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2. Kapitel

Der Golddampfer.

Wir schauten ihm durch die Tüllvorhänge des einen Fensters nach, wie er sehr langsam mit gesenktem Kopf zur Gartenpforte schritt. Seine bisher sehr straffe Haltung hatte etwas Schlaffes, Bedrücktes. Der Mann machte den Eindruck, als ob ihn sehr unangenehme Gedanken beschäftigten.

Unversehens trat da hinter der Veteranin unserer Vorgartenkastanien Ingeborg hervor und nickte ihm harmlos-freundlich zu. Jörnsen erschrak über das unerwartete Auftauchen, blieb stehen und betrachtete unser Sonnenscheinchen aus seinen etwas unheimlich-starren Augen so eingehend, als ob er sich Inges Bild für immer einprägen wollte. In diesem wortlosen scharfen Mustern der schlanken Gestalt und der frischen Züge Inge Menzels lag eine vielleicht unbewußte Unverschämtheit. Dann grüßte er hastig und verlegen, trat auf die Straße hinaus und bestieg eine in einiger Entfernung haltende Limousine, einen sehr großen neuen Privatwagen.

Harst sagte halblaut, ohne das Wort direkt an mich zu richten: »Jörnsen ist ein ungeschickter Lügner. Entweder hat er sich seine Geschichte aus den Fingern gesogen, nur um hier bei uns spionieren zu können, oder er hatte bereits den Artikel in der Börkenwarte gelesen. Sein Besuch galt nicht uns, sondern Frau Menzel und Inge.«

»Zu der Schlußfolgerung bin ich nun ebenfalls gelangt«. erklärte ich aus ehrlicher Ueberzeugung heraus. »Daß er die Plätterei und die Vorbesitzerin und deren verschollenen Lohn unnötigerweise erwähnte, stieß mir sofort auf. Ich glaubte zunächst, es läge hier ein bloßer Zufall vor, daß Frau Menzel gerade Inselgasse 2 bisher gewohnt hat, also neben Jörnsens Schwester.«

Horst setzte sich in den Schreibtischsessel, legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander und blickte zu mir empor. Sein schmales Gesicht hatte jenen völlig geistesabwesenden Ausdruck, der bei ihm stets angestrengteste Gedankenarbeit verrät. Eine Weile schwieg er. Dann sagte er sehr lebhaft und erhob sich schnell: »Fragen wir Frau Menzel. Vielleicht kennt sie den Namen Holger Jörnsen als den eines Bekannten ihres Sohnes Fritz, des angeblich verschollenen Steuermanns.«

Frau Emma säuberte droben im ersten Stock ihr eigenes und Inges Zimmer. Sie hatte ihre Möbel, an denen ihr pietätvolles Herz hing, mitgebracht und ebenso pietätvoll aus ihrem Zimmer mit Hilfe der Reiseandenken ihres Mannes ein wahres Museum hergerichtet. Als wir eintraten, stand die hagere Frau mit dem grauen Scheitel und den trotz aller Verbitterung zumeist so schmerzlich-gütigen Augen vor der einen Wanddekoration, deren Mitte eines jener chinesischen Schränkchen mit zahllosen Schiebfächern und Türchen bildete, die, wenn sie wirklich noch aus der Zeit der chinesischen Hausindustrie stammen, außerordentlich wertvoll sind. Echter Lack und echte Goldauflagen sind seit vier Jahrzehnten selten geworden. Die fabrikmäßige Herstellung derartiger Gegenstände für den Fremdenverkehr und für den Export hat unglaublichen Ramsch auf den Markt geworfen.

Frau Menzels Blässe fiel uns sofort auf. Gewiß, Inges Großmutter war stets etwas farblos und bleich. Die zahlreichen Jahre, die sie über das Plätteisen gebeugt zugebracht hatte, waren nicht spurlos an ihr vorübergegangen.

Harst ging schnell auf sie zu. Der beste Beweis dafür, wie exakt sein Hirn allzeit arbeitet, war seine hastige Frage: »Sind Sie bestohlen worden, liebe Frau Menzel?«

»Ja ...«, erwiderte die Kapitänswitwe kopfschüttelnd und deutete auf die unterste und größte Schieblade des Schränkchens, die halb herausgezogen und leer war. »Hier lagen allerlei Fotografien und die Uhr, der Ring und die Ohrringe meines Mannes ... Er war ja Seemann, er trug Ohrringe ... Alles ist verschwunden, Dabei hat die Schieblade ein Geheimschloß, das nicht einmal Inge öffnen konnte.«

»Schlafen Sie sehr fest?«, fragte Harst und betrachtete das Schränkchen genauer.

»Das ja, Herr Harst ... Ich habe einen sehr gesunden Schlaf.«

»Und Sie lassen die Balkontür offen, Sie sind an frische Luft gewöhnt?«

Sie nickte zerstreut. »Auch das trifft zu. Ich begreife nur nicht, wie ein Dieb das Geheimschloß der Schieblade öffnen konnte ... Nur mein Mann und mein Sohn Fritz wußten mit dem Mechanismus Bescheid.«

»Kennen Sie einen Ingenieur Holger Jörnsen?«, meinte Harst gespannt.

Frau Menzels Kopf fuhr herum.

»Wie kommen Sie auf Jörnsen. Herr Harst ...? Natürlich kenne ich ihn. Er war meines Fritz' bester Freund und damals Obermaschinist auf dem Dampfer »Triton«, der auf die Klippen auflief und wegsackte.«

»Stehen Sie mit Jörnsen noch irgendwie in Verbindung?«

»Das sollte wohl kaum möglich sein ...«, entgegnete sie düster. »Jörnsen ist tot ... Vor Jahren schon ertrank er in den chinesischen Gewässern während eines Taifuns, er wurde über Bord gewaschen ... Er war der einzige Mensch, der auch nach meines Mannes Selbstmord zu mir hielt und mir immerfort Briefe, Karten und etwas Geld aus allen Weltgegenden zuschickte.«

»Besaßen Sie ein Bild von ihm?«

»Mehrere ...«

»Und die lagen hier in der Schieblade?«

»Ja ... – Aber weshalb fragen Sie all das. Herr Harst? Wie kommen Sie auf Holger Jörnsen?«

»Lassen Sie mich nur ruhig weiterfragen, liebe Frau Menzel. – Hatte Jörnsen Geschwister?«

Unser »Nachtschatten« lächelte selten. Jetzt lächelte sie ...

»Geschwister? Die Jörnsens wohnten in Cuxhaven, und das Haus wimmelte von Kindern, ich glaube, im ganzen waren es ein Dutzend, Buben und Mädel, aber Holger war der einzige, den wir so gut kannten. Der alte Jörnsen hatte einen großen Hochseekutter und eine eigene Fischräucherei. Er ist seit Jahren tot.«

Harsts Gedankengänge waren für mich leicht zu erraten, freilich nicht lückenlos. Ich war begierig, wie er seine Fragen nun Frau Menzel gegenüber begründen würde. Ich nahm an, er würde irgendwie die Wahrheit verschleiern, aber ich täuschte mich, er berichtete über den Besuch des Fremden und über dessen Anliegen alles, was nötig war, um auch Frau Emma diesen Klienten als etwas verdächtig hinzustellen. Nur die nächtliche Vorgeschichte von gestern verschwieg er.

Eine Frau wie Emma Menzel, die des Daseins Nöte und Kämpfe so bitter ausgekostet hatte, verfügte über genügend Lebenserfahrung, Menschenkenntnis und geistige Regsamkeit, um Harsts Argwohn sofort mit allem Nachdruck zu teilen.

»Es ist richtig, daß in der Inselgasse neben uns ein Fräulein Anna Jörnsen wohnte«, erklärte sie leicht erregt. »Aber diese Jörnsen war mit den Cuxhafener Jörnsens gar nicht verwandt. Der Name Jörnsen ist ja so überaus häufig.«

Harst unterbrach sie. »Ich möchte noch etwas wissen, liebe Frau Menzel. Besaßen Sie auch ein Gruppenbild der Familie Jörnsen? Also eine Aufnahme der ganzen Familie?«

»Ja, – – doch ich betone nochmals: Persönlich kannte ich nur Holger, den Zweitältesten, den mein Fritz immer nur »Holg« nannte ... – Trotzdem kann der angebliche Jörnsen, der vorhin bei Ihnen war, keiner von den Cuxhafenern gewesen sein, denn jenes Fräulein Anna Jörnsen, das da Inselgasse Nr. 1 neben uns wohnte und unsere Kundin war, hätte doch zweifellos gelegentlich erwähnt, daß sie einen Bruder Holger besäße, der mit einem Steuermann Fritz Menzel befreundet gewesen. Demnach teile ich wie gesagt Ihren Verdacht, Herr Harst, daß der Dieb, der diese Schieblade entleerte und alles mitnahm, es wohl nur auf die Fotografien abgesehen hatte, und daß hierdurch zumindest der Anschein erweckt wird, als wären der Besucher von vorhin und der Dieb ein und dieselbe Person und als ob dieser Mann ...« – hier riß ihr der Gedankenfaden ab, und sie blickte etwas hilflos zur Seite und meinte achselzuckend: »Jetzt habe ich mich festgefahren. Mir schwebt da irgendeine Idee vor ... eine neue Gedankenverbindung ...«

»Vielleicht die, daß dieser Jörnsen ein sehr starkes Interesse daran gehabt haben muß, die Bilder verschwinden zu lassen, und daß er auch unbedingt gewußt haben muß, wo Sie die Fotos aufbewahrten und wie sich die Schieblade öffnen ließe ... Mithin muß er auch Ihren Gatten und Ihren Sohn sehr gut gekannt haben, denn nur von diesen konnte er erfahren wie der Geheimverschluß der Schieblade funktionierte.«

Frau Emma nickte lebhaft. »Jetzt haben Sie meine Gedanken, die ich nicht recht in eine klare Form bringen konnte, lückenlos ausgesprochen, Herr Harst. Am meisten bei diesem Diebstahl ärgert mich der Verlust der Andenken an meinen Mann, die Fotografien vermisse ich nicht weiter ...«

»Und doch sind sie die Hauptsache«, meinte Harst mit einem neuen prüfenden Blick auf die offene leere Schieblade. »Sagen Sie mal, Frau Wenzel, was hatte der Dampfer Triton eigentlich als Fracht an Bord, als er vor achtzehn wahren unterging?«

Die hagere Frau kniff die Lippen fest zusammen und schaute zur Seite.

»Goldbarren«, flüsterte sie dann. »Nur Goldbarren in Kisten ... Es war ein geheimer Transport für deutsche Großbanken. Das Gold kam aus Alaska, aus den Klondyke-Minen ...«

Meines Freundes stets so beherrschte Züge verrieten bei dieser Mitteilung nur eine geringe Ueberraschung. Ich selbst war desto stutziger geworden. Sollte etwa der Wann mit dem Angelstock und der Strickleiter, der gestern nacht so blitzschnell durch die offene Balkontür hier in dieses Zimmer eingedrungen und wieder verschwunden war, irgendwie mit dem Verlust des Goldschiffes etwas zu tun haben?! Sollte die Vergangenheit doch wieder aufleben, und sollte Holger Jörnsen, unser Klient, wirklich der Dieb mit der Angelrute gewesen sein?!

Harsts nächste Fragen und Frau Menzels zaghafte Antworten gestalteten das Ganze noch eindrucksvoller zu einem fast phantastischen Geheimnis.


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