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Lob der Steine

Strahlende Schwestern der Bergströme, denen ich am Ufer des Alpensees begegnet bin: Steine, Geliebte der Iris und des kalten Azurs, ihr, auf die sich das Salz niederschlägt, das die Lämmer auflecken; ihr Spiegel voll Helle, schillernd wie der Hals der Taube, ihr, die ihr mehr Augen habt als der Pfau! Im großen Feuer seid ihr Kristalle geworden, und eure schneeigen Adern sind ewig, ihr Gefährten der Urzeitfluten; seit Anbeginn hat die Meerflut euch gebadet und gewiegt bis zu der Stunde, in der die Taube aus der Arche voll Liebe aufgurrte, da sie euch erblickte.

Bald ist das leuchtende Korn euers Fleisches blaugeädert weiß wie eine Kinderfaust, bald schimmert es kupfergolden wie die Hüfte einer schönen schwerblütigen Frau; zuweilen blinkt der Glimmer darin silbrig wie eine Wange in der Sonne, dann wieder ist es bräunlich wie die Haut der Frauen, der das goldene Rot der Mandarine und das stumpfe Blond des Tabaks die Farbe gab.

Ihr Steine, aus dem Herzen des Bergstroms gebrochen, gegeneinandergeschmettert, dahingerissen durch den Seidelbast der Schluchten, gepeitscht von den Rauhfrostwettern, von den Lawinen begraben, von der Sonne wieder ans Licht geholt, vom Fuß der Gemse losgebrochen: ihr seid kühl und schön – und ihr seid, über all das hinaus, rein. Ich kenne eure Schwestern in Indien wenig; es gibt solche unter ihnen, deren Klarheit mit dem Wasser, das aus dem Marmor quillt, wettstreitet, andere, die mich an das leuchtende Grün der Wiesen in den Talen meiner Heimat denken machen, welche wieder, die wie erstarrte Tropfen Blutes sind, und endlich die, die Kristall gewordenes Sonnenlicht sind.

Aber ich ziehe euch diesen vor, obwohl ihr nicht so kostbar seid, ihr, die ihr zuweilen die Balken der Strohdächer tragen müßt und so das Sprühen der Sterne spiegeln könnt, und ihr anderen, auf die sich der Schäferhund hinstreckt und traurig nun über seine Herde wacht.

Empfanget tief im Äther, wo ihr auf den Gipfeln ruht, weiter die reinliche Nahrung, die euerm friedlichen Reiche zugemessen ist. Das Licht möge eure unbekannten Zellen durchdringen, und die leichten wirbelnden Flocken sollen sie tränken. Das Schwirren der Winde mache sie erklingen, und endlich mögen sie jene vollkommene Nahrung empfangen, von der einst Maria Magdalena in einer Felshöhle gestillt worden ist. Rings um euch werden eure Freunde blühen, die reinsten Blütenkronen dieses Gestirns: aber auch sie werden nicht so keusch sein wie ihr, denn sie duften nach Schnee.

Arme graue Schwestern in den Rinnsalen, denen ich in den Ebenen begegnet bin, traurige Steine ohne Glanz, ihr, die ihr den Regen sammelt, auf daß der Sperling zu trinken habe; ihr, über die die Füße der Eselin stolpern, ihr armseligen Wächter, die ihr die elenden Gärten umfriedet, die ihr die hohlgetretenen Schwellen seid und die Brunnengeländer, glattgerieben von der Eimerkette, ihr Bettler, blank wie das Eisen der Ackergeräte! Ihr werdet heiß gemacht im Armenherde, auf daß ihr die Füße der Großeltern erwärmet, ihr werdet ausgehöhlt für die niedrigsten Verrichtungen, und ihr müßt in eurer Armseligkeit Tisch sein für den Hund und das Schwein. Durchbohrt werdet ihr und müßt, zu Mühlsteinen geworden, das knirschende Korn mahlen. O ihr, die ihr fortgeholt werdet, und ihr, die ihr liegenbleibt: o ihr, auf denen der Irrgegangene schlafen wird – o ihr, unter denen ich schlafen werde! Ihr habt euch nicht wie eure Gefährten in den großen Gebirgen eure Freiheit wahren können, aber ich achte euch darob nicht geringer, ihr meine Freunde. Ihr seid schön wie alle Dinge, die im Schatten sind.


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