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4. Kapitel
Der grüne Zweig

Chubur stand neben meinem Bett und rüttelte mich.

»He – El Gento, du genug schlafen ... Sturm kommen ... Brauchen dich oben an Deck.«

Ich war also doch schließlich hinübergeglitten in das Land der Träume, und in diesem Reiche der Unwirklichkeit hatte ich mit Gerda Zwiesprache gehalten, und Gerdas und Ellens Gesicht waren ineinander verschmolzen.

Chubur wiederholte drängend: »Böser Sturm kommen ... Japaner alle Segel reffen lassen ... Er guter Kapitän ...

Ich sprang empor und taumelte. Die Brigg rollte schwer. Ich hörte Sturzseen über die Reling klatschen, ich hörte das Tauwerk im Winde pfeifen und die Masten mißtönend knarren.

Wir gingen nach oben. Der Himmel war pechschwarz. Die Dunkelheit täuschte tiefe Nacht vor, und doch war's erst Mittag.

Am Steuerrade lehnte der Japaner im Oelrock und Südwester. Neben ihm packte Chanaf in die Speichen. Hiruto brüllte mir schrill zu: »Kümmern Sie sich um den Motor!! Setzt er aus, ist's das Ende für uns!«

Ich warf einen Blick auf den Kompaß, dann auf die heranrollenden Wogen.

Ich schob den Jap brutal zur Seite ...

»Weshalb steuern Sie gegen den Wind an?! Paßt Ihnen dieser Südost nicht?! Er könnte uns wohl zu früh zur Insel bringen?!« Ich schrie's ihm in das triefende Gesicht ... Es wurde nur von der Kompaßlampe beleuchtet, verzerrte sich in ohnmächtigem Grimm. »Scheren Sie sich in Ihre Kabine hinab!! Sofort!! – Chubur, schließe ihn dort ein. Mit diesem Wetter werden wir auch ohne ihn fertig.«

Chubur schob den Baron wie ein Kind vor sich her.

Kritische Minuten kamen ... Das Wenden bei diesem Sturm war ein gefahrvolles Manöver. Es glückte. Nun flog die Brigg mit der Windsbraut gen Nordwest, und Hirutos erneuter Versuch, uns von dem Eiland fernzuhalten, war schnell genug durchkreuzt.

Der Orkan flaute gegen vier Uhr ab. Die Brigg hatte sich glänzend durchgekämpft, und die Sonne lag warm und wohlig über dem prächtigen Schiffe, das uns dem großen Geheimnis entgegenführte.

Ich ließ ein paar Segel setzen, ich schickte Chanaf mit einem Fernrohr ins Krähennest empor und überließ dem Riesen Manik das Steuer. Wir waren in mäßig bewegtem Wasser, wir hatten günstigen Wind, und ich konnte nun in Ruhe ein Wörtlein mit dem Jap reden. Chubur begleitete mich. Er schloß Hirutos Kabine auf. Der Baron lag auf seinem Bett, die Kabine war voller Zigarettenqualm, und Sajo Hiruto hatte sich inzwischen frisch rasiert und einen tadellosen Flanellanzug angelegt, dazu hellbraune Bordschuhe, Seidenstrümpfe, ein seidenes Oberhemd mit weichem Kragen und eine dunkelblaue Krawatte mit einem Brillant als Nadel. Er erhob sich höflich, verneigte sich und deutete auf das hochgeklappte Tischchen, auf dem eine Masse Dollarnoten aufgereiht lagen.

»Fünfzigtausend ...« sagte er nur. »Wann verlassen Sie die Brigg?«

Ich fegte die Lappen mit der Hand auf den bunten Bastteppich.

»Wenn wir die Insel erreicht haben werden, Baron!« meinte ich barsch.

Er deutete ein Achselzucken an ...

»Wie alt sind Sie, Mr. El Gento?«

»Was soll das?! – Zweiunddreißig ...«

»Dann sind Sie noch zu jung zum Sterben. Nehmen Sie das Geld ... Ich will noch zehntausend hinzufügen ...«

Ich lachte ihm ins Gesicht. »Versuchen Sie's doch einmal mit der Ehrlichkeit, Baron! Damit kommt man am weitesten.«

Er wurde noch ernster. »Mit der Ehrlichkeit fahren Sie in diesem Falle in den Himmel oder in die Hölle. Ich meine es nur gut mit Ihnen ...«

Sein Benehmen gab mir doch zu denken.

»Setzen wir uns, Baron ... – Chubur, hole aus der Kajüte die Seekarte, die ich abseits gelegt habe.«

Kaum war der Araukaner hinaus, als Hiruto mir die Hand hinstreckte. »Ich kenne Sie nicht ... Sie müssen aber mehr als nur ein Abenteurer sein. Ich bitte Sie: Nehmen Sie das Geld! Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nur ein durchaus unverfängliches Interesse daran habe, Sie von der Insel fernzuhalten.« Ich hatte nur zögernd meine Finger in die seinen gelegt. Er drückte mir fest die Hand ... »Ich bin Baron Sajo Hiruto, und wenn Sie in Japan bekannt wären, würde jedes Kind Ihnen sagen: Hiruto ist der reichste Mann Japans! Ich bin auch kein dunkler Ehrenmann, ich habe Sie aus Not belogen ... Ich beschwöre Sie: Verlassen Sie die Brigg!!« Seine Augen ruhten mit zwingendem Ausdruck in den meinen.

Ich wurde schwankend. Er merkte es mir wohl an. Er flüsterte hastig: »Ellen wollte, daß wir Sie als Verbündete mit uns nehmen sollten ... Wären Sie allein, hätten Sie nicht diese halbwilden Indianer bei sich, ich würde nachgegeben haben ... Aber dieses Geheimnis so primitiven Leuten anzuvertrauen, deren Ideenwelt so eng ist, war unmöglich. Außerdem: Es ist Tatsache, Mr. El Gento, – – dort droht der Tod in mehr als einer Gestalt.«

Wieder preßte er meine Hand. Ich lächelte. »Das letzte hätten Sie nicht sagen sollen, Baron. Der Tod birgt keine Schrecken für mich. Vielleicht lockt er mich sogar, und was meine rotbraunen Freunde angeht: Es sind Männer, die vielleicht einen klareren Ehrbegriff haben als mancher Gentleman! Also – schließen wir ein Bündnis, Baron ... Denn – ich würde die Brigg niemals verlassen, bevor ich nicht wüßte, daß Miß Ellen in Sicherheit ist – niemals!«

Er ließ meine Hand fahren und holte tief Atem. Ein melancholischer Zug erschien um seinen energischen Mund ... Er murmelte ein paar Worte, die ich nicht verstand, und setzte sich dann in den einen der kleinen Rohrsessel, stützte das Kinn auf die Fingerspitzen seiner Linken und schien zu überlegen.

Chubur trat mit der Karte ein.

Ich rollte sie auf dem Tische auf. Sie stellte einen Teil des südöstlichen Pazifik dar, ein Quadrat, das etwa als Nordwestecke die berühmte Insel Sala y Gomez und San Felix hatte, nach Süden zu aber bis zum 63ten Breitengrad reichte. Mithin waren auf dieser Karte als einziges Landgebiet nur die beiden Inseln und Teile des Wellington-Archipels eingetragen, ferner die Meerestiefen, Strömungen und anderes, was zu einer erstklassigen Seekarte gehört.

Unsere Brigg mußte sich nach meiner Schätzung etwa in der Mitte dieses Quadrats zurzeit befinden, also in einer Gegend, die nie von Schiffen besucht wird, – wo es auf Hunderte von Meilen kein Land gibt ..!

Und hier sollte die »Insel« liegen?!

Ich zeigte auf die Karte. »Baron, würden Sie sich einmal herbemühen.«

Er blickte nicht auf. Er rührte sich nicht. »Ebenso gut könnten Sie ein einzelnes Sandkorn in einer Düne suchen,« meinte er. »Die Karte wird Ihnen nichts nützen ... Und von mir werden Sie noch weniger ...«

Die Tür war aufgerissen worden. Chanafs strahlendes Gesicht leuchtete auf wie eine Verheißung ...

»El Gento, – – ein grünes Eiland mit hellem Strand ..!!« brüllte er und schwang sein Messingfernrohr ...

Der Baron war mit einem Satz auf den Beinen ... taumelte nach vorn, hielt sich an einem Stuhle fest. Sein Gesicht war wie Asche ... Seine Lippen verzogen sich und gaben die goldplombierten Zähne frei ... Ein pfeifendes Keuchen kam aus seiner Kehle. Ich drängte mich an ihm vorüber, ich stürzte nach oben, entriß Chanaf das Rohr, und hinter mir drein schwang sich Chubur in das Krähennest. Ich schaute erst mit bloßem Auge in die Ferne, stellte dann das Glas ein, suchte den nordwestlichen Horizont ab ...

Chanaf, der in den Wanten hing, schrie:

»Mehr nach Westen, El Gento!«

Aber auch da nichts als Wasser ... Meer – nichts als der leere endlose Pazifik, vergoldet von der bereits sinkenden Sonne.

Und auf meine Augen war doch Verlaß! Sie waren geschärft in der klaren dünnen Luft der Pampas ...

»Nichts!« und ich gab Chubur das Fernrohr und brüllte Chanaf an: »Du hast dich getäuscht ... Es war vielleicht eine Fata Morgana, eine Luftspiegelung ...«

Er schüttelte den Kopf ... »War kleine Insel. Rohr gut sein ... Chanafs Augen noch besser ... War grünes Eiland mit hellem hohem Strand..!«

Dabei blieb er, auch als Chubur nichts finden konnte. Er kam näher, drängte sich mit in den Ausguck und ... suchte ... suchte ... Sein Gesicht wurde grimmig, seine Lippen sprudelten Flüche ...

»War Insel!« beharrte er ... »Genau dort. Mit viel Grün, El Gento ...«

Wir stiegen enttäuscht herab. Auf dem Deck am Vordermast lehnte Hiruto mit rätselvollem Lächeln.

»Nun?!« fragte er ...

Ich pflanzte mich dicht vor ihm auf. »Ich danke Ihnen, Baron ... Ohne Ihr Lächeln hätte ich Chanafs Meldung unbeachtet gelassen ... Triumphieren Sie nicht zu früh! Welche Teufelei hinter alledem steckt, werde ich ... nachts ermitteln.«

In seinen Zügen ging eine blitzschnelle Veränderung vor sich, – er biß sich auf die Unterlippe, und jener Blick kalten Hasses, der mich schon einmal getroffen, enthüllte mir seine geheimsten Gedanken.

»Chubur, bindet ihn!!«

Hiruto streckte die Arme vor. »Ja, bindet mich, ihr Narren: Ihr werdet die Morgensonne nie wieder sehen!«

Er wurde in eine enge Kammer des Vorschiffs gebracht, und die Araukaner bewachten ihn abwechselnd.

Als er abgeführt wurde, erklang vom Heck ein heller angstvoller Ruf. Dort stand Ellen ... Ich schritt auf sie zu. Sie wandte sich jäh um und zog sich in ihre Kabine zurück.

Chubur fand mich in der Kajüte über den großen Tisch gebeugt. Ich hatte den ganzen Kartenständer nochmals durchsucht – umsonst. Ich hatte gehofft, irgendwo eine Seekarte zu entdecken, die man vielleicht versteckt hatte, – eine, in die die Insel doch eingezeichnet wäre. Dann hatte ich die Karte aus des Barons Kabine geholt, studierte sie nun von neuem. Mich interessierten die Tiefenangaben.

Chubur fragte bedächtig: »El Gento, Chanaf meinen, wir Kurs ändern, mehr westlich ... Er am Steuer, Manik bei Japaner ...«

Ich nickte. Meine Augen kamen von dem einen Fleck der Karte nicht los ... Es war kein Fleck, es war ein winziges Loch, wohl durch eine Stecknadel hineingebohrt in das Papier und die untergeklebte Leinwand. Und dort, wo dieser Nadelstich saß, war eine Untiefe vermerkt, der schmale Grat eines unterseeischen Berges ...

Nur dreißig Meter Tiefe ...!!

Chubur war wieder gegangen. Ich warf mich in die Sofaecke.

Wie konnte man ein Eiland unsichtbar machen, – darüber grübelte ich nach.

Ich hatte einmal irgendwo, irgendwann einen Seeroman gelesen, von einer Piratenjacht in den chinesischen Gewässern ... einer Motorjacht ohne Masten, und deren Kapitän war jedem Verfolger entkommen ... Torpedoboote hatten ihn eingekreist, – man wußte, daß es sich um kein U-Boot etwa handelte ... Immer verschwand der Pirat rechtzeitig wie weggewischt, bis ein Zufall ihn an den Galgen brachte: Er hatte seine kleine Jacht im Augenblick der Gefahr stets mit einer riesigen Oelleinwand, die genau die Farbe des Meereswassers in heller und dunkler Schattierung hatte, vollständig bedeckt. Und jeder hatte diesen blaugrünen Buckel für eine Welle gehalten ... jeder ... !

Sollte etwa hier mit gleichen Mitteln gearbeitet worden sein?! Ließ sich ein Inselstrand verhüllen, daß er mit dem Horizont in eins verschmolz?!

Ich ging an Deck, stellte mich neben Chubur an die Ankerwinde, hob das Fernglas ... Noch war's Tag. Noch immer hätte ich das finden müssen, was nicht zu finden war: die Insel!

Chubur sagte und sog schmähend an seiner Zigarre: »El Gento, Brigg jetzt dort sein etwa, wo Chanaf Eiland sehen ... Nichts da!!« Und er spuckte den Stummel ins Wasser.

Ein Gedanke kam mir.

»Rasch – hole das Lot!«

Ich lief nach achtern ... Der Motor stoppte, die Brigg machte kaum mehr vier Knoten.

Das Lot sank über Bord, die Trommel mit der aufgewickelten Leine surrte, die weißen Knoten der Leine, die Metermarken, flitzten ins Wasser ...

Ich zählte ...

»... einhundert ... zweihundert ... dreihundert ...«

Plötzlich wurde die Leine straff, spannte sich wieder ...

Das Lot hatte Grund gefunden, schleppte ...

Wenige Minuten drauf zogen wir die Leine ein – Meter für Meter – bis das Lot nur noch fünfzig anzeigte.

Aus den fünfzig wurden nur noch vierzig, dreißig ...

Wir befanden uns über der Untiefe!!

Wir fuhren langsam darüber hinweg.

Die Leine ward zum Reißen straff, das Lot mußte sich verfangen haben ...

Dann – ein Ruck, und es hing beinahe wieder senkrecht. Wir holten es vollends ein, und an dem Stahlzylinder oben im Ringe war ein frischer grüner Zweig eingeklemmt.

Chubur betrachtete die Bruchstelle des Zweiges.

»Frisch!« sagte er mit merkwürdigem Gesicht. »Chanaf richtig sehen ... War Insel da ... Insel versunken ... Das kennen, El Gento: Kein Erdbeben, – Seebeben, – Meeresgrund sich senken, Eiland mit hinab ...«

Ich starrte in das grüne Wasser.

Mir tat Ellen leid ...

Armes Mädel! Mit der Insel war ihr auch der Verlobte für immer entschwunden.

»Bringe den Baron her,« befahl ich Chubur. »Die Geschichte ist aus ... Es gab eine Insel. Jetzt gibt es keine mehr. Wir kehren zum Gallegos zurück. Der Jap und Ellen mögen mit dem Großboot nach San Gallas fahren.«

Chubur tauchte im Vorschiff unter.

Hinter mir da ein Schluchzen ... Ich drehe mich um. Ellen Duncam hat den grünen Zweig in der Hand und preßt ihn gegen ihr Herz. Ihre Tränen fließen. Neben ihr steht der Pudel und blickt zu ihr auf und wedelt traurig. – Ich finde keine Worte des Trostes. Ich reiche ihr nur die Hand, und ihr Antlitz, rot überflammt vom Abendsonnenschein, zaubert mir wieder die Vergangenheit vor: Gerda Arnstör!

Mit einem Male ist der flinke, kluge Hiruto neben uns. Seine dunklen Augen streicheln Ellen. Seine Stimme ist fast Musik ...

»Ellen, ich weiß, daß die, die wir lieben, noch am Leben sind ... Kommen Sie, Ellen ...«

Er legt den Arm um ihre schlanke Hüften und führt sie davon.

Chubur meint wegwerfend: »Wieder Lüge das! Wenn auf Insel waren, sein ertrunken ...!«

Gleich darauf wendet die Brigg und steuert wieder der Heimat zu – meiner Heimat am Gallegos-Fluß, – – im südlichsten Chile.


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