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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Marquis Gravel war ein Hofmann comme il faut, der auf den ersten Blick erriet, wo er seine Aufgabe zu beginnen habe. – Die Marquise Bethune war eine schöne Frau – und sie wusste das.

Es schien, wie wenn die zwei Zwillingsschwestern d'Arquien sich vollständig in das Gonzagaerbe geteilt hätten, welches ihnen ihre verheimlichte Mutter zurückgelassen hatte: Maria Kasimira hatte allen Stolz, Ehrgeiz, alle Treue, Leidenschaft geerbt, Eleonore hinwiederum allen Leichtsinn und alle Genusssucht des Gonzagablutes. Maria Kasimira verschaffte ihrem Gatten eine Krone, auch Eleonore verhalf dem guten Bethune zu einer Krone, – von der man aber lieber nicht spricht.

Gravel begann seine halbamtliche Mission damit, daß er seine Huldigungen zu Füßen der schönen Oberschatzmeisterin darbrachte. Seine Bemühungen blieben nicht erfolglos. Der Marquis war ein schöner Mann und ein feiner Gesellschafter. – Bald konnte er die erfreuliche Nachricht nach Hause senden, daß alles im besten Gange sei, daß der französische Einfluss wiederhergestellt wäre.

Leider hatte aber der wiener Hof auch seine Augen, vulgo Spione dort, damit auch er alles sehe. Wawra, der Hofnarr, gewahrte den gefährlichen Schachzug und verstand es, demselben zu begegnen.

Der schöne französische Ritter konnte gestürzt werden – durch einen noch schöneren italienischen Ritter. Auch ein solcher stand in Bereitschaft.

Am wiener Hofe lebte ein junger italienischer Edelmann, ein geborener Neapolitaner, Beppo Sardis. Dieser war wie geschaffen zur Verführung, er besaß ein grundschlechtes, verdorbenes Herz mit einem bezaubernd schönen Angesicht. Sardis wurde nach Warschau als außerordentlicher Gesandter geschickt.

Der Italiener verstand seinen Auftrag auszuführen. Man hatte den Franzosen beim ersten Sturm noch niemals so rasch eine Festung entrissen, als Ritter Sardis das Herz der schönen Leonore dem schönen Marquis Gravel.

Der erste Geliebte ward vergessen. – Aber nicht hierin allein bestand die ganze Aufgabe Sardis', sondern den Franzosen sammt König aus Warschau zu vertreiben. Als er das Herz der Dame bereits vollständig besaß, begann er den Eifersüchtigen zu spielen. Nach einer zärtlichen Schäferstunde gab er der Dame das Rätsel auf:

»Errate, was das ist: Wenn es sehr wenig ist, kann man es vielfach verteilen, wenn es sehr viel ist, ist es unteilbar?«

Die Dame erriet es: »Die Liebe.«

»Die meinige ist wie die letztere.«

»Und die meinige?«

»Wie jene erstere.«

»Sieh, ich gebe Dir diesen Ring, ihn gaben die Frauen unseres Hauses nur dem Manne, den sie glühend liebten. Ich habe denselben zuvor noch keinem geschenkt. Sieh, ein einfacher Reif, um welchen ein Haar der treuesten Frau geschlungen ist. Für diesen Ring werden diejenigen verdammt, die ihn verschenken.«

»Ich werde ihn auf meinem Herzen tragen,« sagte der Italiener. »Wenn Du mir aber jetzt schon gabst, was teurer als ein Diamant ist, so gieb mir auch was wohlfeiler als Mist ist: Gravel's Briefe, die er Dir schrieb.«

»Ah! Du glaubst, aus denselben etwas anderes erfahren zu können, als daß er mich liebte, ich ihn aber nie.«

»Ich glaubte es, wenn ich es sähe,« sagte der Italiener. Er wollte aber aus Gravel's Briefen nicht erfahren, ob der Franzose glücklich gewesen sei, sondern ob er mit der Marquise Bethune politische Intriguen begonnen habe.

»Ueberzeuge Dich davon,« sprach die Dame und führte Ritter Sardis zu ihrem Schreibtische. Dieser Schreibtisch war ein Meisterwerk der Tischlerei: seine Fächer öffneten sich nicht durch einen Schlüssel, sondern vermittelst eines Vexirschlosses. An seiner Untenseite waren eine Reihe Tasten angebracht, und nur durch einen kombinirten Druck auf dieselben konnte er geöffnet werden. Wer die Buchstaben des Vexirwortes nicht kannte, vermochte ihn nicht zu öffnen. Soweit konnte das Hauptfach jedoch herausgezogen werden, daß sich eine fingerbreite Spalte bildete, worauf aber eine verborgene Maschine im Innern des Schreibtisches ein solches Trommeln, Klingeln, Schnarren erhob, daß dasselbe im ganzen Palaste vernommen werden musste. Dieser Einrichtung zufolge konnte kein Anderer, als wer das Geheimniss der Tasten kannte, auch nur einen Versuch zum Oeffnen des Tisches machen, ohne sich sofort zu verraten. Hier verwahrte Eleonore Gravel's Briefe. Das Fach wusste nur die Dame zu öffnen. Hier lagen auch Gravel's Briefe bei den übrigen. Sie waren fein säuberlich mit einer dünnen Goldschnur zusammengebunden.

»Nimm und lies die Briefe,« sagte die Marquise.

Es mag ein auserlesener Genuss sein, wenn der Beglückte an der Seite des geliebten Weibes die Ergüsse eines schmachtenden, verzweifelten Anbeters lesen – und über dieselben – zu Zweien – lachen kann.

Dem Ritter Sardis ward dieser Genuss zu Teil.

Aber was kümmerte er sich jetzt um diesen Genuss; nur sein Antlitz redete von demselben, in seinem Herzen grollte er darüber, daß er nur dieses in den Briefen fand, kein Staatsgeheimniss, keine politische Intrigue, das, was er wirklich suchte. Die ganze Entdeckung war für ihn nur – leeres Stroh.

Da fuhr ihm etwas durch den Sinn. Alle Briefe konnten in Schätze verwandelt werden. Nur musste man ihrer habhaft werden.

Aber in diesem Punkte war Leonore unerbittlich. Diese Briefe opferte sie nicht einmal den schönen Augen des Ritter Sardis auf. Mochten sie also wieder in ihr unzugängliches Versteck zurückwandern.

Ritter Sardis verfolgte seinen Plan weiter. Während Eleonore die Brieflein Gravel's einzeln in ihre feinen chinesischen Papierumschläge zurücksteckte, löste Sardis von dem erhaltenen Ring das um denselben geschlungene Haar. Dieses lange, goldrote Haar, welches einst aus den Flechten der schönsten Gonzagadame gerissen wurde, an das sich so viele Erinnerungen, Zauber und Herzensaberglauben knüpften, befestigte er unbemerkt an jenen Goldfaden, den er dann mit galanter Zuvorkommenheit selbst um die durchgelesenen süßen Brieflein binden half, und er selbst legte sie in jene Ecke zurück, aus welcher sie hervorgenommen worden waren. Das Ende des daran geknüpften Haares blieb außen hängen ...

Es war nun die Frage, ob das dünne Haar währenddessen nicht abreißen werde, bis man ein zusammengebundenes Briefbündel daran aus der engen Spalte, welche das herausgezogene Schubfach frei lässt, herauszieht.

Ritter Sardis hatte einen ergebenen Spion im Dienste der Marquise, der dieses Meisterwerk der Diebeskunst während der Abwesenheit Eleonorens glücklich auszuführen verstand. Noch an demselben Abend war Sardis im Besitze der Liebesbriefe des Marquis Gravel.

Was wollte er damit beginnen? Wenn er dieselben Marquis Bethune übergab, erreichte er höchstens, daß von den beiden Franzosen einer dem andern einen Degenstich versetzte, womit die ganze Sache abgetan sein würde.

Sardis benötigte jenes Briefbündel zu etwas ganz Anderem.


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