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Die kleine Negerin

Manchmal haftet mein Gedanke an dem Vergilben der alten Seekarten, und ich höre das Brausen der Monsune im Fieber meines Hirns. Aber wie? Muß ich denn, um für dieses Leben etwas übrig zu haben, auch jenes heraufholen, das ich vielleicht vor meiner Geburt zwischen zweien schwarzen Sonnen geführt habe? Die ungewisse Landschaft rollte Sterne dahin in das zerrissene Stöhnen eines Ozeans ...

Jemand kratzte an meiner Tür. Ich rief: »Herein!« Es war eine junge Negerin in einem blauen Überwurf, der bis zur Hälfte ihrer Schenkel reichte. Sie setzte sich nun auf den Boden und streckte ihre gefalteten Hände gegen mich; und ich sah, daß auf ihren nackten Armen Peitschenstriemen waren. »Wer hat dir das getan?« fragte ich sie. Sie antwortete nicht und zitterte an allen Gliedern. Sie verstand mich nicht und fragte sich vielleicht, ob auch ich sie mißhandeln wolle.

Ganz sachte schob ich ihr Kleid zur Seite und sah, daß auch ihr Rücken wund war. Ich wusch sie. Aber sie flüchtete, entsetzt von dieser Güte, unter den Tisch meiner Hütte. Ich hatte Tränen in den Augen. Ich versuchte, sie zu rufen. Aber ihre Blicke, wie die einer geschlagenen Hündin, flohen mich.

Ich hatte da ein paar Kartoffeln und ein wenig Butter. Ich zerdrückte sie mit einem Holzlöffel in einem Napfe, machte eine Brühe davon und stellte sie in einiger Entfernung von der Hingekauerten auf den Boden hin. Dann zündete ich mir meine Pfeife an. Aber wie groß war mein Erstaunen, als sie plötzlich auf allen vieren zu einer Ecke der Stube kroch, wo ich ein paar Blumen liegengelassen hatte. Sie richtete sich jäh auf und griff mit einer lebhaften Bewegung danach.

Seit jenem Abenteuer mochten etwa hundertfünfzig Jahre vergangen sein, als ich ihr von neuem begegnete. Ich wenigstens war davon überzeugt, daß sie es war. Es war im peruanischen Speisehause in Bordeaux. Sie wischte hier an dem Glase eines mürrischen Studenten, der gefunden hatte, es sei nicht sauber genug.


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