Jean Paul
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I.
Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus

§ 1

Es ist ein wohltätiges Wunder, daß derselbe Magnet, welcher uns mit seiner Nadel die zweite Hälfte des Erdballs zeigte und gab, auch in der Geisterwelt eine neue Welt entdecken half. Schwerlich hat irgendein Jahrhundert unter den Entdeckungen, welche auf die menschliche Doppelwelt von Leib und Geist zugleich Licht werfen, eine größere gemacht als das vorige am organischen Magnetismus; nur daß Jahrhunderte zur Erziehung und Pflege des Wunderkindes gehören, bis dasselbe zum Wundertäter der Welt aufwächst. Wenn schon die Kombinationen der Scheidekunst mit ihren greiflichen offenliegenden Körpern ietzo fast ins Ungeheure auseinanderlaufen, so daß jeder neugefundne eine neue Welt von Verbindungen mit den alten gebiert, weil jeder ein neuer Selbslauter ist, der mit den alten Selb- und Mitlautern ein neues Wörterbuch zusammen setzt: wie muß nicht der organische Magnetismus mit der unbestimmten Mannigfaltigkeit von geistigen und körperlichen Größen der handelnden und der behandelten Naturen der Ärtze, welche hier zugleich Arzneien sind, und der Kranken, welche zugleich Selb-Ärzte sind – ferner mit der Mannigfaltigkeit der geistigen und körperlichen Einwirkungen der ändernden Zeiten auf Nervenkränklinge und Nervenärzte – endlich mit den anschwellenden Gebrauch-Verbindungen des Magnets, der Elektrizität und des Galvanismus samt so vielen noch unversuchten Reizstoffen, sogar ungleichartiger Kranken, wie muß nicht künftig der Magnetismus ein weites Weltmeer aufbreiten, Woge an Woge, ohne Küsten, und nur durch Himmel und Sterne meßbar!

Man verzeihe dem Anfange eine zu warme Darstellung, welche man leichter bei dem Ende duldet und teilt; aber man bedenke, daß der Schriftsteller eben vom Ende herkommt.

Die Lehre des organischen Magnetismus erfuhr das gewöhnliche dreifache Schicksal aller, besonders der medizinischen Erfindungen, nämlich anfangs vergöttert, dann verstoßen, und endlich verstanden zu werden. In Berlin, wo früher sogenannte Aufklärer dieses Neu- und Vollicht zugleich verfinsterten, leuchtet es jetzo herausgetreten aus der alten WolkeNach der gewöhnlichen Schicksals-Doublette wurde das Magnetisieren in Paris durch die Revolution und in Berlin durch kriegerische Evolutionen unterbrochen. und der Greis Mesmer, welcher bisher in Einsamkeit an der Zeit den Mißbrauch wie die Verdrehung eines neuen Weltschlüssels verachten mußte, erlebt nun bessere Schüler und Rächer.

Wir wollen einige Wunder der Lehre, welche ihr den Eingang in die jetzigen Köpfe erschwerten, den sie ihr sonst in früheren Jahrhunderten gebahnet hätten, mehr in Zusammenhang mit unserer angenommenen Natürlichkeit bringen, ob es gleich nur ein Wunder gibt, die Welt selber, und Wunder natürlich erklären nichts heißt, als sie zurückleiten ins Urwunder.Der Gewicht-Schriften über Magnetismus sind wenige; aber dies zum Glücke für die erfahrende Ausübung, welche noch keine hypothetischen Nebenblicke verfälschen. – Die, auf deren geschichtliche Wahrheit ich mich im Texte nur mit einem Worte, mit dem angeführten Autornamen, beziehe, sind folgende: Gmelin über den tierischen Magnetismus 1788; Wienholt, Heilkraft des tierischen Magnetismus, 3 Bände; Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft von Schubert; Wolfarts Darstellung einer lebensmagnetischen Kur 1812; Klugens Darstellung des animalischen Magnetismus.

 
§2
Das Sehen

Das erste abstoßende Wunder ist, daß die Hellseherin (Clairvoyante) mit geschloßnen Augen und hinter doppeltem Tuche und hinter dem Rücken versiegelte Briefe lesen kann. Früher als das neue Wunder haben wir das alte aufzulösen, daß man durch noch dichtere Körper, durch Glas, sehen kann, oder gar durch den dichten Diamant. Man denkt sich mechanisch Lichtstrahlen gleichsam als abgeschoßne Nadeln, welche auf der Netzhaut des Auges ein Bild ausstechen, und die zugleich tausend Pinsel und ein Kleingemälde vorstellen und immer das Gemälde fortmalen. Man glaubt es sich z. B. zu erklären, daß und wie der Geist ein Altarbild an der Wand erblickt, wenn man nachweiset, daß dasselbe als kleinstes Dosenstück auf der Netzhaut aufgetragen ist; aber warum denkt man denn nicht daran, daß der Unterschied der Bildnähe und der Bildgröße kein Sehen desselben erklärt, sondern daß hinter dem Netzhautbilde erst die scharfe Frage über die mögliche Überfahrt des Bildes durch das Sehnerven-Paar und das Gehirn sich anfängt, weil sogar alle besten physiologischen Fahrzeuge der Überfahrt immer gleich weit von der Seh-Empfindung des Geistes sich halten müssen? –

Das Licht selber ist uns unsichtbar; denn sonst müßten wir Nachts den Strahlenstrom erblicken, welcher von der Sonne vor uns vorbei auf den Vollmond zieht. Die scheinbaren Lichtstrahlen sind bekanntlich nur stärker beleuchtete oder weißere Körperstreife. Die Lichtmaterie, welche an einem trüben Tage durch die Luftschichten, durch die Wolkenschichten und zuletzt durch ein Stückchen Glas hindurch uns alle Gegenstände zeigt, vermag dies nicht mechanisch durch Poren zu tun, weil z. B. in einem Linsen-großen Glas oder in einem Luftkügelchen einer durchstochnen Karte, welches alle einzelne Punkte des weiten halben Gesichtskreises durchgehen oder schauen läßt, in jedem denklichen Punkte Poren, also gar nichts da sein müßte, – sondern als eine Kraft, welche auf das Sehvermögen, wie die magnetische auf das Eisen, durch Zwischenkörper hindurch wirkt! Wozu nannt' ich erst Glas, da ja stets die kleine Krystallinse des Auges alle unzähligen Farben und Umrisse einer halben meilenweiten Gesichtswelt ohne Ineinanderfließen und scharf geschieden und in jeder augenblicklichen Achse-Richtung durch sich ziehen läßt? Aber ist das Sehvermögen auf die Augen eingeschränkt? –

Es entsteht Licht ja schon galvanisch, wenn Silber und Zink sich im Munde berühren, oder jenes in der Nase, dieses auf der Zunge. – Nach meiner besondern Theorie des Traums könnte ich auch die Blinden anführen, welche, wenn sie es durch einen Schlagfluß geworden, doch im Traume sehen. – So haben Magnetisierte zumal anfangs stätes Licht vor sich, aber ohne Gegenstände, und sehen sich und den Arzt leuchten. – Besser ein Licht oder Leuchtvermögen wäre das Auge zu nennen, wie die Lichtentwicklungen nach Augendruck verrathen – nächtlich die Feueraugen der Raubtiere- die starke Erleuchtung,Götting. Magazin für das Neueste aus der Phys. II. in welcher nach großem Erschrecken alle Gegenstände erscheinen.

Wodurch sieht nun die Hellseherin das körperliche Außen, wenn ihr das offne Auge mangelt? Wodurch lieset sie versiegelte Briefe, und wodurch erkennt sie Karten, blos auf die Herzgrube gelegt? Diese leichte Frage wird erst zugleich mit der schwierigern beantwortet: wodurch sieht sie das körperliche Innen? Nach allen Berichten liegen den innern Blicken der Magnetisierten ihre Körper gleichsam wie Uhrwerke in Krystallgehäusen durchsichtig mit dem ganzen Lebens-Triebwerke aufgedeckt und aufgestellt da, mit den Blut-Strömen der Adern, dem Gezweige der Nerven, und sie sehen (nach Wolfart) von innen sogar ihr Auge und von innen ihr Gehirn vor sich und zergliedern sich selber lebendig vor dem Zergliederer. Was erleuchtet das finstere bedeckte Reich der innern Glieder und das Gehwerk der lebendigen Uhr im Stundenschlagen, deren Räderwerk wir sonst nur im Stehen und abgelaufen zu sehen bekommen?

 
§ 3
Das Hören

Wollen wir vor dem Antworten noch das zweite Wunder, das Hellhören, betrachten; denn die magnetischen Kranken hören nur den Arzt, auch mit verstopften Ohren, und die Musik nur, wenn er sie macht, fremde aber, so wie die leisesten fernen Töne anderer, durch Verbindung mit ihm,Wenn von mehren Personen, welche eine lange Handkette bildeten, die erste die Hand auf die Herzgrube der Hellseherin legte, und die letzte noch so fern und leise in die eigne Hand sprach: so vernahm es die Kranke. Klugens Darstellung etc. S. 151. aber keine unverbundne Person. Auch der Klang ist – so wie das Licht weder ein Fluß ist, noch ein Ätherzittern – gleicher Weise kein Luftzittern. In einem freien Flüssigen gibt es keine Fortpflanzung durch Linien, sondern durch Kreise; wie folglich im Äther keine geraden Strahlen- oder Feuerlinien, so können auch im Luftmeer keine sogenannten Schallstrahlen, d. h. Schallinien, sondern nur Schallkreise vorkommen. Nur der mechanische Wind ist ein Strom, von Ufern gelenkt, aber nicht der geistige Ton. Aber diese Schallkreise erklären so wenig als Schallinien das Hören. Man male nur diesen lügenden Mechanismus – ein Materialismus in der Materie – folgerecht und deutlich aus: so muß man annehmen, daß in einem Konzertsaale in- und miteinander spielende Töne mehrer Instrumente und Singstimmen, welche alle ein Kunst-Ohr in einem Nu vernimmt und unterscheidet, ihre Luftkreise oder Wellen auf einmal so schlagen, daß diese nicht ineinander verwallen, aber doch alle zu gleicher Zeit ankommen – daß ferner alle diese Luft-Zitterungen durch eine Mauer, aus dieser durch einen langen Stock, den man als Resonanzboden an sie und an das Ohr anlegt, und endlich in die engen Schneckenwindungen des Ohrs und zuletzt in dessen Hörwasser unverworren ziehen, um mit allen den jetzo ins Engste gezognen Kreisen auf einmal den Hörnerven zu abteilenden Empfindungen zu erschüttern – – Was wären gegen diese Wunder des Mechanismus die Wunder des Magnetismus! –

Chaldni's Staubgestalten auf dem tönenden Glase heben sowohl die Kreise als die Linien durch die regelmäßige Verschiedenheit ihrer geometrischen Bildung auf; denn eine schwankende Luftwelle kann so wenig als eine gerade Fortzitterung ein Dreieck u. s. w. zusammenlegen und gleichsam krystallisieren. Diese Gestalten sind nur Wirkungen einer Kraft, da keine sich ohne Bewegen zeigen kann; aber ließe sich denn aus bloß mechanischer Gewalt das tönende Beben einer ganzen tausendpfündigen Glocke bei dem Berühren eines Metallstäbchens erklären, oder das Zerschreien eines festen Glases bloß bei verstärktem Antönen seines eigentümlichen Klangs? –

Man wende übrigens nicht ein, daß die Kleinheit des hörenden Mittelpunktes oder Fokus, so wie oben die des sehenden, auf falscher Wage zu hoch berechnet werde, da jede ja beziehlich und scheinbar sei, und da nach mir selberKatzenbergers Badreise B. I. Seite 241 jeder Gegenstand wenigstens so groß, eigentlich aber größer existiere, als er unter dem Vergrößerglas erscheine. Denn ich versetze: dann wächset aber auch in demselben Verhältnis der ohne das Glas große Gegenstand, und wenn die Krystallinse eine Peters-Kuppel wird, so wird die in Rom eine Mondkugel.

Es muß demnach eine andere Hörlehre geben als die gemeine; und auf diese andere leitet eben der Magnetismus, welcher dem Ich auf andern Hebwerkzeugen als auf Luftwogen und Gehörknochen das Ton-Geistige zubringt. Nicht bloß das Hören im Schlafe, der sonst alle Sinnenhäfen sperrt, sondern, wie gedacht, das Hören (so wie Sehen) nur dessen, was der magnetische Arzt berührt, so daß z. B. Wolfarts Kranke kein Getöse, aber die leise in sich selber vertönende Mundharmonika vernahm, wiewohl mehr als inneres, nicht äußeres Tönen. – Verwandt ist damit die Erscheinung in Moses Mendelssohn, vor welchem während seiner Nervenkrankheit die am Tage gehörten Laute in der Nacht gellend wiederklangen.

Auch an den übrigen Sinnen deckt der Magnetismus neue Seiten auf, indem der Geschmack und das Gefühl beide erstlich mitten im Schlafe, zweitens anders als im Wachen empfanden; im Schlafe findet der Geschmack das magnetisierte Wasser angenehm, und das Gefühl der unmagnetisierten Menschen kalt, und beide beides im Wachen umgekehrt. Über den Geruch und das Gefühl hat man wenige Erfahrungen und Versuche gemacht, vielleicht in der betäubenden Überfülle der Wunder, und auch weil der Magnetismus (wovon unten weiter die Rede sein wird) gerade die höheren Sinnen weit mehr als die tieferen verfeinert und steigert.


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