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Sechstes Kapitel.

Man gestattete der Herzogin nicht zu viel Zeit zur Trauer. Sie musste sich sofort auf die Reise begeben, und das war eine entsetzliche Reise. Von Paris bis Warschau fortwährend per Achse. Ununterbrochen in der geschlossenen Glaskutsche sitzend, die auf schlechten Wegen von beiden Seiten Vorreiter stützten, damit sie nicht umwerfe. Sich durchzuessen durch die Pumpernickel, Sauerkraute und braunen Biere der Wegwirtshäuser der kleinen deutschen Fürstentümer; sich so lange in einer kleinen Stadt zurückzuziehen, bis eine feindliche Soldatenschaar das Feld geräumt; große Umwege zu machen wegen sich schlechten Rufes erfreuender Wälder, die voll Räuber sind, sehr oft sogar sich unter harten Kämpfen Weg bahnen müssend; dann wieder auf elenden Fähren über Flüsse zu setzen, die ihre Dämme durchbrochen, – und dann in sich zählend: so viel Wirtshäuser, so viel Wälder und Flüsse, so viel Entfernung zwischen ihr und Frankreich.

Als sie dann vor Krakau die polnische Grenze erreichten, wechselte die französische Begleitung mit der polnischen ab und hier begann abermals eine neue Welt. So lange die Herzogin durch Deutschland gereist war, musste sie immer davor zittern, in Feindes Hände zu fallen, hier empfingen sie gute Freunde, aber vor diesen Freunden erschrak sie noch mehr, als vor den Feinden. Die übermütigen, feurigen Polen, in verbrämten und verschnürten Pelzjacken, mit in Knoten gewundenen Haaren, bärtigen Gesichtern und rollenden Augen verursachten der Verfolgten eher Unruhe, als daß sie ihr Mut eingeflößt hätten und die Begrüßungsrede Ritter Odrobinszky's, des Anführers des Banderiums, tönte ihr in die Ohren, wie wenn er sich heftig zanken würde, und die Gestikulationen, mit denen die Füße, Hände, Kopf und Schultern die Rede des Polen begleiteten, die dem Texte derselben jedoch nicht mehr Deutlichkeit verliehen, erweckten in Maria Luise die Vermutung, daß er sich zu einem Faustkampfe vorbereite. – Und die Geschichtsschreiber behaupten doch, daß der wackere Edelmann eine sehr liebenswürdige Begrüßung an seine zukünftige Königin gerichtet habe.

Und so ging es auch mit der Weiterreise. Die Reisekutsche wurde jetzt jedoch nicht mehr von schwerfälligen, zottelnden Mähren geschleppt, wie in Deutschland, den Räderspuren der Landstraßen entlang, sondern es wurden jetzt acht Rappen vorgespannt, und wo dann der Weg am glattesten war, wurde über Stock und Stein dahingejagt, mehr neben, als auf der Straße. Darum, wie sich wohl die Glieder der im Wagen Sitzenden mit einander vertragen würden, kümmerte sich Niemand. Dann musste in jedem Dorfe, das in den Weg fiel, angehalten, die Huldigung des getreuen Adels entgegengenommen und kleine Gelage durchgemacht werden, bei denen mit Essig, Honig, Pfeffer, Ingwer und Saffran zubereiteten Speisen die Herzogin nur die Gewohnheit sonderbar fand, daß sie am Ende des Gelages stets ihren Schuh hingeben musste, aus welchem dann die getreuen Edelleute begeisterte Toaste auf die schöne Braut ihres Königs tranken. Und dem Trinken folgte der Tanz, und der war wieder nicht das komplimentirende, schleifende, trippelnde Menuett, sondern die Mazurka, unter deren Sprüngen das Haus erbebte.

Die Herzogin hätte auch diese Reise nicht mit ungebrochenen Gliedern zurücklegen können, wenn ihr die Jahreszeit nicht zu Hilfe gekommen wäre. Gleich in der ersten Nacht war so dichter Schnee gefallen, daß man ein Räderfuhrwerk nicht einmal mit sechzehn Ochsen hätte von der Stelle bewegen können.

Als die Herzogin von Paris abreiste, war dort noch kaum Herbst gewesen, überhaupt ist auch der Schneefall dort so selten, daß man ihn gleichsam nur zur Unterhaltung herbeiwünscht, und als sie hier ankam, war es Winter geworden. Daheim blühten noch jetzt die Lilien, begannen erst jetzt die Orangen zu reifen, und die Weinreben der Lauben empfingen erst das Goldbronzeemail des Morgenthaues.

Ueber die Schneedecke ging aber jetzt die Reise desto besser vor sich. Der Kasten der Glaskutsche wurde von den Rädern abgehoben, auf ein starkes Schlittengestell geschnallt, die acht Rappen davor gespannt, und nun flog das Gefährt dahin, daß den Insassen Hören und Sehen verging.

In der Kutsche der Herzogin saß noch die Oberhofmarschallin, Marquise de Guebriant. In der zweiten befand sich Marquise d'Arquien mit ihren zwei Zwillingstöchtern. Die das Gefolge bildenden Kavaliere, unter ihnen auch Marquis d'Arquien, folgten in offenen Schlitten. Auch das Gepäck war auf offene Schlitten geladen worden.

Eine Station vor Warschau kam der Herzogin ein Landsmann, Marquis de Bethune, entgegen. Dieser wohnte im Auftrage des französischen Königs in der polnischen Residenz, zwar nicht in der Eigenschaft eines Botschafters, eher als schwärmerischer Polenfreund; doch war er als Intimus des Hofes und vertrauter Freund des Königs bekannt.

Bethune war ihr aus dem Grunde entgegengereist, um die Braut über alle die Zeremonien zu belehren, die sie bei dem Empfange zu bestehen hatte, sowie überhaupt über die polnischen Sitten, damit sie wisse, woran sie sei. Es benötigte nicht vieler Erklärungen, ein französisches Weib weiß liebenswürdig zu sein, und damit ist Alles erobert.

»Wie ist der König gelaunt?« erkundigte sich die Herzogin.

»Seit gestern ist eine Veränderung in seinem Gemüte vorgegangen, die ich nicht zu fassen vermag. Bis zum letzten Tage war er heiterer, guter Laune, wie irgend ein junger Bräutigam; er selbst ging allüberall hin, um die Vorbereitungen zu dem feierlichen Empfange zu besichtigen, schalt über die Saumseligkeit der Leute; dann stand er Stunden hindurch vor dem lebensgroßen Bildnisse seiner Braut, sog das Herz voll Wonne, und so oft er fragte: »Ist sie wirklich so schön? Und nur fünfundzwanzig Jahre alt?« versicherte ich jedesmal Seiner Majestät, daß die Wirklichkeit noch alles Gesagte weit übertreffe.«

»Behaupteten Sie dasselbe auch bezüglich der fünfundzwanzig Jahre?«

»Das konnte ich nicht, da ich hierüber nichts weiß. Seit gestern hat er sich jedoch augenscheinlich verändert. Er ist mürrisch, schweigsam, aufgeregt. Als man ihm meldete, daß alle Vorbereitungen beendet seien, zuckte er die Achseln und ging nicht zur Besichtigung. Ich suchte ihn in seinen inneren Gemächern auf, ich habe stets freien Zutritt bei ihm. Ich fand ihn wieder vor dem Bildnisse der Herzogin sitzen. »Ist sie wirklich so schön?« fragte er wieder. »Ja, in der Tat.« – »Desto schlimmer!« antwortete er und wandte sich ab.

Plötzlich überraschte die Herzogin Bethune mit der Frage: »Marquis, sind Sie verheiratet?«

»Meines Wissens nicht,« antwortete der Marquis und nahm diese unerwartete Frage als absichtliche Unterbrechung der bisher geführten Unterhaltung auf und ließ daher dieses Thema fallen.

Die Herzogin benutzte die letzte Station, um den aus Paris mit sich gebrachten polnischen Prachtanzug umzunehmen. Er stand ihr wohl an. Das mit Schwanenpelz besetzte Mäntelchen hebt die Anmut des Wuchses; das in zwei Flechten herabhängende Haar und der kurze Rock, der die roten Stiefelchen unverhüllt sehen lässt, – verjüngt! Sie war ein Kind in diesem Kostüme.

Die lange, ermüdende Empfangsfeierlichkeit, der Zug des Landadels, der Palatine, Starosten, der Städtedeputationen, die Begrüßung der Kastellane hatte nach einander ein Ende erreicht; die reizende Braut wurde die mit kostbarem Pelze bekleideten Treppen des Königspalastes emporgeführt, ein Zeremonienmeister übergab sie dem anderen, endlich wurde ihrem Gefolge in einem mit Wappen und den Bildnissen von Helden behängtem Saale bedeutet, hier zurückzubleiben: die Herzogin werde allein ihrem Bräutigam, dem König, entgegentreten.

Zwar lauteten die Zeremonien hierüber anders, aber der König hatte es bei dieser Gelegenheit so gewünscht, und keiner der Stände hatte dagegen Einspruch erhoben.

Die Braut trat dem König allein gegenüber. Sie hatte keine Begleitung mit sich; einzig und allein ihre berückende Schönheit.

Der Bräutigam war jedoch hässlicher, als ihn das ihr gezeigte Bildniss darstellte. Die Schuld lag nicht am Maler, denn der hatte jeden Zug sehr wohl getroffen, aber in dieser Minute lag ein Ausdruck über diese Züge gebreitet, der auch das schönste Gesicht verunstaltet: die Eifersucht.

Der König stand mit dem Rücken gegen das Bild seiner Braut gekehrt und stützte sich mit der Rechten auf einen Marmortisch. Statt nun der eintretenden, jungen Braut entgegenzueilen, blickte er sie streng, mit starrem Auge an, und selbst als sich Maria Luise ehrfurchtsvoll vor ihm verneigte, reichte er ihr nicht die Hand, sondern fragte sie heiseren, erstickten Tones:

»Herzogin! Sie haben einen langen Weg zurückgelegt!«

»Ja, Sire, seit vierzig Tagen sitze ich im Wagen, kam durch zwei feindliche Lager, über vier Flüsse, die keine Brücken hatten, durch einen Wald, der voll Räuber war, und über ein Schneefeld, worin ich beinahe sammt Pferden und Wagen versank.«

»Hätten Sie Lust, diesen Weg nochmals zurückzulegen, etwa nach Frankreich?«

»Sire!«

»Kennen Sie den Namen Boisdauphin?«

Mit unschuldigem Gesichtsausdrucke antwortete die Herzogin, indem sie die Hände über dem Busen verschränkte:

»Ich hörte den Namen nennen. Er war ein tapferer Ritter. Man sagt, daß er gestorben sei.«

»Er starb jedoch nicht zur rechten Zeit, da er bevor noch Gelegenheit fand, mir einen Brief zu senden. Lesen Sie ihn. Ich habe ihn bereits gelesen.«

Und er übergab der Herzogin einen offenen Brief, worin Folgendes stand:

»Sire! Ihre Braut, die Herzogin Maria Luise de Gonzaga ist im Geheimen die Gattin und nunmehr bereits Wittwe des enthaupteten Ritters Cinq-Mars. Oder noch etwas Schlimmeres. Lebende Zeugen dieser geheimen Liebe sind jene zwei Zwillingsmädchen, welche die Herzogin, als Braut eines Königs, auch mit sich an Ihren Hof bringt, unter dem Namen der Töchter des Marquis d'Arquien: Leonore und Blanca. Das sind die Töchter Ihrer Braut. Daß dies wahr ist, bezeuge ich in der Stunde meines Todes.

Boisdauphin.«

Die Herzogin warf den Brief zur Erde und blickte dann mit naiver Koketterie seitwärts in den großen venetianischen Spiegel, wie wenn sie sich selbst fragen wollte, ob dies möglich sei. Ihr Lächeln artete endlich in lautes Gelächter aus; sie wandte sich um, lief aus dem Zimmer, und nach einer Weile kehrte sie, alle polnische Etikette bei Seite setzend, zurück, beide Mädchen eigenhändig vor den König führend.

Leonore und Blanca waren damals zwölf Jahre alt, aber Beide hoch aufgeschossene Gestalten. Die Täuschung ward noch durch die Tracht erhöht, die sie trugen: der Reifrock, der die mit hohen Absätzen versehenen Schuhe verdeckte, das aufgetürmte Haar, welches mit Reispulver gepudert war, die Schönpflästerchen im Gesichte und die der damaligen französischen Mode gemäß stark gefärbten Wangen und Augenbrauen nahmen den zwei Mädchen vollends ihr jugendliches Aussehen.

»Hier ist meine Antwort, Sire; dies sind die zwei »kleinen« Mädchen!« sagte die Herzogin, und während die zwei Mädchen in den steifen Modeanzügen, mit den gefärbten Wangen in so gereifter Gestalt sich präsentirten, stand sie, mit dem schamerglühten Gesichte, auf dem die Tränen unaufhaltsam herabrollten, mit tief gesenkten Augenwimpern als ein ganzes Kind da.

Bei diesem überraschenden Schauspiele stieß der König mit dem Sporn seines Stiefels den verräterischen Brief von sich und verbeugte sich nach der Art eines echten polnischen Ritters tief vor der beleidigten Dame, indem er mit der rechten Hand beinahe den Fußboden berührte, wie wenn seine Hand nur der Berührung ihrer Schuhsohle würdig wäre.

In diesem Augenblicke jedoch warf sich die Herzogin, alle Zeremonie bei Seite setzend, an die Brust ihres Bräutigams, sich nicht darum kümmernd, daß sie ihr Gesicht an seinen großen Rubinknöpfen verletze, und halb weinend, halb lachend drückte sie ihn an sich, wodurch sie ihren hohen Bräutigam so entzückte, daß er selbst lachte und weinte, französisch um Verzeihung bat und polnisch fluchte, wodurch sein Antlitz endlich einen solchen Freudenschimmer erhielt, daß man ihn sogar schön finden konnte.

Und man musste in der Tat nur diese drei nebeneinanderstehenden Mädchengestalten ansehen, um die Grundlosigkeit dieses hässlichen Verdachtes zu beschwören.


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