Abelsen, merken Sie auf! –, zweimal gefeuert, dann ... dann wäre ich jetzt mit auf der großen Verlustliste derer, die nie wiederkehren, wenn sie jenem Gebiet dort jenseits der Berge zu nahe kommen. So war es, Abelsen: Ich traf das Tau, an dem der Mann hing, und ich traf den Mann selbst, und so purzelte er herab samt dem Ende Tau und dem Lederlasso, der mich hatte erwürgen sollen. Und weil nun dieses Tau dem Blonden um die Brust geknotet war und weil dort nicht ein einziger Baum in der Nähe war, und weil der Mann sich doch wohl kaum von einem Stern hinabgelassen haben konnte, muß wohl ...«

Ich starrte ihn an. »Ein ... Luftschiff, meinen Sie, Mac?! Ein Luftschiff oder dergleichen?! – Sahen Sie denn nichts über sich, hörten Sie nichts?!«

Er schüttelte ernst den verwilderten Kopf. »Nichts, Abelsen! Und das war das Unheimliche: Nichts! Der Mann schlug krachend ins Gras, lag still, war tot, mausetot, ich stierte in die Finsternis nach oben, und befallen von einem Grauen, das mir sonst fremd, feuerte ich noch meine letzten drei Patronen des Rahmens ins Leere. – Nein, ich hörte, ich sah nichts. Können Sie in pechrabenschwarzer Finsternis etwas sehen?! Der Himmel hing voll dicker Wolken, und gleich darauf brach auch der Regen los ... Ich bin damals in Regen und Sturm entflohen – wie gehetzt, Abelsen ... Hinter mir her war jene wilde unsinnige Angst, die man nur vor dem Unerklärlichen empfindet. Und die spürte ich in allen Nerven.«

Er nickte vor sich hin ...

»... Vielleicht war es gut, daß ich entfloh. Daß ich erst im dichtesten Urwald haltmachte, nachdem ich meine Fährte gründlichst verwischt hatte. Denn – sie verfolgten mich ...«

»Wer?« fragte ich atemlos.

Er zuckte wie hilflos die Achseln. »Das weiß ich nicht, junger Mann. Aber es waren Leute hinter mir her – das weiß ich, ich bin ja ein alter Waldläufer. Zwei Tage später traf ich einen anderen Leopardenjäger, der gerade einen Kampferbaumwald zeichnete, mit der Axt zeichnete ... Sie kennen ja die Japaner als Herren Formosas, sie zahlen für jeden guten Wald soundso viel, man muß nur die Stelle genau angeben können. Und mit dem Kollegen schlug ich mich zur Küste durch, Abelsen ... Und blieb dort, bis jetzt der Lord mich eben anwarb als Führer ... Zeitungsschreiber will er sein. Wird wohl stimmen ... Viele vom englischen Adel sind verarmt und arbeiten ausnahmsweise ... ausnahmsweise. – Na, junger Mann, wie denken Sie jetzt über einen Zug über die Berge?! Noch immer zu uninteressant, he?! Oder hat sich Ihre Begeisterung für Wege abseits des Alltags abgekühlt?! Denn das da sind unbekannte Wege, Abelsen – da lauert wohl so Schritt um Schritt der Tod auf den, der es wagt, jene Sümpfe zu betreten ...«

Er lachte still in sich hinein ... »Es mag so in meiner Jugend gewesen sein, da las alle Welt ein Buch von Ridder Haggard ›Das unbekannte Land‹ ... oder so ähnlich hieß es ... War ein Phantasieprodukt, Abelsen, und ...«

»Ich kenne es, Mr. MacBarny.« Die respektvollere Anrede »Mister« war mir ganz von selbst über die Zunge geglitten. Ich hatte diesen Leopardenjäger völlig falsch eingeschätzt, und er wieder hatte mir durch sein wiederholtes, halb scherzhaftes »junger Mann« zu verstehen gegeben, daß meine lediglich auf seine äußere Erscheinung und seinen Beruf gestützte Beurteilung seiner Persönlichkeit ein etwas anmaßender Fehlgriff gewesen.

Ein flüchtiger Blick streifte mich. »Lassen Sie das ›Mister‹ nur wie bisher unter den Tisch rutschen, Abelsen ... Nennen Sie mich getrost Mac. Ich bin nun einmal seit dreißig Jahren daran gewöhnt. – Also Sie kennen Ridder Haggard ... Er hat sehr viel geschrieben, und in einem seiner Werke schildert er eine Szene, die so etwa unserer heutigen Morgenunterhaltung samt Umgebung entspricht.« Er deutete mit der Hand über den See und die fernen Berge hin. »Auch bei Haggard vertraut da ein alter Elefantenjäger einer Zufallsbekanntschaft ein großes Geheimnis an ...«

Kurze Pause ...

Macs knorrige Finger, denen man die ungeheure Muskelkraft sofort anmerkte, obwohl seine Hände keineswegs Bärenpranken glichen, streichelten die auf seinen Knien liegende langläufige Repetierbüchse, zweifellos eine vorzügliche Waffe. Wiederum lächelte er sonderbar ... »Ja, und dieses Gespräch der beiden wurde belauscht, Abelsen, und daraus ergaben sich dann allerlei Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten.« Seine Stimme wurde lauter und schärfer. »Ganz besonders bedauerlich ist es aber, wenn so ein blutjunges Ding von siebzehn Jahren wie Miß Elsie hier heimlich das Zelt verläßt und sich hinter uns in die Büsche schiebt und ebenfalls horcht. Wie leicht hätte ich annehmen können, daß der Lauscher etwa Jazinto sei oder sonst ein farbiges, nichtsnutziges Gewürm ...! Wie leicht hätte meine alte brave Riffle eine Kugel in das Gestrüpp spucken können ...! – Kommen Sie nur heraus, Miß Bellegard. Der alte Mac, der noch nicht einmal so ganz alt ist und wahre Luchsohren hat, möchte mit Ihnen gern ein Wörtchen unter sechs Augen sprechen. Bitte – keine falsche Scham, Miß Bellegard ... Zeigen Sie uns nur getrost Ihr niedliches braunes Gesichtchen ...« Er drehte sich um, bog mit der vorgestreckten Büchse die Zweige auseinander, und Elsie erhob sich tief errötend aus ihrer knienden Haltung und lachte uns verlegen an.

»Oh, ich bin eigentlich sehr stolz«, meinte sie. »Mr. Abelsen hat mich gar nicht gehört ... Es war nur ein übermütiger Scherz, ein Versuch, mich im Anschleichen zu üben ...«

Sie trat hervor, nickte uns schon wieder ganz harmlos und freundlich, fast herausfordernd stolz zu, strich das blonde Haar aus der Stirn und setzte sich ohne weiteres auf einen bemoosten großen Stein. »Sie sind doch nicht böse Mac?! Horchen wollte ich wirklich nicht ... Nachher fesselte mich dann aber Ihr merkwürdiger Bericht so stark, daß ich beim besten Willen nicht auf das Ende der Geschichte verzichten konnte.« Das klang alles sehr schlicht und natürlich. »Es war wirklich fabelhaft interessant ... Nur sehr phantastisch.«

»Stimmt!« sagte Mac ungewohnt scharfen Tones. »Sehr phantastisch – alles, auch Ihre Anschleichexperimente, Miß – auch die!«

Ich hatte Elsie scharf beobachtet. Sie trug heute nicht das weiße Leinenkleid, in dem sie so mädchenhaft-unberührt gewirkt hatte. Ihr Sportanzug mit Reithosen und leichten Schnallgamaschen ließ sie älter erscheinen, und mein Gefühl sagte mir, daß sie keineswegs so kindlich-unschuldsvoll war, wie sie scheinen wollte. Vielleicht waren es gerade ihre überklugen, forschenden, kühlen Augen, wohl ein Erbteil ihres Vaters, die diesen Eindruck verstärkten. Mac taxierte sie wahrscheinlich ganz richtig, als er nun beinahe grob erklärte:

»Ich werde Ihnen mal etwas sagen, Miß ... An diesen ›Versuch‹ glaube ich nicht – entweder hat Ihr Vater Sie hergeschickt, oder Sie handelten sehr zielbewußt auf eigene Faust. Wie dem nun auch sei – sollten Sie etwas von dem hier Erlauschten weitererzählen, so könnte das unbedingt zu sehr peinlichen Szenen führen. – Sie verstehen mich, hoffe ich!! Und um Ihnen diese Warnung besonders eindringlich einzuhämmern, erinnere ich Sie nur an die höchst bedauerliche Tatsache, daß Ihr Vater vorgestern abend, als wir im Flusse vor dem See ankerten, gegen meinen Willen den Plan entwarf, Mr. Abelsen ... auszulöschen. Auch der Nigger war nicht dafür, der überhaupt ein sehr anständiger Kerl ist. Damals bedauerte ich es außerordentlich, Ihrem Vater von den unklaren Gerüchten über die Goldschätze der Goßli etwas mitgeteilt zu haben. Ich ahnte eben nicht, daß ein Auslandskorrespondent einer Zeitung, der mit Genehmigung Japans Innerformosa bereisen will, nebenbei auch Bandit sein kann – entschuldigen Sie den harten Ausdruck. Ich war nie Bandit. Ich erbot mich dann als bester Schütze unserer kleinen Expedition, Mr. Abelsen in die ewigen Jagdgründe zu befördern und schoß absichtlich vorbei und rettete so vielleicht ein wertvolles Menschenleben. – Vergessen Sie das alles nicht ...!! Und jetzt kehren Sie in Ihr Zelt zurück und merken Sie sich: Kein Wort!! Kein Wort von dem hier Gehörten!! Ein Jammer, daß der schwache Duft Ihres Parfüms mich so spät auf Sie aufmerksam machte. Parfümieren Sie sich nie – wenigstens nicht in der Wildnis, Miß! Die braunen Ureinwohner hier haben Nasen wie die Schweißhunde und ... vergiftete Pfeile, soweit sie nicht schon Gewehre besitzen. – Guten Morgen, Miß ...!!«

Sie erhob sich. Sie war sehr bleich geworden, und diese Blässe ließ sie noch älter erscheinen. Aber das Schuldbewußtsein war ihr an der Stirn geschrieben, und das hochmütige Zurückwerfen des Kopfes, durch das sie ihrem Rückzug die Note tiefgekränkter Unschuld zu verleihen suchte, blieb nur eine leere Geste.

Ich hatte mich bei alledem völlig stumm verhalten. Mein Blick begegnete jetzt dem des Leopardenjägers, und Mac sagte ingrimmig: »Schwindel!! Abelsen, das Mädel steckt uns beide in die Tasche, falls es ... ein Mädel ist! Siebzehn soll sie sein. Ich glaube nicht daran. Ich schätze sie auf dreiundzwanzig und den angeblichen Lord auf achtunddreißig. Es gibt da noch sehr viele dunkle Punkte. – Kommen Sie hinab zum Kutter ... Wir brechen auf. Es ist besser so ...«

Ich widersprach nicht. Ich bedauerte nur, daß ich mich so arg in Elsie getäuscht hatte. Ihr ganzes Verhalten war mir unerklärlich. Sie hatte mich doch in der Nacht befreien wollen?!

War auch das nur Berechnung gewesen?!

Der Kutter lag in einer engen Bucht. Droben auf der Uferhöhe im Gebüsch standen die beiden Zelte, eins für uns vier Männer, das andere für die beiden Bellegards. – Es war jetzt halb sieben morgens. Wir holten unsere Lederrucksäcke aus dem Kutter, Mac legte auf den kleinen Tisch in der Kajüte die dreißig Pfund in Banknoten hin, die er von dem Lord als Anzahlung für seine Führerdienste erhalten hatte, und dann verließen wir den Benzinstänker wieder und wanderten nordwärts am Seeufer dahin.

Ich blickte von einer Anhöhe nochmals zurück. Ich sah die beiden braunen Leinenzelte nur noch als winzige Kegel gegen den grünen Hintergrund. Aber ich sah auch eine ebenso winzige Gestalt und ein flatterndes weißes Tüchlein.

»Vorwärts!« grollte Mac ungeduldig. »Bis zu meinem nächsten Unterschlupf sind es noch drei Stunden, und der Tag wird heiß, Abelsen ... Wenn die Bienen so eifrig bei der Arbeit sind wie heute, melden sich nachher die Hornissen, falls man eben nicht jede Spur hinter sich verwischt.«

Da verstand ich ihn. Er rechnete damit, daß Bellegard uns verfolgen würde.

Elsies weißes Tüchlein mochte Hohn und Drohung gewesen sein.

»... Halten Sie sich dicht hinter mir, Abelsen ... Nun geht es diesen Berg hinan, droben beginnt der Urwald ... Selbst Jazintos verdammt scharfe Augen sollen keine Fährte auf diesem Wildziegenpfade entdecken, der so an die zwanzig Abzweigungen weiter nach oben hat.«

Hiermit war das Gespräch für anderthalb Stunden beendet, denn bei dem Anstieg brauchte man die Lungenkraft für jeden Schritt.

Bevor wir nachher in den schweigenden Dom des Waldes eintauchten, schaute ich mich nochmals nach dem Biba-Schoni-See um, erkannte auch das Inselchen, freute mich über die im Sonnenlicht gebadete weite Wasserfläche und nahm Abschied für immer von dieser großartigen, so abwechslungsreichen Landschaft, die mir so viele aufregende, frohe und wehmütige Stunden beschert hatte. Drüben auf der höchsten Kuppe der gekenterten Wand der Goßli lag die für meine Freunde bestimmte Blechbüchse. Sie würden sie finden ... Sie würden mich vergessen, wie sie das Ungemach vergessen würden, das die güldenen Schätze der Helga Goßli für immer menschlichem Zugriff entzogen hatte.

Mac, mein neuer Freund Mac, war bereits im Waldesdunkel halb verschwunden. Ich beeilte mich, holte ihn ein – er meinte mit gutmütigem Spott: »Abelsen, Sie sind zu sehr Schwärmer, Idealist ... Sie klammern sich zu sehr an Vergängliches ... Und vergänglich ist alles: Liebe, Freundschaft, Treue ...!«

Seine Stimme gleicht jetzt fast der Lord Bellegards – schwirrende Stahlsaite ...!

»Treue, Mac – die streichen Sie nur aus Ihrem Unkengekrächz!« erwiderte ich gutgelaunt und bückte mich und klopfte Taito den Rücken. »Wo Menschen versagen, Mac, da versagt ein treues Tier niemals!«

»Allerdings ...« – und er nickte gedankenvoll. »Ich hatte mal drüben in Kanada einen gezähmten Wolf als Leithund vor meinen Schlitten ... Aber das sind Geschichten von einst wie vieles andere ... Glauben Sie mir: dreißig Jahre als Waldläufer, als Fallensteller – – man erlebt da allerhand, und man wird Jahr um Jahr härter und verschlossener. Enttäuschungen gibt's, bittere Enttäuschungen ... Ihnen traue ich ... Wie heißen Sie doch mit Vornamen?«

»Olaf Karl ...«

»Dann will ich dich Olaf nennen ...! – Ich finde, es ist ein Unfug, sich hier in der Wildnis mit dem förmlichen ›Sie‹ abzuquälen ... Hand her, Olaf ...!« Er war stehengeblieben, er streckte mir seine sehnige braune Hand hin. »Du – noch nicht alles weißt du über die geheimnisvollen Europäer dort hinter den Sümpfen zwischen den beiden Gebirgszügen ... Später hörst du den Rest ... – Auf gute Kameradschaft, Olaf! An den Edelsteinen liegt mir nichts – damit du mich nicht falsch beurteilst. Aber an dem Geheimnis liegt mir etwas. Ich wittere da etwas ganz Besonderes ... – Weiter also!!«

Er bog sehr bald scharf nach Süden ab.

Mittags erreichten wir das, was er seinen »Unterschlupf« genannt hatte. Er hatte mir darüber nichts verraten und weidete sich jetzt an meiner grenzenlosen Verblüffung ...

 

* * *

 


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