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4.
Der Versucher in der Kirche

Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit; und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Hebe dich weg von mir Satan!

 

Guter Gott! wie viel näher sind die Reichen dem Himmelreich als die Armen.

Wie viele Laster giebt es, denen der Arme verfällt und welche der Reiche nicht kennt.

Hört man, daß reiche Leute stehlen? Daß der Trieb der Selbsterhaltung sie zu Schritten nötigt, die gegen Gottes Gebot sind und über welche die Welt ihr Verdammungsurteil spricht? Hat man je gehört, daß eine vornehme Dame ihre Tugend für Geld verkauft? Nein, das ist bloß das Verbrechen armer Mädchen.

Seit erdenklichen Zeiten, seit man Geld und Liebe kennt, war die Liebe das Symbol der Gottheit und das Geld das des Teufels. Ist es so seltsam, daß man Gott für den Teufel hingiebt? Oft, sehr oft kommt dies vor. Und die Schande ist immer desjenigen, der verkauft, nie dessen, der kauft.

Ein Mädchen ist bescheiden und fleißig, sie hat nie andere Beispiele vor sich gehabt, als die der Tugend, Geduld und Entsagung, das Gefühl für das Gute ist ihr ins Herz gepflanzt, sie errötet bei der geringsten unschicklichen Berührung, ihre Seele ist rein, ihre Tugend demantfest, ihre Liebe jungfräulich; aber wenn der Versucher sie auf den hohen Berg führt und ihr die reiche, die an Freuden und Genüssen unerschöpfliche Welt zeigt und zu ihr sagt: »Sieh, dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest!« wie viele wird es da geben, die es nicht schwindelt und die sagen: »Hebe dich weg von mir Satan!« besonders wenn der Versucher in einer hübschen Gestalt mit einnehmendem Gesicht erscheint? Aber es ist bekannt, daß wer auf einer Höhe den Schwindel bekommt, sich zerschmettert und daß man immer hinab und nie hinauf fällt. – Und doch geben so viele dem Versucher so leicht nach und fallen. – – – – –

Drei Jahre sind verflossen, seit Fanny bei ihrer Tante Therese wohnt. Diese drei Jahre waren auf das junge, noch lenksame Gemüt von großem Einfluß.

Es ist eine alte Idee, daß die guten und schlimmen Neigungen im menschlichen Herzen, wie in einer Wiege, beisammen schlummern. Die Neigungen, welche gepflegt werden, wachsen und verlassen die Schwestern; die Erziehung macht die Folgerungen der Phrenologie zunichte. Fanny war die zarteste und sanfteste Jungfrau unter ihren berüchtigten Schwestern. Wären diese nicht vielleicht auch so geworden, wenn es jemand verstanden hätte, ihren Seelen die gehörige Richtung zu geben?

Anfangs war Therese gegen sie streng und hartherzig und das brach den Trotz des Kindes. Sie sah ihr nicht den geringsten Fehler nach, bestimmte ihr für jeden Augenblick ihre Arbeit und verlangte dafür Rechenschaft, sie duldete nicht den geringsten Widerspruch, nicht die kleinste Laune, ihrer Wachsamkeit entging nichts, vor ihrem Scharfblick war keine Lüge möglich, sie durchschaute die Seele des Mädchens, einen unrechten Gedanken erfaßte sie im Keim und riß ihn aus; sie mußte erst das Unkraut ausjäten, um dann edlere Saat in dieses Gemüt zu legen.

Die Erziehungsmethode dieser alten, lebensüberdrüssigen Tante ist gewiß unangenehm, aber sehr nützlich. Als das verwilderte Gemüt des Mädchens endlich gebrochen war und als sie wußte, daß es nichts nütze, das Gute zu heucheln, zu lügen, weil es ein Wesen giebt, das ihre Gedanken sieht, ihr nicht vergiebt und vielleicht auch ihre Träume belauscht – als sie sah, sie müsse wahrhaft und ehrlich sein, da machte Therese sie allmählich mit den Freuden dieser Gemütsänderung bekannt. Mit Fannys Aufrichtigkeit wuchs auch Theresens Vertrauen. Sie wurde nun oft sich selbst überlassen, ihren Arbeiten wurde nicht nachgeforscht, ihrem Wort wurde geglaubt und dadurch wurde das Gemüt des Kindes gehoben. Als sie sah, daß ihre strenge Erzieherin ihr vertraue, gelangte sie zum Selbstvertrauen. Und das ist ein kostbarer Schatz! – Schade, daß so wenige demselben ihre Aufmerksamkeit zuwenden.

Therese sprach niemals mit ihr von ihren Schwestern; sie schien es sogar zu erraten, wenn Fanny an dieselben dachte und dann lenkte sie ihre Gedanken auf etwas anderes. Im Gefühl ihrer Reinheit sehnte sich Fanny später schon weniger nach den Schwestern. Als sie dann mit Theresens Erlaubnis irgend wohin ging, sah sie auf der Gasse Mathilde in einer offenen Kutsche fahren; erschrocken eilte sie in das Haus einer Bekannten und sagte: »wenn sie mich nur nicht gesehen hat.« So weit hatte sie es gebracht.

Therese erfuhr dies, und seit der Zeit erwies sie sich gegen Fanny so zärtlich, wie noch nie. Das Mädchen setzte sich zur Arbeit und seufzte. Therese wußte jetzt gut, daß sie an ihre Schwestern denke.

– Warum hast du geseufzt? fragte sie.

– Arme Mathilde! sagte das Mädchen, aufrichtig gestehend, woran sie denke. Sie bedauerte ihre Schwester, die in einer Kutsche fuhr und Brabanter Spitzen trug, während sie bei ihrer Handarbeit so glücklich war.

Therese antwortete nichts, sie drückte nur das Kind zärtlich an ihr Herz. Gott belohnte sie für ihre dreijährigen Mühen, denn das Kind war gerettet und für eine glückliche Zukunft gewonnen.

Die Armut ist kein so harter Schlag. Wer sie näher kennt, weiß, daß auch die Armut ihre Freude hat, die andere für noch so viel Geld nicht erkaufen können. Übrigens war Theresens Zustand kein so verlassener; sie bezog aus einer Lebensversicherungsanstalt eine Jahresrente von fünfhundert Gulden, wovon die Hälfte genügte, daß beide nicht nur leben konnten, sondern auch noch manches kleine Vergnügen hatten. Die bekannten Knaben und Mädchen kamen zusammen und es wäre ein Fehler, zu glauben, daß die einfachen Menschen sich nicht zu unterhalten verstehen. Die andere Hälfte wurde für Fanny zusammengespart. Außerdem hatte diese schon einen Erwerb, sie bekam für ihre Arbeiten Geld. Ihr im Wohlleben schwimmenden Menschen wißt nicht, welche Freude der junge Mann oder das junge Mädchen empfindet, wenn sie sich für ihre Mühen zum erstenmal belohnt sehen, welch ein stolzes Bewußtsein es für sie ist, daß sie auf eigenen Füßen stehen und ohne Besitz, ohne die Gnade anderer leben.

Und Fannys Arbeit wurde sehr gut bezahlt; das muß ich durch einen Umstand erklären, der mit den Personen unserer Geschichte in engerer Verbindung steht.

Das Haus, in welchem sie wohnten, gehörte einem ungarischen Tischlermeister, Namens Johann Boltay, der noch mehrere Häuser in Preßburg besaß. Dieser reiche Handwerker hatte vor langer, langer Zeit, als er eben erst Meister geworden war, für Therese Sympathie gefühlt und um ihre Hand gebeten. Aber Theresens Eltern gaben ihm das Mädchen nicht, obwohl diese ihn wieder liebte, denn sie gehörten zu einer Beamtenfamilie und es schickte sich nicht, in eine solche einen Handwerker aufzunehmen. Boltay heiratete später eine andere, aber seine Ehe war unglücklich und unfruchtbar und nachdem seine Frau gestorben war, war er alt geworden und Therese auch. Diese hatte nie geheiratet, sie war alt und grau geworden, ohne ihre erste Liebe zu vergessen. – Inzwischen verarmte ihre Familie und sie war genötigt, ein Haus in der Vorstadt zu beziehen, wo sie jetzt schon seit fünfundzwanzig Jahren lebte, Boltay war indes reich geworden, kaufte das Haus, in welchem Therese wohnte und hatte dadurch Gelegenheit, für manche ihrer Bedürfnisse so zu sorgen, daß Therese es nicht zurückweisen konnte. Er ließ den Hof in einen Garten umwandeln, entfernte die Einwohner, die zu viel Lärm verursachten und nahm von ihr nur eine geringe Miete an. Übrigens sprachen sie nie zusammen, Boltay selbst wohnte in einem andern Teile der Stadt, in einem ebenfalls ihm gehörigen Hause, wo er ein Magazin hatte; trotzdem wußte er alles, was um Therese vorging, er erfuhr auch, daß sie Fanny zu sich genommen habe und seitdem schickte er oft einen jungen, wackern Gesellen hin, der, wie man sagte, sein Liebling war und den er als seinen Erben betrachtete, da er ohnedies keine Verwandten hatte.

Es ist dies unser Bekannter, den wir im Wäldchen von Ermenon und dann in Paris als Kämpen der Mainvielle gegen die Catalani gesehen haben.

Diesen jungen Menschen schickte Boltay oft zu Theresen, um bald die eine bald die andere weibliche Arbeit zu bestellen, welche Fanny machen mußte und die er dann sehr gut bezahlte. Er hatte es nicht gewagt, Theresen eine Unterstützung anzubieten, aber in solcher Art gegeben, mußte sie sie für das Mädchen annehmen.

Dem aufmerksamen Beobachter hätte es auffallen können, daß weder Therese noch Boltay sich beunruhigten, wenn Sándor (dies war der Name des jungen Handwerkers) längere Zeit bei dem Mädchen verweilte, um mit ihr zu plaudern.

Dachten sie sich vielleicht dabei etwas?

Wahrhaftig, sie hätten ein schönes Paar abgegeben. Er war eine hohe, muskulöse, regelmäßige Gestalt mit krausem, blondem Haar und feurigen, blauen Augen, sein Gesicht war kühn, männlich, in seiner Haltung war nichts Nachlässiges, Gemeines, noch gesuchte Vornehmheit, sondern jene Sicherheit, welche die gleichmäßige Ausbildung des Geistes und des Körpers giebt. Das Mädchen war eine schlanke, ideale Gestalt mit schmachtenden, schwarzen Augen, einem vollen, frischen Gesichtchen, das selbst um die Augen nicht jene welken Ringe hatte, die so oft vorkommen. Sie hatte ein Wesen, das sogar in der großen Welt seine Wirkung nicht verfehlt hätte; sie würden wirklich gut zusammenpassen – er ist blond, sie braun, er hat blaue, sie schwarze Augen; er ist mutig, ernst, energisch, sie voll Leidenschaft und Gefühl – indes wer weiß, welches Schicksal ihnen beschieden ist!

Unter den Bekannten, welche Therese zu besuchen pflegten, war ein kleines, bewegliches Männchen, das man nicht mit seinem Namen, sondern mit seinem Beruf zu nennen pflegte.

Es war der Regens-Chori.

Der wackere Regens-Chori hörte eines Nachmittags Fanny, als sie eben bei guter Laune war, singen. Vielleicht sang sie eben irgendein altes Lied, wie etwa: »Schöne Minka, ich muß scheiden,« aber den kunstverständigen Kapellmeister überraschte die schöne, wohlklingende, junge Stimme, er konnte sich nicht enthalten zu sagen, wie interessant es wäre, wenn Fanny die Arie aus Rossinis Stabat mater einstudierte, damit sie dieselbe in der Kirche singe.

Therese schauderte bei dem Gedanken, Mathilde fiel ihr ein. Indes, es ist etwas anderes, auf offener Bühne, bunt herausgeputzt, vor lauernden Zuschauern Liebeslieder – und etwas anderes im Hause Gottes, hinter dem bergenden Gitter, vor andächtigen Betern ein erhebendes Lied zu singen.

Aber der Böse, der sein Opfer sucht, um es zu verschlingen, findet es auch in der Kirche.

Therese mußte also nachgeben, daß Fanny zum Regens-Chori ging, der sie mit Leidenschaft unterrichtete und in ihrem Lob unerschöpflich war. Das Mädchen ging selten allein zu ihm. Entweder Therese oder eine Freundin derselben, die fromme Frau Kram begleitete sie bis zur Wohnung des Regens-Chori und holte sie am Ende der Stunde wieder ab. Übrigens braucht man in den bürgerlichen Kreisen auf die Mädchen nicht so acht zu geben; eine Familie ist da auf die Tochter der andern so achtsam, wie auf ihr eigenes Kind, und sie kann ohne Mutter, ohne Gardedame überall erscheinen, denn sie findet überall ihre Schützer; in diesen Kreisen ist gegen die, welche mit Liebe handeln, ein sehr starkes Schutzzollsystem errichtet.

Daß sich der Ruf von Fannys Schönheit und tugendhaftem Benehmen in der Stadt nicht verbreiten sollte, war gar nicht zu erwarten. Es giebt müßige Herren, die nichts anderes zu thun haben, als auf solche Entdeckungen auszugehen und die Zahl dieser Freudenjäger war durch den Landtag stark vermehrt.

Wer hätte damals nicht die Mayerschen Mädchen gekannt! Und wer sie kannte, mußte doch auch erfahren, daß sie noch eine fünfte Schwester haben. Wo ist diese? Diese Frage kam natürlich oft vor.

Die Mädchen machten kein Geheimnis daraus, sie sagten, bei wem sie sei, wo und wann man sie sehen könne. Das war mehr als Leichtsinn, es war Gemeinheit, Neid und Haß; Mathilde konnte nicht vergessen, daß Fanny ihr auf der Gasse ausgewichen und keine der vier Schwestern konnte es ihr verzeihen, daß sie einen Schatz besaß, den sie längst verloren hatten: die Unschuld. Welch ein Leckerbissen wäre sie für die Feinschmecker, welch eine seltene paradiesische Frucht! Ein fünfzehn- oder sechzehnjähriges Kind, eine aus dem Schmutz aufgelesene, gerettete Perle, ein zartes Herz, das vielleicht einem schmachtenden Jüngling aufbewahrt wird, der nur noch von Gott und Kinderspielen träumt! Welch ein Genuß wäre es, diese Wunderblume erbarmungslos zu pflücken, die Blätter dieser Knospe einzeln abzureißen, sie aufs neue in den Sumpf zu stoßen, welchem sie entrissen worden, sie mit den Künsten der Hölle bekannt und zum Opfer der verzehrenden Leidenschaften zu machen, die in verdorbenen Herzen wüten. Was versteht ihr von dem Genuß, Menschen, die ihr noch an alltäglichen Begriffen hängt, die ihr euch in ein Mädchen verliebt, sie heiratet und euch euer ganzes Leben hindurch plagt, um sie glücklich zu machen? Ihr könnt es nicht begreifen, welch ein Genuß darin liege, ein unschuldiges Herz der Freude einer Stunde zu opfern, in eurem Katechismus steht noch nicht der Satz: »ein Weib zu betrügen, ist keine Sünde; warum giebt sie nicht acht auf sich?«

Alle Freudenjäger umstellten Fanny; die irrenden Ritter, die zu allem Zeit haben, umlauerten und umstellten sie auf Wegen und Stegen und überhäuften sie mit Schmeicheleien, Huldigungen und Anträgen; allein über ihrem auserlesenen Opfer leuchtete ein Stern, der es bewahrte, es war der Stern der Tugend.

Die Merveilleux kamen alle Tage ärgerlicher zu Mayers und verspotteten sich einander wegen ihrer erfolglosen Versuche. Wie bei Wettrennen, machten sie auf Fannys Fall Wetten, die sie natürlich verloren.

Endlich stellte einer der uns bekannten Dandys, Fennimore nämlich, den Grundsatz auf, ein direkter, offener Angriff führe bei den Weibern am sichersten zum Ziel.

Er schickte daher eines Tages, als er erfahren hatte, daß Fanny allein zu Hause sei, derselben ein Bouquet aus den prächtigsten Treibhausblumen, zwischen welchen ein Liebesbrief verborgen war, mit dem Antrag, daß Fanny, wenn sie geneigt sei, Liebe mit Liebe zu vergelten, abends die Hinterthüre des Gartens offen lasse. Es giebt Fälle, in welchen solche Anträge am schnellsten zum Ziele führen.

Überrascht nahm Fanny die Blumen an, und erst nachdem der Überbringer sich entfernt hatte, bemerkte sie den verborgenen Brief, den sie entsetzt, als hätte sie einige giftige Spinnen gefunden, fortschleuderte. Sie hielt sich durch diesen Brief allein schon beschimpft und eilte zur Nachbarin Kram hinüber, der sie den Vorfall schluchzend klagte.

Bald kehrte auch Therese nach Haus zurück und untersuchte mit Hilfe der Nachbarin den noch versiegelten Brief, Fanny war untröstlich, als letztere ihr den Inhalt des Briefes vorschwatzte; sie glaubte ernstlich, sie sei durch die Annahme desselben auf ewig entehrt und trotz der Tröstungen der beiden frommen Damen war sie so sehr alteriert, daß sie die ganze Nacht im Fieber lag.

So empfindlich ist die reine Seele, wenn sie zum erstenmal von Schmutz berührt wird.

Die beiden Damen brüteten indes gegen den Urheber dieses Leids einen Racheplan aus. Sie ließen die Hinterthüre offen, lauerten, bis der Chevalier hereingetreten war und schlossen sogleich wieder zu. Sie selber ergötzten sich dann vom Fenster eines Dachzimmers aus an dem Anblick, wie der in die Falle geratene Verführer zappelte und als es endlich zu regnen anfing, gingen sie mit böser Schadenfreude schlafen, den Schlüssel zur Hinterthüre legte sich Therese unter das Kopfkissen und mit Freuden hörten beide, wie der Regen an die Fensterscheiben schlug.

Diese Schlappe, welche der eine von ihnen erlitten hatte, stachelte die Hitze der anderen Freudenjäger nur mehr an. Vor einem unerfahrenen Kinde so durchzufallen, von alten Weibern gefoppt zu werden, dagegen sträubte sich der » esprit du corps« und zur Herstellung des Renommees der ganzen Klasse setzte Abellino große Summen auf die Wette, daß die paradiesische Schönheit binnen einem Jahre bei ihm wohnen werde. Natürlich war darunter keine Ehe verstanden.

Am folgenden Sonntag sang Fanny in der Kirche das » stabat mater« wundervoll, sie erfüllte die Herzen durch ihren Gesang mit Andacht.

Frau Kram saß in ihrem Sonntagsputz vor einem Seitenaltar und ergötzte sich an der schönen Stimme des Kindes, als sie neben sich jemanden entzückt flüstern hörte! O, wie prächtig, welch ein erhabener Gesang!

Darauf mußte sie sich doch umwenden, um zu sehen, wer ihre Seelenfreude in solchem Maße teilte.

Sie sah einen bescheiden gekleideten Herrn, der an seinem Hut einen Trauerflor trug und eben von seinen nach dem Himmel gewendeten Augen eine Thräne abwischte. Es war Abellino Karpáthi.

– Nicht wahr, sie singt prächtig? sagte die gute Frau ganz stolz.

– Wie die Engel! Ach Madame, so oft ich einen solchen Gesang höre, treten mir die Thränen in die Augen.

Und der gefühlvolle Jüngling bedeckte sich die Augen mit seinem Taschentuch.

Was mag den Armen so unglücklich machen?

Dann ging er fort, ohne zur Frau Kram noch ein Wort zu sprechen.

Diese wäre die ganze Woche hindurch beinahe gestorben vor Neugierde: was den rätselhaften Mann so bedrücke und ob er den nächsten Sonntag wieder in die Kirche kommen werde.

In der That, er erschien wieder. Jetzt grüßten sie sich schon als alte Bekannte.

– Sehen Sie, Madame, sprach der junge Ritter, mit trauriger Miene, vor zehn Jahren hatte ich eine Geliebte, eine Braut, die ebenso schön sang, das stabat mater klang von ihren Lippen ebenso herrlich, es ist mir, als ob ich sie selbst hörte. Gerade an dem zu unserer Hochzeit bestimmten Tage starb sie. Auf ihrem Totenbette ließ sie mich geloben, wenn ich ein junges, armes Mädchen fände, das diese heiligen Lieder so schön singt, zu ihrem Andenken jährlich dreitausend Gulden zu dem Zwecke zu widmen, daß jenes Mädchen Gelegenheit habe, sich in der Kunst mehr auszubilden und glücklich zu werden. Ich stellte zu ihrem Verlangen nur die Bedingung, daß das Mädchen unschuldig bleibe, wie sie es war, meine geliebte, unvergeßliche Maria.

Der junge Mann preßte sich wieder das Sacktuch an die Augen.

Welch ein wahrhafter Schmerz! dachte die Frau.

– Mit Schmerz muß ich gestehen, fuhr der Dandy mit zitternder Stimme fort, daß ich acht Jahre hindurch den Wunsch meiner verstorbenen Braut nicht erfüllen konnte. Diejenigen, die ich mit meinen Wohlthaten überhäufte, machten zwar Fortschritte in der Kunst, aber sie strauchelten und fielen auf dem Wege der Tugend. Mit Schamgefühl denke ich an sie, obwohl es unter ihnen einige giebt, welche die Welt mit Ruhm bedeckt. Jeder neue Versuch, den ich gemacht habe, war nur eine Täuschung.

Hier unterbrach er sich und ließ der Frau Kram eine ganze Woche Zeit, sich über seine Erzählung den Kopf zu zerbrechen. Aber diese sprach mit niemandem davon.

Am nächsten Sonntag erschien Abellino wieder.

Bis zum Ende des Gesanges schwieg er, man sah's ihm an, daß er gern etwas fragen möchte, es aber nicht wage. Endlich schien er doch Mut zu fassen.

– Um Vergebung, Madame, daß ich Sie mit einer solchen Frage belästige. Nehmen Sie mir's nicht übel, Sie scheinen die Sängerin zu kennen? Ich habe mich mit meiner Gutherzigkeit so oft getäuscht, daß ich es kaum mehr wage, mich jemandem ohne vorläufige Erkundigung zu nähern; ich höre über die Familie des Mädchens die wunderbarsten Gerüchte, diese Leute sollen sich aus guten Sitten eben nicht viel machen.

Auf dieses Wort wurde Frau Kram gesprächig.

– Mögen die Verwandten des Mädchens was immer sein, mein Herr, sie lebt seit ihrer Kindheit nicht bei ihnen und ihre Seele ist so rein wie die jener Kinder, welche der Heiland zu sich kommen ließ, ihre Erziehung aber ist so streng, daß sie, wenn sie heute in was immer für einem Schicksal allein bliebe, nicht einmal durch den Schatten einer Sünde befleckt würde.

– Ah, Madame, Sie machen mich ganz glücklich.

– Wie so, mein Herr?

– Endlich werde ich dem Geist meiner Maria willfahren können.

Hiermit entfernte er sich und ließ der Frau abermals eine ganze Woche Zeit nachzudenken.

Am nächsten Sonntag grüßte er die Frau schon mit herzlichem Zutrauen.

– Madame, ich habe mich überzeugt, daß Ihr Schützling meiner Unterstützung vollkommen würdig ist. Dieses Mädchen wird einst eine berühmte Künstlerin und was sie über alle anderen erheben wird, eine tugendhafte Dame sein. Doch man muß auf sie gut acht geben. Ich habe schon erfahren, daß reiche, junge Männer ihr insgeheim nachstellen. Geben Sie acht, Madame und sagen Sie den Leuten bei welchen das Mädchen lebt, daß sie sie gut beschützen mögen. Der Glanz pflegt auch den größten Charakter zu verblenden. Aber ich habe mir vorgenommen, sie vor den Nachstellungen, die ihr gemacht werden zu bewahren. Sie muß eine Künstlerin werden. Sie besitzt in ihrer Stimme einen solchen Schatz, daß diese Kavaliere, wenn sie einmal zu einer vollkommenen Künstlerin ausgebildet ist, mit allen ihren Einkäufen gegen sie nur als Bettler erscheinen werden, und wenn sie einmal in sich selbst die Quelle des Reichtums besitzen wird, dann wird für sie die Gefahr schwinden, mit welcher der Reichtum die Unschuld bedroht.

Frau Kram glaubte die Sache vollkommen wohl zu verstehen. Sie sah schon sogar die Kirche für ein Theater an und erwartete, daß man Fanny applaudiere.

– Binnen zwei Jahren kann sie eine vollkommene Künstlerin werden. Hierzu bedarf es nur des Fleißes und geringer Ausgaben. Letztere strecke ich gern vor, dem Gelöbnis gemäß, das ich meiner Braut gemacht habe. Ich will ihr nichts schenken, sondern bloß leihen; wenn sie einmal reich ist, dann wird sie mir zahlen, damit ich mit dem Geld wieder andere glücklich machen könne. Ich übergebe Ihnen monatlich dreihundert Gulden, damit Sie damit die Ausgaben für die Studien des Mädchens decken können; aber ich bitte Sie, sagen Sie ihr nicht, daß das Geld von einem Manne kommt, denn es ist möglich, daß sie es dann nicht annimmt. Nennen Sie ihr meine verstorbene Braut, Maria von Darvai, als die Senderin der Unterstützung. In der That schickt sie es auch aus dem Himmel. Ich fordere dafür nichts, als daß sie tugendhaft bleibe. Wenn ich das Entgegengesetzte erfahre, so ziehe ich meine Hand sogleich von ihr ab. Jetzt seien Sie so gut, den ersten Monatsbetrag sogleich von mir zu übernehmen und zweckmäßig zu verwenden. Noch einmal bitte ich Sie, mich nicht zu erwähnen; ich bitte dieses um des braven Mädchens willen. Die Welt würde gleich böses sprechen.

Frau Kram übernahm das Geld. Warum hätte sie es nicht annehmen sollen? An ihrer Stelle hätte jedermann dasselbe gethan. Gab der geheime Wohlthäter etwa Anlaß zu einem Verdacht? Er wünscht ja unbekannt zu bleiben, er will sich ja dem Mädchen nicht einmal nähern, er macht ja selbst auf die Nachstellungen der Verführer aufmerksam und macht die tadelloseste Sittenreinheit zur Bedingung seiner Wohlthat. Was könnte man mehr verlangen?

Frau Kram übernahm das Geld und nahm insgeheim für Fanny Musik- und Gesangsmeister auf, nur dieser allein setzte sie die Sachlage auseinander. Der Fehler war, daß sie Theresen keine Mitteilung darüber machte. Sie befürchtete, was auch sicher geschehen wäre, daß die strenge Dame das Geld zum Fenster hinauswerfen und sagen werde, ein ehrenhaftes Mädchen dürfe unter keinem Vorwande Geld nehmen, das ihr nicht auf ehrlichem, offenem Wege zukommt. Dazu kam noch die Frage in Bezug auf die Künstlerlaufbahn; Therese hätte es gewiß nicht zugegeben, daß Fanny eine Künstlerin werde.

Doch die Sache konnte Theresen nicht geheim bleiben.

Sogleich nahm sie die Veränderung wahr, welche in den letzten Tagen in Fannys Gemüt vorgegangen.

Das Mädchen trug jetzt den Gedanken mit sich herum, sie besitze einen Schatz, der sie über alle Berufsgenossinnen erheben werde. Und von nun an hatte sie keine Lust mehr zu den einfachen Arbeiten und den armseligen Unterhaltungen, an welchen sie bisher Freude gefunden hatte; mit dem jungen Handwerker sprach sie nicht mehr so herzlich, oft war sie stundenlang in Träumereien versunken und dann pflegte sie ihrer Tante zu sagen, daß sie ihr ihre Bemühungen einst reichlich belohnen werde.

Wie schauderte Therese bei diesen Worten.

Das Mädchen träumt von Reichtum. Der Böse hatte ihr die Welt gezeigt und gesagt: »Siehe, dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest.« Ihr aber fiel es nicht ein, zu sagen: »Hebe dich von hinnen, Satan.«

Der Jäger hatte seine Falle gut gelegt.

Von Dankbarkeit getrieben, bat das Mädchen die Frau Kram oft, sie möge sie zu der unbekannten Wohlthäterin führen, damit sie dieser ihren heißen Dank sage, sie um Rat und darum bitte, daß sie die Tante überrede. Das trieb nun die Frau so sehr in die Enge, daß sie endlich sagte, diese Wohlthaten kämen nicht von einer Dame, sondern von einem Manne, der nicht genannt sein wolle.

Durch diese Entdeckung ward Fanny im ersten Augenblick sehr betroffen, aber bald war ihre Phantasie nur mehr gereizt. Wer kann der Mann sein, der sie glücklich machen will, ohne daß er sie zu sehen verlangt, der so vorsichtig ist, der sich so sehr fürchtet, dem fleckenlosen Ruf des Mädchens mit seinem ehrlichen Geschenke zu nahe zu treten, daß er nicht einmal seinen Namen nennt?

Was ist natürlicher, als daß sich das Mädchen ihren unbekannten Gönner als ein Ideal vorstellte? Sie dachte sich ihn als einen hochgewachsenen, ernsten Mann mit blassem Gesicht, der nie lächelt, ausgenommen, wenn er Gutes thut, sie sah dieses Bild oft in ihren Träumen.

Wenn sie auf der Gasse jungen Kavalieren begegnete, so blickte sie verstohlen hin, ob nicht einer derselben ihr geheimer Wohlthäter sei.

Aber alle diese paßten nicht zu dem in ihrer Seele lebenden Bild.

Endlich begegnete sie eines Tages einem Manne, dessen Gesicht, dessen Augen, dessen Blick ihrem Ideal angehörten. Ja, der muß es sein, ihr geheimer Schutzgeist, der nicht will, daß sie ihn kenne. Ja, von dieser Gestalt pflegte sie zu träumen, von diesen blauen Augen, diesen edlen Zügen, von dieser männlichen Gestalt.

Armes Mädchen! es war nicht ihr Wohlthäter, Rudolf von Szentirmay war's, der Gemahl Floras, der glücklichste und treueste Gatte, der an Fanny gar nicht dachte.

Dem Mädchen ging es nicht mehr aus dem Kopfe, daß dieser ihr Wohlthäter sei.

Unaufhörlich drang sie in die Frau Kram, sie möge ihr nur einmal von fern den Mann zeigen, der so geheimnisvoll für sie sorgt; aber als sich die fromme Frau endlich entschloß, dieser Bitte zu willfahren, war sie es nicht imstande, denn Abellino kam am Sonntag nicht mehr in die Kirche, selbst am ersten des nächsten Monats übergab er ihr das Geld durch seinen alten Kammerdiener.

Welche feine Berechnung.

Frau Kram konnte nicht anders glauben, als daß der unbekannte Herr sich wirklich hüte, sich dem Mädchen zu nähern. Ganz unterthänigst fragte sie daher den Kammerdiener, ob man seinen Herrn nicht einmal wenn auch nur von fern, einen Augenblick sehen könne.

Der Kammerdiener antwortete, sie könne seinen Herrn morgen in der öffentlichen Sitzung der Magnatentafel sehen, er pflege der fünften Säule gegenüber zu sitzen

Ah, er ist also ein Magnat? Einer von den Vätern des Vaterlandes, die Tag und Nacht darüber nachsinnen, wie sie das Land und das Volk glücklicher machen können! Dieser Umstand vermehrte ihr Vertrauen. Männer, denen das Schicksal des Landes anvertraut wird, können nicht leichtsinnig sein. – Wenn viele unserer Magnaten die Ehrfurcht kennten, welche das Volk für sie hegt, so wären sie stolz darauf und würden sich bestreben, sie zu verdienen.

Frau Kram setzte Fanny in Kenntnis, sie könne ihren unbekannten Wohlthäter morgen in der Magnatensitzung sehen, man werde sie unter der großen Menge gar nicht bemerken und das Ganze werde nur einige Augenblicke dauern.

So kam Fanny auf die Galerie des Magnatensaales, wo Frau Kram ihr den geheimen Wohlthäter zeigte.

Fanny fiel aus den Wolken, sie hatte einen andern zu sehen gehofft, den sie übrigens auch in dem Saale erblickte. Das Gesicht, welches Frau Kram ihr zeigte ließ sie kalt, es erregte sogar Mißtrauen und Furcht in ihrem Herzen. Sie drang in Frau Kram, mit ihr wieder fortzugehen und mit getäuschtem Herzen kehrte sie nach Hause.

Hier gestand sie ihrer Tante alles, ihre Träumereien, ihren Ehrgeiz, ihre Enttäuschung. Sie gestand, daß sie auch jetzt noch liebe, einen Mann, der ihr Ideal sei, aber dessen Namen sie nicht kenne, sie bat ihre Tante, sie gegen sich selbst zu schützen, denn sie fühle, daß es ihr schwindle und daß sie ihr Herz verloren habe.

Am andern Tag, als Frau Kram Fanny wieder zum Singmeister abholen wollte, fand sie Theresens Wohnung leer. Thüren und Fenster standen offen, die Möbel waren fort. Niemand wußte, wohin Therese mit Fanny gegangen sei; in der Nacht war ihr plötzlich der Einfall gekommen, auszuziehen, den Betrag der Miete erlegte sie beim Hausmeister und ihre Möbel ließ sie durch fremde Träger fortschaffen. Niemandem hatte sie gesagt, wo sie zu finden sein werde.


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