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11.
Das Urteil der Welt

Eines der reichsten Familienhäupter Ungarns war seinem Weibe in das Grab gefolgt und hatte einen einzigen Sohn zurückgelassen, welcher zu einer Zeit geboren wurde, als ihn niemand mehr erwartete und mit seiner Geburt in der Rechnung vieler eine große Verwirrung anrichtete. Abellino, der vermeintliche Erbe, welcher schon Millionen auf Rechnung seines Onkels aufgenommen hatte, war dadurch auf einmal zum Bettler geworden und sein Fall wurde bis zur Ile de Jerusalem verspürt.

Bei dem so viel hin und her besprochenen Fall wurde auch das Urteil der Welt rege, welcher der Tod des Nabob hinreichenden Stoff zur Unterhaltung auf einige Wochen gab; und wenn wir die vielen Reden über diesen Gegenstand sammeln wollen, so können wir so manches erfahren, was der Wahrheit so wenig nahe kommt.

Kehren wir zuerst zu Herrn Kecskerey zurück, heute ist große Tanzunterhaltung bei ihm. Wie ich glaube auf Kosten des Grafen Szépkiesdy, der an irgendeiner schönen Sängerin Gefallen gefunden und mit dieser sich dort zu unterhalten wünscht.

Unter unsern alten Bekannten werden wir hier auch andere Leute finden; hier befinden sich auch Livius, Konrad, der schnurrige Erdey, der seinen Appetit bekämpfende Georges Molnay, der freizüngige Darvay, der schöne Csendey, der Sonderling Baron Berky, der Vortänzer Csepesy und wer könnte sich noch aller übrigen erinnern, welche selbst ihr eigener Vater zu vergessen imstande wäre.

Es ist Tanzpause; die Männer versammeln sich in dem Rauchkabinett. Eine emanzipierte Dame hat sich ebenfalls zu ihnen gesellt, welche zierlich ihre weiße Papiercigarette raucht und sich gemächlich in einem Schaukelstuhl schaukelt.

Unser Freund Kecskerey hat, um höher zu sitzen, sich drei Diwanpolster untergelegt und unterhält von da aus die Gesellschaft mit seinen witzigen Einfällen.

Sie lachen. Man bespricht eben das Begräbnis des alten Karpáthi.

Unser Freund Kecskerey begleitet das Testament mit passenden Kommentaren und Travestien.

– Es war doch in der That eine schöne Schwachheit von dem Alten, daß er die Irisblumen so bevorzugt hat. Man sagt, daß er auch den Schnittern den Auftrag hinterlassen hat, jede Irisblume, die sie auf dem Felde finden, zu verschonen und bei Strafe von fünfundzwanzig Prügeln keine abzumähen.

Das emanzipierte Fräulein machte hierauf die Bemerkung, daß sie die Blumen nicht ausstehen könne, weil dies alles reine Affektation sei.

– Das Abhauen der Ahornbäume hat er als wahrhaften Mord verpönt und diese dürfen in keinem seiner Wälder angerührt werden.

– Was hat denn diesen Alten zu solchen Thorheiten gebracht? fragte jemand.

– Kann man auch wissen, warum er etwas gethan hat? dies zeigt ebenfalls, daß er ein großer Narr war. Jetzt bleibt dem Abellino nichts anderes übrig, als anzugeben, daß sein Onkel verrückt war, als er heiratete und dann ist weder die Heirat, noch der aus derselben hervorgegangene Sohn gültig.

Ein riesiges Gelächter folgte auf diesen Einfall. Der freisinnige Darvay fand es für gut, mit ernstem Gesichte hierauf einzuwenden, daß er dieses Projekt kaum für ausführbar halte.

– Ich glaube es auch nicht, sagte Kecskerey lachend.

– Aber was wird in diesem Falle aus Abellino werden? wollte ein anderer wissen.

– Man braucht seinetwegen nicht besorgt zu sein, der alte Herr hat ihn bedacht, antwortete Kecskerey, indem er den Kopf zurückwarf; – jeden Tag erhält er in Natura einen Dukaten, welchen er in eigener Person und zwar in vollständigem Bettlerkostüm: mit zerlumptem Mantel, zerrissenen Stiefeln, fettfleckigem Hut, mit aus Tuchenden gemachtem Tornister und eisenbeschlagenem Stock, von seinem, im Marokanerhause wohnenden Rechtsanwalt abholen muß. Auf diese Weise muß er sich, um seinen Dukaten abzuholen, jeden Tag einstellen, wenn er nicht Hungers sterben will. Ein schallendes Gelächter nahm diese geistreiche Illustration auf. Wie wir sehen, giebt es in diesem Augenblick keinen lächerlicheren Menschen als Abellino.

Niemand hielt es mehr der Mühe wert, von Abellino zu sprechen.

Das reiche Majorat war ihm ausgeblieben und er wird auf die paar tausend Gulden, welche ihm sein Onkel als Gnadengehalt ausgesetzt hat, beschränkt sein. Jedenfalls die größte Sünde, die er je hätte begehen können. Hätte er noch so viele Menschen im leichtsinnigen Duell umgebracht, hätte er in leichtfertiger Liebe noch so viele Frauen unglücklich gemacht, die Welt würde ihm verziehen haben; dies alles ist keine Sünde in ihren Augen und läßt einen Mann nur um so interessanter erscheinen. Daß er aber um seine größten Aussichten betrogen wurde, daß er zum Bettler geworden, dies konnte man ihm nicht verzeihen; von diesem Augenblicke kann er nur ein Gegenstand des Gelächters werden. Was wird er auch anfangen?

– Am besten wäre es, wenn er sich als Instruktor zu seinem Vetter verdingen möchte, sagte jemand.

– Herr Johann hat ja schon den Rudolf dazu erwählt, sagte Kecskerey ... damit er den Knaben nichts mehr als Rauchen und Reiten lernen lasse. Ich kann mir vorstellen, wie sich Rudolfs Frau freuen muß, daß sie so leicht zu Familie gekommen ist!

Dieser Witz war so treffend, daß sich die emanzipierte Dame im Lachen so stark über den Sessel gebogen hatte, daß man sie kaum wieder aufrichten konnte.

Der freisinnige Darvay wollte nur noch wissen: ob der Alte in seinen letzten Stunden zu der Fahne seiner Gegner zurückgekehrt sei.

– Er hat keine andere Sorge gehabt! sprach Kecskerey lachend; er ist mit ganz anderen Gedanken verschieden. Neben seinem Bette hatte er eine Zigeunerbande, welche ihm immer Bauernmelodien aufspielen mußte und er umgab sich ganz mit Tokayer-Gläsern, damit er auch in die andere Welt nicht nüchtern komme.

In seinem Testamente bestimmte er, daß man einen Weinlaubkranz auf seinen Sarg lege und daß die Zigeuner, wenn man ihn zum Friedhof trägt, das Lied »Das Leben schwindet wie ein Schatten« aufspielen sollen, welches zwar mit einer schönen Trauermelodie anfängt, jedoch mit einem Allegro, dessen Text »Nun reiche mir die volle Flasche« ist, endigt. Zweien Zigeunerbanden hat er ein Kapital angelegt, daß sie dafür täglich seine Lieblingsmelodien, eine Morgens, die andere Abends, an seinem Grabe aufspielen, und seinen lustigen Zechbrüdern hat er unter sonstiger Androhung seines Fluchs den Auftrag hinterlassen, sich jährlich an seinem Todestage an seinem Grabe zu versammeln und dort auf seine Gesundheit zu trinken, desgleichen hat er noch für jene drei Jungfrauen eine Belohnung ausgesetzt, welche die meisten Liebhaber in einem Jahr gehabt haben. Das übrige Vermögen hat er den Zigeunern vermacht.

– Schade, unterbrach hier Graf Gregor mit einem sardonischen Lächeln den gemütlichen Verleumder, das; er denjenigen, welche sein Andenken in gesuchten Anekdoten ehren werden, nichts hinterlassen hat, bemühen wir uns also nicht umsonst!

*

Wir haben Kecskerey zugehört, hören wir jetzt die lustigen Zechbrüder des Verstorbenen.

Sie sind heute bei Kutyfalvy versammelt. Der alte Becher geht von Hand zu Hand. Sie sind in ihrem Elemente, das heißt, ihr Element, nämlich der Wein ist in ihnen. Sie lachen laut auf und derjenige ist der glücklichste, welcher die größte Thorheit sagen kann.

– Der Alte hat sich bekehrt in seinen letzten Tagen, sagte Horhi, indem er ein längst angesponnenes Gespräch fortsetzte: den ganzen Tag hat er Psalmen gesungen und lernte noch Französisch und Deutsch in letzter Zeit, damit er, wenn die Engel in der andern Welt kein Ungarisch verstehen, doch mit ihnen sprechen könne.

– Hahaha! Französisch und Deutsch!

– Am letzten Tag hat er seine Kellerthüre vermauern lassen, ich habe selbst mit dem Maurer, welcher bei ihm gearbeitet hat, gesprochen, damit niemand seinetwegen in die Sünde der Trunkenheit verfalle und auf allen seinen Gütern hat er den Weinschank verboten; nur in den Apotheken hat er Wein zu verkaufen erlaubt.

– Hahaha! in Arzneiflaschen!

– Und er befahl auch, daß niemand, der auf seinen Gütern wohnt, auf die Frau eines andern zu schauen wage, daß man jede flatterhafte Frau in das Halseisen stelle und jedes Schulmädchen, welches mit einem Schulknaben spielt, soll Kirchenbuße thun.

– Hahaha! in der Kirchenthüre!

– Seinen Neffen aber hat er beinahe zu verleugnen gewagt und ihm eine jährliche Rente ausgesetzt; er fürchtete sich, daß er ihn noch in der andern Welt verfluchen werde.

– Vielleicht schämte er sich, daß ein Karpáthi nichts zu essen haben solle.

– Der arme Alte fürchtete sich sehr vor dem Tode, darum hatte er sich so verändert; er fiel in Ohnmacht, wenn man vor ihm einen Sarg erwähnte und als er den Tod sich nähern fühlte, ließ er acht Pfaffen um sich herum stellen, alle Glocken läuten und sie mußten an seiner Seite so viel beten, daß sie, damit er nur nicht sterbe, fast die Engel bei den Füßen vom Himmel herabzogen. Sein ganzes Vermögen fast hat er der Kirche vermacht.

– Seinen Sohn ausgenommen, den hat er Szentirmay vermacht.

– Hätte nur das Weibchen länger gelebt und wäre ich dann einmal ins Haus gekommen, sprach Kutyfalvy mit spöttischem frechem Gesichte, ich wette, er hätte noch etwas zu vermachen gehabt.

– Das glaube ich auch von mir! sprach Csenkö Laczi, ihm beistimmend.

– Ich auch, ich auch! schrien alle.

Und niemand ist da, der ihnen sein Glas an den Kopf wirft.

So lange diese Frau gelebt hat, wagten sie kaum vor sie hinzutreten und konnten nicht ein kluges Wort mit ihr wechseln – und jetzt nach ihrem Tode erfrechen sie sich, sie zu verleumden.

Das ist auch ein Zug, welcher zu ihrem Charakter gehört.

Überlassen wir diese Leute sich selbst. Es sind Kranke, die keine Arznei heilen könnte.

*

Werfen wir jetzt einen Blick in den Klub auf dem Boulevard des Italiens.

Die bekannten Seigneurs und Lords besprechen auch jetzt die Welt in ihrem Salon und wenn sie mit den Nahestehenden fertig sind, so kommen die Entfernten an die Reihe.

Zugegen sind: der originelle Lord, der nordische Herzog, Marquis Debry und andere, die uns gar nichts angehen. Eben jetzt tritt der Bankier Monsieur Griffard ein, mit demselben glatten lächelnden Gesicht, das wir gewöhnt sind, an ihm zu sehen.

– Ah, Herr Griffard wird es am besten wissen, da er ihn am genauesten gekannt hat; rief ihm der lustige Marquis entgegen. (Wahrscheinlich war man über eine interessante Frage, die einer Lösung bedurfte, in Zweifel.) Sagen Sie doch, Monsieur, ist es wahr, daß dem Onkel Abellinos ein Sohn geboren wurde?

– Vollkommen wahr, sprach Mr. Griffard, indem er seinen Wintershawl ablegte.

– Jedenfalls ein großes Übel für Abellino!

– Um so mehr, da er nicht beweisen kann, daß der fragliche Erbe ein untergeschobener sei.

– Das läßt sich nicht beweisen, sprach Griffard mit ganzer Sicherheit.

– Auch das nicht, daß die Frau seines Onkels in einem sträflichen Verhältnisse mit jemandem gelebt hätte?

– Das Weib war ein Tugendmuster, entgegnete Mr. Griffard.

– Hm, also eine sehr schlechte Situation für Abellino. – Noch eine schlechtere für seine Gläubiger, bemerkte Lord Burlington.

– Ich glaube, daß seine Gläubiger, die ihm im Vertrauen auf diese Erbschaft Geld geliehen haben, jetzt schiefe Gesichter ziehen werden.

– Ohne Zweifel, sprach Mr. Griffard mit heiterer, lächelnder Miene. Kein Zug, keine Falte auf seiner Stirne verriet, daß auch er durch den neuen fatalen Erben ein paar Millionen verliere. Um alles in der Welt möchte er nicht, daß man je erfahre, ein barbarischer Táblabiró habe ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.

*

Wenn jemand mit Madame Mayer zusammentraf und sie fragte, um wen sie Trauer trage, so antwortete sie: Um meine unvergeßliche Tochter, um meine herrliche Fanny, die Gattin des gnädigen Herrn von Karpáthi, um mein mir vom Herzen gerissenes Kind.

Und dann vergoß sie Ströme von Thränen.

Die Mayerschen Mädchen gingen ebenfalls in Trauer; die schwarzen Kleider heben die Schönheit hervor. Wenn aber doch jemand so leichtgläubig war, die dunkle Kleidung noch etwas anderem als der erwähnten Ursache zuzuschreiben und sich darnach erkundigte, so weinten sie, um die schönen Augen nicht zu verderben, nicht zu sehr, sondern sprachen: Unsere Schwester ist gestorben: die reiche Frau von Karpáthi und obwohl sie uns nichts hinterlassen hat – die Geizige, so trauern wir doch um sie.

Eines Tages brachte Madame Mayer das mütterliche Gefühl so weit, daß sie an Rudolf einen Brief schrieb, in welchem sie ihm unter »bitteren Thränen« erzählte, wie es ihrem mütterlichen Herzen so weh thue, von ihrer einzigen unvergeßlichen Tochter, von ihrer herrlichen Fanny, der Gemahlin des gnädigen Herrn von Karpáthi nicht einmal ein Schuhband als Andenken zu besitzen, wodurch sie sich an dieselbe erinnern, welches sie am Herzen tragen, täglich hundertmal hervorziehen und küssen könnte. Sie hoffe daher, daß Rudolf gegen eine arme, unglückliche, vom Schicksal so hart heimgesuchte Mutter nicht so unbarmherzig sein werde, ihr ein Andenken von ihrer angebeteten Tochter zu versagen, sondern nachsehen werde, ob sich nicht ein Handschuh oder sonst etwas Wertloses von ihrer ewig beweinten Tochter für sie vorfinde; denn etwas Wertvolles würde sie nicht einmal annehmen u.s.w.

Rudolf verstand den Wunsch der guten Frau und schickte ihr zehntausend Gulden – zum Andenken. Und Madame Mayer war so gütig, das Geld – nicht zurückzuschicken.

Später schrieb diese gefühlvolle Mutter, respektive Großmutter wieder an Flora einen Brief, in welchem sie ihr, unter bitteren Thränen ihr zu Füßen fallend, erzählte, wie schwer es für das Herz einer Großmutter sei, wenn sie ihren einzigen Enkel nicht einmal sehen könne, ja nicht einmal zu träumen von ihm imstande sei. Wenn sie einst sterben werde, so habe sie selbst nicht die Hoffnung, ihn in der andern Welt zu sehen, da sie ihn auch dort nicht erkennen würde! – Sie bittet daher die gnädige Frau, welcher sie die Hände und Füße küßt, unterthänigst, ihr zu wissen zu thun, wie und auf welche Art sie ihr einziges Enkelchen, von dem sie höre, daß es so schön, so lieb und so vernünftig sei, sehen könnte.

Frau von Szentirmay erschrak wahrhaft vor diesem Antrage. Wahrlich dies fehlte noch den bösen Zungen, daß Madame Mayer zu ihr komme, um die gefühlvolle Mutter gegen ihr Kind zu spielen. Was war zu thun? Zu schreiben war nicht ratsam, weil sie mit ihrem Briefe zu prahlen imstande wäre und Frau von Szentirmay nicht wollte, daß ihre Handschrift in einem solchen Hause wie das Mayersche jedermann gezeigt werde. Frau von Szentirmay war eine kluge Frau, sie fand daher bald das Mittel, welches diesen unangenehmen Besuch für immer von ihrem Hause fernhielt. Sie schrieb an Therese.

Sic forderte in dem verbindlichen einschmeichelnden Tone, welcher nur ihr möglich war, das würdige Fräulein auf, Preßburg zu verlassen und aus Liebe zu ihrer verstorbenen Freundin einige Wochen bei ihr zuzubringen.

Therese konnte dieser herzlichen Einladung um so weniger widerstehen, da sie es für ihre Pflicht hielt, Frau von Szentirmay bei der Erziehung des Kindes, welches Fanny zurückgelassen, Beistand zu leisten. Als sie von Preßburg abreiste, nahm sie von ihren einzigen Freunden Boltay und Alexander einen Abschied, wie einer, der gewiß weiß, daß er dort, wo er hinreist, verbleiben werde.

So geschah es auch.

Flora ließ sie nie wieder von sich und Therese hatte sich nicht zu beklagen, daß sie zu wenig geschätzt bei ihr werde. Alles betrachtete sie wie eine nächste Anverwandte des Hauses.

Ihre Gegenwart hielt natürlich die teuere Großmutter für immer fern, welche niemand auf der ganzen Erde außer Therese fürchtete. Selbst aus dem Paradiese hätte sie der Gedanke vertreiben können, daß Therese mit dem kalten, leidensvollen Gesichte, mit den bis auf den Grund des Herzens blickenden Augen, vor welchen keine Verstellung nützt, dort sei.

Aber noch jemanden schreckte die Gegenwart Theresens vom Hause ab. Dies war Fräulein Marion.

Den Tag, an welchem Therese anlangte, benutzte sie, um einen Ausflug nach ihrem Gute Köhalom zu unternehmen, wo sie für einige Wochen, welche der neue Gast im Hause verweilen werde, ihren Aufenthalt nehmen wollte. Da aus einigen Wochen aber einige Jahre wurden, so entschloß sie sich endlich in Köhalom zu bleiben und die Frauen ihrer Beamten zu nergeln.

Und so verging ein Jahr nach dem andern. Therese blieb immer im Hause; Marion hingegen zog sich ganz davon zurück und ließ sich nur dann von Zeit zu Zeit wieder blicken, wenn sich das Gift so stark in ihr angesammelt hatte, daß sie es ausgießen mußte. Flora fand für Therese um diese Zeit regelmäßig eine Beschäftigung, oder sie schickte sie nach Karpáthfalva hinüber, daß Marion nie Gelegenheit finden konnte die friedliche Jungfrau anzufeinden. Oft sprach Therese mit Flora von Fannys Jugendzeit und schilderte ihre damaligen Widerwärtigkeiten und die Gefahren, welchen das Mädchen ausgesetzt war. Wie sehr sie um ihrer heimlichen Liebe willen gelitten! Wie viel sie aufgeopfert hatte! daß sie einen Jüngling geliebt, aber niemandem seinen Namen gesagt habe, und daß dies Geheimnis mit ihr ins Grab gestiegen sei.

Flora erzählte wieder in gewissen Stunden diese traurigen Dinge Rudolf; Fanny habe von Kindheit auf unglücklich geliebt, sie liebe vielleicht in der andern Welt und forderte oft ihren Gemahl auf, daß er mit ihr zu dem Tannenwald gehe, um den Grabstein zu sehen, dessen Buchstaben wie ein in Thränen lächelndes Auge glänzen!

Einst, an einem schönen sonnigen Nachmittag ging Flora, ein kleines plauderndes dreijähriges Kind an der Hand führend, im Parke spazieren.

Das Kind nannte sie Mutter und stellte hunderterlei Fragen an sie, die alle zu beantworten wohl jedem zu schaffen gegeben hätte.

Im Schlosse war indessen Fräulein Marion angelangt. Als sie hörte, daß Flora im Parke spazieren gehe, eilte sie zu ihr hinunter.

– Guten Abend, guten Abend, teure Gräfin! Ist noch jemand bei Ihnen? Gehorsame Dienerin, gnädiger Herr von Karpáthi, ergebene Dienerin. Wenn ich vor zwanzig Jahren Ihren Herrn Papa erhört hätte, so wären Sie jetzt schon ein großer Junge.

– Ah, welche prächtige Mutter Sie sind, Flora! Wie schön Sie dieses Kind führen; es ist doch schade, daß Sie kein Kind haben.

(Eines der schmerzlichsten Gefühle wird bei einer jungen Frau angeregt, wenn ihr vorgehalten wird, daß sie nicht Mutter sei.)

– Nun Sie haben doch ein Kind, wenn Sie es auch nur in der Einbildung das Ihrige nennen können und noch dazu ein schönes Kind. Man sieht, daß seine Eltern sich einander geliebt haben. Und damit die Täuschung um so größer für Sie sei, sind seine Augen fast bis zum Sprechen denen Rudolfs ähnlich.

– Wirklich, sprach Flora überrascht, selbst die Bewegung des Mundes gleicht ganz der seinigen und sogleich nahm sie das Kind in die Arme und küßte es auf die Augen und den Mund.

Dieses Weib ist ein Schwachkopf, dachte Marion bei sich, indem sie zornig – obwohl sie im Schatten waren – ihren Sonnenschirm aufspannte; man kann sie nicht einmal eifersüchtig machen. Sie glaubte ihr einen Abscheu vor dem Kinde einzuflößen, wenn sie den Verdacht in ihr rege machen würde. Allein sie kannte Floras Herz nicht, welches so rein, so unschuldig wie das Herz eines Kindes war und dem selbst der Begriff für solche Leidenschaften fehlte, welche Marion jetzt in ihr erwecken wollte. Und von dem Tage an wurde Floras Liebe zu dem Kinde noch größer.

Wenn wir ihr in einigen Jahren wieder begegnen werden, so sehen wir sie als glückliche Mutter von engelschönen und frommen Kindern umgeben, von denen jeder meint, daß Zoltán ihr Bruder und Therese ihre Tante sei. Flora ist die Zärtlichkeit selbst gegen alle, während Rudolf gleich strenge gegen jedes ist.

Und doch – als einst Flora, damit sie den von der Residenz heimkehrenden Gemahl überrasche, mit dem kleinen Zoltán ihm entgegenritt – sie auf einem frommen Schimmel und Zoltán auf einem kleinen, lebendigen tartarischen Pferdchen – konnte sich Rudolf nicht enthalten, das Kind zu küssen.

Der Knabe war kaum sechs Jahre alt, als ihn einst Flora mit sich in den Versammlungssaal nahm, wo Rudolf eben eine glänzende, geistreiche Rede hielt; das Kind hörte aufmerksam bis ans Ende zu und als man es nach Hause brachte, versammelte er die Kinder Rudolfs und andere kleine Kinder in der Kinderstube um sich und spielte ebenfalls Komitatsversammlung mit ihnen. Hier sagte er die einmal gehörte Rede mit solchem ernsten Gesichte und kindlicher Begeisterung seinen Zuhörern vor, daß die hinzukommende Flora ganz entzückt zuhörte. Was wird aus diesem Knaben werden, wenn er aufwächst?

*

Aus denjenigen zwei Jünglingen edlen Geschlechts, welche wir unter den Namen Stephan und Nikolaus kennen lernten, sind seitdem zwei Matadore unserer vaterländischen Geschichte geworden. Wenn Gott mir das Leben schenkt, so will ich die Hauptmomente ihrer Größe ausführlich beleuchten.

*

Von unsern übrigen Bekannten haben wir nur wenig mehr zu sagen.

Abellino lebt heute noch.

Nichts ist wahr an ihm. Er betrügt die Welt und sich selbst mit falschen Haaren, falschen Zähnen und falschem Wuchs. Bart und Schnurrbart färbt er sich, sein Gesicht wäscht er mit Prinzessenwasser. Auf einem Ohr hört er seit jenem denkwürdigen Duell noch heute schwer und muß sich eines Hörrohrs bedienen.

Ein zusammengeflicktes Gespenst aus schönern Zeiten geht er in der Welt herum, in der einen Hand den Krückstock, der seine gichtigen Füße unterstützt, in der andern das Hörrohr. Er glaubt aber dennoch voll unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit zu sein, allen schönen Damen und jungen Mädchen macht er auch jetzt noch auf Tod und Leben den Hof und glaubt sie lachen vor Freude, während sie ihn auslachen.

Jeden Tag verbraucht er den Dukaten, wegen dessen er sich nicht von Pest entfernen kann, nur am Johannis-Enthauptungstage macht er mit seinen hundert Dukaten einen Ausflug und kehrt so lange nicht zurück, als sie ausreichen; aber dennoch spricht er auch jetzt noch so, wie damals, als er Millionen verschwendete. Er preist, wie damals, alles Ausländische und verhöhnt, was nicht vom Ausland kommt. Er nimmt jedoch damit fürlieb – faute de mieux; aber sein Herz leidet an Heimweh, er sehnt sich nach Paris.

Jedermann hält ihn für eine komische Figur und in den höheren Kreisen duldet man ihn nur, weil man über ihn lachen kann.

Armer Mensch!

Andere Menschen pflegt man in ihrem Alter zu achten, sein Alter hingegen dient in den Kreisen, in welchen er sonst der Tonangeber war, zum Gespötte.

 

Ende.


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