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7. Kapitel

Und nochmals das Lackschränkchen

»... Bei einem wochenlangen Ausflug nach der Sierra Madre schweißte Holger einen Puma an, der in eine Felsenhöhle flüchtete. In dieser Grotte fanden wir eine Goldader, bauten sie mit primitivsten Mitteln ab und gewannen etwa fünf Zentner Goldkörner. Mit einer Maultierkarawane begaben wir uns abermals neun Monate später nach dem Hafenort Alcante am Pacific, verkauften das Gold, erwarben einen Motorschoner und segelten nach Hongkong. Wir traten als Mexikaner auf, spielten die ehrbaren Frachtschiffer und hatten inzwischen Holgers Schwester Anna, Holgers Liebling, ins Vertrauen gezogen. Sie mußte in Berlin neben der Plätterei meiner Mutter Wohnung nehmen und dort achtgeben, ob etwa auch meine Mutter überwacht würde. In Hongkong erreichte uns Annas Antwortbrief. Unsere Annahme, daß auch meine Mutter von Spionen umgeben sei, wurde durch Anna Jörnsen bestätigt. Es war mir daher unmöglich, meine Mutter und mein Kind durch Geld zu unterstützen, wir wollten uns auf keinen Fall abermals die brutale Meute auf den Hals hetzen lassen. Wir erkannten immer deutlicher, daß der Triton von Leuten versenkt, ausgeplündert und nachher gesprengt worden war, die nicht nur über unbegrenzte Geldmittel, sondern auch über die heimliche Unterstützung amtlicher Stellen verfügten.

In Hongkong blieben wir mehrere Monate, ließen zum Schein den Motorschoner ins Dock bringen und gaben Anna Jörnsen durch Radiodepeschen, die stets chiffriert waren, genaueste Verhaltungsmaßregeln ... Endlich stachen wir wieder in See, gerieten im Gelben Meer in einen Taifun, und hier traf mich der härteste Schlag: Holger wurde über Bord gespült, eine Rettung war unmöglich, zumal wir selbst Mühe hatten, nicht auf die Riffe der winzigen Inselgruppe der Hai-Wu-Eilande geworfen zu werden. Der Hauptmast knickte, ich wurde von einer Spiere getroffen, die Besatzung meuterte und legte mich mit einer schweren Kopfverletzung irgendwo an der südchinesischen Küste bewußtlos auf den Strand.

Ich war ein Bettler geworden, chinesische Fischer pflegten mich gesund, schließlich geriet ich französischen Werbern in die Hände und wurde in die Fremdenlegion eingereiht, verpflichtete mich halb freiwillig für fünf Jahre, nur um wieder ein wenig Geld zu sparen und aufs Neue als Ungenannter irgendwo unterzutauchen, denn – dies ich das Wichtigste – die Meuterei auf unserem Schoner hatte mir eindeutig bewiesen, daß unsere Mannschaft auf fremden Befehl gearbeitet hatte!«

Fritz Menzels scharfe Züge zeigten jetzt einen Ausdruck unverständlichen Hasses. Seine Stimme wurde heiser und unbeherrscht, denn die Erinnerung an all das, was man an ihm verbrochen, brachte selbst sein kühles Blut zur Siedehitze.

»... Meine Hoffnung, in der Fremdenlegion ein sicheres Versteck gefunden zu haben, war trügerisch gewesen. Die fast allmächtige Hand, deren Krallenfinger ich nun seit so vielen Jahren spürte, machte sich auch in der hinterindischen französischen Kolonie bemerkbar. Ich wurde eines geringfügigen Vergehens wegen sehr schwer bestraft, und nur ein Glückszufall verschaffte mir nach Jahren die Freiheit zurück. Ich entfloh, wurde Matrose, gelangte auf Umwegen nach Deutschland und hier nach Berlin, wo Anna Jörnsen, die mich insgeheim stets geliebt hatte, mir einen frohen Empfang bereitete. Zum Glück hatten Holger und ich schon von Hongkong aus an Anna eine größere Geldsumme überwiesen, ich kaufte hier ein Auto, nahm mir einen zuverlässigen Chauffeur, lebte aber ganz zurückgezogen und benutzte Holgers Papiere als meine eigenen und trat als Holger Jörnsen auf. Meine Absicht ging dahin, festzustellen, ob die Ueberwachung meiner Mutter, die in den letzten Jahren eingestellt worden war, von neuem beginnen würde. Nur deshalb beobachtete ich alle Vorgänge in der Inselgasse aufs allerschärfste, nur deshalb traf es sich, daß ich Zeuge jener Versenkung der Leiche Petersens wurde und daß ich nunmehr einen Anlaß hatte, Ihre Hilfe, Herr Harst, zu erbitten und endlich mein Kind aus nächster Nähe wiederzusehen und zu sprechen. – Hiermit, Herr Harst, wäre mein Bericht beendet. Zusammenfassend betone ich nochmals, daß ich heute genau so wenig weiß, wer den Triton versenkt hat und wer meine Feinde sind, wie vor achtzehn Jahren.«

Er holte tief Atem, zwang sich zur Ruhe und fügte noch hinzu: »Bedenken Sie: Achtzehn Jahre bin ich ein gehetztes Wild! Unglaubliches habe ich erlitten! Mein Herz ist steinhart geworden. Ich habe denen, die mich foltern ließen, die kein Mittel scheuten, mich unauffällig aus dem Wege zu räumen, Rache geschworen, und ich werde diesen Schwur halten. Ich frage Sie beide: Wollen Sie mir beistehen? Wollen Sie mit Ihrer Erfahrung und Ihrer speziellen Kenntnis krimineller Zusammenhänge meine Verbündete werden? Ich betone gleichzeitig auch die Gefahren, denen Sie sich aussetzen, denn die Gegner sind allmächtig und ...« – er starrte finster vor sich hin – »bereits wieder hinter mir her. –Bitte!!«

Er riß ein Papier aus der Tasche. »Da haben Sie den Beweis! Heute früh erhielt ich diese polizeiliche Vorladung ...: Wegen unrichtiger Angaben bei der polizeilichen Anmeldung ... und so weiter! Mithin bin ich denunziert worden!«

Er sprang auf.

Die Erregung riß ihn hoch.

»Herr Harst, der ehrliche deutsche Name Menzel, seit Generationen der Name braver Seeleute, ist entehrt worden, meinen Vater trieb man zum Selbstmord, meine Mutter und mein Kind mußten in dürftigen Verhältnissen sich durchs Leben schlagen, meinen Freund Holger und mich wollte man vernichten! Herr Harst, ich allein richte nichts aus! Helfen Sie mir!«

Harst streckte ihm die Hand hin. »Selbstverständlich helfen wir Ihnen! – Nehmen Sie wieder Platz ... Ihre Geschichte muß die stärkste Anteilnahme wecken. Noch nie begegnete mir ein Mann, dem eine Bande von Verbrechern derart zugesetzt hat wie Ihnen. Achtzehn Jahre Verfolgung, Leid, Gefahren, Entbehrungen, – – auch mein Blut empört sich über solche Heimtücke. Und doch, mein lieber Landsmann, müssen wir mit kalter, klarster, durch keinerlei Empfindungen beeinflußten Verstandesarbeit diesen Kampf weiterführen. Ja, – Sie sind denunziert worden, Ihre Feinde sind in Berlin, und diese Feinde haben ... Angst vor Ihnen! Zweifellos wissen Sie irgend etwas, das den Schurken gefährlich werden kann. Zweifellos sind Sie selbst sich darüber nicht ganz im klaren, wie leicht Sie die ermitteln können, die Sie vernichten möchten ... Das ist es, lieber Menzel: Sie haben Waffen gegen Ihre Feinde in Händen, von denen Sie nichts ahnen!«

Menzel blickte Harst kopfschüttelnd an. »Ich wüßte nicht, worin diese Waffen bestehen sollten, Herr Harst.«

»Das werden wir herausbringen ...« – Es hatte geklopft, Frau Anna Menzel trat ein und bat uns zu Tisch. Es war inzwischen drei Uhr nachmittags geworden.

Während wir fünf im Eßzimmer dem bescheidenen Festmahl alle Ehre antaten und der alte Rotwein Blond-Inges strahlende Augen noch glänzender färbte, erzählte Harst, wie wir den nächtlichen Dieb der Fotografien beobachtet hatten.

»Liebe Freunde«, erklärte er im Anschluß hieran, »dieser schnelle Diebstahl beweist für mich folgendes. Der Unbekannte mit dem Angelstock und der Strickleiter hatte es nur auf die Fotografien abgesehen, er kannte das chinesische Schränkchen und den Geheimverschluß der Schieblade, und diese Bilder enthielten eben einen Hinweis auf Ihre Feinde, lieber Menzel ... Deshalb wurden sie gestohlen.«

Er wandte sich Frau Menzel zu. »Bitte, teilen Sie mir genau mit, was diese Bilder darstellten und wer sich auf den Gruppenaufnahmen befand. Rufen Sie sich alles, was die Fotografien angeht, genau ins Gedächtnis zurück, – auch Sie, Fräulein Inge!«

Nach einigem Hin und Her von Fragen und Antworten zwischen Großmutter und Enkelin fiel der Name Peter Petersen ...

Menzel legte klirrend Gabel und Messer auf den Teller. Er war ganz bleich geworden.

»Herr Harst, das ist unmöglich!«, rief er heiser. »Gewiß, Petersen ist der Tote, davon habe ich mich heute früh überzeugt, sein Bild hängt im Polizeipräsidium ...«

»Nun also ... – War Peter Petersen damals mit an Bord der Triton?«

»Ja ... ja, – – als Passagier, als Sohn des Reeders Georg Petersen, dem ja der Dampfer gehörte ..., – zu seinem Vergnügen machte er die Reise mit ...«

»Kannte er das Lackschränkchen?«

»Gewiß. Mein Vater hatte dem alten Petersen genau dasselbe Schränkchen aus China mitgebracht ...«

Urplötzlich wurde der festlich gedeckte Tisch in unserem Zimmer zur Anklagebank. Unsichtbare Beschuldigte wurden gleichsam durch die unerbittliche Logik meines Freundes herbeizitiert, und was bis dahin dunkelstes Geheimnis gewesen, erhob sich aus der Finsternis zum grellen Lichte unumstößlicher Schlußfolgerungen.

»Es tut nie gut, wenn ein Deutscher eine Ausländerin heiratet, die einem Volke angehört, von dem Deutschland stets insgeheim gehaßt wurde«, schloß Harst seine Ausführungen. »Das fremde Blut solcher Nationen vergiftet ganze Familien ... Am allertragischsten und am allerverhängnisvollsten zeigt sich dies für unser Volk an den standesgemäßen Ehen regierender Fürstenhäuser. Ein Bismarck kämpfte gegen diese Ueberfremdung, und im Weltkrieg geschah noch weit Aergeres: Der Landesverrat, der Hochverrat wurde von den nächsten Angehörigen regierender Häuser betrieben! – Der Fall »Triton« ist nur ein neuer Beweis für die Notwendigkeit eines Gesetzes, solche Ehen zu verbieten. Eine Französin, eine Engländerin, eine Dänin, eine Belgierin kann durch eine Ehe nie eine Deutsche werden, sie wird stets so weiterempfinden, wie sie es mit der Muttermilch eingesogen hat, und niemand kann ihr das zum Vorwurf machen, denn auch wir würden eine Deutsche verachten, die ihr Nationalgefühl etwa durch eine Heirat von sich wirft wie ein unmodernes Kleid!«


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