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10. Kapitel

Hohe Politik und Gerechtigkeit.

Wir drei waren wieder allein. Fritz Menzel schritt mit finsterem Gesicht auf und ab. Harst schwieg.

Menzel blieb vor Harst stehen.

»Nun, was wird werden?!«, fragte er dumpf. »Soll der ehrliche deutsche Name einer alten Seefahrerfamilie auch fernerhin mit diesem Makel behaftet bleiben?! Sollten etwa politische Rücksichten über die Gerechtigkeit triumphieren?!«

Mein Freund hob etwas die Schultern.

»Lieber Menzel, es gibt Politiker fast aller Richtungen, die sich auf den Standpunkt stellen, daß den politischen Zielen alles geopfert werden darf, alles: Ehrgefühl, Ehrlichkeit, Menschenleben,–auch das, was Sie Gerechtigkeit nennen. Es gibt viele solche Zwitterwesen mit so angefaulten Moralbegriffen in den allerhöchsten Staatsstellungen. Wie wäre es sonst möglich, daß Dinge totgeschwiegen werden, die einfach als Volksbetrug himmelschreiend sind! Man sagt: Eine Hand wäscht die andere. Heute müßte man sagen: Eine klebrige Hand macht die andere klebrig. Die Korruption zerfrißt als große Eiterbeule alle, alle einstigen strengen Anschauungen von der Unantastbarkeit der Ehrbegriffe. – Ich kann Ihnen genau voraussagen, was Oberregierungsrat Klappmann uns morgen mitteilen wird: Frau Lydia Elsen und ihre drei Neffen seien nachts im Flugzeug heimgekehrt, und die Beweise genügten doch nicht ganz, ein Auslieferungsverfahren zu beantragen oder gar die deutsche Oeffentlichkeit und das Ausland mit diesen ungeklärten Dingen zu behelligen. Kurz: Die Geschichte wird totgeschwiegen werden wie unzählige andere, und uns wird man einen sehr eindeutigen Wink geben, gleichfalls gefälligst den Mund zu halten, sonst ... ja, sonst könnte »im Staatsinteresse« ... und so weiter ...«

Menzel reckte sich höher und schüttelte totenblaß die geballten Fäuste.

»Und – – und das wollen Sie als Deutscher dulden. Herr Harst?! Der arme Petersen ist ermordet worden, mein Vater ist gleichfalls ...«

»Still!«, winkte Harald beschwichtigend ab. »Wer sagt Ihnen denn, daß ich nicht die Mittel und Wege kenne, diese kaltherzigen Schurken, Frau Lydia mit einbegriffen, trotz allem zu bestrafen ...?! Allerdings, – wir müssen die Sache etwas geschickt anfangen ... und ... sofort handeln ... – Geben Sie acht, lieber Menzel ... Ich spiele nicht gern Henker, auch nicht indirekt, aber ich werde auch niemals untätig zusehen, wie diese vornehmen Piraten etwa gewarnt werden und in aller Stille ihnen die Flucht erleichtert wird ...«

Er ging zum Schreibtisch und rief die von uns zumeist für nebensächliche Dienste benutzte Detektei Argus an. – »Hier Harst ... – N' Abend, Helmer ... Schicken Sie sofort fünf Leute nach der Villenkolonie Dahlem hinaus, Miguelstraße 12 ... Die fünf sollen sich so postieren, daß sie auffallen müssen ... – Wann können Ihre Leute dort sein? – Gut, in einer Stunde.« –

Neun Uhr abends ... Ein hohler Gegenwind heulte um die Villa der in der Schweiz wohlgeborgenen Herrn Bernhard Karty ...

Frau Lydia Elsen und ihre ebenso schweigsamen Neffen saßen wieder um dem warmen Kamin und nippten an ihren Teetassen und rauchten.

»Svendsen ist noch nicht zurückgekehrt«, sagte Albert Elsen dumpf.

Niemand antwortete.

Die Angst hockte zwischen den Schuldigen und schien als unsichtbares Gespenst Kälte auszustrahlen ...

Frau Lydia erschauerte.

»Ihr habt Peter ... ermordet ...«, sagte sie tonlos. »Und Peter ... war immerhin mein Sohn ...«

Ihre Augen starrten ins Leere ...

Niemand antwortete ...

Das faltige hochmütige Antlitz der weißhaarigen Frau verfärbte sich immer mehr.

Müde, gebrochen erhob sie sich.

»Ihr ... habt ihn ... ermordet«, wiederholte sie noch tonloser ... »Ich ... hasse euch! Ja, – – es ist Haß ...! Vielleicht der Haß, den die gemeinsame Schuld gebiert ...«

Schleppenden Schrittes, trotzdem steif aufgerichtet und den Kopf etwas zurückgeworfen, ging sie zu der Tür ...

An der Tür drehte sie sich nochmals um.

»An dem Golde haftet ein Fluch ...«, sprach sie ins Leere hinein ... »Wir Elsens trugen diesen Fluch schon vorher im Blute ... Er heißt: Genußgier und Arbeitsscheu! Den Fluch übernahmen wir als klägliche Tradition von Geschlecht zu Geschlecht ... Wir sind die letzten Elsens ... – – Zum Glück! – – Lebt wohl!«

Sie wollte die Hand auf den Türdrücker legen.

Das Telefon schnurrte.

Albert Elsen eilte zum Tische ...

»Hier Villa Karty ...«

»Sagen Sie besser: Hier einer der Elsens ...! Hier ist Harst ... Ihr Chauffeur Svendsen wurde verhaftet, als er mit Savigli als Gulliver Smith über ein Engagement für das Jenseits verhandelte. Peter Petersen hat übrigens ein schriftliches Geständnis hinterlassen ... Ich fürchte, die Kriminalpolizei hat Ihre Villa bereits umstellt ... – Das wäre alles, – Schluß!«

Albert Elsen legte mit verzerrtem Lächeln den Hörer wieder weg. –

»Ja – – Schluß!!«, wiederholte er achselzuckend, trat ans Fenster, schlug die Vorhänge zurück und blickte auf die Straße hinab ... Fünf Leute schritten dort in weiten Abständen hin und her ...

»Wer rief an?«, fragte Frau Elsen ganz laut.

»Harst ...!«

»Das ahnte ich ... – Und die Villa ist bereits umkreist?«

»Ja ... Gulliver Smith rät zu einem Engagement für das Jenseits«, witzelte Albert Elsen kaltblütig ...

Frau Lydia verlieh den Salon ... – –

*

»Nachdem die Gräfin Lydia Elsen und ihre drei Neffen den Tod einer Verhaftung vorgezogen hatten, besteht für die Polizei kein Hinderungsgrund mehr, die Öffentlichkeit mit einer äußerst seltsamen, achtzehn Jahre zurückliegenden ...« – und so weiter ...

Dies lasen wir in den Morgenzeitungen.

Der Name Menzel war wieder fleckenlos wie einst, und unser Sonnenscheinchen schmückte jede Woche ein einsames Grab draußen auf dem Riesenfriedhof, wo das vergiftete Herz Peter Petersens den Tag des jüngsten Gerichts ohne Furcht erwarten darf ... –.

Der seltsame Milliardär hinterließ mir nichts als ein grellbuntes, gehörntes Gummiteufelchen, dessen Naht ich wieder zugeklebt habe. Aber dieses Spielzeug enthält einen tiefen, ernsten Sinn ...

Wer Ohren hat, zu hören, der hat gehört.


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