Jean Paul
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Nun, ob ich Mastbaum wurde, wird man messen, wenn ich erscheine! Denn endlich erschein' ich. Mit einem Worte, als ich fühlte, von welchem Gewicht ich wäre, nämlich von sieben Pfunden, betrieb ich viel ernstlicher die Sache – setzte vorher die nötigsten Haare auf, um so halb und halb von Natur frisiert, wenigstens nicht so scheitelkahl in die Welt zu laufen als künftig aus ihr – ich machte mich mobil zum Welt-Feldzug – kurz ich drückte ab zum Königs-Schusse meines Daseins ...

Himmel und Hölle! Ich kam auf die Welt! und zwar auf die jetzige hiesige!

Zum Teufel! Meinen Eltern wurde ein junger Vierneissel geschenkt!

Etwa dreißig oder vierzig Matrosen-Flüche hintereinander (denn diese sollte mein entsetzliches Geschrei vorstellen, weil ich noch nichts von der Landes-Sprache der Erde innen hatte) stieß ich aus zum Exordium und Eintrittkompliment, sobald ich den hübschen Erd-Siechkobel nur in die Augen bekam, vor welchem ich so lange mit blühenden Hoffnungen antichambriert hatte; – nachher gähnt' ich (wie jeder geborne Fötus) abscheulich lange über das Erdboden-Leben; auch noch setz' ich gelegentlich dieses Gähnen in größern feinern Zirkeln fort, um bei allem Schweigen doch offenherzig den Mund zu öffnen und offen zu sein.

»So, ihr Erwachsenen?« (dies wollten ungefähr meine Frag-Gedanken sagen) – und auf diese Fege-Feuer-Land seh' ich mich nach neun Honigmonaten ausgesetzt und wie ein junger Hund sofort mit einem den Fötibus ganz fremden Elemente ersäuft, das ihr eure Luft benennt? – Die Mutter wird freilich entbunden, aber wie wird ein kleines Vierneisselchen eingebunden und in rauhe Kissen-Schollen eingesargt, und der Prophet Jonas wird ins Luftmeer geworfen, um das Schiff zu retten?« – Ohne weiteres drückte ich mir, aus Instinkt und ohne einen genossenen Bissen und Tropfen der Tölpelerde, Maul und Augen zu, vielleicht zum Selbstmord, um das künftige Paradies, oder zum Einschlaf, um durch Traum das verlorne zu erobern. Ich wurde verflucht wild; ich konnte mir gar nicht denken – zumal da ich ohnehin nicht dachte –, daß ich, als ein gleich anfänglicher Wunderfötus, nichts weniger werden sollte als das Lübecker Wunderkind, Christian Heineken getauft, das schon im ersten Jahre mehr von der Bibel auswendig konnte, als andere Leute im letzten übertreten oder vergessen haben. Man riß mir später das Maul auf, um mir den Kredenzbecher des Lebens (sowie es der Abschied- und Nachtmahl-Kelch ist) zu reichen – das Arzneiglas, oder unsern ersten wie letzten Löffel – den Medizin-Löffel.

In einem Laxier- oder Kindersäftchen bracht' ich den ersten Toast oder die Gesundheit aufs Leben aus.

Einige Tage darauf hatt' ich eine neue Promotion und disputierte mich mit vielem Geschrei in der kalten Kirche zum Titularchristen Walther.

– – Ich wäre aber von Sinnen, führ' ich so fort, nämlich nicht anderes fort, da ja jeder, der es lieset, selber am Leben ist und folglich dasselbe kennt und stündlich weiter erlebt. Genug, jeder weiß von selber, daß meine Treibhaus-Existenz im Uterus nur, wie schnelles Steigen des Wetterglases, Unbestand und Regenwetter bedeutete. – Aus den ausgezognen Fötusschuhen fuhr man in die Kinderschuhe. – Statt der obern Glieder wuchsen auf dem Erdboden (nach allen Zergliederern und nach Martini) mehr die untern bis ins 21te Jahr. –

Auch von innen wollte der Kopf nicht erheblich schwellen; Jahrlängen hat man zum Erobern von Wissenschaften, z. B. der Geburthülfe, nötig, die man nachher in einer Stunde überschauen und überlaufen kann, wenn man will. – Vom sittlichen Wachsen vollends schäme ich mich ordentlich nur zu sprechen, da es an dem sich immer krumm werfenden Menschenholze mehr als eine Eva's-Schlangenlinie gibt, die ich ebenso gut durch Schmerz und Erheben gerade ziehen und rektifizieren will als den Schwanz eines Hundes, wenn ich ihn daran emporhebe und wieder niederwerfe. Welcher Neun-Monats-Heiliger ist nicht jeder Leser-Fötus gewesen, als er im Uterus-Kloster Profeß getan und den Schleier genommen hatte! Hat wohl einer meiner Leser in dieser Frühkirche Ehebrüche, Einbrüche, Wortbrüche begangen, oder da verleumdet, totgeschlagen, veschwendet? Fiel nicht alles erst vor, als er aus der Klausur getreten war in die freie Luft, wo, wie in der Amsterdamer, das reine helle Silber sofort schwarz anläuft? – Die stärksten peinlichen Gerichtschranken eiserner Altargeländer, Galeerenketten und Fußblöcke halten uns jetzo kaum zurück und fest, wenn wir ins Rennen und Toben geraten, und sind nur schwächliche Küstenbewahrer einer Unschuld, welche ein einziger Uterus ganz leicht bewacht. Welche ungeheure Mauern muß man nicht monatlich von Predigtbücherballen, Cansteinischen und Seilerschen Bibelanstalten und lateinischen actis sanctorum aufführen, gleichsam als Licht- und Ofenschirme gegen die Höllenflammen, damit wir Teufels-Fliegen nicht so lange diese immer näher umschwirren, bis wir mit abgebrannten Flügeln hineinfallen! – Rabelais ließ seinen jungen Pantagruel an cinquante-deux manières de se torcher le cul erfinden und angeben; eine bedeutende Zahl; aber welche Menge von geistigen Manieren oder von besondern Methoden, zu bekehren, mußte erfunden werden, welche Menge von Hirtenbriefen – von Ablaßbriefen – Beichtzetteln – Schmutztiteln von Predigtbüchern, um einen tragbaren und wandelnden Augias-Stall im Kleinen, einen Erwachsenen von 5 Fuß, zu reinigen!

Nur erst in neuern Zeiten wird uns das Doppel-Leben, das wir zugleich für den Himmel (aus Angst vor der Hölle) und für die Hölle (aus Vorliebe für die Sinnen-Himmel) leider zu führen haben, weniger sauer gemacht, indem wir durch Philosophie und Poesie das sogenannte Irdische und das Himmlische jetzo sanfter trennen und besser ineinander verflößen und vorzüglich der irdischen Lust und Sünde mehr himmlischen Anstrich von Stärke, Charakter, Lebensfülle, Poesie und dergleichen erteilen, so daß, da der Unterschied, folglich das Opfer und die Angst kleiner geworden, es fast einerlei ist, was man tut, weil man immer zweierlei zugleich tut. Jener Doppel-Hase,Unterhaltungen aus der Naturgeschichte. Die Säugetiere B. I. 1792. in Geutschens Garten bei Ulm gefangen – er kam nachher ins damalige königliche Kabinett zu Chantilly durch den Grafen Hanau –, diese Mißgeburt setzt meinen Satz bildlich ins Klare. Beide Hasen waren so mit ihren Rücken ineinander eingewachsen, daß der eine Haupt und Läufe gegen den Himmel strecken mußte, wenn der andere, auf dem er lag, mit allem diesem über die Felder setzte und abfraß; und so umgekehrt, weil sie sich wechselseitig umkehrten; denn war der eine Hase des Laufens und der Ätzung satt, so stülpte er sich mit allen Vieren gegen den Himmel, und nun konnte auch der Ferien-Hase auf der Erde laufen und äsen. Ein solcher Doppelhase (mehr wollt' ich oben nicht sagen ohne Bild) ist nun der gute Jetzo-Mensch von Bildung: immer kehrt er vier Läufe und zwei Löffel nach oben, um seinen Wandel im Himmel zu führen, indes er mit den entgegenstehenden auf der Erde umhersetzt und satt wird.

Wir kehren wieder in Mutterleib zurück; ungeachtet dieser schönen Ähnlichkeit mit der Ulmer Mißgeburt bleibt man doch hienieden von entschiedenen Nichtswürdigkeiten nicht ganz frei, die kein rechtlicher Heiliger gern an sich hat und sieht. Unser unten auf der Erde laufende Hase sammelt, wie der Riese Antäus, gegen den andern, im Äther wackelnden Hasen und Herkules verdammte Kräfte ein und übertreibt es dann als Teufels-Vorlauf in Sünden aller Art. Aber was ist denn allein schuld? Bloß die so unbesonnene Verlegung der Fötus-Residenz aus dem Uterus auf die Erde; sie erzeugt auffallend die Folgen, welche eine ähnliche Verlegung der Residenz aus Rom nach Konstantinopel gehabt, nämlich Verfall Roms (des Sitzes des heiligen Vaters) und seiner Herrschaft.

Ich stelle mir lebhaft jetzo das Erstaunen vor, in welches ich die Welt dadurch setze, daß ich mich desohngeachtet auf die Geburthülfe gelegt und auf die nötigen Hülfswissenschaften dazu, wodurch alle zusammen auch eine Selberhülfwissenschaft wurden. Aber die Welt soll hier hinter alles kommen. Die ersten Jugend- und vollends Fötus-Eindrücke haften; ich wollte für die guten Welt- und Uterus-Bürger, die nachher zu Erd- und Stadtbürgern heruntersenken, vorher mehr tun, als für mich niemand getan. »Denn warum soll«, fragt' ich niemand als mich, »doch ein so unschuldiges Wesen, insofern das Universum eigentlich die Stadt Gottes (civitas dei, nach Augustin) ist, und nur unsere Erde darin die Pariser rue des mauvais garçons – des mauvaises paroles – du pet-au-diable – de la cochonnerie – oder das Wiener Hundsfott-Gäßchen vorstellt, warum soll ein armer unbekannter unbenannter Teufel von Fötus erst durch eine solche Hund-Gasse den Umweg nehmen nach einer herrlichen rue de Rousseau, rue des deux anges, rue de la loi, Friedrich-Straße, Markusplatz? Läßt sich nicht helfen?«

Wenigstens helf' ich bei Gelegenheit als Geburthelfer und berufe mich auf Tatsachen.

Es ist hier nämlich bloß die große Frage, ob irgendein Fötus von Verstand, der auch nur den schlechtesten Geburthelfer kennen lernen, je Unzufriedenheit darüber gezeigt, daß er von einem solchen durch gute Geburtzangen – durch die geraden und die krummen von Smellie, von Beers, von Saxtorph – wie durch Hebel und Springstab aus der guten warmen Welt ohne Weiteres über unsere naßkalte in einer Minute hinüber in jene beste gehoben worden, der wir als unserem Vaterland und Kanaan 80 Jahre lang mit unsern sittlichen Silber- und Korkflotten zusteuern.

Allerdings ist das verdienstliche Werk dabei nicht groß; denn die besten Werkzeuge dazu, samt den nötigen Theorien, hat ein Geburthelfer, der sich zum Wiedergeburt-Helfer bilden will, ja frei und in der Hand, indes nur letzte in Eng- und Deutschland den Wehmüttern als Müttern des langen Erdenwehs verstattet wird. Der gute, der rechte Accoucheur (kein Wehvater) hält seine Geburt-Zange (es sei die krumme oder die gerade) und legt sie für den Fötus, wie der Pariser Savoyardenjunge sein armlanges Brückchen über eine Gosse, so hin, daß der Fuß- oder Kopf-Gänger ohne Weiteres über die Pfütze des Erdenlebens hinüber gelangt in die Jean-Jaques-Gasse oder in Voltaire's Viertel im neuen Jerusalem. Und so zieht eine bloße Zange mehr Seelen und reine Jungfräulein in den Himmel als selbst ein Papstes-Schlüssel. Langt gleichwohl zuweilen die Zange oder Gabel nicht aus: so hat der Wiedergeburthelfer ja sein Impf- und Vorlegemesser des Himmels bei sich, womit er das höhere Erbvorschneideramt verwaltet, durch hiesiges Verkleinern der Geburt, welches durch den Geist überirdisches Vergrößern wird. – Hier eben, bei dieser Wetterscheide auf dem Kreuzwege zweier Welten, muß der Geburthelfer zeigen, ob sein Kunst-Eisen eine ableitende Wetterstange der hiesigen Gewitter ist, und ob er Synthese und Indifferenzierung der Geburt- und der Sterbelisten in Gewalt hat; oder ob er, erbärmlich genug, nur immer darauf losangelt, daß etwas soll getauft und folglich benannt werden (wiewohl noch dazu mit einem abgeborgten Namen); als ob es nicht hinreichend wäre, daß ein Wesen existiert hätte, und nicht schön wäre, daß es wie ein Wohltäter oder wie ein durchreisender Fürst anonym geblieben. Mehr als ein Heidenbekehrer prahlt mit bekehrten Christenseelen, die ihm künftig mit Frauenzimmer- und Spieß- und Treff-Dank für gerettetes Heil entgegenkommen; – ich schwacher Walther Vierneissel sehe mit hundert französischen Accoucheurs, ja noch mit mehren Wehmüttern, ähnlichen Danken für Rettung unbefleckter Empfängnis entgegen. Hier ist kein König Pharao und Herodes, die beide etwas später mit Wiedergeburt zu Hülfe kamen; – hier ist kein jetziger König von England, der kein Todesurteil unterschreiben konnte, weil er toll war, so daß die größten Missetäter so lange am Leben und in Ketten blieben, bis er wieder zu sich kam, und bis erst darauf die strangfähige Expektanten-Bank an den Galgen kam; sondern hier ist von Geburthelfern die Rede, welchen ein Britenkönig nur alsdann ähnlich wird, wenn er wieder bei Verstande ist und dadurch das Recht zurückbekommt, kleine Hinrichtungen, ja die größern des Kriegs, als ein Mitkämpfer um das volle heilige Grab der Menschheit, zu unterzeichnen. Mit einem Worte, gute Geburthelfer überheben den noch unbefleckten Fötus des hiesigen Prüfstandes und des tentamen und examen rigorosum des Lebens ganz und gar und stellen ihn sogleich auf seinem rechten höchsten Posten an, welcher nicht wohl anders als in der zweiten Welt sein kann. Denn diese sehen die Accoucheurs für eine verbesserte vermehrte Auflage der ersten an, so daß z. B. die hiesige kurze Bratwurst dort aufersteht als eine Königsberger 596 Ellen lange,In Wagenseils Unterricht für einen Prinzen, woraus wieder Lichtenberg die Sache gezogen. 434 Pfund schwere und Anno 1583 aus 33 Schinken gemachte Wurst. So geben sie schon unter der Geburt dem Fötus voll Uterus-Ideale die beste Welt, anstatt unserer desperaten, sogleich in die Hand, so wie sonst deutsche Personen Wielands goldenen Spiegel oder Lichtenbergs Taschenbuch sogleich in der freien französischen Übersetzung oder Verklärung lasen, ohne das rohe deutsche Urbild nur vorher anzusehen ...

Ich beschließe den Aufsatz und, wie ich hoffe, künftig auch das Leben, ein wahres Todsündenleben. Muß ich nicht, wenn ich als rechtschaffener Mann leben will, so manchem künftigen Gaudieb und seiner Gaudiebin meine Hand leihen, damit sie geboren werden und dann wieder für den Himmel Froschquappen von verklärten Fötussen erzeugen? – Zum Glück bricht mir ein Abend nach dem andern am Leben, wie Raucher im Klub an einer holländischen Pfeife, ein ansteckendes Stückchen ab; fährt dies (wie gewiß zu hoffen) so fort: so werd' ich aus dem Pfeifen-Stummel endlich ganz Pfeifen-Kopf (so wie ich als Embryo nichts als Kopf gewesen); und so will ich mich denn jetzo mit schnellern Schritten als sonst meiner eigenen Wiedergeburt nähern, indem ich täglich mehr durch die Jahre zu jenem Zwecke im Kinde reise, von welchem zum zweiten Fötus und Uterus keine Sarglänge mehr weit sein kann. Dann aber müßte der Teufel sein Spiel von neuem treiben, wenn ich dort doch wieder nichts würde als ein Mensch und Geburthelfer, Namens

Walther Vierneissel,
Accoucheur loci


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