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Betrachtungen über ein Speisezimmer

Nicht das Familienspeisezimmer ist es, über das ich jetzt sprechen will. Zwar war das wie ein Spiegel im Schatten und roch nach Obst, nach Wein und dem Wachs des Fußbodens, und wenn man eintrat, glitt man aus und fiel hin. In diesem Zimmer wurde ein jeder zu Eis so wie in Gegenwart meiner hugenottischen Großtante, die in ihre Bibel den Spruch des Psalmisten geschrieben hatte: »Wahrlich, Schein ist es, darinnen der Mensch wandelt. Wahrlich, eitel ist es, was er treibt.«

Dieser Raum hatte einst bessere Tage gesehen. Aber um die Zeit, von der ich jetzt spreche, wohnte nur noch ein schmerzliches Schweigen darin, das wie das Schweigen der Abwesenden, die voll Traurigkeit den Kopf schüttelten, anmutete. Man hat mir hier eine Ecke gezeigt, in der mein Vater nach seiner Ankunft aus Guadeloupe [er war damals sieben Jahre alt] allerlei Grimassen versucht hat, um seine Eltern zu erheitern, und vielleicht auch, um sich selber zu erheitern. Armes verstörtes Kind, das noch traumtrunken war von den grünen Kokosnüssen, von zärtlich rosigen Blumen und dem klingenden Schimmern der Kolibris.

Das Speisezimmer von heute liegt gegen Osten, auf den Garten hinaus, der sich längs der Straße hinzieht. Es ist ohne allen Luxus eingerichtet und ein rechtes Durchschnittszimmer, aber die Götter besuchen mich darin, und ein paarmal haben Göttinnen, müde der Welt, hier mein grobes Brot gegessen. Man kann dieses Speisezimmer gar nicht besser als mit den Versen des Mong-Kao-Jen beschreiben:

»... Ein alter Freund reicht mir ein Huhn und Reis dazu. / ... Und unser Horizont sind blaue Berge, deren Gipfel / Aus blauem Glanz des Himmels ausgeschnitten sind. / Im offenen Saal ist uns der Tisch gedeckt. / Nun überschauen wir den Garten meines Gastfreunds, / Nun reichen wir einander die gefüllten Becher. / Wir reden sacht von Hanf und Maulbeerbaum. / Wir warten auf den Herbst: dann werden hier im Garten / Die Chrysanthemen blühn.«

Hier in diesem Raum geschieht es mir zweimal im Tage, daß ich mir der Dinge bewußt werde, sei es dadurch, daß aus dem Brote die Seele des fahlen Korns, das unter dem Hundsstern des Juli knirscht, mich durchdringt, sei es, daß aus dem Weine mich die purpurne Landschaft der Weinlese überkommt und die Fröhlichkeit der Mädchen, die singend die dunkeln Trauben pflückten. Und ein jedes Gericht wird mir geheiligt um alles dessen willen, was es an Kraft dichterischer Ahnung in mein Blut schickt. So muß ich auch nicht den demütigen Küchengarten mißachten, in dem die duftende Goldrübe wuchs, noch das herbe Gras der erlengesäumten Wiese, auf der das Rind gelebt hat, dessen Fleisch ich esse, nicht die von welken Blättern bedeckte Hütte, verkrochen im innersten Gebirge, in der dieser Käse entstanden ist, noch endlich den Obstgarten, wo in der betäubenden Glut der Sommerferien ein Schulmädchen es über sich gebracht hat, inmitten von bläulichen und granatroten Himbeersträuchern [deren Früchte ich genieße] ihren brennenden Mund lange auf dem Munde eines Jungen zu vergessen.

Ich kenne die Einsamkeiten, in denen das Wasser, das ich trinke, entspringt, und die traurigen Forste, die sie umgeben. Dort bin ich dem fröhlichen alten Manne begegnet, dessen Hühner ich in einem Gedichte besungen habe, und jenem anderen Greis, der den Wahnsinn seiner Tochter beweinte.

Ich muß mir aber auch zu Bewußtsein bringen, daß die Schüsseln, die alle diese Gerichte bergen, irgendwoher stammen, und zwar ebenso aus der Erde wie ihr Inhalt, und daß die Früchte da in der Schale aus Steingut mir in einem Gefäße aus dem Urstoff selber dargebracht werden. Und ich muß mich endlich auch daran erinnern, daß das Glas der Wasserflasche, in der das Wasser eben schwankend ins Gleichgewicht strebt, aus dem Wasser selber hervorgegangen ist, aus dem natriumreichen sandigen Meer, das ihm seine Durchsichtigkeit gegeben hat.

Speisezimmer, du göttliche Vorratskammer, in dir gibt es die Feige mit den Bißspuren der Amsel und die Kirsche, die der Sperling angepickt hat. Der Hering liegt da, der die Korallen und die Schwämme des Meeres gesehen hat, und die Wachtel, die durch die Nacht der Minze geschluchzt hat; in dir ist der Herbsthonig aufbewahrt, den die Bienen in der schon bräunlichen Sonne eingeheimst, und der Akazienhonig, den sie im fahlen Lichte einer Tränenallee gesammelt haben. Das Öl, das die Lampen der Provence speist, ist da, das Salz, das perlmuttern schimmert, und der Pfeffer, den die Kauffahrer auf ihren Galeeren geheimnisvoll lächelnd gebracht haben.

Mein Speisezimmer, ich habe dich oft aus der Beute meiner Botanisiergänge geschmückt und deine Luft mit dem Geruche der Feldblumen erfüllt.

Und dann warst du eines Tages mit Sträußen seltener Blumen geschmückt, mit denen eine Frau deine Bescheidenheit geehrt hat. Aber du hast es verstanden, du selbst zu bleiben, nicht allzu geschmeichelt noch auch abweisend. Als die erlesenen Blumen auf deinem Tische standen, hast du sie durch deine Schlichtheit so sehr entzückt, daß sie schön erschienen wie ihre ländlichen Schwestern.

Du bist es, mein Speisezimmer, das, nahe der Straße, meine Heimkehr vom Walde erwartet, wenn die Stunde gekommen ist, in der mein Hund in Nacht verschwimmt und sich das Paffen meiner Pfeife mit dem Nebel, der meinen Bart feuchtet, mischt. Da horchst du wie eine brave Dienerin auf den Tritt meiner benagelten Schuhe. Ich erkenne dein brennendes Herz, du Hüterin ohne Makel: die Lampe, die zu Ende flackt wie diese meine Träumerei. Da ich an dich denke, schwingt meine Seele sich auf, und ich möchte Hosianna! rufen und mich vor deine Knie hinwerfen, auf deine Schwelle, du Bewahrerin der Dinge, die mir die Vorsehung beschert hat. Mit gekreuzten Armen verharrest du über der Straße, auf der die Bettler dahinziehen, wenn die Stunde gekommen ist, in der das Aveläuten in verzweiflungsvoller Liebe zittert und gleich Weihrauchfässern die elendsten Hütten aus der Finsternis ihren Rauch emporschicken zu den Füßen Gottes.


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