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Die Güte des lieben Gottes

Sie war ein hübsches und zartes kleines Geschöpf und arbeitete in einem Laden. Sie war nicht sehr klug, wenn man das so sagen will, aber sie hatte dunkle Augen voll Sanftheit, die einen ein bißchen traurig anschauten und sich dann gleich senkten. Viel Zärtlichkeit war in ihr und jene schlichte Alltäglichkeit, die nur die Dichter verstehn können und die einzig das Reinsein von allem Hasse mit sich bringt. Sie sah so einfach aus wie das bescheidene Zimmer, darin sie mit ihrer kleinen Katze, die ihr jemand geschenkt hatte, wohnte. Jeden Morgen, bevor sie zu ihrer Arbeit ging, ließ sie ein Näpfchen Milch für die Katze zurück. Diese hatte ebenso wie ihre Herrin gute, traurige Augen. Sie wärmte sich in der Sonne auf dem Fensterbrette, auf dem ein Basilicumstöckchen stand, oder sie leckte sich ihre kleinen Pfoten wie einen Pinsel glatt und kraute sich die kurzen Kopfhaare, oder sie hielt eine Maus vor sich fest.

Eines Tages waren Katze und Herrin schwanger, die eine von einem schönen Herrn, der sie verlassen hatte, die andere von einem schönen Kater, der sich nicht mehr sehen ließ. Der Unterschied war nur, daß das arme Mädchen krank und kränker wurde und schluchzend seine Zeit hinbrachte, während die Katze sich in der Sonne mit allerlei fröhlichen Drehungen und Wendungen vergnügte und ihr weißer, spaßhaft aufgetriebener Bauch schimmerte. Die Katze hatte ihre Liebeszeit nach der des Mädchens gehabt, was die Dinge so gestaltete, daß beide um den gleichen Zeitpunkt ihre Niederkunft zu erwarten hatten.

Die kleine Arbeiterin erhielt nun in diesen Tagen einen Brief von dem schönen Herrn, der sie verlassen hatte. Er sandte ihr fünfundzwanzig Franken und erzählte ihr dazu, wie herrlich großmütig er sei. Sie kaufte ein Kohlenbecken, Kohlen, für einen Sou Zündhölzer – und tötete sich.

Als sie im Himmel ankam, in den einzutreten sie erst ein junger Priester hatte hindern wollen, zitterte das hübsche zarte kleine Geschöpf zuerst in dem Gedanken, daß sie schwanger sei und Gott sie verdammen könne. Aber der liebe Gott sprach zu ihr: »Meine Freundin, ich habe dir ein hübsches Zimmer vorbereitet. Geh hin und bring darin dein Kindlein zur himmlischen Welt! Hier im Himmel geht alles gut vorüber, und du wirst nicht mehr sterben müssen. Ich liebe die Kinder – lasset sie zu mir kommen!« Als sie das Zimmerchen betrat, das sie im Hause der himmlischen Güte erwartete, sah sie, daß ihr der liebe Gott eine Überraschung bereitet hatte.

Er hatte ihr in einem schönen Körbchen die Katze, die sie liebte, dahin bringen lassen. Und auf dem Fensterbrette stand ein Basilicumstöckchen. Sie ging zu Bett. Und sie bekam ein schönes blondes kleines Mädchen, und die Katze bekam vier schöne schwarze köstliche kleine Kater.


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