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Fünfzehntes Kapitel.

Als Radziejowsky in der Kirchentür gefangen genommen wurde, kümmerte sich Niemand um die arme bei Seite gestoßene Frau. Sie konnte gehen oder liegen bleiben, wenn sie nicht aufzustehen vermochte.

Es fand sich dennoch ein Mann, der über sie stolperte. Sein Name war Bogislav Sziczinszky.

Es wäre jedenfalls romantischer, wenn wir sagten, daß er ein einstiger Anbeter der gefallenen Frau war und sich nun zur rechten Zeit einfand, um ihr seine Hand zu reichen und sie aus ihrer Verzweiflung und Schande zu erheben; unsere Geschichte duldet jedoch nicht derlei symmetrische Züge, denn jeder Teil derselben besteht aus eigentümlichen, fremdartigen, diesen Volksstamm in starken Ausdrücken charakterisirenden Einfällen. Sziczinszky ging diese Frau gar nichts an, er sah nur, daß sie weinte und von zwei Männern, ihrem Gatten und ihrem Geliebten, dem zur Trauung schreitenden König, hin- und hergestoßen wurde und daß sie ein kleines Kind hatte, welches sich krampfhaft an ihren Hals klammerte, und daß Beide halb nackt waren und beinahe erfroren. Das war Grund genug für Sziczinszky, um sie von der Erde aufzulesen, auf einen Karren zu setzen, in seinen eigenen Pelz einzuhüllen und mit sich nach Hause, nach Bielogrodno, zu nehmen, wo er Güter, Häuser und Gehöfte besaß, wo Weib und Kind wohl ein Obdach fanden. Auch bei Tische fand sich ein Plätzchen für sie. Die Frau erzählte dann ihrem Gastfreund, was mit ihr geschehen. Es war das eine sehr traurige Geschichte. Niemand war so schuldig, wie der König.

Sziczinszky war ein echter Pole, den fremde Leiden zur Rache reizen. Um das eigene Leid kümmert sich kein Pole; aber für jenes Anderer ist er fähig, sein ganzes Leben zu verändern. Der Umstand, daß seine Besitzungen dem sengenden und brennenden Tartarenheer gerade in den Weg fielen, machte ihm nicht viel Kummer, nur darüber brütete er den ganzen Tag, auf welche Weise er diese arme Frau rächen solle. Er sprach nicht mit ihr davon, er besänftigte sie nicht, er drohte nicht. Der Pole pflegt vor der Tat nicht viel zu fragen, nach der Tat schon eher.

Die Weltgeschichte musste noch einmal jenen in das Reich der Fabel gehörenden Kampf verzeichnen, den Menelaus wegen seinem entführten Weibe herbeiführte. Der durch die Frau Radziejowsky's verursachte Krieg war noch trauriger als der trojanische. Die polnische Nation musste sich zu etwas Großem entschließen, um sich aus der ihr drohenden furchtbaren Gefahr zu befreien. Und der Entschluss war schwer, da Jedermann wusste, daß der König die Schuld an der größten Gefahr trage, der einen dreifachen Schwur gebrochen, als er als Kardinal, Thronfolger und Bräutigam eine verheiratete Frau in Versuchung führte. Viele zürnten ihm auch, und die Zustimmung der Volksversammlung zum allgemeinen Aufstande und zur Gewährung der Subsidien war mehr als zweifelhaft, da eine Stimme genügte, den gefassten Entschluss umzustoßen.

Indessen sind sechs Wochen eine lange Zeit, und so lange dauerte die Volksversammlung. Während dieser Zeit wurden die Widersetzlichen von allen Seiten umzingelt und bearbeitet. Die großmäuligen Edelleute wurden ausgemustert, zu Dank verpflichtet, mit Schmeicheleien erdrückt. Die Beredsamkeit der Jesuiten ist mächtig; die schönen Frauenaugen besitzen eine noch mächtigere Beredsamkeit; die mächtigste Beredsamkeit ward jedoch dem verliehen, dessen Stimme heiser ist: dem Golde. Wen die Geistlichen mit den Schrecken der Hölle nicht zu erreichen vermochten, wen die Himmelsaugen Maria Luisens und Leonorens nicht bezauberten, den bekehrten die heiligen Georgsritter, deren Bild auf den Gold- und Silberstücken sichtbar war. In der sechsten Woche lärmte Niemand mehr.

Eine viel gefährlichere Kategorie als die der Lärm schlagenden Stände, ist die der Schweigsamen. Die den Rücken duckmäuserig an die Wand lehnen, die Lippen aufeinander pressen und, wenn sie Jemand anspricht, sich nicht in die Augen blicken lassen und, zu einer Antwort gezwungen, blos sagen: »Gott weiß, wie und was es geben wird!« oder nur den Kopf schütteln und auf Alles: »Gut, gut!« sagen, das sind die Gefährlichsten.

Auch für diese ward ein Modus gefunden. An dem Tage der großen Abstimmung musste jeder Abgeordnete des Morgens erst beichten und opfern. Ohne den Beichtzettel ward Niemand in die Versammlung gelassen. Dies geschah nicht nur wegen der Feierlichkeit, sondern auch aus dem Grunde, damit nicht etwa irgend ein hinterlistiger Socinianer oder ein anderer widersetzlicher Patron in die Versammlung schlüpfen könne. Die die Beichte abnehmenden Jesuiten gaben in den Kelch desjenigen, aus dessen Ergießung sie entnommen, daß sich in seinen Herzensfalten die Absicht des Widerspruches verberge, ein kleines, unschädliches Schlafmittel, durch dessen Wirkung der Dissident auf seinem Sitze so lange recht sanft schlief, bis man ihn durch Anstimmen des »Te Deum laudamus« erweckte. Das Schlafen während der Reichsversammlung ist auch anderswo in Flor und ist es nur Wunder zu nehmen, daß man in den übrigen europäischen Parlamenten noch nicht dieses Mittel zum Beruhigen der widersetzlichen Kinder eingeführt hat.

So war denn Alles aufs Gewissenhafteste vorbereitet. Die Schlusssitzung der Reichsversammlung eröffnete der König selbst. An seiner Seite saß die gekrönte Königin. Nach dem Absingen des »Sancte spiritus!« verlas der Reichsmarschall Lubomirsky die lange Ansprache, in welcher die bedrängte Lage des Landes, sowie alle Maßregeln dargelegt waren, die zum Abwenden derselben mit Erfolg gekrönt sein würden.

Wer beim Ablesen dieses langen Sermons nicht einschlief, dem half das Laudanum der Jesuiten; die Dissidenten schnarchten, und die treuen Stände vermochten kaum zu erwarten, daß der Marschall das umfangreiche Schriftstück zusammenfalte, damit sie, von ihren Plätzen sich erhebend, unisono in den Ruf ausbrechen könnten: »Wir bewilligen es!«

Als sich jedoch der Chorus der Begeisterung gelegt hatte, bevor der Marschall das Siegel unter das bewilligte Gesetz drücken konnte, ertönte aus irgend einer Fensternische eine tiefe, dröhnende Stimme: »Nye poz wolim!«

Der dies rief, war Sziczinszky.

Nach dem fatalen Rufe riss er rasch das Fenster auf und sprang auf die Gasse hinaus.

Wenn er im Saal geblieben wäre, hätte man ihn sicherlich in Stücke gesäbelt. Aber draußen auf offener Straße durfte ihn Niemand antasten. Der Körper des Abgeordneten ist vor der Volksversammlung unverletzlich, und dieses Privilegium währt vierzehn Tage. Nur im Saale selbst schwebte er in der Gefahr, daß ihm seine Nachbarn den Hals abschnitten, wenn er das verhängnissvolle Wort aussprach, oder daß sie es ihm in der Kehle erstickten.


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