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8. Kapitel.
Ellens Wünsche

Still ging ich neben Hiruto her. Das Verhältnis zwischen uns hatte sich vollkommen geändert. Meine bisherige Annahme, der Baron sei ein Verbündeter der Leute, die sich nun auf der Jacht im Pazifik irgendwo umhertrieben und nicht wagten, ihr Eiland vorläufig aufzusuchen, war verfehlt gewesen. Hiruto kannte diese Männer, aber er kannte ihre Geheimnisse nur zum geringsten Teil. Er hatte mich belogen, getäuscht, – jetzt log er nicht mehr. Im Grunde waren wir nun Verbündete geworden ... durch die Bimssteininsel.

Und Ellen Duncam?! Wie weit war sie eingeweiht?! Wußte sie mehr als Hiruto?!

Ich mochte ihn nicht danach fragen. Er hätte ja doch nicht geantwortet. Fraglos hatte er sein Wort verpfändet.

Zu meinem Erstaunen sagte er da ganz von selbst, als wir zur Bucht hinabstiegen: »Ellen hat mir vieles verheimlicht, merke ich ... Die Rakete zum Beispiel war für mich eine völlige Ueberraschung, Mr. Abelsen.«

Zum ersten Male redete er mich mit meinem eigentlichen Namen an. – »In der Tat – eine völlige Ueberraschung ... Ich hätte es sonst ja nie zugelassen, daß sie sich der Gefahr aussetzte, erschossen zu werden.« Er sprach das in sehr nachdenklichem Tone. »Im Vertrauen, Mr. Abelsen, Ellen hat mir auch die Stelle bezeichnet, wo das Zelt errichtet werden soll, sogar sehr genau ... Und doch ist sie bestimmt noch nicht auf dieser Insel gewesen, das könnte ich beschwören. Die Instruktionen, die sie erhalten hat, sind also viel genauer als die, die ich empfing, ... empfing, in des Wortes wahrer Bedeutung: durch den Radioapparat!«

»Den auf der Brigg, den Sie nachher abmontierten?«

Er schwieg und warf seine Zigarette weg.

Wir kamen an Bord. Chubur lag vorn im Schatten der Reling und schlief – betrunken. Meine Araukaner standen unweit davon um Chanaf herum, und ihre Gesichter verrieten deutlich eine gewisse stille Feindseligkeit. Während der Baron zum Achterschiff ging, trat ich zu meinen braunen Freunden. Nur der Riese Manik fehlte. Ich fragte nach ihm. Chanaf erwiderte finster:

»Er sein bei blonde Miß, El Gento ... Blonde Miß haben wieder Signal gegeben ...«

Ich erschrak. »Ein Signal?! Wie das?!«

»War am Fensler, zweites nach Backbord ... Hat mit rotem aufgespanntem Sonnenschirm herausgewinkt, hat Sonnenschirm gedreht und ... so ... geschwenkt ... so ...«

Er deutete die Bewegungen an.

» ... Manik das sehen, Manik sehr wütend und werfen Jagdmesser ...«

Ich fühlte, daß ich bleich wurde.

Chanaf verzog die Lippen. »El Gento es halten mit blonde Miß ... Sein nicht mehr Freund von Araukaner ... Miß sein Feindin.«

»Chanaf!!« – Aber mein Grimm verpuffte ...

»Hat Manik ... getroffen?« – Ich war verlegen ... Chanaf besaß das klare Gerechtigkeitsgefühl der freien Männer, die dort am Gallegos hausten, und auch ich besaß es. Ich fühlte mich schuldig. Ich hatte zuviel Rücksicht auf Ellen genommen, ich tat es noch.

»Schirm getroffen ... und dann hinlaufen,« erwiderte der schlanke junge Araukaner einfach. »Ich gleich in Krähennest klettern und mit Glas sehen, ob Jacht etwa zu sehen, aber Meer sein ganz leer ...«

Ich eilte davon. Wer konnte wissen, was Manik mit Ellen angestellt hatte?!

Als ich ihre Kabine betrat, lag der Baron gefesselt auf dem Teppich, Ellen in ihrem kostbaren Morgenkleid sehr bleich in einem Bordstuhl, und Manik lehnte an der Wand und musterte mich mit offener Auflehnung, sagte rauh:

»Insel sein Lüge ... Keine Insel sein ... Japaner auch lügen, blonde Miß Verräterin, und El Gento nicht mehr Freund von Araukaner ... Coy Cala war Häuptling. Er tot. Ich hier befehlen ...!«

Also so standen die Dinge!! Rebellion – gegen mich, der vor Monaten feierlich in den Stamm aufgenommen worden war, der sich als Bruder dieser braunen Pampassöhne betrachtete!! Und all das – – eines Weibes wegen, – des Mädchens wegen, die dort vor mir ruhte und deren Augen mich flehend anschauten ...!!

Aber auch andere Augen schauten mich an, und die waren schwarz wie Kohlen und glühend wie Kohlen ... – Eines hatten all diese Araukaner an sich: Sie konnten in ihren Blick einen solch' verächtlichen Hochmut legen, wie ich dies bei Naturvölkern nur noch bei den Somalis gefunden habe, die sich ja überhaupt durch tadellosen Wuchs und zuweilen fast edlen Gesichtsschnitt auszeichnen.

Manik, der Riese blickte mich so an und spielte dabei mit seinem Jagdmesser, das ganz außergewöhnliche Länge besaß. Manik wartete auf meine Antwort.

Sollte ich dieser beiden Fremden wegen die Freundschaft treuer erprobter Gefährten hingeben?! Und dann: Durfte ich diese Anmaßung Maniks ruhig durchlassen?!

Also dann zuerst ... Manik! Ich wußte, wie diese großen Kinder zu nehmen waren.

»Wenn du meinst, du hättest hier zu befehlen, Manik, – nun gut, tu's! Und wenn ich nicht mehr zu euch gehöre, ihr mich also ausstoßt, nur, weil ich gerecht bin, – auch gut! Ich bin gerecht. Die Frau und der Japaner haben ihre Geheimnisse, wir haben die unseren. Denke an Coy Callas Grab. Würdest du etwas davon verraten, würdest du nicht lügen und kämpfen, sein Grab zu schützen?! Uns gehen diese Fremden nichts an ... Die Insel gehört denen, die ich mit Kugeln auf ihrer Jacht überschüttete. Habe ich sie geschont?! Ich habe nur getan, was mein weißes Blut mir gebot: Unnötiges Morden zu verhüten, und ein Mädchen, das für die Ihrigen eintritt, zu schützen. – Du hast das Band der Freundschaft zwischen uns zerschnitten. Lebte Coy noch, wäre dies nie geschehen. Also – – befiehl, was soll geschehen?«

Maniks Augen erloschen. Seine harten Züge entspannten sich, und halb verlegen prüfte er mit dem Zeigefinger die Schärfe seines Messers. Was er in der ersten Erregung ausgesprochen, reute ihn. Er suchte nach Worten, er war unbeholfen in der Kunst, seine Gedanken für andere Ohren zu formen, er trat unruhig von einem Bein auf das andere und brummte:

»So das nicht gemeint waren, El Gento ... Du unser Bruder ... Nur ... nur zu viel Freundschaft für junge Miß ...«

Ich sah zu Ellen hin. Sie errötete, und mir ging's nicht anders.

»Miß mit Schirm winken ...« fuhr Manik grollend fort ... »Wem winken, he?! Wem?! Jacht nicht da sein. Meer sein leer ... Wem winken, he?! Insel sein Lüge, Felsen sein Lüge, in Felsen können sein Leute und schießen ...!«

»Dann hätten sie es wohl längst getan, Manik ... Sie hätten uns einzeln niederknallen können. Die Leute sind auf der Jacht, und die weiße Jacht fürchtet uns. Vergiß nicht, daß sie nachts umkehrte, als die Miß das Feuer gen Himmel fliegen ließ. Hat die Rakete uns geschadet?! Wird der rote Schirm uns schaden?! Fürchtest du dich vor einer Frau?!«

Er überlegte. Sein Hirn arbeitete langsam.

»Du recht haben, El Gento ... Wir Araukaner undankbar ... Du Coy schützen, du Bruder von uns ... Das so bleiben.«

Er hielt mir die Hand hin, und ich nickte ihm zu und er lächelte bescheiden und preßte meine Hand und ging hinaus.

Der Zwischenfall war erledigt – und auch nicht. Ein Riß läßt sich wohl zusammenleimen und überpinseln, daß äußerlich wieder alles glatt erscheint wie ehedem. Aber im Innern bleibt doch die Trennung des Grundstoffes bestehen, und so war es hier: Ich hatte meine braunen Freunde für immer verloren, Maniks Messer hatte – hier ein Symbol – tatsächlich das enge, feste Band zwischen uns zertrennt, und was einmal gewesen, würde niemals wiederkommen. Ich fühlte es: Ich hatte meine Heimat am Gallegos eingebüßt, ich war wieder genau so weit wie damals, als ich auf schwankenden Drähten dem staatlichen Pensionat der Enterbten Lebewohl sagte: ein Einsamer, Ausgestoßener!

Vielleicht empfand Ellen mit dem verfeinerten Instinkt des Weibes für seelische Vorgänge, was sich jetzt in mir abspielte, obwohl mein Tun meine Gedanken überschattete, denn ich nahm Hiruto die Fesseln ab und sagte sogar mit einem Anflug von nachsichtigem Lächeln:

»Es sind eben halbwilde Burschen, aber ...« – und ich wollte hinzufügen: » ... aber goldtreu!« Ich verschluckte den Nachsatz, denn wieder begegnete Ellens Blick dem meinen, und ... in ihren Augen schimmerten Tränen, die mich erschreckten.

Wie sollte ich wohl diesem Mädchen gegenüber mit der durch die Umstände bedingten Energie auftreten, wenn sie so offensichtlich tief bedauerte, meine Araukaner mir entfremdet zu haben?!

Der Baron rieb sich sein linkes Handgelenk, wo die Stricke rote Striemen erzeugt hatten. Das andere war durch den Verband geschützt worden. Er überhob mich zum Glück der peinlichen Aufgabe, von Ellen über den roten Schirm Aufschluß zu fordern.

»Ellen,« meinte er ungewohnt scharf, »zu meinem Bedauern habe ich vorhin erkannt, daß Sie selbst mir gegenüber vieles verschwiegen haben, was die Insel betrifft. Sie ließen mich bei dem Glauben, es handele sich um eine vulkanische Schöpfung, während nun feststeht, daß das Eiland ein wunderbares Kunstprodukt ist, eine geniale Schöpfung, die ...« – er hüstelte, ... »Nun, jedenfalls: Auch Sie haben Geheimnisse vor mir, und weshalb Sie den roten Schirm als Winkerflagge benutzten, werden Sie Mr. Abelsen wohl erklären müssen ... Sie dürfen nicht allzu stark auf seine Nachsicht rechnen. Er hat sich als Gentleman gezeigt. Auch das hat seine Grenze. Also ...«

Sie hatte verstohlen die Tränen weggetupft. Sie hielt die Hände im Schoße verschlungen, und um ihren blassen Mund zeigten sich wieder die geringen Falten unbeugsamer Entschlossenheit.

»Nehmen Sie an, ich wollte den Schirm nur abstäuben,« erwiderte sie mit einer gewissen unverkennbaren Gereiztheit und Ironie. »Nehmen Sie an, was Sie wollen ... Vielleicht fürchtete ich ein neues Gefecht zwischen der Jacht und der Brigg und wollte dies verhüten.«

Hirutos intelligente Züge wurden steinern. »So fertigt man Mr. Abelsen nicht ab,« sagte er schroff. »Schon die Höflichkeit verlangt eine klare Antwort und nicht derartige Ausflüchte.«

»Diese Antwort verweigere ich ...« Sie richtete sich ein wenig auf, und jetzt zuckte es schmerzlich um den bleichen Mund. »Hiruto, wollen Sie sich von mir abwenden?! Sie kennen mein Leid ... Ich habe nur einen Wunsch: Ich möchte an Land, ich möchte Mr. Abelsen hier nicht mehr belästigen. Lassen Sie nur das Zelt aufschlagen ...

Und diese Bitte galt mir.

»Wie Sie befehlen, Miß ... Mag der Baron mir die Stelle zeigen, wo das Zelt stehen soll ... Oder haben Sie inzwischen einen anderen Platz gewählt?«

Ihr Blick suchte von meinem Gesicht abzulesen, wie diese Worte gemeint waren.

»Nein ...« entgegnete sie etwas verwirrt. »Es mag bei der Stelle zwischen den Büschen dicht an der Halbinsel bleiben ... Es liegt dort ein Felsen, der ...

»... Der festgeschraubte Bimssteinblock,« verbesserte ich, und helle Glut schlug ihr in die Wangen.

Aber kühl fuhr sie fort:

»... Ein Felsen, der ungefähr die Gestalt eines Frauenkopfes hat ...«

Wieder fiel ich ein: »Ich denke, Sie haben die Insel noch nie betreten ... Woher kennen Sie den Kopf, Miß Duncam?«

»Das ... ist meine Sache, Mr. Abelsen ... Verzeihen Sie schon ...«

»Und wenn ich nun das Zelt anderswo aufstellen lasse?! Wenn ich vielleicht vermute, gerade der Platz dort könnte eine besondere Bedeutung haben?! – Jedenfalls werde ich ihn mir erst sehr genau ansehen, was Sie mir kaum verargen dürfen. Unsere Sicherheit erfordert das. Die Leute auf der Jacht haben die Feindseligkeiten eröffnet, und ...«

Sie hatte eine gleichgültige Handbewegung gemacht. »Ihr Mißtrauen ist berechtigt ... Die Stelle dort, Mr. Abelsen, ist von der Brigg hier keine vierzig Meter entfernt, und ich bin dort am leichtesten zu überwachen ... Tun Sie, was Sie für richtig halten. Meine Wünsche sollten Ihnen das Peinliche ersparen, mich von Wächtern umgeben zu müssen.«

»Ich begreife Sie nicht, Kind ...« meinte Hiruto. »Kommen Sie, Mr. Abelsen ... Unsere blonde Prinzessin iat außerordentlich rücksichtsvoll ...«

Ich verneigte mich, ich suchte Ellens Blick, aber sie schaute vor sich hin. Wir gingen an Deck. Im Laderaum befand sich ein vollständiges Zelt aus doppelter Leinwand mit zwei Abteilungen, Zeltstangen, Kokosmatten, Klappstühle, Tischchen, ein Schränkchen, Kleiderhalter und ein Feldbett.

Meine Araukaner, die mich durch verdoppelten Diensteifer zu versöhnen suchten, trugen all das an den freien Platz zwischen den Büschen. Der Kopf-Felsen war leicht zu finden gewesen. Er war offenbar von einem Künstler in ein Frauenhaupt verwandelt worden. Diese Bildhauerarbeit an dem porösen Material mochte nicht einfach gewesen sein. Ich untersuchte den Platz äußerst sorgfältig, entdeckte jedoch nichts irgendwie Verdächtiges. Das Zelt hatte dort gerade genügend Raum, so daß vor dem nach Norden zugekehrten Eingang noch eine buschfreie Fläche übrig blieb.

Dann trugen zwei Araukaner Ellen samt dem Liegestuhl an Land. Hiruto erwartete sie vor dem Zelte, ich selbst war mit Manik nach den Antennenmasten gegangen, um von deren Plattform mit dem größten Fernrohr der Brigg Ausschau nach der Jacht zu halten. Wir sahen nichts als das leere, weite Meer ringsum. Manik blieb auf der Plattform. Ich selbst wanderte allein zum Südstrand und setzte mich hier zwischen zwei schroffe Bimssteinzacken und hing meinen Gedanken nach.

Ich wollte allein sein.

Ich hatte heute unendlich viel verloren. Ich hatte mir eine neue Heimat dort am Gallegos gewonnen gehabt und hatte sie wieder verloren. Die Araukaner waren mir wahre Freunde gewesen, – und auch sie hatten sich von mir innerlich losgesagt. Mir war schwer ums Herze, unendlich schwer, und ich sehnte den morgenden Tag herbei, an dem wir wieder in See stechen würden ... Ich haßte diese kleine Insel ... Ich war ohne Heimat, ohne Freunde ... Ich war einsamer denn je. Und mein Entschluß stand fest, wieder irgendwohin in die ferne Fremde zu ziehen, wo niemand mich kannte.

Und doch ...

Ellen Duncam drängte sich immer aufs neue in meine schleppenden Gedanken ein.

Eine unklare Vorahnung sagte mir, daß, selbst wenn ich Ellens Geheimnissen ausweichen würde, das Schicksal mich doch wieder mit diesem Mädchen zusammenführen müßte.

Ich schreckte empor ...

Maniks Stimme brüllte suchend meinen Namen:

»Hallo, El Gento – – hallo!!«

Ich meldete mich, er kam herbeigestürmt mit flinken Sätzen, sein Gesicht war kittgrau und sein Unterkiefer flatterte, zerbiß seine Worte zu halb unverständlichem Stammeln ...

Ich starrte ihn an.

»Du mitkommen, El Gento ... Du mitkommen ...! Sein drei Tote, El Gento ... Drei Weiße ...«

Wir rannten zur Nordbucht, zur Brigg. Der Bimsstein knirschte unter unseren Füßen.

An Deck der Brigg lagen drei Ballastsäcke – aufgeschnitten ... Die Hälfte des Sandes war verschüttet. In den Säcken steckten drei Leichen, drei Männer, die Beine eng an den Leib gezogen ... Sie waren mit weißem Chlorkalk bestreut, aber der Verwesungsgeruch hatte trotzdem einen der Araukaner gerade auf diese Säcke aufmerksam gemacht.


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