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Das Paradies

Der Dichter sah seine Freunde an, die Anverwandten, den Priester, den Arzt und den kleinen Hund, alle, die in seinem Zimmer versammelt waren – und starb. Auf ein Stück Papier wurde sein Name geschrieben und sein Alter: er war achtzehn Jahre alt.

Da ihn die Freunde und Anverwandten auf die Stirne küßten, fühlten sie, daß er kalt geworden war. Er aber empfand ihre Lippen nicht mehr, denn er war im Himmel. Und nun fragte er sich auch nicht mehr, wie er es auf Erden immer getan hatte, wie denn dieser Himmel eigentlich sei. Da er darinnen war, verlangte es ihn nach nichts anderem mehr. Seine Eltern, die vielleicht [wer weiß das?] vor ihm gestorben waren, kamen ihm entgegen. Sie weinten nicht, und auch er weinte nicht, denn sie hatten, alle drei, einander niemals verlassen.

Seine Mutter sagte ihm: »Geh, kühl den Wein ein! Wir werden dann gleich in der Laube des Paradiesgartens mit dem lieben Gott zum Mittagessen gehn.«

Sein Vater sagte ihm: »Geh dort unten Obst pflücken! Hier gibt es keine giftigen Früchte. Und die Bäume reichen dir gern ihre Früchte. Ihre Blätter und Zweige leiden nicht unter deinem Pflücken, denn sie sind unerschöpflich.« Der Dichter wurde von Freude erfüllt, da er nun wieder seinen Eltern gehorchen konnte. Als er aus dem Obstgarten zurückkam und die Weinkrüge in das Wasser gestellt hatte, erblickte er seine alte Hündin, die vor ihm gestorben war. Zärtlich schweifwedelnd lief sie herbei und leckte ihm die Hände, und er streichelte sie. Und mit ihr waren alle Tiere da, die ihm auf Erden die liebsten gewesen waren: ein kleiner rothaariger Kater, zwei junge graue Kater, zwei schneeweiße Kätzchen, ein Gimpel und zwei Goldfische.

Er sah den Tisch gedeckt und an ihm sitzend den lieben Gott, den Vater und die Mutter und neben ihnen ein schönes junges Mädchen, das er unten auf der Erde liebgehabt hatte und das ihm in den Himmel gefolgt war, obwohl es nicht gestorben war. Und nun erkannte er mit einem Male, daß der Paradiesgarten der Garten seines irdischen Vaterhauses war, in dem wie ehedem und immer die Lilien und Granatbäume blühten und der Kohl wuchs. Der liebe Gott hatte seinen Stock und seinen Hut auf den Boden gelegt. Er war angetan wie die Armen der großen Landstraßen, die einen Wecken Brotes in ihrem Quersacke tragen und die die Obrigkeit an den Eingängen der Städte anhalten und ins Gefängnis werfen läßt, weil sie nichts haben, was für sie bürgt. Seine Haare und sein Bart waren weiß wie das große Licht des Tages und seine Augen tief und dunkel wie die Nacht.

Er sprach – und seine Stimme war sanft –: »Die Engel sollen kommen und uns bedienen, denn es ist ihr Glück, zu dienen.«

Da kamen auch schon auf allen Wegen des himmlischen Gartens die Heerscharen herangeeilt. Und das waren die treuen Dienstboten, die im irdischen Leben den Dichter und seine Familie geliebt hatten.

Da kam nun der alte Johann, der ertrunken war, als er einen kleinen Jungen retten wollte, die alte Marie, die an einem Sonnenstich gestorben war, da war auch der humpelnde Peter, Johanna war da und noch eine andere Johanna. Und der Dichter erhob sich von seinem Sitz, um ihnen die Ehre zu erweisen, und er sprach zu ihnen: »Setzt euch auf meinen Platz, denn ihr müßt neben Gott sitzen.« Gott lächelte, da er ihre Antwort schon wußte, noch ehe sie geredet hatten. Sie aber sagten: »Unser Glück ist, zu dienen. Und so sind wir bei Gott. Dienst du selber nicht auch deinem Vater und deiner Mutter? Und dienen sie wiederum nicht Ihm, der uns dient?« Mit einem Male sah er nun den Tisch anwachsen und neue Gäste sich daran niederlassen. Das waren der Vater und die Mutter seines Vaters und seiner Mutter und die Geschlechter alle, die ihnen vorangegangen waren.

Es wurde Abend. Die Ältesten schliefen ein. Der Dichter und seine Freundin hatten sich lieb. Und Gott, den sie empfangen hatten, ging seiner Wege, gleich jenen Armen der großen Landstraßen, die einen Wecken Brotes in ihrem Quersacke tragen und die die Obrigkeit an den Eingängen der großen Städte anhalten und ins Gefängnis werfen läßt, weil sie nichts haben, was für sie bürgt.


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