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6. Kapitel.
Das Signal

Die Jacht hält genau auf uns zu. Es ist keine Luxusjacht. Derartig schlanke, schlichte, flinke Schiffe pflegen die höheren Kolonialbeamten in der Südsee zu benutzen. Die Entfernung beträgt etwa achthundert Meter, aber sie verringert sich zusehends, obwohl Chubur umsichtig genug gewesen ist, sofort zu wenden und zu flüchten. Wir laufen genau nördlichen Kurs.

Ich eile in die Kajüte zurück. Das Maschinengewehr hat eine Sockellafette. Ich brauche nur das Schloß einzusetzen. Der Riese Manik schleppt die Patronenkästen und die Lafette nach achtern. Ich montiere schnell das Maschinengewehr, ich führe den Gurt ein, die ersten Probeschüsse knallen ... ins Leere.

Chubur am Steuerrad schreit schrill und lang den Jagdruf der Pampas. Die Antwort kommt von drüben – – ein Hagelschauer von Kugeln ... Die Brigg ist aus Eisen, und die eiserne Reling hoch und dick. Chubur wischt sich das Blut von der Nasenspitze. Das Stück Haut schmerzt ihn nicht, aber die frische Zigarre ist mit zerblättert. Außer Chubur hat noch einer meiner Freunde eine Schramme abbekommen. Was tut's?! Wenn die dort auf der Jacht nur Gewehre haben, werden sie sehr bald mit üblen Wischern abziehen.

Ich schicke Chanaf, der sein Wächteramt eigenmächtig verlassen hat, zu den beiden Gefangenen. Sie sollen sich niederlegen. Der Heckaufbau schützt sie nicht, nur die Reling. Sie dürfen nicht aufrecht stehen. Ich bin in Sorge Ellens wegen. Auch die Kabinen haben Kugeln geschmeckt. Chanaf ist gleich wieder da und beruhigt mich. Der Baron ist bei Ellen. Sie liegen ganz flach in Bordstühlen und rauchen Zigaretten.

Mein Feuerspeier mit dem gespickten Gürtel schweigt noch. Ich kann warten. Irgend etwas hält mich davon ab, die Jacht mit Geschossen zu überschütten. Nur die Araukaner feuern zuweilen. Drüben beim Gegner spart man auch mit Munition. Die Entfernung der beiden Schiffe hat sich auf fünfhundert Meter verringert.

Chuburs Nase tropft. Die roten Perlen klatschen auf den Kompaß. Wenn Chubur den Feind sehen will, muß er den Kopf drehen. Er blickt nur geradeaus, und Manik hat ihm eine neue Zigarre geben müssen. Umsonst rede ich ihm zu, daß er sich ducken soll. Er bietet seinen breiten Rücken voll dem Gegner, seine braunen Pranken spielen mit dem Rade, dessen Messingbeschläge sanft im Mondschein leuchten. Wenn eine der surrenden Bleiwespen von drüben an seinem Kopf vorüberpfeifen, schreit er jedesmal den wilden Jagdruf der Pampas.

Die drüben rücken immer mehr auf. Sie fahren ohne Lichter, aber helle Gestalten gleiten über das Deck ... Vielleicht sind es zehn, vielleicht zwanzig!

Ich knie neben dem Heckanker, der meinen rechten Ellenbogen stützt. Meine Hand liegt am Abzug. Nervöse Hitze brennt mir die Wangen. Zwischen uns und der Jacht schießen Haie hin und her wie matt strahlende Streifen, riesige Leuchtquallen täuschen wandernde Spiegelbilder des Mondes vor, und mitunter entquillt ein Schwarm fliegender Fische auf der Flucht vor einem armseligen Katzenhai der Tiefe und schwirrt über die Wogen wie seltsame Schwalben, – – fällt zurück in das feuchte Element ihres ureigenen Daseinskampfes. Die Luft ist mild und angenehm wie in einer warmen Augustnacht in meiner Vaterstadt Göteborg. Alles ringsum scheint zum Frieden zu mahnen. Aber die zischenden bleiernen Wespen zerstören den Traum der Tropennacht.

Urplötzlich von der Jacht her ein wildes Geknalle ... das Mündungsfeuer der Gewehre flackert dort überall am Bug auf ... Sie knien wie wir hinter der Reling, aber die Kugelsaat meines Bleispuckers muß sie auf diese zweihundert Meter im Nu dezimieren.

Ich zaudere. Wir haben keine Verluste ... Ich schiele nach Chubur hin. Er raucht und blickt geradeaus. Chanaf meint verächtlich, die drüben seien Sauschützen ...

Trotzdem war's Zeit ...

Ich stelle das Visier ... drücke ab ... Ziele zunächst auf die Reling und die Gallionsfigur der Jacht, anscheinend ein nacktes Weib ...

Die Kugeln spritzen, – der erste Gurt ist leer ... Chanaf reicht mir den zweiten, schiebt den Kasten näher. Aber die Jacht schwenkt plötzlich herum, zeigt die Breitseite, wendet in kurzem Bogen ...

Chubur ruft grimmig:

»El Gento, Schiff fliehen ..!«

Ja – sie flüchten ...

Sie sollen merken, daß sie klüger tun, uns zu meiden ...

Meine Kugelspritze faucht tackend, – – drüben an Deck völlige Leere ...

Die trübe ferne Dämmerung im Süden verschluckt die Jacht. Selbst mit dem Glase ist sie nicht mehr zu finden.

Das war kein Sieg, das war nicht einmal ein Kampf, das war nur das Vorspiel ...

Denn Chuburs grellender Baß peitscht uns hoch, zwingt unsere Köpfe gen Norden ...

»Die Insel!!« brüllt Chubur, und sogar die Zigarre entfällt ihm ... »Die Insel, El Gento ...!! Die Insel!!«

Wir starren halb gen Westen ...

Ueber dem schillernden Meere liegt ein graues, helles Land, darüber Büsche, niedere Bäume, Kokospalmen, Fächerpalmen ...

Das, was kein Kampf war, hat uns die Insel finden lassen, die wir für versunken hielten.

Chanaf tanzt wie ein Verrückter neben mir ... Seine Stimme schnappt über:

»Die Insel, – – sein die Insel, El Gento – – sein bestimmt die Insel!!«

Unwillkürlich gleitet mein Blick über die Kabinenfenster hin.

Und – aus den aufgeschlitzten Decken des einen reckt sich ein weißer Arm hervor ... eine Handrakete zischt hoch, pufft eine grüne Leuchtkugel aus.

Bevor ich's noch hindern kann, hat Manik gefeuert ...

Ein leiser Schrei dort drinnen ...

Ich stürze hinein ... Unter dem Fenster liegt Ellen, und die Totenblässe ihres Gesichts und das Winseln des Hundes und Hirutos finsterer Blick lassen mich taumeln.

Hiruto hebt Ellen empor, trägt sie auf das Bett ...

»Gehen Sie!« sagt er kalt ... »Ich werde Ellen verbinden. Ein Lungenschuß ...«

Ich weiß nicht, was ich rede ...

»Die ... Insel ... stammele ich nur ... »Sie ... ist ... wieder aufgetaucht ...«

»Aufgetaucht?! Sie war nie versunken ... Sie war künstlich eingenebelt ... Das ist das ganze Geheimnis. Gehen Sie und bringen Sie mir die Apotheke ...«

Ich schicke Chanaf mit dem großen Kasten hinein, ich selbst bringe Schüsseln, Wasser ...

Hiruto weist uns hinaus. »Wenn sie stirbt, sterben sie auch!« sagte er mit beängstigender Ruhe.

Ich lehne vorn an der Ankerwinde, und vor meinen Augen zerfließt das nahe Bild des kleinen Eilandes zu einem leichenblassen Gesicht ... Chubur fragt sehr kaltschnäuzig: »Werden Miß sterben?«

Ich könnte ihm dafür an die Kehle springen. Aber man muß Chubur vieles nachsehen. Und auch Manik, der den verhängnisvollen Schuß abgefeuert hat, hört kein Wort des Vorwurfs.

Chubur fragt ebenso sachlich:

»He – wozu die hat Signal gegeben, El Gento?«

»Wenn ich das wüßte!« – Ich finde mich allmählich wieder zu mir selbst zurück. Ich schicke Chubur zu Chanaf, der jetzt am Steuer steht. Wir wollen das Eiland erst einmal umrunden. Inzwischen wird die Morgendämmerung Heraufziehen, und wir werden feststellen, ob die Insel verteidigt wird.

Die Brigg gleitet in hundert Meter Abstand am Ufer hin. Ich erkenne mit dem Glas zwei Holztürme, – es können nur Antennenmasten sein. Ich sehe helle Felsgebilde zwischen den Büschen, ich kann sehr bald die Größe des Eilandes abschätzen, auch die ungefähre Form, ein unregelmäßiges Viereck, größte Länge von Nord nach Süd vielleicht vierhundert Meter, größte Breite von Ost nach West vielleicht sechshundert. Die Ufer sind stellenweise ziemlich steil, an der Nordseite, die wir nun erreichen, schneidet eine kleine Bucht tief ins Land.

Was mich wundert, ist die merkwürdig hellgraue Färbung des Gesteins. Auch der flache Uferteil zeigt keinerlei Sand – alles nur derselbe Fels ...

Chubur deutet auf die Bucht, die durch eine Reihe Klippen wie durch eine Mole geschützt ist. »Dort ankern, El Gento ... Nachher, wenn erst Tag ...«

Die Brigg umkreist weiter das Inselchen. Ich spähe nach Hütten oder Häusern aus ... Ich bin ein Stück in die Wanten gestiegen, und der Morgen spendet bereits erstes Licht. Die Sterne verblassen. Die Mondsichel blinkt matter. Ich kann das Eiland überschauen, – nur am Ufer gibt es Bäume, Büsche, im Innern nur Felsen ...? kein Haus, kein Dach, kein lebendes Wesen ... – nur die beiden hölzernen Antennenmasten, zwischen denen eine Eindrahtantenne im Morgenwinde leicht pendelt.

Meine Araukaner hängen jetzt wie ich in den Wanten, Chubur steckt oben im Krähennest, wir tauschen unsere Ansichten über das Inselchen aus. Viel ist da nicht zu sagen, wenn man eben von dem hellen Gestein absieht, das ich in dieser Art noch nie irgendwo vorgefunden habe, und ich kenne doch so ziemlich die ganze Welt, habe überall der Technik gedient, habe meinen Ingenieurberuf über alles geliebt und war stets ein Mann, der den praktischen Sinn hoch über die leere Theorie stellte.

Als wir so zum zweiten Male vor der Nordbucht anlangten, schiebt sich im Osten der Sonnenball über den dunstigen Horizont hinweg, die ersten Strahlen schießen über das Meer, und – ein Zufall?! – Baron Hirutos offenbar befehlsgewöhnte Stimme ruft nach oben:

»Ich möchte Sie einen Augenblick sprechen, Mr. El Gento. Ellens Verletzung ist zum Glück nur leichter Natur.«

Ich danke ihm, daß er diesen wertvollen Nachsatz sofort hinzugefügt hat. Der schwere Seelendruck schwindet, und ich reiche ihm froh die Hand, in die er die Spitzen seiner Finger legt, denn das Uebrige ist weiß bandagiert.

Man merkt ihm die durchwachte Nacht nicht an. Sein Anzug ist tadellos, seine gepflegte Erscheinung, sein kluges, rosiges Gesicht und diese Stimme, die genau so beherrscht ist, verraten abermals den Mann von Rang und Stand. Seine dunklen kleinen Augen prüfen meine Züge, dann schwenkt sein Blick flüchtig über das Eiland hin, und mir scheint's, als ob in den Tiefen dieser Augen ein schwaches Lächeln dämmert.

»Die Kugel,« sagt er, »traf als matter Querschläger die Rippen und lag dicht unter der Haut. Ich habe sie entfernt.«

Er hebt seine Linke und öffnet sie. In der Handfläche liegt ein Nickelmantelgeschoß, das kaum deformiert ist. Die Züge des Laufes sind schwach in den Mantel eingedrückt wie breite, gewundene Kratzer.

»Dies ist die Kugel.«

»Gott sei Dank, daß es so abging ...« und ich nehme die Kugel, betrachte sie und verfärbe mich in den Gedanken, daß dieses Stückchen Blei ein junges Leben hätte auslöschen können.

Hiruto beobachtet mich. »Ellen trägt Ihnen nichts nach,« meint er. »Sie hat ja gegen Ihren ausdrücklichen Befehl gehandelt. Die Jacht wird Sie nicht mehr belästigen.«

»Infolge der Rakete?« frage ich schnell.

Er schweigt und deutet sein gewohntes Achselzucken an.

Dann: »Werden Sie hier landen?«

»Ist es die Insel?« forsche ich gespannt.

»Ja – die eingenebelte Insel – allerdings.«

»Und der grüne Zweig, den das Lot heraufbrachte?«

»Irgendein Strauch, ein Baum, die in die Tiefe gesunken waren ...«

Ich hätte noch vieles zu fragen. Hiruto kam mir zuvor. »Mr. El Gento, ich bedauere, das Thema »Insel« und »Jacht« nicht weiter erörtern zu können. Ich kam in Ellens Auftrag zu Ihnen. Falls Sie ein paar Tage hier auf der Insel bleiben wollen, läßt sie Sie bitten, in einem Zelt am Strande zwischen den Büschen ihre Genesung abwarten zu dürfen. Die frische Luft wird ihr gut tun. Den Platz werde ich aussuchen.«

Dieses Ansinnen war unverfänglich. Verfänglich war dagegen Hirutos klug verschleierte Absicht, wir sollten eine Weile auf dem Eiland uns aufhalten – auf demselben Eiland, von dem er uns bisher mit allen Mitteln hatte fernhalten wollen.

Er spürte wohl mein Mißtrauen. Er meinte gleichgültig: »Natürlich will ich Sie in Ihren Entschlüssen keineswegs beeinflussen. Uns ist es ebenso lieb, wenn Sie Ellen und mich etwa nach Valdivia bringen.«

Jetzt log er wieder. Es wäre ihm sicherlich nicht lieb gewesen, wenn wir sofort davongesegelt wären.

»Ich will es mir überlegen, Baron. Das Eiland bietet wenig ... Was sollen wir hier tagelang?! Anderseits möchte ich Miß Ellen nicht den unberechenbaren Zwischenfällen einer Seereise aussetzen, so lange sie nicht völlig wieder bei Kräften. Wie gesagt, – ich werde mich heute im Laufe des Tages entscheiden ...

»Sehr liebenswürdig ...« Er verneigte sich und ging.

Die Kugel schob ich in die Tasche. Ich freute mich dieses Andenkens.

Ohne Schwierigkeiten brachten wir die Brigg in die Bucht und vertäuten sie an einer steil abfallenden Uferstelle, die eine tadellose natürliche Mole darstellte.

Dann begannen die vielfachen Überraschungen.


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