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Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Königin wollte sterben.

Körperliche und seelische Leiden hatten ihre Lebenskraft gebrochen. Sie hatte ihre Mission erfüllt, und es blieb ihr nichts mehr zu tun übrig auf Erden. Sie war erschöpft in den Kämpfen gegen so viele Außenfeinde, gegen eine in sich selbst zerfallene Nation und gegen einen, zu allem Großen unfähigen König, – gegen das Schicksal selbst.

Als sie eines Tages, nachdem sie vergeblich mit ihren widerspenstigen Reichsständen gestritten hatte, am Ufer der Weichsel sich erging, brach sie in die bitteren Worte aus: »Ergo moriendum!« (Nun, so sterben wir.)

Das waren die letzten Worte des jungen, stolzen Ritters Cinq-Mars gewesen, als er das Blutgerüst bestieg. Maria Luise Gonzaga wiederholte sie.

Sie fühlte, daß sie sterben werde, daß sie sterben müsse.

Der französische Leibarzt, der königliche Astronom und alle Krankenwärter der barmherzigen Jungfrauen vermochten nicht, ihr zu helfen. Woran litt sie? »Am Leben!« Hievon musste sie geheilt werden.

»Ergo moriendum!«

Mit der Todesahnung im Herzen ließ die Königin ihre zwei Lieblinge Leonore und Maria Kasimira zu sich rufen. Sie zog zwei Ringe vom Finger. Der eine war ein einfacher Beinring, der andere ein Goldreif.

»Dies ist der Gonzaga-Ring,« sagte die Sterbende, Leonore's Hand erfassend. »Was so sehr daran glänzt, ist ein darum gewickeltes Haar meiner Großmutter. Dieser Ring ist ein Talisman, Glück, Liebe, der Zauber des Eroberers ist darin verborgen. Den gebe ich Dir, Leonore.« Dann zog sie Maria Kasimira's Hand an sich und steckte ihr den Goldreif an den Finger. »Auch dieser ist ein Talisman; er war stets der Verlobungsring der Herzoginnen von Gonzaga; mit diesem Ringe geht die Macht.«

Und als sie Maria Kasimira an sich zog und ihre Stirn küsste, flüsterte sie:

»Diese Stirn wird eine Krone tragen. Die Königin stirbt, und nach ihr kommst Du!« –

Damals lebte der König noch.

Wem Leonore den Gonzaga-Ring gab, wissen wir noch nicht; soviel ist gewiss, daß sie ihn dem Marquis Bethune nicht gab. – Maria Kasimira vertauschte den Goldreif mit Szobieszky's Verlobungsring. Die warschauer Tage verlobten sie einander und noch niemals hatte sich auf Erden ein besser zu einander passendes Paar gefunden.

An der Tür der Königin wartete bereits der Abgesandte des Bräutigams, Matthäus Matheinszky, mit dem aus Rosmarin gewundenen Brautkranze.

Nach der Werbung setzte die Königin eigenhändig Maria Kasimira den Kranz aufs Haupt und sandte, der Sitte gemäß, die Brautschüssel dem Bräutigam.

Am Tage der Hochzeit erschien in der Morgendämmerung, noch vor Sonnenaufgang, von einer Schaar Fackelträger umgeben, der Bräutigam, um die Braut abzuholen. Ihm folgten die Schaaren seiner in Prachtkostüme gekleideten Ritter und Husaren, er selbst hatte den von Diamanten funkelnden Bräutigamsmantel umgeworfen; das Gebiss und die Hufe seines Rosses waren lauteres Gold, seine Zügel und der Sattel waren besät mit echten Perlen und Smaragden.

Vor dem Königsschlosse empfing der Oberkanzler selbst den Hochzeitszug. Die Königin war die Freudenmutter, sie führte Maria Kasimira an der Hand zum Altar, wo der päpstliche Nuntius, Odescalchi, den Segen über das junge Paar sprach.

Eine dichte Schaar der Poeten wartete an der Kirchentür auf das junge Paar und alle begannen zugleich ihre Dichtungen vor ihnen zu deklamiren. Bis vier Uhr Nachmittags hatten die polnischen und lateinischen Epithalamien kein Ende. Das Gelage nahm seinen Anfang im königlichen Schlosse, dessen Säle voll der eingeladenen Gäste waren, die auf den Ruf des Brautführers Matthäus Matheinszky einzeln vor das junge Paar traten und ihre Brautgeschenke auf einen Marmortisch vor ihnen niederlegten, welcher, wenn er nicht aus Marmor gewesen wäre, unter der Last der aufgehäuften Schätze zusammengebrochen wäre. Darauf begann der Schmaus; in Strömen floss der edle Tokayer begeisterten Zutrinken. Nach Mitternacht wurden die Tische bei Seite geschafft und die Dielen der Halle mit roten Sammetteppichen überspannt, worauf der Tanz seinen Anfang nahm.

Und der Morgen brachte keinen neuen Tag, nur die Fortsetzung des gestrigen; Schmaus, Musik, Tanz, Trinksprüche und Zutrinken wechselten einander ab.

Und auch der dritte Tag war blos die Fortsetzung des Hochzeitsgelages, die Gäste geleiteten die Braut zum Hause des Bräutigams, und dort war die Pracht noch größer, als beim König. Die Speisetische waren mit schneeweißen, mit Goldspitzen gezierten Tüchern überdeckt, die Teller und Trinkbecher waren reines Silber, die für die Damen bestimmten bestanden aus venetianischem Krystall und Porzellan; die mit den teuren Spitzen geränderten Tischtücher waren an die Tische genagelt, damit die Bedienten sie nicht verschwinden lassen konnten, und aufgetragen wurde, was die vier bekannten Weltteile Schmackhaftes hervorbrachten: da waren denn Speisen aus Biberschwänzen und Bärentatzen, die Spezialitäten der polnischen Gourmandise, französische und ungarische Weine; und dann der kostbare, duftende Tabak, in dessen Kultus es der Pole schon damals zu einer so hohen Stufe gebracht hatte, daß man am Abend bereits von der einen Ecke der Halle nicht zur andern zu blicken vermochte. Am Abend des dritten Tages hatte die Erhitzung der Köpfe bereits ihren Höhepunkt erreicht; bei dem Zutrinken und Anstoßen waren die edlen Herren in einen gelinden Streit geraten; gar bald ertönte der Ruf: »Schwert heraus!« Die Säbel klirrten an einander, die aufwartenden Diener eilten ihren Herren zu Hilfe, Wirrwarr und Lärm nahm immer mehr zu, Trabanten, Gaffer, die aufspielende Zigeunerbande stürzten in den Saal, um Krystall und Porzellan zu zertrümmern, die Tischgeräte, Teller und Becher zu stehlen und einander die Köpfe blutig zu schlagen. Säbel klirrten, Streitkolben dröhnten, Wein und Blut mengten sich auf dem Fußboden, Herr und Diener balgten sich mit einander und während der »allerliebsten Konfusion« flüchteten der Bräutigam und die Braut und die Königin sammt ihrem Gefolge in die inneren Gemächer.

Denn das war ja blos der regelmäßige Ausgang der Herrschaftsgelage und das junge Paar konnte sich noch seines Glückes freuen, denn altem Gebrauch gemäß konnten sie sich nicht eher in die Einsamkeit zurückziehen, als bis der Schmaus durch die allgemeine Schlägerei, bei welcher die Tischgeräte zum Gemeingut werden, beschlossen wird.

Die Königin selbst entkleidete die junge Braut und küsste sie; dann ließ sie sie in der Hochzeitskammer des Bräutigams zurück.

Sie selbst ging auch nach Hause und empfing den Kuss, der das Herz still stehen macht, sie starb.


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