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5.
Saldiert

Wohin war Fanny mit ihrer Tante so plötzlich, so spurlos verschwunden?

Therese hörte verzweifelnd die Geständnisse des Mädchens.

Das Mädchen sagte ihr aufrichtig, sie liebe mit aller Glut ihrer Seele, ihres Herzens ein Ideal, einen Mann, den sie für ihren Wohlthäter gehalten habe, von dessen Güte und übermenschlich edlem Charakter sie seit Monaten träume, dessen Wohlthaten sie einst mit dankbarer Liebe hätte vergelten können – und jetzt, da sie erfahren, daß ihr geheimer Wohlthäter nicht derjenige sei, den sie einmal gesehen und seitdem nicht vergessen könne, sei in ihrem Herzen ein schauderhaftes Gefühl erwacht. Sie fühle, daß sie unrecht handelte, als sie von jenem Menschen, unter was immer für einem Vorwand das Geld annahm, sie fühle sich ihm verkauft, sie fürchte sich vor ihm, sie wage es nicht auf der Gasse zu erscheinen, um ihm nicht zu begegnen, sein Gesicht errege Mißtrauen in ihrem Herzen und sie schaudere vor dem Gedanken, daß jener Mensch an sie denke. Aber der Stachel sitze ihr doch im Herzen! – Das Bild jenes anderen, obwohl sie keine Veranlassung mehr habe, in ihm ihren Wohlthäter zu vermuten, könne aus ihrem Herzen nicht mehr verlöscht werden; sie kenne ihn nicht, wisse auch seinen Namen nicht, aber lieben werde sie ihn bis zu ihrem Tode, sie werde an dieser Liebe zu Grunde gehen, aber sie könne sich von dem Ideal in ihrem Herzen nicht mehr trennen.

Armer Sándor. – – –

Therese sah ihre vieljährigen Bemühungen plötzlich vernichtet.

Also selbst in der Kirche ist das unschuldige Mädchenherz vor Angriffen nicht sicher.

In ihrer Verzweiflung entschloß sie sich zu einem Schritt, den sie sonst im größten Elend nicht gethan hätte; sie ging zu Boltay, erzählte ihm alles und bat ihn, er möge das Mädchen schützen, denn Frauenschutz genüge hier nicht mehr.

Boltay war mit Freuden bereit, dieses Amt zu übernehmen. Das Gesicht des derben Handwerkers wurde rot vor Zorn; an jenem Tage ging er gar nicht nach seiner Fabrik, um nicht mit irgend jemandem in Streit zu geraten; er ließ nur in derselben Nacht Theresens Möbel nach einem Flügel des Hauses bringen, in welchem er selbst wohnte. Hier soll nun jemand wagen ihnen nahe zu treten.

Sándor erfuhr alles und ward davon sehr betrübt, aber er verdoppelte seine Aufmerksamkeit gegen Fanny. Liebten sie doch beide unglücklich, er das Mädchen und sie einen andern.

Die beiden Alten, Boltay und Therese, hielten jetzt oft eine Art Familienrat, zu welchem zuweilen auch Sándor hinzugezogen wurde, der jetzt oft ungewohnte Gänge zu machen hatte.

Die guten Alten bemühten sich, den Namen des unbekannten Magnaten in Erfahrung zu bringen. Wozu? sie wollten ihm das für Fanny ausgegebene Geld zurückerstatten. O, solches Geld darf man nicht schuldig bleiben; man muß es je früher je lieber zurückzahlen, in derselben Münzsorte, Gulden für Gulden.

Aber wie war es möglich, diesen Namen in Erfahrung zu bringen? Fanny selbst wußte ihn nicht und sie wäre lieber gestorben, als den Fremden selbst nur ein zweites Mal zu sehen. Boltay ging in alle Kaffeehäuser und horchte, ob er nicht irgendwo von einem Bürgermädchen sprechen höre, das von einem reichen Herrn auf ihre Tugend Unterstützung erhalten habe. Man sprach nichts dergleichen. Das beruhigte ihn zwar, insofern er dadurch erkannte, daß man von der Geschichte noch nichts wisse, daß also das Übel noch nicht so groß sei. Aber der Name, der Name!

Endlich kam Abellino diesen Nachforschungen selber entgegen.

Sándor pflegte jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, welche auch Frau Kram besuchte, und gab, an einer Säule stehend, acht darauf, mit wem die Frau sprechen werde.

Am dritten Sonntag kam Abellino selbst hin.

Die fromme Frau erzählte ihm die wunderbare Geschichte, Fanny sei mit ihrer Tante während der Nacht plötzlich verschwunden; ihr hätten sie nicht gesagt, wohin sie zögen, was eben nicht schön sei von ihnen, aber sie vermute, die beiden seien zu Herrn Boltay gezogen und Therese verheimliche es gewiß, weil sie in ihrer Jugend mit Boltay ein Verhältnis gehabt habe, oder weil sie Fanny mit Herrn Boltays angenommenem Sohne verheiraten wolle; sie werde sich übrigens um die beiden gewiß nicht mehr kümmern.

Abellino zerbiß sich die Lippen vor Wut, diese Philister haben gewiß von seinem Vorhaben Wind bekommen.

– Was für ein Handwerker ist denn der Boltay? fragte er die Frau Kram.

– Ein Tischler.

– Ein Tischler? In einem Augenblick war in Abellinos Kopf ein neuer Plan fertig.

– Na, behüt' Sie Gott, Madame, sagte er, und eilte fort. Die Frau Kram brauchte er nicht mehr.

Sándor eilte ihm nach. Also endlich hatte er den Versucher in der Kirche gefunden. Abellino eilte nach der Ecke der Gasse, Sándor folgte ihm auf der Ferse nach. Dort stieg jener in seine auf ihn wartende Kutsche, Sándor warf sich in eine Mietkutsche und fuhr ihm nach. Beim Michaelisthor holte er ihn ein, hier stieg der Magnat aus und sein Wagen fuhr in den Hof. Ein großer Portier in langem pelzverbrämtem Rock stand im Thor.

– Wer ist der Herr, der jetzt hineingegangen ist? fragte Sándor den Portier.

– Seine Gnaden, der Herr Abellino Karpáthi von Karpát.

– Ich danke.

Sogleich notierte sich Sándor diesen Namen, aber das war überflüssig. Nach Jahren, nach Jahrzehnten bliebe ihm dieser Name in die Seele gegraben, wie in die Rinde eines Baumes. Er behielt ihn mit jenem starken Gedächtnis, das dem Haß eigen ist, wie der Liebe.

Sándor eilte mit seiner Entdeckung nach Hause.

An diesem Tage sah im ganzen Hause jeder so verdrießlich aus, daß die Besucher beim Eintritt erschrecken mußten.

Am folgenden Tage ging wieder jeder an seine Arbeit. Herr Boltay arbeitete, die Hemdärmel aufgeschürzt, mit seinen Gesellen um die Wette, aber vergebens begab er sich mitten in den Lärm, jedes Werkzeug schien ihm einen Namen ins Ohr zu schreien. Nie hatte er gedacht, daß der Hobel, die Säge bei der Arbeit sprechen, alle schrien ihm heute das Wort »Karpáthy« ins Ohr. Er rief den Gesellen zu, sie sollten mit ihren Werkzeugen keinen so häßlichen Lärm machen und die Gesellen verwunderten sich und fragten einander, ob der Meister etwa meine, daß sie mit den Hobeln und den Sägen Geigentöne hervorbringen sollten.

Therese und Fanny saßen indes, mit Handarbeiten beschäftigt, an einem Fenster, das auf die Gasse ging; sie schwiegen, wie sie es seit einiger Zeit gewohnt waren.

Da kam eine schöne Equipage in die Gasse und Herr Boltay stand eben vor dem Hause.

Fanny sah nach der Gewohnheit junger Mädchen zum Fenster hinaus und erblickte den, der eben aus dem Wagen stieg. Erschrocken zog sie sich zurück, ihr Gesicht war erblaßt, ihre Augen starrten, die Arme sanken ihr in den Schoß.

Das alles entging Theresens Aufmerksamkeit nicht. Sie hat ihn gesehen, er ist da! Das war ihr erster Gedanke. Sie zitterte. Wenn der Mensch hereintritt, wenn er es wagt, ihr vor die Augen zu kommen, dann wußte sie nicht, wie sie ihm begegnen werde; Wut, Schande, Verzweiflung tobten in ihrer Seele. Sie vergaß völlig, daß doch auch ein Mann im Hause sei, ein Mann, mit dem es nicht gut war zu spaßen, sie glaubte nicht anders, als daß sie allein den ganzen Kampf zu bestehen haben werde.

Man hörte schon die Schritte des Ankommenden auf der Treppe, eine arrogante Stimme erkundigte sich draußen nach etwas, endlich hörte man ihn schon auf dem Flur. Ob er hereinkommen wird?

Fanny sprang von ihrem Stuhl auf, stürzte zu den Füßen der Tante nieder, verbarg ihr Gesicht in deren Schoß und schluchzte.

– Fürchte dich nicht, fürchte dich nicht, sprach Therese mit bebender Stimme und an allen Gliedern zitternd, ich bin hier.

Aber jetzt hörte man schon im anstoßenden Zimmer, das Herr Boltay bewohnte, diesen und den Fremden miteinander sprechen.

– Also Sie sind der Meister Boltay, sagte Karpáthi mit herablassendem Ton. Sie sind ein wackerer Meister, haben überall einen guten Ruf, Ihre Arbeit wird allenthalben geschätzt; Sie sind ein wackerer, ehrlicher Mann. Sie kommen gerade von der Arbeit, ich schätze die arbeitsamen Bürger sehr hoch.

Herr Boltay war nicht der Mann dazu, sich vom ersten besten loben zu lassen und unterbrach diese Lobeserhebungen kurz.

– Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen? Was befehlen Sie?

– Ich bin Abellino von Karpáthi, sagte der Fremde stolz. Herr Boltay wäre beinahe umgefallen, auf diese Überraschung hatte er nicht gerechnet.

Der vornehme Herr bemerkte den Ausdruck der Überraschung in Herrn Boltays Gesicht gar nicht, oder that, als ob er ihn nicht bemerkte.

– Ich bin hergekommen, fuhr er fort, um bei Ihnen eine ganze Einrichtung zu bestellen; persönlich komme ich, weil ich gehört habe, daß Sie sehr schöne Modelle zeichnen.

– Ich zeichne sie nicht selbst, sondern mein erster Geselle, der in Paris gearbeitet hat.

– Das gilt mir gleich. Ich bin gekommen, um von den Mustern eines auszuwählen, denn ich möchte eine einfache, aber doch nette bürgerliche Einrichtung, verstehen Sie? im bürgerlichen Geschmack. Ich will Ihnen sagen, warum. Ich will ein junges Bürgermädchen heiraten; verwundern Sie sich nicht, ich heirate ein Bürgermädchen auf gesetzlichem Wege. Ich habe dazu meine Gründe. Sehen Sie, ich bin ein Sonderling. Was ich thue, ist außerordentlich und kommt bei gewöhnlichen Menschen nicht vor. Mein Vater und alle Mitglieder meiner Familie waren Sonderlinge. Ich wollte einmal die Tochter eines Krämers heiraten, die in der Kirche so schön sang.

– Aha, das alte Märchen!

– Ich hätte sie geheiratet, fuhr der gesprächige Dandy fort – mit so schriller Stimme, daß in Theresens Zimmer jedes Wort gehört wurde – aber die Arme starb. Und ich habe damals gelobt, nicht zu heiraten, als bis ich ein Bürgermädchen fände, die ebenso tugendhaft, ebenso schön sei und das stabat mater ebenso schön singe, wie meine verstorbene Braut. Seit acht Jahren wandere ich in der Welt herum, ohne zu finden, was ich gesucht habe, denn entweder hat eine schön gesungen, war aber nicht schön, oder sie war schön und nicht tugendhaft, oder sie war tugendhaft, konnte hingegen nicht singen. Aber jetzt, mein Herr, habe ich in dieser kleinen Stadt gefunden, was ich so lange gesucht habe, ein Mädchen, das schön und tugendhaft ist und singen kann und die werde ich heiraten, jetzt bitte ich Sie nur zu raten, welche Einrichtung ich ihr zum Hochzeitsgeschenk kaufen soll.

In dem anstoßenden Zimmer konnte man das alles ganz gut hören. Unwillkürlich bedeckte Therese Fannys Kopf, der in ihrem Schoß lag, als fürchte sie, die einfältige Fabel werde bei dem jungen Mädchen Glauben finden. Die jungen Mädchen sind ja so leichtgläubig; sie fragen sogar die Blumen, ob man sie liebe oder nicht, wie müssen sie es erst glauben, wenn ein Mensch es ihnen sagt.

Herr Boltay sammelte sich während dieser Rede allmählich, ging ohne zu antworten zum Schreibtisch, suchte etwas und schrieb dann schnell einige Zeilen.

Gewiß sucht er die Muster und schreibt einen Kostenüberschlag, dachte Abellino, der sich indes nach allen Seiten umschaute, um zu erfahren, ob dieser Philister viele Zimmer habe, in welchem Fanny sich befinde und ob sie seine Worte gehört habe.

Der Meister war unterdes fertig geworden, winkte Abellino zu sich und zählte ihm aus einem Bündel Banknoten sechshundert Gulden, ferner vier Gulden in Silber und dreißig Kreuzer in Kupfermünze vor.

Was will der Philister mit seinen schmutzigen Groschen?

– Bitte, jetzt setzen Sie sich nieder, sagte Boltay, nachdem er mit dem Zählen fertig geworden war, und unterschreiben Sie diesen Empfangschein.

Derselbe lautete auf einen Betrag von sechshundert Gulden und auf vier Gulden und dreißig Kreuzer als Interessen, welche Summe der Unterfertigte dem Fräulein Fanny Mayer geliehen und von derselben richtig wieder erhalten habe.

Abellino war betroffen; darauf war er nicht gefaßt, daß diese dummen Philister seinen Plan durchschauen würden. Bei solchen Gelegenheiten ist es jedenfalls das beste, den Beleidigten zu spielen. Schweigend und mit vornehmer Miene sah Abellino auf den Tischlermeister herab, ließ seine Reitgerte in der Luft zischen, wie zum Zeichen, daß es schade sei, hier ein Wort zu verlieren und wandte sich um, um fortzugehen.

Hierbei herrschte tiefe Stille und die im anstoßenden Zimmer befindlichen Damen horchten pochenden Herzens auf diese Ruhe, die der Vorbote eines Gewitters zu sein schien.

Als Boltay sah, daß der Dandy fortgehen wolle, sagte er mit nachdrucksvollem Ton: Herr, nehmen Sie das Geld und unterschreiben Sie die Quittung, sonst werden Sie es bereuen.

Karpáthi warf einen verachtungsvollen Blick zurück, ging hinaus und schlug die Thüre hinter sich zu. Erst als er in seiner Equipage saß, fiel es ihm ein, daß er dem Menschen hätte eine Ohrfeige geben sollen. Indes war es gut für ihn, daß er dieses unterlassen hatte.

Aber wer hätte es auch von dem kräftigen Tischler erwartet, daß er trotz seiner aufbrausenden Natur dem überraschten Courmacher so ohne allen Zornesausbruch seine Meinung zu erkennen geben werde!

Abellino wagte es nicht, seinen Gefährten zu erzählen, wie Boltay ihn behandelt habe.

Übrigens war die Sache noch nicht abgethan.

Der wackere Tischlermeister legte das Geld nicht wieder in seine Kasse zurück, sondern ging damit zu der Redaktion der Preßburger Zeitung und ließ in die Spalten derselben folgende Erklärung einrücken: »Ein hiesiger Bürger hat sechshundert und vier Gulden und dreißig Kreuzer dem hiesigen Bürgerspitale übergeben, welche Herr Bela von Karpáthi der angenommenen Tochter des besagten Bürgers zu schenken die Güte hatte, die jedoch letzterer einem frommeren Zwecke zu widmen für gut fand.«

Die Affront war in der Geschichte der Gesellschaft unerhört.

Die Sache machte viel von sich reden, der ausdrücklich angegebene Name war in den höheren Kreisen wohlbekannt, man lachte und ärgerte sich über die seltsame Erklärung, einige Witzlinge von der Magnatentafel gratulierten Abellino im Namen der leidenden Menschheit und die jungen Riesen feuerten ihn an, daß er diesen Schimpf nicht ungerächt lasse und er kam endlich auf den Gedanken, den Tischlermeister Boltay – herauszufordern.

Er hatte hiermit keine andere Absicht, als den Philister zu erschrecken und kirre zu machen, daß er zu Kreuze krieche. Es war zu vermuten, daß der Tischlermeister das Duell nicht annehmen, sondern lieber Erklärungen geben und um Vergebung bitten werde, dann wird man, dachte Abellino, zur Versöhnung ein Glas Wein trinken, den die kleine Spröde einschenken wird. Das übrige wird sich dann schon von selbst geben.

An einem Nachmittag schickte Abellino seine Sekundanten zu dem Tischlermeister. Der eine hieß Livius, eine Autorität in Duellsachen, dessen Ausspruch in allen das Point d'Honneur betreffenden Angelegenheiten als Gesetz galt; der andere war ein ungarischer Magnat, Namens Konrad, eine ungeheuere, athletische Gestalt, den jede herausfordernde Partei bei solchen Gelegenheiten als Sekundanten zu wählen pflegte, wo von dem Herausgeforderten rohe Zurückweisungen zu befürchten waren. Er besaß ein imponierendes Gesicht und seine Stimme wäre fähig gewesen, selbst Bären in ihre Höhlen zurückzujagen.

Diese beiden ehrenwerten Ritter verfügten sich also, zum Überfluß noch mit einer geschriebenen Herausforderung versehen, in die Wohnung des Herrn Boltay.

Der Meister war nicht zu Hause. Er war gerade an demselben Tage frühmorgens mit Theresen und Fanny weggefahren und hatte sich, nach den Reisevorbereitungen zu schließen, auf längere Zeit entfernt.

In Herrn Boltays Zimmer, in welches die beiden Secundanten eingetreten waren, saß Sándor allein, mit Modellzeichnungen beschäftigt.

Die beiden Gentlemen grüßten, der junge Mann ging ihnen, ihren Gruß erwidernd, entgegen, und fragte, was sie befehlen.

– Junger Mensch, begann Konrad mit donnernder Stimme, wohnt hier der Meister Boltay?

– Ja, antwortete Sándor, und dachte, es wäre nicht notwendig, so zu schreien.

Konrad blickte umher, wie der Riese im Märchen, der Menschenfleisch wittert, und sagte: Der Meister soll hergerufen werden.

– Er ist nicht zu Hause.

Konrad winkte Livius und sprach zu diesem: Habe ich es nicht gesagt?

Dann legte er eine Faust auf den Tisch, hielt die andere auf seinen Rücken, bückte sich nieder, sah dem jungen Menschen drohend ins Gesicht und fragte: Wo ist der Meister?

– Das hat er mir nicht anvertraut, antwortete Sándor, der sich so beherrschen konnte, daß er nicht einmal eine Miene änderte.

– Gut, sagte Konrad, das versiegelte Schreiben herausnehmend; wie heißen Sie, junger Mensch?

Sándor sah den Fragenden mit Staunen und mit Ärger an.

– Na na, erschrecken Sie nur nicht, sagte Konrad, ich will Ihnen nichts zuleid thun; Sie werden doch wohl einen Namen haben?

– Jawohl, ich heiße Barna Sándor.

Konrad notierte sich den Namen und dann faßte er den Brief feierlich am Rande.

– Hören Sie, werter Herr Barna Sándor (das Wort »Herr« war mit Nachdruck gesprochen, damit der Bursche begreife, wie sehr er dadurch geehrt werde), dieser Brief ist an Ihren Meister gerichtet.

– Sie können mir ihn kühn übergeben. Herr Boltay hat mich bevollmächtigt, in seiner Abwesenheit alle seine Angelegenheiten zu erledigen.

– So übernehmen Sie diesen Brief, sprach Konrad mit donnernder Stimme und war im Begriff, noch viele imposante Dinge vorzubringen; doch er wurde durch Sándors indiskretes Beginnen außer Fassung gebracht, der den an seinen Meister gerichteten Brief erbrach und las.

– Was thun Sie, riefen beide Zeugen auf einmal.

– Ich bin von Herrn Boltay bevollmächtigt, während seiner Abwesenheit alle für ihn ankommenden Briefe zu lesen und etwaige Forderungen zu berichtigen.

– Aber das ist keine solche Forderung, wie Sie denken. Das ist eine Privatsache, eine persönliche Angelegenheit, die Sie nichts angeht.

Sándor hatte jetzt den Brief durchgelesen und trat vor die beiden Zeugen hin.

– Ich stehe Ihnen zu Diensten, meine Herren.

– Was meinen Sie?

– Herr Boltay hat mich zur Berichtigung aller an ihn gestellten Forderungen bevollmächtigt.

– Nun? – und dann?

– Ich bin, sagte Sándor, den geöffneten Brief mit der Hand glättend, bereit, diese Forderung wo und wann immer zu berichtigen.

Konrad schaute Livius an.

– Dieser Bursche scheint mit uns zu scherzen.

– Ich scherze nicht, meine Herren, ich bin seit gestern der öffentliche Kompagnon des Herrn Boltay und einer steht jetzt für den andern ein, mag was immer für eine Forderung an uns gestellt werden.

Konrad begann zu zweifeln, ob der Geselle bei gesundem Verstand sei, oder ob er lesen könne. Er schrie ihn an, mit den Worten: Haben Sie den Brief gelesen?

– Ja, er enthält die Herausforderung zu einem Duell.

– Nun, und mit welchem Recht wollen Sie diese an einen andern gerichtete Herausforderung annehmen?

– Weil der Herausgeforderte mein Compagnon, mein Adoptivvater und nicht anwesend ist und weil alles Glück oder Unglück, das ihn treffen kann, auch mich trifft. Wäre er hier, so würde er selbst für sich einstehen, so aber ist er abgereist und ich habe meine Gründe, nicht zu sagen wohin und auf wie lange er abgereist sei. Es bleibt somit nichts anderes übrig, als daß die Herren entweder die Herausforderung zurücknehmen oder mich als Gegner annehmen.

Konrad zog Livius auf die Seite, um von ihm zu erfahren, ob das mit den Gesetzen des Duells übereinstimme. Livius erinnerte sich an solche Fälle, die aber nur zwischen Edelleuten vorgekommen waren.

– Hören Sie, Barna Sándor, sagte Konrad, was Sie uns da anbieten, ist nur zwischen Edelleuten üblich.

– Meine Herren, die Herausforderung kommt ja nicht von mir, sondern von Ihnen.

Darauf konnten die Herren nicht gleich antworten. Konrad kreuzte seine mächtigen Arme über der breiten Brust und schrie, sich vor den jungen Mann hinstellend: Können Sie fechten, können Sie schießen?

– Ich habe bei Waterloo mitgefochten und die Verdienstmedaille erhalten.

Konrad schüttelte den Kopf.

– Sie wollen sich also für Ihren Meister schlagen? Sie scheinen ein Raufbold, ein kecker Bursche zu sein; bedenken Sie, daß das Duell kein Krieg ist, wo nur von der Ferne geschossen wird, wo man sich vor der Kugel niederducken kann und wo man noch zwei, drei Reihen vor sich hat; im Duell steht Mann gegen Mann, Pistole gegen Pistole, man hat da den Degen des Gegners kaum eine Spanne weit von der unbedeckten Brust, man kann da niemanden zu Hilfe rufen und ist sich selbst überlassen. – Nun?

Sándor konnte sich nicht enthalten zu lächeln.

– Das ist mir alles eins, meine Herren, ich kann schießen, fechten und treffe meinen Mann sogar auch mit Zwiebeln.

Konrad stutzte.

– Diable! dieser Mensch macht eine Anspielung. Er erinnerte sich, daß ihn im Catalani-Mainvielle-Krieg jemand mit einem Zwiebelkranz unbarmherzig geschlagen habe.

Livius sprach mit kaltem Amtston: Wer werden Ihre Sekundanten sein? Nennen Sie zwei Ihrer Bekannten.

– Meine Bekannten sind lauter friedliche Handwerker, die ich nicht in eine so gefährliche Angelegenheit verwickeln will. Es kann sich ereignen, daß ich den Herausforderer erschieße und in dem Fall will ich nicht die Ursache sein, daß zwei unschuldige Menschen fliehen müssen; seien Sie daher so gut, mir in Ihren geschätzten Kreisen zwei Sekundanten zu wählen, ich nehme sie an, seien sie wer immer, Herren wie Sie können sich in solchen Fällen leichter aus der Verlegenheit ziehen.

– Über Ort und Zeit werden wir Sie bald in Kenntnis setzen, sagte Livius. Und hierauf entfernten sich beide.

– Dieser Bursche hat das Herz eines Edelmannes, sagte Livius zu Konrad im Fortgehen.

– Wir wollen sehen, ob er es auch morgen haben wird.

Noch am Abend desselben Tages kam ein Heiduck in silbergestickter Montur in Boltays Wohnung und erkundigte sich nach Barna Sándor.

Er hatte einen Brief in der Hand.

– Ich bitte höflichst, sagte der Heiduck mit einem Tone, der bewies, daß er an ein ordentliches Benehmen gewöhnt war, haben Sie bei Gaudcheux in Paris gearbeitet?

– Jawohl.

– Sind Sie vor ungefähr drei Jahren im Wald von Ermenon drei ungarischen Herren begegnet?

– Ja, sagte Sándor, der erstaunte, daß sich jemand an einen so geringfügigen Vorfall erinnerte.

– Dann sind Sie derjenige, an welchen dieser Brief adressiert ist, sagte der Heiduck, den Brief übergebend; ich bitte, ihn gleich zu lesen, ich warte auf Antwort.

Sándor erbrach den Brief und ein Ausruf der Überraschung entfuhr ihm, sobald er vor allem nach der Unterschrift gesehen hatte.

Er sah da zwei Namen unterschrieben, die bei allen, welche sich für ehrenhafte, aufgeklärte und für gute Patrioten hielten, in hohem Ansehen standen: Rudolf und Nikolaus.

Was können sie dem armen Jungen schreiben? sie, die Großen, die Gefeierten der Nation, die Helden des Tages, einem armen unbekannten Arbeiter.

Der Brief lautete, wie folgt: »Sie sind ein wackerer Mann, Sie haben recht gehandelt. An Ihrer Stelle hätte jeder von uns dasselbe gethan. Wenn Sie unseren Beistand annehmen, so sind wir als alte Bekannte bereit, Ihnen den ritterlichen Dienst, dessen Sie jetzt bedürfen, zu leisten.«

Sándor faltete den Brief ruhig zusammen.

– Ich fühle mich durch den Antrag der gnädigen Herren sehr geehrt, sagte er zu dem Heiducken und nehme ihn von ganzem Herzen an.

Der Bote verneigte sich artig und ging fort.

Nach einer halben Stunde kamen Rudolf und Nikolaus. Ersterer sagte, sie brauchten eine schriftliche Vollmacht von Sándor, damit Konrad und Livius ihm nicht Sekundanten gäben, die er nicht wünsche.

– Also bieten sich auch noch andere als Sekundanten an?

– O genug. Die jungen Riesen reißen sich um das Vergnügen, bei der Tragikomödie zugegen zu sein, wie sie es nennen.

– Es wird keine Tragikomödie sein, das sage ich.

– Eben um dieser Auffassung entgegenzutreten, haben wir uns bewogen gefunden, Ihnen unsere Dienste anzubieten. Wir finden kein Vergnügen daran, Menschen gegeneinander zu hetzen und Duelle zu befördern, was man in unseren Kreisen leider für die beste Unterhaltung ansieht; wir halten es für unsere ritterliche Pflicht, durch die Dienste, welche wir Ihnen anbieten, den unpassenden Späßen entgegenzutreten, welche unsere leichtblütigeren Freunde vorhaben.

Wir können nicht mit Bestimmtheit angeben, worin diese beabsichtigten Späße bestehen sollten. Einige wollten mit dem Burschen eine großartige Komödie aufführen, der es wagte, den Handschuh eines Edelmannes aufzuheben. Sie wollten ihn mit Todesangst peinigen und auf ihn, wenn er vor Schreck halbtot wäre, eine mit Flaumfedern geladene Pistole abfeuern und dergleichen mehr. Solche Anträge wurden freilich nur von den Leichtsinnigsten unter den jungen Riesen gemacht, aber dennoch gab die Stimmung im allgemeinen zu der Vermutung Anlaß, daß dieses Duell von seiten des Herausforderers mehr für einen Spaß, als für eine ernste Angelegenheit gehalten wurde. Gewiß hatte niemand die Absicht, den armen Handwerksgesellen zu erschießen, auch war es nicht wahrscheinlich, daß er mit seinen von der Arbeit steifgewordenen Händen und einer neuen Pistole jemanden in einer Entfernung von dreißig, vierzig Schritten treffen könne; man wollte ihn nur ein bißchen erschrecken, damit er ein anderes Mal nicht wieder Lust habe zu Unterhaltungen, die für ihn nicht passen.

Aus dieser Verlegenheit wollten die beiden ritterlich gesinnten jungen Männer den wackern Handwerker ziehen. Es hätte ihnen wehgethan, wenn dieser edelgesinnte junge Mann das Opfer der unzarten Spöttereien ihrer Genossen geworden wäre; lieber wollten sie, daß das Duell ernst und in aller Ordnung vor sich gehe.

Sándor dankte ihnen für ihre Güte und es that ihm sehr wohl, daß sie kein Wort verloren, um ihm Mut zu machen.

Am andern Morgen erschienen die jungen Männer sehr zeitig. Sándor erwartete sie bereits und versiegelte nur noch einige Briefe, die er während der Nacht geschrieben hatte; der eine war an Herrn Boltay gerichtet und enthielt den Bericht über die Angelegenheiten des Hauses, in dem andern bat er Fanny, sie möge seine kleinen Ersparnisse als Vermächtnis von ihm annehmen.

Diese Briefe übergab er, nachdem er sie zusammen in ein Couvert gethan hatte, dem Hausmeister mit dem Bedeuten, er möge sie, wenn er sie nicht bis zwölf Uhr zurücknähme, den Betreffenden zusenden.

Hierauf setzte er sich in die Kutsche, in welcher Rudolf und Nikolaus auf ihn warteten und fuhr mit ihnen fort; in einiger Entfernung folgte ihnen in einer andern Kutsche der Chirurg.

Die jungen Männer nahmen mit Staunen wahr, daß sich in dem Gesicht des Handwerkers keine Spur von Angst zeigte, daß er sich so kalt, so ruhig benahm wie einer, der an solche Situationen gewöhnt ist. Er sprach mit ihnen unbefangenen Tones von den gewöhnlichsten Gegenständen und als sich das Gespräch den an der Tagesordnung befindlichen Landes- und Humanitätsfragen zuwendete, sprach er davon mit solcher Begeisterung, wie einer, der noch ein vieljähriges Glück vor sich sieht, – er aber hoffte keinen Tag mehr.

Es war noch sehr früh, als sie über die Brücke nach der Au fuhren, dort stand eine Hütte, wo man Erfrischungen bekam. Die jungen Männer ließen die Kutsche halten und fragten Sándor, ob er nicht frühstücken wolle.

– Ich danke, antwortete er; man könnte meinen, ich brauche eine Herzstärkung. Später – oder vielleicht auch dann nicht, fügte er leichtmütig hinzu.

Von hier gingen sie zu Fuß durch den Wald nach dem anberaumten Platz, wo auch bald der Gegner mit seinen Zeugen ankam.

Es war ein düsterer, trüber Morgen, der mit der Stimmung unserer jungen Männer vollkommen übereinstimmte. Die Gegner kamen lachend und voll übermütiger Laune durch das Silberpappelgehölz; es waren Abellino, der riesige Konrad, Livius, ein Chirurg und ein Diener. Letzterer trug ein paar große Pistolen im Futteral und die Instrumente des Chirurgen.

Die vier Zeugen verfügten sich in die Mitte des Platzes, sprachen leise miteinander und schienen sich über einige gemeinschaftliche Punkte zu beraten, wie der Ausgangspunkt, die Schußweite und wer den ersten Schuß haben solle.

Die Ausgangspunkte wurden auf eine Entfernung von fünfundvierzig Schritten bemessen, die Grenze, bis zu welcher der Duellant vorwärtsgehen durfte, auf fünfzehn Schritte.

Während dieser Beratung nahm Abellino seine Schneller mit gutgezogenen Läufen vor und produzierte sich vor der Gesellschaft. Seinem Bedienten befahl er, Lindenblätter vor ihm in die Luft zu schleudern und er traf sie dreimal nacheinander.

Das geschah nur, um der Gegenpartei Schrecken einzujagen.

Nikolaus erriet diesen Zweck und flüsterte dem Handwerker beruhigend ins Ohr: Sie werden nicht mit jenen Pistolen schießen, sondern mit den unserigen, die ganz neu sind und mit welchen man keine solchen Bravourschüsse machen kann.

Sándor lächelte bitter.

– Mir ist alles eins. Mein Leben ist mir nicht teurer, als jene durchschossenen Blätter.

Nikolaus sah dem jungen Mann tief ins Auge. Er begann zu vermuten, daß dieser noch einen andern Grund habe zur Annahme des Duells, als die Ehre der gemeinschaftlichen Firma.

Der Pflicht gemäß, versuchten es die Zeugen vor allem, die Parteien miteinander auszusöhnen. Abellino machte sich anheischig, die Herausforderung unter folgenden zwei Bedingungen zurückzunehmen: 1) wenn die herausgeforderte Partei im Namen des Herrn Boltay erklärt, daß dieser niemals die Absicht gehabt habe, ihn zu beleidigen; 2) wenn der Meister Boltay in derselben Zeitung, in welcher er die beleidigende Erklärung veröffentlichte, selbst erklärt, daß Karpáthi die fragliche Summe seiner Pflegetochter aus der edelsten, rein kunstfreundlichen Absicht gegeben habe.

Sándors Zeugen setzten ihn von diesen Bedingungen in Kenntnis.

Er wies gleich die erste zurück.

Boltay habe ihn nicht beleidigen wollen? Das wollte er deutlich und mit klarstem Selbstbewußtsein, er macht diese Absicht seines Meisters zu der seinigen und widerruft sie nicht.

O, dieser Mensch hat mehr Gründe zu dem Zweikampf, als bloße Streitlust. Hier bleibt nichts übrig, als zu schießen.

Der Trotz des Gegners ärgerte die Sekundanten Abellinos. Jetzt muß er erst recht gequält werden. Konrad schrie mit Stentorstimme dem Chirurgen zu:

– Sind Ihre Werkzeuge da? Legen Sie sie heraus, halten Sie sie bereit. Was? Warum haben Sie die Beinsäge nicht mitgebracht? Sie sind ein Mensch ohne alle Überlegung, mein Freund. Man bekommt in einem Duell nicht immer die Kugel in den Kopf oder ins Herz, man kann auch am Fuß oder am Arm getroffen werden; und wenn dann der Verwundete erst in die Stadt gebracht und nicht gleich amputiert wird, so schlägt der Brand hinzu. Jetzt fehlte nur noch, daß Sie auch den Kugelzieher vergessen hätten, dessen wir in jedem Falle bedürfen.

– Auf den Platz! auf den Platz, meine Herren! rief Rudolf, um dieser rohen Quälerei ein Ende zu machen.

Abellino traf eben das vierte Lindenblatt in einer Entfernung von fünfundzwanzig Schritten.

– Diese Pistolen müssen Sie weglegen, sprach Rudolf, denn sie sind Ihnen schon bekannt. Unsere hingegen sind ganz neu.

– Gut, sagte Konrad, eine sichere Hand trifft auch mit diesen ihr Ziel; du mußt nur acht geben, fuhr er, zu Abellino gewandt fort, daß du beim Zielen den Arm nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben bewegst; auf diese Weise triffst du den Gegner, wenn du ihm gerade auf die Brust zielst, in den Bauch, wenn die Pistole nach unten stößt und ins Gehirn, wenn sie nach oben stößt.

Inzwischen wurden die Pistolen geladen, wobei die Kugeln vor den Augen aller hineingegeben wurden. Hierauf wählte jede der beiden Parteien eine Pistole und dann stellten sich die beiden Gegner an den Ausgangspunkten auf; die Barrieren waren mit weißen Taschentüchern bezeichnet.

Die Zeugen zogen sich zurück, nach der einen Seite die der einen, nach der andern die der Gegenpartei. Konrad zog sich hinter eine dicke Pappel zurück, die seinen breiten Körper möglichst deckte.

Zum Zeichen des Beginns klatschte er dreimal mit den Händen.

Sándor blieb einige Sekunden auf seinem Platz stehen, die Pistole in der herabhängenden Hand haltend. Auf seinem Gesicht lag kalte Ruhe, Wehmut könnten wir es nennen, wenn diese nicht eine Art von Feigheit wäre. Abellino machte langsam einige Schritte nach vorwärts, indem er mehrmals die Pistole zum Zielen ans Auge setzte, als ob er plötzlich schießen wollte, dies ist für den Gegner die größte Pein, welche den Feigherzigen gewöhnlich veranlaßt, näher heranzukommen, und so, wenn er nicht getroffen hat, dem Gegner einen großen Vorteil zu verschaffen.

Dazu mußte man das boshafte Lächeln, den Hohn sehen, mit welchem Abellino seinen Gegner zu verwirren trachtete. Schießt er doch sogar das fliegende Blatt aus der Luft herab! Armer Junge! seufzte Rudolf leise und Nikolaus wollte schon Karpáthi zurufen, in einem ritterlichen Duell sei es nicht erlaubt, den Gegner auf irgendeine Weise zu reizen.

Indes ging Sándor auf einmal mit festen, ununterbrochenen Schritten zu seiner Barriere vorwärts, blieb da stehen, erhob die Pistole und zielte. In seinen Augen loderte ein außerordentliches Feuer, seine Hand zitterte nicht.

Das ist eine ungewöhnliche Kühnheit. Vor dem ersten Schuß pflegt kein Duellant bis zu seiner Barriere vorzutreten; denn, wenn er dieses thut, giebt er, falls er nicht getroffen hat, dem Gegner einen großen Vorteil in die Hand; diese Kühnheit veranlaßte Abellino, da stehen zu bleiben, wo er noch sechs Schritte bis zu seiner Barriere hatte.

Im nächsten Augenblick krachte ein Schuß, worauf binnen anderthalb Sekunden ein anderer folgte.

Die hinzueilenden Zeugen fanden Sándor aufrechtstehend. Abellino hingegen hatte dem Gegner den Rücken zugekehrt und hielt sich sein linkes Ohr mit der Hand. Die Chirurgen eilten zu letzterem.

– Sind Sie verwundet?

– Es ist nichts, es ist nichts, sagte er, und hielt sich fortwährend das linke Ohr. Die verfluchte Kugel ist mir gerade vor dem Ohr vorübergeflogen, sodaß ich gewiß taub geworden bin. Ich höre mein eigenes Wort nicht. Verfluchte Kugel; wäre sie wir lieber zwischen die Rippen gekommen.

– Das wünscht' ich dir auch! brüllte Konrad, der eben hinzu kam; du bist verrückt, du hast auf mich geschossen, anstatt auf deinen Gegner. Sehen Sie nur hin, meine Herren, die Kugel ist gerade in den Baum geflogen, hinter welchem ich stand; ist das Diskretion, auf den eigenen Sekundanten zu schießen? Wenn der Baum dort nicht war, so wäre ich maustot, maustot. Man soll mir nur wieder einmal kommen und mich zum Sekundanten wählen! ich werde es bleiben lassen.

Das konnte nur so gekommen sein, daß Karpáthi bei der Gehirnerschütterung, die Sándors Kugel ihm verursachte, völlig aus der Richtung kam und auf den Baum schoß, hinter welchem Konrad stand, anstatt seinen Gegner aufs Korn zu nehmen.

Er hörte Konrads Vorwürfe nicht mehr, aus seinem Ohr begann langsam Blut herauszufließen. Wenn er es auch zu verbergen suchte, so sah man doch an seiner Blässe, daß er große Schmerzen leide. Die Arzte flüsterten, das Trommelfell sei ihm zerrissen und er werde für sein ganzes Leben taub bleiben.

Taub sein! Es ist das prosaischeste aller menschlichen Gebrechen, wegen dessen der Leidende öfter bespöttelt wird. Wäre ihm doch die Kugel lieber zwischen die Rippen geraten.

Man mußte Karpáthi zu seiner Kutsche führen. Wenn es seine Schmerzen zuließen, so fluchte er. Immer wünschte er, daß er lieber in der Brust eine Wunde erhalten hätte.

Rudolf und Nikolaus schritten dann zu den beiden Sekundanten des Gegners und fragten, ob sie mit der Genugthuung zufrieden seien.

Livius gab zu, daß alles in der gehörigen Ordnung vor sich gegangen sei; Konrad aber sagte, er sei mit dem Duell so sehr zufrieden, daß man ihn einen Räuber schelten möge, wenn er wieder an einem Duell teilnähme.

– Also seien die Herren so gut, mir diese Forderung zu saldieren, sagte Sándor zu den Sekundanten und hielt ihnen das an seinen Meister adressierte Herausforderungsschreiben hin. Haben Sie die Güte und schreiben Sie hierher »Saldiert«.

Die Sekundanten lachten über seinen Einfall, verlangten im ersten Wirtshause, zu welchem sie in der Au kamen, Tinte und Feder und Abellino schrieb auf den Herausforderungsbrief der Ordnung gemäß das verlangte »Saldiert«.

Seine Sekundanten unterschrieben sich als Zeugen.

Das so beglaubigte Dokument in die Tasche steckend, bedankte sich Sándor bei seinen Sekundanten und ging zu Fuß in die Stadt zurück.


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