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7. Kapitel.
Die Insel

Sie begannen eigentlich schon in dem Moment, als wir die Brigg in die Bucht hineinbugsierten und ich nun aus nächster Nähe feststellte, daß das ganze Eiland nichts als ein ungeheures Stück Bimsstein war.

Fälschlich wird dieses vulkanische Produkt zumeist »Bimmstein« genannt. Es heißt jedoch richtig, Bimsstein und ist eine schaumige Ausscheidung glasiger vulkanischer Gesteine. Die luftdicht abgeschlossenen Blasenräume des Bimssteines übertreffen die Schwere der porösen Glasmasse derart, daß Bimsstein bekanntlich schwimmt.

Diese Bimssteininsel hier war durch eine seltsame Laune der Natur entstanden. Nur vulkanische Ausbrüche von grandioser Stärke konnten ein solches Riesenstück Bimsstein zusammengeschmolzen haben.

Diese hellgrauen, im Sonnenschein leicht silbern glänzenden Gestade waren ein Naturwunder, wie ich noch keines geschaut hatte. Gewiß, Vulkanausbrüche auf Java, den Sundainseln, in Japan hatten wohl zuweilen Bimssteinblöcke von mehreren Metern Umfang erzeugt. Besonders auf den Sundainseln werden solche leicht zu bearbeitenden Bimssteinblöcke auch zum Häuserbau verwandt, während die europäische Industrie den »Pumex« (lateinische Bezeichnung) nur in pulverisierter Form als Schleifmittel oder in kleinen Stücken zum Reinigen der Hände und in der Gerberei benutzt.

Ich war als erster an Land gesprungen. Nicht ohne Vorsichtsmaßregeln. Zwei von uns standen für alle Fälle am Maschinengewehr bereit. Es war überflüssig. Wir wurden durch niemand gestört, nicht einmal durch Seevögel. Und dieses gänzliche Fehlen von gefiederten Geschöpfen gab mir zu denken. Die kleine Insel wäre doch ein idealer Nistplatz gewesen. Die zerrissenen Ufer boten übergenug passende Plätzchen. Ich sah nicht ein einziges Nest. Möven und Albatrosse kreisten über dem Eiland, ließen sich aber stets nur für wenige Minuten auf den Felszacken nieder.

Nachdem die Brigg sicher vertäut war und zwar an zwei säulenartigen Blöcken, deren tief eingekerbte Rillen bewiesen, daß hier bereits Stahltrossen den Bimsstein zerscheuert hatten, ließ ich zunächst durch Chanaf die Wolldecken von den Fenstern der Kabinen entfernen – eine Rücksicht, die ich Ellen schuldete.

Chubur und ich, gut bewaffnet, begannen dann einen Rundgang um die Insel, durchquerten sie auch nach allen Seiten hin und ... fanden nichts irgendwie Bedrohliches, dafür aber sehr viel Merkwürdiges.

Das Eiland besaß nirgends eine Schicht fruchtbarer Erde. Die Büsche und Bäume wurzelten in Spalten, in deren Tiefen sich freilich Humus wie in riesigen, oben fest geschlossenen Blumentöpfen befinden mußte. Die Palmen waren klein, die Sträucher wucherten desto üppiger. Gras oder Blumen fehlten vollkommen.

Der Baron hatte von einer Quelle gesprochen. Wir entdeckten sie nicht. Es gab hier nur kleine Lachen von Seewasser, ferner halb verweste Quallen, Fische und Krebstiere, die übel stanken. Seltsam war, daß zwischen den beiden Antennenmasten die meisten toten Quallen lagen.

Diese Antennentürme aus Holz standen auf Sockeln von Beton, waren mit Oelfarbe gestrichen und hatten jeder schmale Leitern und oben eine kleine Plattform. Die Ableitung der Antenne hing zerrissen unten auf dem Boden.

Wie genau wir auch nach Anzeichen uns umschauten, ob die Insel bewohnt gewesen: Nirgends fanden wir Anzeichen dafür.

Chubur meinte, vielleicht gäbe es in den Steilufern Hohlränme, Verstecke. Auch ich hatte daran gedacht. Wir riefen Manik und Chanaf herbei, und sie mußten die Ufer sorgfältig auf etwa vorhandene Verstecke durchstöbern. Diese hohen Ufer verliehen dem Eiland das Aussehen einer viereckigen Schüssel mit grünen Rändern. Das Innere war kahl, voller Bimssteinblöcke jeder Größe.

Die Sonne stieg höher, und Chubur und ich kehrten zur Brigg zurück. Wir frühstückten im Schatten der Büsche, und Chubur war durchaus meiner Ansicht, daß diese Insel uns kaum zu längerem Verweilen reizen könnte. Auch darin waren wir uns einig, daß die weiße Jacht die Leute der Insel mit sich genommen hatte und daß sie sich mit uns nicht mehr ans ein Gefecht einlassen würde. Sie würde zurückkehren, wenn wir davongesegelt waren, und die ganzen Geheimnisse würden so dunkel bleiben wie bisher. Was gingen sie uns an, wozu sollten wir uns in Dinge einmischen, die meiner Meinung aufs engste mit der verlogenen »Friedenspolitik« der wehrhaften Großmächte verknüpft waren. Wir beschlossen allen Ernstes, morgen früh heimzukehren, falls Ellens Befinden dies zuließ.

Während wir so auf dem harten Gestein lagen und viel Whisky mit wenig Tee tranken und nun als Abschluß der Frühmahlzeit die Zigarren an die Reihe kamen, erschien Chanaf ganz atemlos zwischen den Büschen und brüllte wie besessen:

»El Gento, Insel großer Schwindel sein ... Sein nur alles zusammengeschraubte Bimssteinblöcke. Ritzen sein verkittet mit Mörtel von gleicher Farbe. Manik hat losgerissen großen Block ... Lange Schrauben liegen bloß ... Alles Schwindel ...!«

Ich starrte ihn fassungslos an.

Mein Blick glitt von seinem erregten Gesicht abwärts ... Ich musterte den Boden, und da erst sah ich bei genauem Prüfen auch hier eine Rille, die mit Mörtel ausgefüllt war. Ich zog mein Messer, – der Mörtel war hart wie Beton, aber fast von der Farbe des hellgrauen Bimssteins. Ich verfolgte die Rille weiter, und sehr bald konnte ich die Umrisse verschiedener Stücke der Bodenplatten unterscheiden.

Wenn man Ingenieur ist, und wenn auch mein Spezialfach der Tiefbau war, so hat man doch auf verwandten Gebieten genügend Kenntnisse, um sich ein Urteil über technische Dinge, also auch über diese künstliche Insel bilden zu können. Als ich dann Chanaf zur Ostküste begleitet und mir die langen eisernen Schrauben angesehen hatte, wußte ich genug: Die Annahme, das Eiland sei ein Naturwunder, zerrann in nichts! Leute von hervorragendem Unternehmungsgeist hatten hier auf einer Untiefe eine Insel gleichsam aufgemauert. Wahrscheinlich hatten sie zuerst Betonklötze versenkt und auf diesem Fundament aus Bimsstein das Eiland richtig »zusammengeleimt« – eine an sich so großartige Idee, ein so gelungenes imposantes Werk, daß man doch wieder vor einem Wunder stand – einem technischen Wunder höchster Vollkommenheit!

Ich wußte genau, daß man drüben auf der anderen Seite der Erdkugel Aehnliches seit langem plante. Die Amerikaner wollten im Atlantik schwimmende Flugzeughäfen errichten, wollten ungeheure Stahlkästen bauen, an Ort und Stelle zusammennieten und so ebenfalls künstliche Inseln schaffen als Zwischenlandungsplätze für den transozeanischen Luftverkehr.

Hier dieses Eiland mit Büschen und Palmen übertraf selbst den phantastischen Mut der amerikanischen Kollegen, übertraf die Hirngespinste eifriger Romanschreiber, denn – es war eine Insel, kein bloßes schwimmendes Riesendock, – es war künstliches Land an entlegenster Stelle des Pazifik!!

Welch' immense Arbeit stellte dieses Inselchen dar!! Wie lange mochten hier wohl Hunderte von verschwiegenen Leuten in aller Stille geschafft haben, wie zahllos mußten die Schiffsladungen Bimsstein und Beton gewesen sein, bevor ein solches Werk zustande kam! Nur ein Genie, hinter dem ein Riesenvermögen und ein Heer von treuen Helfern stand, durfte sich an derartiges heranwagen.

Nur – – der Baron Sajo Hiruto konnte der Schöpfer des Eilandes sein! Wer den glühenden Patriotismus der Japaner kennt, kennt auch ihre Verschwiegenheit, sofern es um das Staatswohl geht.

»Hole den Baron!« sagte ich zu Chanaf.

Chubur, Manik und ich setzten uns auf die Felsen. Vor uns ragten die enormen Schrauben aus dem Bimssteinboden.

Aber meine Araukaner zeigten keinerlei Interesse mehr für dieses Wunder der Technik. Ihnen genügte Chanafs Urteil: »Schwindel!!«

Chubur kaute seine Zigarre breit, und der Riese Manik, der die Kräfte eines Elefanten besaß, rüttelte an einem der runden, daumendicken Eisenstäbe, die oben Gewinde und Muttern hatten, und bog ihn wie ein Rohr zur Seite, ohne ihn aus seinem Betonlager herausreißen zu können.

Hiruto erschien. Er hatte eine weiße Mütze auf, im Munde eine Zigarette, und schaute sich immer wieder um, als ob ihm dieses Eiland fremd wäre. Er nahm die Zigarette zwischen die Finger, grüßte und starrte die vier meterlangen Schrauben an.

»Lassen Sie doch das Theater, Baron!« sagte ich gereizt. »Sie haben diese Insel erbaut, nur Sie! – Wozu?!«

Er markierte wieder sein Achselzucken.

»Mr. El Gento, mein Wort: Ich habe die Insel nicht ... erbaut! – Wie meinen Sie das übrigens: erbaut?! Ich verstehe Sie nicht recht.«

Wenn er auch jetzt log, dann log er in der Vollendung. Aber er wiederholte sehr ernst: »Mein Wort, daß ich Sie nicht verstehe ...! Wie kann man eine ganze Insel erbauen, mag sie noch so klein sein – mitten im Pazifik! Das ist ja Unsinn, verzeihen Sie.«

Er log nicht. Ich merkte es, und die Geheimnisse wurden noch dunkler.

»Baron, es wäre wirklich zweckmäßiger, Sie würden endlich Farbe bekennen,« sagte ich mit allem Nachdruck. »Was wissen Sie von diesem Eiland?«

»Zu wenig, wie ich jetzt einsehe,« erwiderte er nachdenklich. »Leider zwingen mich die Verhältnisse, auch weiterhin über gewisse Dinge zu schweigen. Aber ich versichere Ihnen, daß ich die Insel noch nie betreten habe – jetzt zum ersten Mal, – – beim Andenken meiner Ahnen!« – und er nahm die Mütze ab und verneigte sich tief vor diesen Ahnen, die im Leben der Japaner wichtiger sind als alles andere. Ihr Ahnenkult ist das starke Gerüst ihrer Religion.

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.

»Kennt Miß Ellen die Insel genauer?«

»Nein. Sie hat ihren Fuß noch nie auf dieses Gestein gesetzt. – Erklären Sie mir bitte, weshalb Sie von »Erbauen« sprachen. Mich interessiert das außerordentlich.«

»Mich wahrhaftig!« – und ich zeigte ihm die Mörtelrinnen, zeigte ihm, daß all diese Blöcke künstlich durch Schrauben aneinander gehalten wurden

Daß er von Technik nicht viel verstand, bewiesen mir seine ferneren Fragen und seine immer wieder auflebenden Zweifel. Er verstellte sich nicht, er hatte von dem wahren Wesen des Eilandes keine Ahnung. Schließlich kletterten wir zum Strande hinab. Hier mußte sich ja der Beweis, daß die Insel lediglich auf einer Untiefe regelrecht aufgebaut war, am leichtesten führen lassen. Ich ließ Chanaf einen Bootshaken und das Lot holen, und dann gingen Hiruto, ich und Chubur stark entblößt ins Wasser. Der Bimssteinstrand senkte sich etwa zehn Meter von der Flutgrenze ziemlich flach in die Tiefe, dann fiel er plötzlich ganz steil ab, und obwohl wir nur bis zur Brust im Wasser standen, fanden wir mit dem Bootshaken keinen Grund mehr. Erst als wir das Lot auswarfen, sank es genau bis auf dreißig Meter Tiefe, die Leine lief allerdings etwas schräg abwärts.

Das genügte dem Baron. Der Konstrukteur der Insel hatte eben mit dem Material doch gespart und den bei Flut unter Wasser liegenden Teil des Strandes nur etwa zehn Meter breit gemacht. Bei Ebbe mußte also dieser Strandstreifen noch schmaler sein, weil die Wasserhöhe dann geringer war.

Den zweiten Beweis lieferte Chubur als vorzüglicher Taucher. Er warf auch seine Lederjacke ab, gab sie mir und sprang kopfüber in die Tiefen Als er nach zwei Minuten wieder erschien und neben uns den festen Bimssteinboden erreichte, sagte er mit einem Gesicht, wie ich es an ihm noch nie bemerkt hatte, und dieses Gesicht war das eines Menschen, dem das Grauen die Kehle zuschnürt, und die Stimme klang wie eingerostet:

»Dort ... dort unten Fels wie vorspringendes Dach nur ... Und unter Dach hocken auf dicker Kette große Meerspinne mit Lassoarmen und Laternenaugen ... Chubur nie mehr hier tauchen ... Chubur kennen große Meerspinnen ... Da –« – und er zeigte auf seine vorgewölbte Brust, und über der linken Brustwarze hatte er eine handgroße Narbe mit zackigen Rändern, die ich bereits kannte – »da haben Zange von große Meerspinne Fleisch herausgerissen am Kanal an Wellington-Inseln ...«

Er schüttelte sich vor Grauen ...

»Chubur kämpfen mit Puma, mit viele Feinde. Chubur nie mehr kämpfen mit Meerspinne ...!«

Hiruto schaute ihn verständnislos an.

»Er meint einen Kraken, einen Riesentintenfisch, Baron,« erklärte ich, und wir drei begaben uns ziemlich eilig zurück aufs Trockene.

Hier zog Chubur schweigend seine Jagdkluft wieder an. Als ich ihn fragte, ob er denn wirklich eine Kette dort unter Wasser erkannt hätte, nickte er nur ... »Laternenaugen von Spinne waren hell genug ...« und dann ging er am Strande davon der Bucht zu. Seine Schritte waren unsicher, und als wir nachher an Bord kamen, hatte Chubur seinen Schreck mit Whisky betäubt und war total betrunken und schlief.

Nachher ...

Denn Hiruto und ich blieben noch auf der Insel, durchquerten sie und prüften überall die einzeln herumliegenden Bimssteinblöcke. Sie waren sämtlich an den eigentlichen Bodenplatten des Eilandes festgeschraubt, und dort, wo die Schraubenmuttern vertieft saßen, waren die Löcher mit dem hellgrauen Mörtel unauffällig ausgefüllt.

»Mr. El Gento,« sagte der Baron, »bisher habe ich Ihnen allerlei Rätsel aufgegeben. Nun tut das gleiche dieses Inselchen mir gegenüber – und Ihnen gegenüber. Immerhin – um ehrlich zu sein –, ich glaube den Konstrukteur dieses Wunders zu kennen, – – oder besser, ich kenne ihn. Ich bin es nicht. Es ist ein Mann, der ...«

Er brach mitten im Satz ab, deutete wieder sein Achselzucken an und fügte hinzu: »Nein, ich darf nicht einmal darüber sprechen ... Niemand darf es ... – Wir wollen nun, wenn es Ihnen recht ist, für Ellen ein Zelt errichten ...« – So lenkte er das Gespräch über den »Mann« ab und lenkte es auf die Frau, auf das Mädchen, deren Ebenbild in meiner Seele haftete – – für immer.


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