Jean Paul
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Jean Paul

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V.
Sedez-Aufsätze

Die Völker- Vergangenheit

Wir wissen zu viel Großes der langen Vergangenheit; dieses weite Große begehren wir daher in unserer nächsten engen Gegenwart zusammengedrängt; unsere Zeit will aus allen schönen Zeiten und Größen, der athenischen, spartischen, römischen und altdeutschen zugleich bestehen. Sonst, als die Universalhistorie nur noch ein Universum so groß wie Griechenland kannte, war freilich einem Rom der Wunsch natürlich und ausführbar, die besten griechischen Blütenzweige sich einzuimpfen; aber wir wollen jetzt auf unserem Stamme einen eingeimpften Garten aller Zeiten treiben. – So wächst der Völker-Durst zugleich mit dem Zeitenstrome. – Indes soll diese Bemerkung nicht sowohl tadeln als trösten, nicht sowohl zurückhalten als nur beruhigen und vor Ermattung auf der Laufbahn zu dem größten und fernsten Ziele warnen.

 
2.
Die Doppel-Zukunft des Menschen

Der Mensch sorgt banger für die fernste Zukunft als für die nächste und will lieber jene als diese genießen; aber leider verwandelt sich die ferne, wenn er sie zu genießen gedenkt, leicht in einen Vexierbecher (diabetes Heronis), der sich, sobald man ihn ansetzt, in eine verborgene Röhre ausleert. Bei reichen Geizhälsen heißt man solche Röhren – Erben.

 
3
Religion als politischer Hebel

Die Religion werde bloß von und zu Religion gesucht, nicht von und zu Politik. Das Gegenteil tun, heißt sagen: betet recht laut, um die Lungenflügel zu stärken – verordnet mehr Heiligenlichter und katholische Fasttage, damit die Bienenstöcke und Fischteiche, welche durch die Reformation viel gelitten, wieder etwas blühen – haltet wie Magister BerndBernds Leben von ihm selbst. 1738. jedesmal die Predigt eine halbe Stunde länger, wenn eure Brust abzuschleimen ist; oder ihr könnt auch wie jene Chorherrn zu diesem Zwecke die MorgenhorenBriefe eines reisenden Franzosen. singen – und haltet auf strenge Feier des Aschermittwochs, als ein Verdaupulver für den Fastnacht-Magen – und bauet in Italien mehre Kirchen wegen der fürchterlichen Hitze. Alle fleischliche Vermischung des Geistigen mit dem Leiblichen erzeugt bloß eine Zwittermißgeburt, welche weder dem Geistigen noch Leiblichen dient, weder der Kirche noch dem Staate.

 
4
Unterirdischer Schatz von Genies

Wenn man berechnet, wie viele talentvolle Kinder man in Dorf- und Stadtschulen antrifft, und wenn man bedenkt, daß das Volk schon als Mehrzahl der Köpfe die Mehrzahl der guten schenken muß: so sieht man sich zwanzig Jahre später im Staate erstaunt und vergeblich nach diesen genialen Dorfköpfen in Kollegien, Regimentstäben und auf anderen hohen Stellen um; – fast bloß die Minderzahl der höhern Stände versorgt mit Talenten den Staat notdürftig; und die Dorf-Genies verloren sich in die Scheunen, Kasernen und Handwerkstätten. So wird also kein Staat- und Schlag-Schatz als der, den der Himmel aus der Volkstiefe aufschickt, und keine Gottes-Domäne so verschwendet als die der Köpfe. Die Samenkörner ewiger Ernten wirft der Himmel umsonst in die Beete; aber wir begießen und impfen nichts. – Ein rohgelaßnes Dorfgenie gleicht dem Pfunde Eisen, das in Frankreich 1 Sou kostet; verarbeitet aber zu 700 000 Uhrfedern, ist es (nach Rumford) 16 Millionen und 800 000 Sous wert. Zu wie vielen Uhr-, Schwung- und Triebfedern wären nicht die Kräfte des Dorfs auszubilden!

 
5.
Ehre im Unglück

Ein Mann, der durch Deutschland reiset, sagt: seit viele deutsche Körper abgemähet worden vom Kriege, verspürt' ich mehr deutsche Geister, und mir ist so, als wenn ich abends in Wiesen spaziere, welche in der Blüte nicht halb so köstlich voll Riechgeister duften als in der Mahte.In der Mähzeit, oder abgemäht. Insofern möchten die Pulverkörner des Kriegs so zu nennen sein wie sonst die ihnen ähnlichen Pfefferkörner, nämlich Paradieskörner.

 
6.
Die letzten Schlachten

Das Volk glaubt, im August seien die Gewitter gefährlicher, weil sie heimziehen; dies wäre also besonders vom 1. August (Petri Kettenfeier) bis in die Mitte, den funfzehnten (Mariä Himmelfahrt), zu verstehen; später kühlt sich ohnehin der Erntemonat ab. Indes meteorologisch glaub' ichs weniger als politisch; die Kriegsgewitter ziehen wirklich unter den stärksten Schlägen heim; und erst darauf wird auf allen Weinhügeln getanzt.

 
7.
Hof und Handel

Indem der Hof oft reicher, der Kaufmann eingezogner scheinen will, als beide sind, unterscheiden sie sich wie ihre Häuser; diese spreizen sich in Residenzstädten mit der ganzen Fronte (Antlitzseite) aus, in alten Handelstädten aber zeigen der Gasse die Häuser nur die schmale Giebelseite,

 
8.
Volkruhm durch Fürsten

Weniger machen die Bürger den Fürsten berühmt als ein berühmter Fürst jene; ein Genius-Glanz wie Friedrichs II. fällt auf das Land um seinen Thron, wie in Correggio's Nacht vom Christus-Kind der Licht-Glanz ausgeht, der auf den Umstehenden liegt. Ein rechter Fürst macht mit sich zugleich die unsterblich, die er beherrscht.

 
9.
Der Mensch

»Ach, damals waren meine glücklichsten Zeiten«, sagt oft der Mensch, wenn er sie auf einmal überblickt. Aber die einzelnen Tage, vollends Stunden, die er durchlebte und in welche ja jene zerfallen, weiß er nicht als die glücklichsten anzuzeichnen. So gleicht ein Lebenalter oder ein großes Stück Leben einem Almanach mit vergoldetem Schnitte: die ganze Fläche prangt golden, aber am aufgeschlagnen Blattrande glänzt wenig.

 
10.
Der rechte Mensch

Der rechte Mensch tut sich noch hoffend und glaubend dem Himmel auf, auch wenn er keinen mehr sieht und hat; so wie die Blumen, die sich der Sonne aufschließen, auch der bewölkten offen bleiben.

 
11.
Der alte Fürst

Ein schöner Anblick in der Geschichte ists, einen fürstlichen oder kriegerischen Greis kurz vor Untergang noch in letzter strafender oder glänzender Kraft zu erblicken – es ist eine Abendröte, woraus es blitzt.


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