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Betrachtung über Astrologie

Was kann das sein, das mich so bedrückt? Aus welcher Ferne kommt das Schwere, das sich auf mein Herz legt und es bitter macht, wie die Frucht war, die ich eines Morgens im Sande der Sahara gefunden habe?

Der Rosenkäfer ist der Rose untertan, die Rose dem Mädchen, das Mädchen der Liebe und die Liebe wiederum dem großen Kreisen der Kräfte, das das Auf und Nieder meines Atmens in Einklang mit dem Meere bringt.

Dem Mond ist die Macht gegeben, über die großen Wasser zu herrschen und sie stöhnen oder singen zu machen; welches Gestirn aber in der Tiefe der himmlischen Abgründe vermag es, gerade meine Gedanken stöhnen oder singen zu machen?

Sicher ist eins: wenn meine Seele in ihrer Verstörtheit übereinstimmt mit einem Sterne, den ich gar nicht kenne, dann muß dieser Stern seit Jahren den schrecklichsten Ausbrüchen, Erschütterungen und Erdbeben preisgegeben sein. Es macht mir Freude, mir auszumalen, daß das ganze Wesen eines Menschen dem Charakter des Planeten entspräche, dessen tyrannischem Geheiß er untertan ist: dann untersteht Edgar Poe sicherlich irgendeiner Welt, die an den äußersten Grenzen eines düsteren und schneereichen Himmels kreist und auf der die grünen Tale voll blühender Lilien, Hyazinthen und Anemonen nur in den Fernen jenseits wattiger Nebelbänke erscheinen.

Und Lamartine muß einem Gestirn gehorcht haben, das kein Ozean ausgehöhlt hat, darauf es nur einen himmlischen See gibt, über den die sanfte Brise mit Erzengelfingern hinstreicht und an die zitternden lyrageschwungenen Flügel der Schwäne rührt.

Der Stern, mit dem dieses junge Mädchen verwandt ist, lacht und weint in tausend Wasserfällen. Murmelt das Wasser dieser Wasserfälle gerade jetzt mehr als sonst? Denn das Mädchen hört nicht auf zu plappern, solange die Schneeschmelze da oben die Wildbäche des Sterns so überreichlich versorgt. Säumt der Schaum der Wildbäche den Azur, unter dem er schauert, jetzt mit köstlicheren Spitzen? Das Mädchen zieht ein Kleid von zartem Blau an, das es mit quellenden Spitzen, die durchsichtiger sind als die Wasser der Felsen oder böhmische Gläser, ziert. Sind die Quellen jetzt, austrocknend in der glühenden Sonne, verstummt? Das Mädchen wird schweigsam. Und wenn da oben die Wasser zu schluchzen beginnen, entströmen dem Mädchen die Tränen, die man hier auf Erden sinnlose Tränen nennt. Das Mädchen errötet plötzlich: das kommt daher, daß auf seinem Stern eine Pfingstrose aufblüht. Es erbleicht – denn dort oben ist eine Lilie aufgegangen.

Sind die Bezeichnungen: ein Mensch hat einen finsteren oder klaren oder verbitterten Charakter, nicht dem Horoskope dessen, auf den man sie anwendet, entnommen? Was wohl die Astrologen damit ausdrücken wollten, daß sie die alte Selenographie mit solchen dichterischen Bezeichnungen schmückten, wie da sind: das Meer der Krisen, das Meer der Feuchtigkeit, das Meer der Tränen, der Golf der Verzweiflung? Ich vermute, daß sie jene menschlichen Veränderungen, die sie dann mit Recht die lunarischen nannten, von den Umwälzungen auf unserem Satelliten ableiteten. Das Meer der Krisen beginnt unruhig zu werden – und alle Gichtkranken, Asthmatiker, Hypochonder und Narren werden von ihren Übeln befallen. Ein Zyklon wirbelte über das Meer der Feuchtigkeit dahin – und die Wassersüchtigen fühlen ihre Anschwellungen wachsen. Der Sturm wütete über dem Meer der Tränen – und alle kleinen Kinder weinen. Wenn aber der Golf der Verzweiflung sich verdüsterte, geschieht dem Herzen eines jeden Menschen ein Gleiches.

Nach dieser Betrachtung des Einflusses der Gestirne auf die Menschen wollen wir erforschen, wie eine solche Einwirkung auch auf die Pflanzen möglich wäre. Wir stellen also die Hypothese auf [die wir untersuchen wollen], daß Mensch und Pflanze der gleichen Ausstrahlung untertan sind, und schließen, daß es eine schicksalhafte Sympathie zwischen ihnen geben müsse.

Die Theorie des Professors Philipp van Tieghem ist bekannt: sie ermächtigt uns, zu denken, daß der Pflanzenwuchs der Erde von Samen abstammt, die von Meteoriten auf sie herabgebracht worden sind. [Beim Lesen einer bestimmten Stelle dieses Forschers kam mir einmal nachts der belustigende Einfall, meine Hände gegen den Mond zu strecken, um den Flug bestimmter Arten von Mohn aufzuhalten, deren hinfällige Blüten freilich in der Berührung mit meinen Fingern hätten zerstieben müssen.]

Mit dieser Hypothese wollen wir nun die von Darwin verbinden, wonach wir Pflanzen waren, ehe wir Menschen geworden sind. Daraus ergibt sich freilich für jeden das Recht, zu fragen, was für eine Feuerkugel ihn denn auf die Erde gebracht und was für eine Konstellation diese sonderbare Saat bewirkt habe.

Nun gibt es aber zweifellos Menschen, deren ganzes Leben im Gegensatze steht zu dem aller anderen Menschen – was demnach auf eine Sternenherkunft von besonderer Art schließen lassen müßte – genauso, wie gewisse Pflanzen in ihrem Verhalten dem sämtlicher anderer Pflanzen widersprechen.

Von jener Regel zum Beispiel, die den Stengeln der Schlingpflanzen zu gebieten scheint, der Drehung der Erde folgend von links nach rechts zu ranken, sind Hopfen, Geißblatt, Stickwurz, Schildkrötenkraut sowie das knotige und das Kletter-Polygonum ausgenommen, die alle, Newton und Laplace mißachtend, sich von rechts nach links winden. Rührt das daher, daß diese Pflanzen von Gestirnen stammen, die sich in entgegengesetztem Sinne drehen wie die Erde?

Übrigens, wenn Rose und Iris, Orchidee und Seerose, solcherart auf unsere Erdkugel gelangt, von den unbekannten Gesetzen ihrer vorherigen Heimat geleitet werden – sei die nun Mars oder Venus oder ein ganz anderer Planet –, ist es reizvoll, sich vorzustellen, daß die Blüte der Wunderblume nicht eher sich schließen und einschlafen mag, bevor sich nicht der Abend auf ihren Heimatstern gesenkt hat, das heißt: ehe es nicht Tag geworden ist auf der Erde.

Das früher Gesagte vorausgesetzt, wäre es unterhaltend, die Blume oder den Baum zu kennen, die jeder einzelne bevorzugt, und zu beobachten, ob die Menschen, die Sympathie für die gleiche Blume haben, nicht denselben Sterneneinflüssen unterworfen sind wie diese Blumen. Was mich anlangt, so liebe ich die Pflanzen zu sehr, um mich für die eine oder die andere zu entscheiden – denn das schiene mir eine Untreue gegen alle übrigen zu sein. Aber einen Strauch und eine Blume kann ich doch angeben, deren Anblick mich in eine unerklärliche Erregung versetzt: die lagerstroemia Indica und die amaryllis belladonna. Die lagerstroemia blüht gegen Ende des Sommers. Ich habe sie einmal in einem Prosagedicht den »Flieder einer anderen Welt« getauft. Sie ist ein Strauch ohne Rinde. Ihr glatter Stamm breitet nur im Schlaf die Zweige aus, was ihr das unglückliche Aussehen eines Besens oder einer riesenhaften Rose von Jericho verleiht. Aber ihre Blüten! Unter den azurnen August- und Septemberhimmeln heben sie sich aus ihrem Laube, das fremdartig grün ist und sehr ähnlich dem des Granat- und des Spindelbaumes, und bilden Zepter von einem unsagbaren Rosa, das nie der Erde angehört hat, einem Rosa voll schwermutschönen Heimwehs nach einem verlorenen Paradies. Warum liebe ich diesen Baum mit solcher Liebe? Es gibt eine lagerstroemia, die ich Jahr für Jahr besuche und die in jedes neue Blühen meine Trauer oder meine Freude mitempfängt. Sie schmückt mit ihren geheimnisvollen Korallen einen Garten im nördlichen Spanien. Auf meine Bitte hat man mir erlaubt, durch eine kleine Tür ihr sorglich verschlossenes Reich zu betreten. Und ich bin, einer sonderbaren Unruhe verfallen, durch die Alleen geirrt, die ihre glorreiche Majestät zu verdunkeln schien. Die amaryllis belladonna ist vom Kap der Guten Hoffnung zu uns gebracht worden. Inmitten eines Büschels schwertförmiger Blätter, die sich weich nach außen biegen, strebt ihre rosige Lilie empor. Aber ihr Rosa hat nichts von dem außerirdischen der lagerstroemia, es ist samtig wie Aprikosen, es gleicht dem der Wassermelone, der Meerfrüchte oder des Lachses. Ein paar von diesen Pflanzen sind meine Freunde: die stehen nicht in dem spanischen Garten, von dem ich eben gesprochen habe, sondern in einem alten kleinen Garten in Frankreich. Er wölbt sich wie ein Dach über die Landstraße, auf der einst die Postkutschen, in denen die Mädchen der alten Zeiten mit wehenden Hüten durch den Glanz der untergehenden Sonne gen Paris fuhren, hinholperten ...

Ich empfinde eine trübe und schmerzliche Freude, wenn meine Blicke über diese rosigen Kelche hingehen. Wer wird mir die sonderbaren Gefühle, die mir diese beiden Pflanzen einflößen, erklären? Ihr Anblick verwirrt meinen Verstand und läßt im Spiegel meiner Seele das Bild eines ganz traurigen Traumes erstehen: auf einem Stern erwartet mich widerwillig und sehnlich zugleich ein dunkelhaariges Mädchen in einem amaryllisrosa Kleid. Sie sitzt unter einer lagerstroemia an einem Grabhügel, über dem in unbekannten Zeichen ein Name, vielleicht der meine, geschrieben steht.

Meine Freundin, eines Abends wirst du mich aus der Tiefe des Tales kommen sehen, und ich werde dir deine Lieblingsblumen bringen. Es wird schon spät sein. Mit meiner grünen Trommel auf dem Rücken werde ich den ganzen Tag ohne Rast auf der Suche gewesen sein, das Herz voll Tränen, und werde unter den Blicken Gottes mit meinem kleinen Spaten in aller Einsamkeit die Erde durchwühlt haben. Werde ich aber die Pflanze, die unser beider Geschicke einen muß, wirklich gefunden haben? Schon ahne ich wie ein Edelsteinsucher, den ein geheimnisvoller Sinn leitet, deine liebste Blume voraus. Sie wächst nicht im Schnee, nicht auf den Gletschern noch unter den Lärchen der Alpen, nicht am Rande der Kressebeete noch auch in der lügnerischen Sahara, deren Spiegelungen meinen Fieberdurst heimgesucht haben. Sie erblüht in meiner Seele.


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