Jean Paul
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Wir treten nun näher zu den Mitarbeitern am Traume.

Das Gehirn – das Organ des Traums – ist, wie im verschlungenen Bau, so in der Kraft eines Sensoriums aller Sinne weit über die Nerven erhaben, wovon jeder nur zwei Empfindungen, die seines bestimmten und die des allgemeinen Gefühl-Sinnes, aufzunehmen vermag, so wie überhaupt diese geistige Unterordnung sich schon im umgekehrten Größen-Verhältnis des Gehirns und der Nerven erweist. Aber gar Empfindung aufzubewahren und also zu erneuern vermag nur das Gehirn und kein Nerve. Sogar von dem zurückbleibenden Nachglanz und Nachklang eines zu starken Lichtes und Tons könnten Seh- und Hörnerven vielleicht dem nachschaffenden Gehirn etwas schuldig sein; wenigstens war, wenn Moses Mendelssohn in seiner Nervenkrankheit abends die Stimmen des Tags wie von einem nahen Hörrohr nachgeschrieen vernahm, das Schallgewölbe nicht in den Ohrgängen, sondern in den Gehirnkammern; denn der Nerve kann wohl selber fortsetzen und ausmachen, aber nicht wieder ansetzen, wenn er ausgesetzt. Doch dies beiseite! Die Gehirnkammern sind die Obstkammern nicht nur der von den Sinnen gepflückten, auch der von dem Geiste getriebenen Früchte. – Wir sagen und schreiben dies so leicht hin, ohne uns zu verwundern und zu befragen, wie etwas Körperliches etwas Geistiges aufbehalte, da Aufbehalten, also Erneuern, ja an die Wiedererzeugung grenzt. – Genug, im Gehirne bleiben von den Empfindungen die Empfindbilder zurück, welche unter gewissen Vergünstigungen, wie im Schlafe, wo das neu erfrischte Gehirn, ungestört und unbeschädigt von Außen, seine Schätze glänzen lassen kann, als Traumbilder auferstehen.

Kein Atomist rechne hier nach, ob das Gehirn die unzähligen Empfind-Spuren oder Abdrücke des Lebens (welche leblose, geistlose Worte!) beherbergen könne; denn H. HookeHallers Physiologie. B. V. rechnet ihm vor, daß von einem vierpfündigen Gehirne, nach Abzug eines Pfundes für Blut und Gefäße und eines für die Rinde, noch zwei Pfund übrig bleiben, wovon 1 Gran Gehirn-Mark 205452 Spuren faßt. Dabei kann noch der Zergliederer dem Atomisten vorrechnen, daß eine Menschennase ein Teilchen von1/ 226378300 eines Grans und eine Hundnase gar ein Teilchen von1/ 2593005000000 zu riechen vermöge, zu welchem kleinen Gran als Gegenstand doch kein größerer Gehirngran als Behälter nötig sein kann. Läßt sich der Atomist noch nicht schlagen, so nötige man ihn, die Gehirnkugel wenigstens so groß zu sehen, als etwan die Peterskuppel sein mag, obgleich dies noch Verkleinerung des Gehirns ist, da jeder Gegenstand nicht nur so groß, sondern noch größer im wahren Wesen ist, als er unter dem besten Vergrößerglas erscheint; und dabei unterlasse man nicht, ihm zu bedenken zu geben, in wie viele Teile die ungeheuere Gehirnkuppel für alle Empfindungen eines ganzen Lebens zu zerlegen ist, wenn man jeden Teil auch nicht feiner annimmt, als ein Lichtstrahl ist, welchen Muschenbroek 5000 Billionen mal dünner als ein Haar angibt.

Will sich nach allem diesem der Atomist wider Erwarten noch nicht ergeben: so beschließe man damit, womit man gleich hätte beginnen können, daß man mit allen den bisherigen Erläuterungen und Beweisen ihn gar nicht überzeugen wollen, sondern nur parodieren.

Denn in Tat und Wahrheit liegt die gemeine Sandwüste des Mechanischen längst hinter uns. Denn wie im Ohre1/ 16 Kubikzoll Luft alle verschiedenen Tönungen und Bebungen eines vollstimmigen Konzerts unverworren faßt und trägt, so kann auch das Äthergehirn (wovon das sichtbare nur der rohe Träger ist, wie das Metall von Magnetismus, Elektrizität und Galvanismus) so gut eine Welt tragen und behalten als mit ihm der Geist.

Lasset uns nun die Bildungen des Traums weiter verfolgen. Wir finden vier Mitbildner oder Mitarbeiter am Traume. Der erste ist das Gehirn, insofern dasselbe bei dem Einschlafen, das ihm die Nerven als die Ableiter seiner elektrischen Tätigkeit unterbindet, sich zum Sammler seiner Kräfte (zum Elektrizitätsträger) isoliert und sich durch aufspringende Empfindbilder entlädt; welche es anfangs (eben im Einschlafen) nur vereinzelt im unerhellten innern Augenraum, dann später aneinander gereiht im erhellten emportreibt für die Seele.

Hier tritt noch alles körper-willkürlich und geist-unwillkürlich auf, und nur die körperlichen Folge-Gesetze der Gleichzeitigkeit und Gleichräumigkeit der empfangenen Empfindungen können die Reihe der Empfindbilder notdürftig ordnen. Wir halten überhaupt manches Unwillkürliche betrogen für frei, z. B. unsere Erinnerung. Niemand kann versichern: »Morgen um acht Uhr werde ihm diese oder jene Sache wieder einfallen.« Er kann sich ihrer eher und später oder gar nicht erinnern; aber damit es gerade um acht Uhr geschehe, muß er äußere Denkzettel, Schnupftuchknoten u. s. w. vorbereiten und sogar auch hier gewärtig sein, daß er sie anzusehen vergißt, wenn nicht ein zweiter Mensch ihn erinnert, der wieder von Denkzetteln abhängt.

Sind nun einige Empfindbilder nebeneinander vom Gehirn gegeben: so muß dieses bald auch Raum dazu nachschaffen, welcher eigentlich in nichts bestehen kann als in der bevölkernden Ausfüllung des Gesichtkreises. Der Raum ist die Erstgeburt des Gesichts. Dieser Sinn gebiert seine Gegenstände im Traume am meisten wieder, weil er im Wachen der herrschend-feststehende ist, indem ihn die Fortdauer der Eindrücke, welche alle übrigen Sinne bis zur Unempfindlichkeit abmattet, eben durch die Milde derselben wach und lebendig läßt; daher man im Traum sehen muß, damit man höre, schmecke, fühle, taste. – Auch im Traume drückt man zuweilen die Augen zu und sieht die schwarze Nacht; aber diese ist nur ein anderer und mehr einförmig-gefüllter Raum und keine Seh-Verneinung, wie etwan in Blinden.

Daß das Empfindbild des Gesichtes auch ein Empfindbild des Ohres wird und also spricht, dies hat manche unnötige Verwunderung über den Traum erregt, als ob das Ohr nicht auch sein Echo dem Gehirne nachlasse. Die Auferstandenen oder Revenants der Empfindung müssen ihre Sprache aus dem Wachen in den Traum mitbringen und also mit dem Ich zu sprechen scheinen, das sie sprechen läßt. Hier nun, besonders mehr bei den Worten als den Tönen, tritt der Geist auf, nicht als bloßer Zuschauer und Zuhörer seines Gehirns, sondern als Bilderaufseher und Einbläser der Empfind-Bilder, kurz als der zweite Mitarbeiter am Traume.

Denn allmählich fangen nach den körperlichen Gesetzen der Gleichzeitigkeit und Gleichräumlichkeit die mehr geistigen der Ähnlichkeit und der Verursachung zu regieren an. Von wem anders als vom Geiste können jene romantischen Geschichten der Nachtzeit gedichtet werden, worin oft das träumende Kind den schreibenden Vater übertrifft? Indes daß die ersten Empfind-Bilder außerhalb des Zauberkreises des Geistes stehen, rufen und reizen die spätern seine Herrschaft auf, und er stellt im Gehirne, das nur die losen rohen Gaben der Nerven und die Wirkspuren des Geistes unverbunden gemischt wiederbringen kann, darin stellt er als eine zweite höhere Natur die geistigen geordneten Seh- und Hör-Reihen durch Wollen und Erregen auf, und nach dem gewöhnlichen Wechsel-Übergewicht des Geistes und des Körpers behauptet er seine Allmacht durch eine Ordnung für jedes Ich. Denn Himmel! wie müßte sonst jeder Traum, insofern die Seele nur beseelend, nicht auch schaffend und reihend eingriffe, die Millionen Gestalten zu greulichen Untier-Haufen ineinander verschieben und verstricken!

Wenn im Traume ein Mensch mir eine Frage vorlegt, auf welche ich keine Antwort habe, sondern erst später der Mensch, so fragt man mich, wie meine so große Unwissenheit in diesem Examen zu vereinigen sei mit meiner größern Kenntnisfülle, welche ich dadurch zeige, daß ich den Examinator nichts sprechen lasse, als was ich ihm eingegeben. Die Lösung ist leicht; denn ja auch im Wachen bin ich, insofern ich etwas ersinnen will, vorher der Frager nach einem Gedanken, dessen Finder ich später werde; im Traum aber wird das sinnende Ich in drei Ich zersetzt, in das fragende, das suchende, das findende; nur daß das erste und das dritte sich hinter ein Empfindbild verstecken. Listig läßt der Träumer, wenn er einen Gedanken nicht finden kann, das antwortende Empfindbild zu leise werden oder schweigen oder abgehen.

Der dritte Mitarbeiter am Traume, welcher die Empfindbilder nach einigen geistigen Gesichtspunkten zu reihen scheint, ist das körperliche Gedächtnis der Fertigkeit. Wenn die Hand des Tonkünstlers, der Fuß des Tänzers zuletzt eine Kunstreihe von alten Bewegungen zu geben vermögen, ohne bewußte Einmengung des Geistes, welcher nur die neuen schwereren bewußt befiehlt und erzeugt: so muß im Reiche des Gehirns dieselbe Kunstreihe körperlich-geistiger Fertigkeiten durch den Traum erstehen können, ohne einen größeren Aufwand geistiger Regierung, als im Wachen ist; ein leichter Seelenhauch im stillen Traume treibt das ganze körperliche Windmühlenwerk wieder zum Gange, oder mit andern Worten: wie im Wachen der Geist mitten unter der bewußten Anstrengung noch Kraft einer unbewußten für die Körper-Fertigkeiten behält, so muß er ebenso gut, wo nicht mehr, im Traume, bei Stillstand der bewußten, Macht der unbewußten übrig haben und zeigen.

Der vierte Mit-Schöpfer an der Traumwelt ist bekanntlich die Außenwelt, welche, zumal in dem leisen Morgenschlummer und besonders durch unangenehme Gefühle, den Geist nötigt, sich eine Bilderwelt zu ihrer Erklärung zu schaffen. Ein lästiger Bettdruck z. B. erpreßt von der Seele, welche zu dem unbekannten Glockenhammer gleichsam ein Zifferblatt sucht, eine in lauter Gehirnbildern ausgeführte Geschichte von schwerem Steigen, engem Durchdrängen, von Liegen auf Kähnen, welche auf unterirdischen Wassern unter finstere, in das Gesicht hinein drückende Felsen rücken. Da das innere Nachtstück zuweilen so wenig ein Schattenriß des Äußern ist, daß der Durstige (nach Bonnet) von Springbrunnen träumt, wie der Hungrige von Essen: so beweiset dieser Übergang der äußeren Ursache in eine innere entgegengesetzte Geburt die überwiegende Hand des Geistes, der aus dem Blocke der Sinnenwelt nach eigenen Gesetzen sich Gestalten schlägt und holt. – So vermag er zu einer langsam wachsenden Außengeschichte, z. B. zum Anrollen eines fernen Wagens, wie zu einem Melodrama eine musikalische innere Begleitung zu setzen, welche mit der Prose des Melodrama im rechten Schlage zusammentrifft.

Übrigens lenkt unter allen einschleichenden Sinnen gerade der Sinn des Gefühls, welchen der Traum am mattesten nachspielt und nachbildet, den letzten am häufigsten, und mehr als Schälle und Lichter; eben weil Gefühl nicht wie jene stoßweise wirkt und mithin weckt, sondern allmählich Druck, Kälte, Wärme steigert und sich in den Traum nur verflößt, ohne ihn zu verdrängen. – Überhaupt sobald der Geist sogar zu stärkeren Angriffen von Außen nur eine Traumgeschichte zu erfinden weiß, die jene motiviert und einwebt: so verlängert gerade der Traum den Schlaf.

Die Gesamtregierung der vier Mitarbeiter am Traume kläret manche Eigentümlichkeit auf. Man scheide die Welt des Traums, wie die wache, in die Körper- und in die Geisterwelt, oder in die sinnliche und die geistige: so beherrschen und gestalten das Gehirn und das äußere Nerven-Einspielen die sinnliche mit ihren Räumen, Figuren und Bewegungen; hingegen der lenkend-schaffende Geist verleiht ihr das Geistige, den Gestalten die Worte und Gesinnungen und dem Zufalle Regel; und er kann der wahre Universalmonarch dieser Puppen- und Spiegel-Welt werden, darin allgemein seinen Code einführen und keine Meinung dulden und hören als seine eigne.

Dem Geiste als Mitbildner am Traume gehört mehr an, daß wir darin zwar mit der nächsten Zukunft, z. B. einer Abreise, aber nicht mit der letzten Vergangenheit umgehen. Die weiter rückwärts liegende Vergangenheit, in welche sich so viel nachherige eingesponnen, besucht und reizt uns Träumer mehr als die leere des vorigen Tags. –

Dem Gehirne als Mitbildner gehört mehr an, daß wir uns wohl in die Kinderzeiten zurück, aber nicht in die Greisenzeit hinaus träumen, ja daß wir sogar unsre eigne Kinder uns wohl jünger, aber nicht erwachsen dichten. Der Träumer schifft, wie die Alten, nur um alte Küsten, und bloß der Wache fährt ins unbekannte weite Meer; denn die Empfindbilder können als Gehirnbilder nur wiederholen und versetzen, nicht erschaffen, und bloße Vorstellungen von Hörensagen ohne erlebte Anschauungen treten nie als Empfindbilder im Traume auf; und ich berufe mich hier auf die wenigen Männer, die sich keuscher Jahre und der Träume darin zu erinnern haben.

Dem Gehirne gehört an die häufige Wiederkehr mancher Träume. Ein Geistlicher von mehr Scharfsinn als Phantasie träumte gewöhnlich von weißem Schnupftabak, bevor er erkrankte. Übrigens sind die Inseln des Traum-Meers Freundschaftinseln, welche im Dunkeln aneinanderrücken; ein Traum setzt nach Wochen den andern noch fort; man bereiset dieselben Poststraßen und Wirthäuser; kurz, sogar der bewegliche selbstschöpferische Traum hält in diesem Alltagleben auf einige Alltäglichkeit.

Mehr dem Geiste gehört es an, daß wir (z. B. der Verfasser) Landschaften, Städte, ja Zimmer, die wir selber bewohnt, gar nicht oder nur stückweise den wahren ähnlich träumen.

Mehr dem Gehirne gehört es an, daß geliebte Wesen, nach deren Anblicke das Herz jahrelang dürstet, uns nicht durch den Traum ihre Bilder schicken; so groß ist der oben durchgeführte Abstand zwischen Vorstellung und Empfindbild; und so fortbewährt ist die Bemerkung, daß die Empfindbilder, z. B. erscheinender Gespenster oder Swedenborgischer Gestalten, gar nicht durch das Feuer ihrer Vorstellbilder erhellt oder gerufen werden, sondern unerwartet erscheinen.

Und wir wären auch zu glücklich und würden besonders in den ältern Tagen zu viel Schlaf begehren, wenn in den Träumen unsere Wünsche zu teuern Gestalten werden und wir in diesen schimmernden Lenznächten des Lebens den auferstandnen Geliebten der Jugend mit der Brust voll alter und voll neuer Liebe begegnen könnten; wir erlebten dann das himmlische Wiedersehen schon auf der Erde und bedurften kaum einer Erde und eines Himmels mehr. So wollen wir denn schmachten und hoffen.

Beschluß

Genug des Wachens oder Träumens über das Träumen! – Wir beschauen und bereden den Traum fast von zu stolzer Höhe herab, als wären wir mit unserem Wachen schon erwachsen über alle Weltseelen hinaus.

Der Schein muß dem Menschen oft das Sein zeigen, der Traum den Tag. Das uns so gewichtige Erdenspiel gaukeln vor uns die luftigen Morganischen Feen des Traums nach, damit wir unsere Denkwelt und Körperwelt nicht überschätzen. Ohne die nächtliche Einbuße unseres Bewußtseins und unserer Erdenherrschaft würden wir uns für reifende, ja für reife Götter ansehen.

Die Minute vor dem Traum sagt dir, daß du nach einer Minute nicht die kleinste Gewalt über die auftretende Welt des Scheins mitbringen oder erwerben kannst – indes wir uns mit den Umwälzungen der wachen brüsten –, und daß du, so nahe und kaum Minuten-weit an der Pforte deiner Zukunft ruhend und an dem Amerika, das sich dir entdeckt, durchaus nicht weissagen kannst, welche Zeiten und Länder dich plötzlich in sich reißen; und du wirst so durch die Fallsucht des Schlafs ein halbes Leben lang in fremde Macht geworfen ohne Selberhülfe.

Aber die Morgen kommen täglich und geben dir eine Kraft zurück, womit du selber die zähe starke Sinnenwelt – leichter als die weiche schaumige Traumwelt – bewegen, besiegen und ertragen kannst. Nun so bürge dir denn die tägliche unbegreifliche Wiedergeburt deines Bewußtseins für das Wunder von dessen Fortdauer nach dem tiefsten Schlafe, und der Übergang aus dem träumerischen in das wache erleuchtet dir von weitem die Stufen von dem wachen ins verklärte hinauf; und das einzige Unveränderliche in uns, das keine Tage und keine Nächte entkräften und verrücken, das Gewissen, dieser Träger der Ewigkeit, weissagt und stützt unsre eigne. So können wir denn das Leben verträumen, und den Traum verleben.


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