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3. Kapitel

Wie Petersen heimgebracht wurde.

Ich will Fragen und Antworten als Ganzes eng zusammendrängen. – Damals, als die deutschen Großbanken in aller Stille ungeheure Mengen Goldbarren aufkauften, war die politische Einkreisung des kaiserlichen Deutschland längst beendet und der Weltkrieg nur noch eine Frage der Zeit und der günstigen Gelegenheit. Daß die Regierung bei diesem Riesengeschäft mitbeteiligt war, wenn sie auch nach außen hin nicht als miteingeweiht auftreten wollte, bewies die einfache Tatsache, daß »zufällig« ein deutscher Kreuzer dem neuen großen Frachtdampfer Triton das Geleit gab. Als der Triton auf die Riffe lief und in wenigen Minuten wegsackte, herrschte so dicker Nebel, daß der Kreuzer den Dampfer aus den Augen verloren hatte. Später sollte der Triton ebenfalls in aller Stille gehoben werden, aber – – man fand das Wrack nicht, zumal die Seekarten dort, wo er sich den Schiffsboden aufgerissen hatte, keinerlei Klippen, Riffe oder Untiefen verzeichneten. Außerdem konnten auch weder Kapitän Jochem Wenzel noch die anderen Schiffsoffiziere mit voller Bestimmtheit die Stelle angeben, wo sich das Unglück ereignet hatte, und gerade dies wurde dem Kapitän als grobe Fahrlässigkeit ausgelegt. Das Gericht stellte sich auf den Standpunkt, Menzel hätte unbedingt die Stelle durch eine ausgeworfene Boje kennzeichnen müssen und niemals schleunigst davonrudern dürfen. Die ganze Verhandlung, bei der aus Rücksicht aus das geheime Geldgeschäft mancherlei verschwiegen wurde, hätte wohl einen anderen Ausgang genommen, wenn eben nicht das Staatsinteresse den gesamten Prozeß nachteilig überschattet hätte. –

Nachdem Harst dann noch Frau Emma gebeten hatte, über den Diebstahl zu schweigen, begaben wir uns wieder nach unten in unser keineswegs prunkvolles, sondern mehr praktisch-behagliches Büro und besprachen den Fall mit jener Gründlichkeit, ohne die eine planmäßige Weiterführung der Untersuchung der verschiedenen Vorfälle nicht möglich gewesen wäre. Harst hütete sich mit auffallender Zurückhaltung, sich auf eine bestimmte Ansicht festzulegen. Auf mich machte dieses behutsame Abwägen seiner Sätze ganz den Eindruck, als ob er inzwischen seine Meinung über den Dieb, den Ingenieur Jörnsen und über die Vorgänge auf der Spree wieder geändert, zumindest stark revidiert hätte.

Gegen elf Uhr vormittags fuhren wir nach der Friedhofskapelle, aus der nach dem Polizeibericht die Leiche gestohlen worden war. Harst hielt es für unbedingt notwendig, zu erfahren, wer der Tote gewesen.

Der Friedhofsinspektor zeigte sich äußerst zugänglich und gesprächig. »Die Geschichte stand ja in allen Zeitungen«, erklärte er erstaunt. »Ich wundere mich, Herr Harst, daß Sie nichts davon gelesen haben. Der Mann war der verrückte Milliardär, wie ihn die Angestellten der Privatpension Grotthus genannt hatten ... Peter Petersen hieß er, und in das Fremdenbuch das Pensionats hatte er unter »Beruf« Milliardär eingetragen, obwohl er keineswegs sehr reich gewesen sein kann.«

Harst machte zu diesen Mitteilungen ein geradezu betretenes Gesicht. Ihm war es peinlich, daß er nicht an diesen Petersen gedacht oder vielmehr sofort sich an die betreffenden Zeitungsmeldungen erinnert hatte, als unsere brave Frau Menzel den Namen Petersen als den des damaligen Reeders des Dampfers Triton erwähnte. –

Die Reederei Petersen war inzwischen längst eingegangen. Der alte Herr Petersen hatte sich 1920 erschossen. Die Firma existierte nicht mehr. Das hatte Frau Menzel so nebenbei eingeflochten. Sie schien die Petersens nicht zu lieben, und ohne jede Gehässigkeit hatte sie erklärt, das Schicksal habe den alten Petersen denselben traurigen Weg gehen lassen, den ihr Gatte gewählt hatte den Freitod.

Vom Friedhof fuhren wir in derselben Taxe nach dem Südosten Berlins, wo unweit des Untergrundbahnhofes Inselstraße das Haus lag, dessen Erdgeschoß das Pensionat Grotthus einnahm.

Die Inhaberin, eine verarmte kurländerische Baronin, geleitete uns in den sogenannten Empfangssalon. Er war genau so dürftig ausgestattet, wie die Frau Baronin gekleidet war. Es handelte sich zweifellos um eines jener Pensionats, die man besser als Absteigequartier, bezeichnet.

Trotzdem hafteten der Baronin noch immer einige kärgliche Reste von Vornehmheit an. Sie war sehr liebenswürdig, sehr unbefangen, sehr selbstsicher und doch äußerst behutsam in ihren Antworten. Schon nach wenigen Minuten war ich überzeugt, daß bei dem Tode des Peter Petersen irgend etwas nicht stimmte.

Petersen war am 2. September bei Frau Grotthus mit einem mittelgroßen Koffer erschienen. Sein Paß (er kam aus dem Ausland) war in Ordnung. Zu diesem Paß war als Beruf »Kaufmann« angegeben. Petersen selbst meldete sich als »Milliardär« an und zeigte gegenüber dem Personal ein recht hochfahrendes Benehmen. Er bezahlte für vierzehn Tage im voraus und benutzte sein Zimmer sehr wenig, auch nachts blieb er häufig aus.

Ueber seinen Tod äußerte sich die Baronin in dürrsten Worten. »Er ist einem Herzschlag erlegen. Beim Umsinken fügte er sich einige Verletzungen zu. Das Zimmermädchen fand ihn morgens auf dem Teppich liegen, und drei meiner Dauermieter benachrichtigten die Polizei, die gleichfalls Tod durch Herzschlag feststellte.«

Wein Freund blickte die Baronin daraufhin fest an und sagte in jenem bestimmten Tone, der keinen Widerspruch duldet: »Die Polizei mag sich ja mit diesen Angaben zufrieden gegeben haben, Frau Baronin. Mich schüttelt man so leicht nicht ab. Sie verheimlichen mir etwas. Zeigen Sie mir Petersens Zimmer. Dort können wir der Wahrheit vielleicht näherkommen.«

Die arme Grotthus wurde zuerst sehr rot, dann sehr blaß, und der schüchterne Versuch, gekränkte Würde zu markieren, gelang völlig daneben. Harst war unerbittlich und unbeeinflußbar. »Frau Baronin, inzwischen haben sich Dinge ereignet, die den Verdacht rechtfertigen, daß Petersen keines natürlichen Todes gestorben ist«, sagte er offen. »Also bitte, führen Sie uns in sein Zimmer ... Unsere Anwesenheit dürfte Ihnen lieber sein als die der Kriminalpolizei.«

Da gab sie nach. Halb verstört schritt sie hinaus.

»Ah, das Zimmer hat direkten Zugang vom Hausflur«, meinte Harst leise, als wir eintraten.

Es war ein großer, zweifenstriger Raum, und die Einrichtung bewies, daß es sich hier um das »Prunkappartement« der Pension handelte.

Die Baronin verschloß auch die innere Tür und blickte sich scheu um. »Dort ... lag er ...«, flüsterte sie und deutete auf eine Stelle des Teppichs.

Harst hatte Mitleid mit ihr. »Setzen Sie sich doch bitte ... Wir wollen Ihnen wirklich keine Ungelegenheiten bereiten. Seien Sie ganz offen, es ist das die einzige Möglichkeit, die Sache einzurenken. Was haben Sie verschwiegen, Frau Baronin?«

Sie weinte fast. »Mein Gott, wäre Petersen doch niemals in mein Haus gekommen! Herr Harst, ich habe mich ja doppelt schuldig gemacht, einmal dadurch, daß ich die drei Herren, meine Dauermieter, flehentlich bat, den verdächtigen Stoffetzen zu entfernen, und zweitens ...«

»Halt«, unterbrach mein Freund sie ganz sanft. »Wie war das mit dem Stoffetzen?«

Die Baronin preßte ihr Taschentüchlein gegen die Augen. Ihr letzter Widerstand schwand dahin, und offensichtlich war es ihr eine Erleichterung, sich nun endlich diese Last von der Seele reden zu können, So hörten wir denn folgendes, und so sehr mich diese dunkle Wahrheit überraschte, genau so wenig zeigte sich mein Freund dadurch irgendwie tiefer berührt.

In der Nacht vom fünften zum sechsten September hatte die Baronin gegen zwei Uhr morgens ihr Schlafstubenfenster schließen wollen, da der Wind allzu lärmend ins Zimmer stieß. Sie hatte nur die Nachttischlampe eingeschaltet, die nur schwach leuchtete. Als sie am Fenster stand, hörte sie, daß ein Auto vor der Haustür hielt. Sie beugte sich hinaus und wurde unbemerkt Zeugin, wie der Chauffeur der großen Limousine und ein zweiter Mann den scheinbar schwer betrunkenen Petersen ins Haus brachten. Sie schöpfte jedoch keinerlei Verdacht, schloß das Fenster und erinnerte sich erst vormittags um zehn Uhr etwa an ihren seltsamen Gast, der bisher sein Frühstück nicht verlangt hatte. Immer unruhiger werdend wartete sie bis elf Uhr, dann klopfte sie, klopfte nochmals an und rief ihre drei Dauermieter, Filmschauspieler von der Edelkomparserie, herbei.

»... Die Doppeltüren waren unverschlossen, Herr Harst. Petersen lag ohne Mantel und ohne Hut mit blutiger Stirn dort auf dem Teppich. Am merkwürdigsten aber war, daß er einen schwarzen Tuchfetzen mit beiden Händen vor den Mund gepreßt hielt und daß sein Mantel und sein Hut, die er in der kritischen Nacht getragen hatte, verschwunden waren. Er besaß mehrere Mäntel und Hüte, und so konnte ich auch dies der Polizei verschweigen. Da meine Mieter sofort erklärten, hier müßte ein Verbrechen vorliegen, beschwor ich sie, den Tuchfetzen zu entfernen. Ich gebe zu, daß ich mir ihre Verschwiegenheit erkaufte, aber ich fürchtete die Scherereien mit den Behörden, die mir ohnedies nicht sehr gewogen sind. Als alleinstehende Frau hat man ...«

»Schon gut. Frau Baronin«, winkte mein Freund etwas kühleren Tones ab. »Und was erklärte die Kriminalpolizei?«

»Tod durch Herzschlag«, erwiderte die Baronin verschüchtert und schuldbewußt. »Die Verletzungen an der Schläfe sollten von einem Sturz auf die zackige Kante des Ofenvorsetzers und die Hautabschürfungen und die zwei gebrochenen Rippen von einem Zoll auf den Kohlenkasten vor dem Kamin herrühren. Tatsächlich war der Kohlenkasten, der mehr ein Zierstück ist, umgefallen, und drei Zacken des Ofenvorsetzers wiesen Blutspuren und einzelne Haare auf. Der Arzt stellte Herzschlag fest, und da Petersen keinerlei Verwandte besaß, wurde die Leiche durch die Behörde eingesargt. Man fand in Petersens Koffer in einem Geheimfach etwa fünftausend Mark in Devisen und in deutschem Gelde ...«

Sie begann wieder leise zu weinen, denn Harsts steinernes Gesicht zeigte ihr jetzt ganz eindeutig, wie er über ihr Verhalten dachte.


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