Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Washington Irving

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Bei all seiner Herzhaftigkeit hatte diese Einsamkeit etwas Niederschlagendes für ihn, und er fühlte seinen Muth in sich sinken, als er auf seinem harten Bette lag und im Zimmer umherblickte. Er erinnerte sich seines müßigen Lebens, seiner ungewissen Aussichten, und stieß dann und wann einen tiefen Seufzer aus, wenn ihm seine arme alte Mutter einfiel; denn es gibt nichts, das über das heiterste Gemüth düsterere Schatten werfen könnte, als die Stille und das Schweigen der Nacht. Auf einmal glaubte er, einen Ton zu hören, als ob Jemand unten ginge. Er lauschte und hörte deutlich etwas auf der großen Treppe gehen. Es kam langsam und feierlich näher – trap – trap – trap! Offenbar war es der Tritt eines gewichtigen Menschen, und wie war dieser in das Haus gekommen, ohne Geräusch zu machen? Dolph hatte alle Schlösser und Riegel genau untersucht, und war überzeugt, daß jeder Eingang fest verschlossen war. Die Tritte kamen immer näher, trap – trap – trap! Es war klar, daß der sich Nähernde kein Räuber sein konnte, denn sein Tritt war zu laut und bedächtig; ein Räuber würde entweder leiser oder schneller gegangen sein. Und nun war es die Treppe herauf: die Tritte tönten langsam auf dem Flure wider, und schallten durch die schweigenden, leeren Gemächer. Selbst die Grille hatte ihren melancholischen Gesang eingestellt, und nichts unterbrach der Tritte schauerliche Deutlichkeit. Die Thüre, welche inwendig verschlossen war, ging langsam von selbst auf. Die Tritte kamen in das Zimmer, aber Niemand war zu sehen. Sie schritten langsam und hörbar durch dasselbe – trap – trap – trap! aber was den Ton hervorbrachte, blieb unsichtbar. Dolph rieb sich die Augen und starrte um sich her; er konnte jeden Theil der schwach erleuchteten Stube übersehen; Alles war leer: und doch hörte er stets diese geheimnißvollen Fußtritte feierlich in der Stube umherschreiten. Sie hörten auf, und Alles war todtenstill. Es war etwas ungleich Furchtbareres in diesem unsichtbaren Besuche, als in Allem gewesen wäre, das sich den Augen hätte darbieten können. Es war schauerlich, gestaltlos und unbestimmt. Er fühlte sein Herz gegen seine Rippen schlagen; ein kalter Schweiß rann über seine Stirn; er lag eine Zeitlang in heftiger Bewegung; es ereignete sich jedoch nichts, das seine Besorgniß hätte steigern können. Sein Licht brannte nach und nach in den Leuchter hinein, und er schlief ein. Als er erwachte, war es heller Tag: die Sonne schien durch die Spalten der Fensterladen, und die Vögel sangen fröhlich um das Haus her. Der klare, heitere Tag verscheuchte bald alle Schrecken der vergangenen Nacht. Dolph lachte, oder versuchte vielmehr über alles das zu lachen, was geschehen war, und suchte sich zu überreden, daß Alles nur ein Spiel der Phantasie gewesen sei, welche von den Geschichten, die er gehört hatte, aufgeregt worden; allein er ward etwas betroffen, als er die Thüre seines Zimmers von innen verschlossen fand, während er sie doch ganz deutlich hatte aufgehen sehen, als die Fußtritte in das Zimmer kamen. Er kehrte in bedeutender Verwirrung nach der Stadt zurück; beschloß aber, durchaus nichts von der Sache zu erwähnen, bis seine Zweifel durch eine zweite Nachtwache entweder bestätigt oder widerlegt worden wären. Sein Stillschweigen brachte über alle die Klatschwestern, welche sich an des Doctors Hausthüre versammelt hatten, eine schmerzliche Täuschung. Sie waren darauf gespannt, schreckliche Geschichten zu hören; und kamen beinahe in Wuth, als er versicherte, daß er nichts zu erzählen habe.

In der nächsten Nacht wiederholte also Dolph seine Nachtwache. Er betrat nun das Haus mit einigem Beben. Mit besonderer Aufmerksamkeit untersuchte er die Schlösser an allen Thüren und verwahrte sie gehörig. Er verschloß die Thüre seines Zimmers und setzte einen Stuhl dagegen; als er dann sein Abendbrod verzehrt hatte, warf er sich auf seine Matratze und suchte zu schlafen. Allein dieß war vergebens: tausend Phantasieen erhielten ihn wach. Die Zeit schwand langsam dahin, als ob Minuten sich zu Stunden ausspännen. Als die Nacht fortrückte, gerieth er in eine immer fieberhaftere Bewegung, und sprang beinahe von seinem Lager auf, als er den geheimnißvollen Fußtritt wieder auf der Treppe hörte. Es kam herauf, feierlich und langsam wie vorher, trap – trap – trap! Es kam heran über die Flur; die Thüre flog abermals auf, als ob kein Schloß oder irgend ein anderes Hinderniß da gewesen wäre, und eine sonderbar aussehende Gestalt schritt in das Zimmer. Es war ein ältlicher Mann, groß und stark, nach alter flamändischer Art gekleidet. Er trug eine Art kurzen Mantel, mit einem Kleide darunter, über den Hüften gegurtet; Pludderhosen mit großen Bauschen oder Schleifen an den Knieen; und rothbraune, oben sehr breite Stiefel, die weit von seinen Beinen abstanden. Sein Hut war breit und herabgekrempt, und eine Feder schwankte über die eine Seite. Sein eisgraues Haar hing in dichten Massen auf seinen Hals hinab; dabei hatte er einen kurzen greisen Bart. Er ging langsam rund im Zimmer umher, als ob er untersuchen wolle, ob Alles sicher sei; hing dann seinen Hut an einem Haken neben der Thüre, setzte sich in den Lehnstuhl, und den Elbogen auf den Tisch lehnend, sah er Dolph mit unverwandten, tödtenden Blicken an.

Dolph war von Natur nicht feig; aber er war in dem unbedingten Glauben an Kobolde und Geister erzogen worden. Tausend Geschichten, die er von diesem Gebäude gehört hatte, schwärmten in seinem Kopfe, und während er diesen sonderbaren Mann, seine seltsame Kleidung, sein bleiches Antlitz und sein starres, fischartiges Auge sah, begannen seine Zähne zu klappern, sein Haar sträubte sich auf dem Haupte empor, und ein kalter Schweiß rann über seinen ganzen Körper hinab. Wie lange er in dieser Lage geblieben, konnte er nicht sagen, denn er war wie ein Verzauberter. Er konnte seine Blicke von dem Gespenste nicht abwenden; sondern lag und starrte es an, mit allen seinen Gedanken in Betrachtung versunken. Der alte Mann blieb hinter dem Tische sitzen, ohne sich zu bewegen, oder nur das Auge abzuwenden, und hielt beständig den todtenstarren Blick auf Dolph geheftet. Endlich schlug der Haushahn auf einer benachbarten Meierei die Flügel, und krähte laut und fröhlich, daß es über die Felder hin ertönte. Bei dem Ton erhob sich der alte Mann langsam, und nahm seinen Hut von dem Haken herab; die Thür öffnete sich und schloß sich wieder hinter ihm: man konnte ihn langsam die Treppe hinuntergehen hören, trap – trap – trap! – und als er unten war, wurde Alles wieder still. Dolph lag und horchte eifrig, zählte jeden Tritt, horchte und horchte, ob die Schritte zurückkehrten, bis er, durch Wachen und innere Bewegung erschöpft, in einen unruhigen Schlummer verfiel.

Das Tageslicht brachte wieder neuen Muth und Zuversicht. Er würde gern Alles, was vorgegangen war, als einen bloßen Traum betrachtet haben; allein dort stand noch der Stuhl, in welchem der Unbekannte gesessen hatte; dort war der Haken, an den er seinen Hut gehängt; und dort war die Thür, genau so, wie er sie verschlossen hatte mit dem Stuhl, den er dagegen gesetzt. Er eilte die Treppe hinunter und untersuchte die Thüren und Fenster; Alles war genau in demselben Zustande, wie er es verlassen, und durchaus kein Ein- und Ausgang, zu dem ein lebendes Wesen herein oder durch den es hinausgegangen sein konnte, ohne eine Spur hinter sich zu lassen. »Pah!« sagte Dolph zu sich selbst, »es war alles ein Traum:« – aber das wollte nichts helfen; je mehr er sich bemühte, den Vorgang aus seinem Gedächtniß zu verbannen, desto mehr verfolgte er ihn.

Obgleich er über alles das, was er gesehen und gehört, in dem strengsten Stillschweigen verharrte, verriethen doch seine Blicke die unbehagliche Nacht, welche er zugebracht hatte. Es war augenscheinlich, daß unter dieser geheimnißvollen Zurückhaltung irgend etwas Wunderbares verborgen war. Der Doctor nahm ihn mit auf seine Studirstube, verschloß die Thüre, und suchte ihm nun ein umständliches und vertrauliches Geständniß abzulocken; er konnte nichts aus ihm herausbringen. Frau Ilse zog ihn bei Seite in die Speisekammer, allein sie hatte eben so wenig Glück; und Peter de Groodt hielt ihn eine ganze Stunde bei dem Knopfe, und zwar auf dem Kirchhofe, dem besten Platze, um einer Geistergeschichte auf den Grund zu kommen, ging aber darum um nichts klüger weg, als die Uebrigen. Es ist jedoch immer der Fall, daß eine verschwiegene Wahrheit ein Dutzend Lügen in Umlauf kommen läßt. Sie ist wie eine in eine Bank niedergelegte Guinee, welche ein Dutzend papierne Stellvertreter hat. Ehe der Tag vorüber war, wimmelte auch schon die Nachbarschaft von Gerüchten. Einige sagten, Dolph Heyliger habe in dem Spukhause mit Pistolen, die mit silbernen Kugeln geladen gewesen wären, gewacht; Andere, er habe ein langes Gespräch mit einem Gespenste ohne Kopf gehalten, Andere, der Doctor Knipperhausen und der Küster seien die Straße von der Meierei hinunter bis zur Stadt von einer Legion Geister ihrer Kunden verfolgt worden. Einige schüttelten ihre Köpfe und hielten es für sehr schlecht von dem Doctor gehandelt, Dolph allein in dem schrecklichen Hause die Nacht zubringen zu lassen, wo er, Gott weiß wohin, weggehext werden könne; während Andere mit Achselzucken meinten, daß, wenn der Teufel den Burschen hole, dieß nur heiße, sich das Seinige nehmen.

Diese Gerüchte erreichten endlich auch das Ohr der guten Frau Heyliger, und verursachten ihr, wie man leicht denken kann, eine gewaltige Unruhe. Denn wenn sich ihr Sohn der Gefahr eines Angriffs lebendiger Feinde ausgesetzt hätte, so würde das in ihren Augen weit weniger schrecklich gewesen sein, als es zu wagen, allein die Schrecken des Spukhauses zu bestehen. Sie eilte in des Doctors Haus und brachte einen großen Theil des Tages damit zu, Dolph abzurathen, seine Nachtwache zu wiederholen; sie erzählte ihm eine Menge Geschichten, die sie so eben von ihren Klatschgevatterinnen gehört hatte, von Leuten, welche entführt worden waren, wenn sie in alten verfallenen Häusern gewacht hatten. Es war alles ohne Erfolg. Dolph's Stolz so wie seine Neugierde waren zu rege. Er suchte seine Mutter zu beruhigen, und versicherte sie, daß an all den Gerüchten, die sie gehört habe, kein wahres Wort sei. Sie sah ihn zweifelhaft an und schüttelte den Kopf; da sie aber fand, daß sein Entschluß unerschütterlich sei, brachte sie ihm eine dicke holländische Bibel mit metallenen Klausuren, die er mitnehmen solle, als ein Schwert wider die Mächte der Finsterniß; und im Falle diese nicht hinreichend sein sollte, gab ihm die Haushälterin noch den Heidelberger Katechismus als Dolch mit.

In der nächsten Nacht schlug also Dolph sein Quartier zum dritten Male in dem alten Hause auf. Ob nun Traum oder nicht, dasselbe wiederholte sich abermals. Gegen Mitternacht, als Alles still war, hallte derselbe Ton in den öden Hallen wieder – trap – trap – trap! abermals kam es die Treppe herauf; die Thüre ging abermals von selbst auf; der alte Mann trat ein; ging im Zimmer umher; hing seinen Hut an den Haken und setzte sich an den Tisch. Den armen Dolph überfiel dieselbe Furcht und Angst, jedoch nicht in so heftigem Grade. Er lag eben so, wie vorher da, bewegungslos und bezaubert, und starrte die Gestalt an, welche, wie früher, ihn mit einem erstorbenen, starren, sein Innerstes durchkältenden Blicke betrachtete. So blieben Beide eine lange Zeit einander gegenüber, bis nach und nach Dolph's Muth zu erwachen begann. Dieses Wesen, todt oder lebendig, hatte gewiß bei seinem Besuche einen Zweck, und er erinnerte sich, gehört zu haben, daß Geister nicht eher reden dürfen, als bis sie angesprochen werden. Er nahm also seine Entschlossenheit zusammen, und nachdem er zwei oder drei Versuche gemacht, ehe er seine Zunge in Bewegung setzen konnte, richtete er seine Rede an den Unbekannten mit der feierlichsten Beschwörungsformel, deren er sich nur erinnern konnte, und fragte ihn: was der Grund seines Besuches sei.

Kaum hatte er ausgesprochen, so stand der alte Mann auf, nahm seinen Hut von der Wand herab, die Thür öffnete sich, und er schritt hinaus, wobei er, indem er über die Schwelle trat, auf Dolph zurückblickte, als ob er erwarte, daß dieser ihm folgen werde. Der Jüngling zögerte keinen Augenblick. Er nahm das Licht in die Hand, die Bibel unter den Arm, und gehorchte der stillschweigenden Aufforderung. Das Licht warf einen schwachen, ungewissen Schimmer umher; doch konnte er deutlich die Gestalt vor sich sehen, wie sie langsam die Treppe hinabging. Er folgte zitternd. Als sie am Fuße der Treppe angekommen war, wandelte sie durch den Saal hindurch und nach der Hinterthüre des Gehöftes. Dolph hielt das Licht über das Geländer; aber in seiner Begierde, den Unbekannten nicht aus den Augen zu verlieren, bewegte er die dünne Kerze so schnell, daß sie erlosch. Die blassen Strahlen des Mondes, welche durch ein schmales Fenster hereinfielen, leuchteten (jedoch hell genug), daß er nahe an der Thüre noch ein ungewisses Bild der Gestalt im Auge hatte. Er ging deßhalb die Treppe hinab und wandte sich nach dem Orte hin; als er aber dorthin gekommen, war der Unbekannte verschwunden. Die Thüre blieb fest verriegelt und verrammelt; es war kein anderer Ausgang vorhanden, und doch war das Wesen, welcher Art es auch sein mochte, verschwunden. Er riegelte die Thür auf, und blickte in das Freie hinaus. Es war eine neblige, mondhelle Nacht, so daß man in einiger Entfernung die Gegenstände unterscheiden konnte. Er glaubte, den Unbekannten auf einem Fußsteige zu sehen, der von der Thür abführte. Er täuschte sich nicht; aber wie war er aus dem Hause gekommen? Er hielt sich nicht auf mit Ueberlegen, sondern folgte. Der alte Mann wandelte mit gemessenem Schritte, ohne sich umzusehen, und seine Fußtritte schallten auf dem harten Grunde. Er ging durch den Apfel-Baumgarten, der nahe am Hause war, immer den Fußsteig einhaltend. Dieser führte zu einem Brunnen, welcher die Meierei mit Wasser versah. Gerade an diesem Brunnen verlor Dolph die Gestalt aus dem Gesicht. Er rieb sich die Augen und blickte wieder hin, aber es war nichts von dem Unbekannten zu sehen. Er trat an den Brunnen, aber Niemand war da. Die ganze Umgegend war frei und leicht zu übersehen: weder ein Busch, noch sonst ein Schlupfwinkel war da. Er blickte in den Brunnen hinein und sah in einer großen Tiefe den Widerschein des Himmels in dem stillen Wasser. Nachdem er hier einige Zeit verweilt, ohne von seinem geheimnißvollen Führer etwas gesehen oder gehört zu haben, kehrte er voll Grauen und Erstaunen nach dem Hause zurück. Er verriegelte die Thüre und tappte zu seinem Bette hin, und es dauerte lange Zeit, ehe er einschlafen konnte.

Seine Träume waren abenteuerlich und verworren. Es dünkte ihn, als folge er dem alten Mann an dem Ufer eines großen Flusses hin, bis sie zu einem Schiffe kamen, welches so eben unter Segel gehen wollte; und daß sein Führer ihn an Bord brachte und dann verschwand. Er erinnerte sich des Befehlshabers des Schiffes, eines kleinen, schwärzlichen Mannes, mit schwarzem, krausem Haar, der auf dem einen Auge blind und an dem einen Fuße lahm war; der übrige Theil seines Traumes war aber äußerst verworren. Zuweilen segelte er; zuweilen war er wieder am Lande; jetzt mitten in Sturm und Ungewitter und jetzt ruhig auf unbekannten Straßen wandelnd. Die Gestalt des alten Mannes mischte sich indessen ganz wunderbar in alle Ereignisse des Traumes, und das Ganze endigte deutlich damit, daß er sich wieder am Bord des Schiffes und auf der Heimreise befand, mit einem großen Sack voll Geld!

Als er erwachte, zeigten sich die grauen, kalten Dämmerungsstreifen am Horizont, und die Hähne verkündigten in der ganzen Gegend, von Hof zu Hof, den Morgen. Er stand wüster und verwirrter als je auf. Er war eigenthümlich zerstört durch Alles, was er gesehen und geträumt hatte, und fing an zu zweifeln, ob nicht sein Verstand gelitten habe, und ob nicht das, was in seinem Geiste vorgehe, nur Fieberphantasieen wären. In seinem jetzigen Gemüthszustande fühlte er durchaus keine Lust, unmittelbar zu dem Doctor zurückzukehren und sich von den Hausleuten hin und her befragen zu lassen. Er hielt daher ein kärgliches Frühstück von den Ueberbleibseln des gestrigen Abendessens, und wanderte auf die Felder, um über alles das nachzudenken, was ihm begegnet war. In Gedanken verloren, irrte er umher, sich allmählich der Stadt nähernd, bis der Morgen weit vorgeschritten war, als er durch Lärm und Getöse um sich her aufgeschreckt wurde. Er sah sich dicht am Wasser unter einem Haufen Volkes, welcher sich nach einem Hafendamme hindrängte, von wo aus ein Schiff so eben unter Segel gehen wollte. Unbewußt ward er mit dem Haufen fortgerissen, und fand, daß es eine Schaluppe war, die eben den Hudson hinauf nach Albany gehen wollte. Da gab es Abschiednehmen und Küssen von alten Frauen und Kindern, und große Thätigkeit, Körbe mit Brod und Kuchen, so wie Lebensmittel aller Art an Bord zu bringen, ungeachtet der mächtigen Fleischstücke, die von dem Hintertheil des Schiffes herabhingen; denn eine Reise nach Albany war damals eine große Unternehmung. Der Befehlshaber der Schaluppe tummelte sich umher und gab eine Menge Befehle, auf welche eben nicht sehr geachtet wurde; denn Einer zündete sich so eben seine Pfeife an, und ein Anderer schliff sein Schiffsmesser.

Die Gestalt des Befehlshabers zog auf einmal Dolph's Aufmerksamkeit auf sich. Er war klein und von gebräunter Gesichtsfarbe, mit krausem, schwarzem Haar; blind auf einem Auge und lahm auf einem Beine – derselbe Befehlshaber, den er im Traume gesehen hatte! Ueberrascht und betroffen, sah er sich genauer um, und erinnerte sich immer mehrerer einzelner Umstände aus seinem Traume: das Aussehen des Schiffes, des Flusses und einer Menge anderer Gegenstände schienen mit den dunkeln Bildern, die unbestimmt in seiner Erinnerung aufstiegen, übereinzustimmen.

Während er über alle diese Umstände sinnend da stand, rief ihm auf einmal der Capitän auf Holländisch zu: »kommt an Bord, junger Mann, oder Ihr bleibt hier!« Der Zuruf schreckte ihn auf; er sah, daß die Schaluppe gelichtet hatte und sich schon von dem Hafendamme entfernte; es war ihm, als ob er von einem unwiderstehlichen Drange getrieben würde; er sprang auf das Verdeck, und im nächsten Augenblicke flog die Schaluppe, von Wind und Fluth begünstigt, dahin. Dolph's Gedanken und Gefühle waren in gänzlicher Aufregung und Verwirrung. Die Ereignisse, welche ihn kürzlich betroffen, hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, und er konnte nicht umhin, zu denken, es sei ein gewisser Zusammenhang zwischen seiner gegenwärtigen Lage und dem Traume der vergangenen Nacht. Es war ihm, als stehe er unter einer übernatürlichen Leitung; und er suchte sich durch einen seiner alten Lieblingsgrundsätze zu beruhigen, »daß, wie es auch gehen möge, Alles zu seinem Besten sei.« Einen Augenblick kam ihm wohl der Unwille des Doctors über seine schnelle Abreise, ohne Abschied genommen zu haben, in den Sinn, doch war dieß eine Sache von weniger Bedeutung; dann dachte er an den Kummer seiner Mutter über sein sonderbares Verschwinden, und dieser Gedanke gab ihm einen plötzlichen schmerzhaften Stich; er hätte gern gebeten, daß man ihn an das Land setzen möchte; aber er wußte, daß bei solchem Winde und solcher Fluth die Bitte vergeblich gewesen wäre. Dann kam die begeisternde Liebe zur Neuheit und zu Abenteuern in voller Fluth über seine Brust; er sah sich auf sonderbare Weise plötzlich in die Welt hineingeworfen, und auf dem Wege, die wunderbaren Gegenden zu erforschen, welche an diesem mächtigen Strome hinauf, und jenseit der blauen Berge lagen, die seit der Kindheit seinen Gesichtskreis begrenzt hatten. Während er in diesem Wirbel von Gedanken verloren war, spannte der Wind die Segel; die Ufer schienen an ihm vorüber zu fliegen; und ehe er seine Besinnung ganz wieder erhielt, war die Schaluppe schon bei dem Spikingdevil und den Yonkers vorbei, und der höchste Schornstein der Manhattos seinem Blicke entschwunden.

Ich habe gesagt, daß eine Reise den Hudson hinauf in jenen Tagen ein Unternehmen von einiger Bedeutung war, ja man hielt es für eben so groß, als jetzt eine Reise nach Europa. Die Schaluppen waren oft mehrere Tage unterwegs; die vorsichtigen Schiffer zogen die Segel ein, wenn der Wind stark wurde, und gingen Nachts vor Anker; sie hielten an und schickten das Boot an das Land, um Milch zum Thee zu holen, ohne welchen die guten alten Damen, die sich als Passagiere an Bord befanden, nicht leben konnten. Und dann gab es da die vielbesprochenen Gefahren der Tappaan-Zee und der Hochlande. Kurz, ein weiser holländischer Bürger pflegte von einer solchen Reise Monate, ja sogar Jahre vorher, zu reden; und unternahm sie nie, ohne vorher seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, sein Testament zu machen und Gebete für sich in der niederländischen Kirche anstellen zu lassen.

Auf einer solchen Reise, dachte Dolph, würde er Zeit genug zum Nachdenken haben, um einen Entschluß fassen zu können, wann er in Albany angekommen sein würde. Der Capitän, mit seinem blinden Auge und seinem lahmen Beine, erinnerte ihn allerdings an seinen sonderbaren Traum, so daß er einige wenige Augenblicke gewaltig verlegen war; allein sein Leben war in der letzten Zeit ein so sonderbares Gemisch von Traum und Wirklichkeit, Tag und Nacht so sehr in Eins verschlungen, daß er beständig in einer Täuschung zu leben schien. Indessen gibt es immer eine Art Landstreicher-Trost, der darin besteht, daß man in dieser Welt nichts zu verlieren habe; damit stärkte Dolph sein Herz und beschloß, den gegenwärtigen Genuß so gut als möglich zu nützen.

Am zweiten Tag der Reise kamen sie an die Hochlande. Es war der letzte Theil eines ruhigen, schwülen Tages, als sie langsam mit der Fluth zwischen diesen düstern Bergen hinglitten. Es herrschte da die vollkommene Ruhe, in welche, bei der ermattenden Hitze eines Sommertages, die Natur versinkt; das Umdrehen einer Planke, oder das zufällige Niederfallen eines Ruders auf dem Verdecke, hallte von der Bergseite wieder und tönte lange an den Ufern hin; und wenn etwa der Capitän ein lautes Commandowort erschallen ließ, riefen tausend luftige Zungen es spottend von jeder Klippe nach.

Dolph blickte in stummem Entzücken und in Verwunderung auf diese Herrlichkeit der Natur. Zur Linken erhob der Dunderberg seine waldigen Klüfte, Höhe über Höhe, Wald über Wald, bis in den tiefen Sternenhimmel hinein. Zur Rechten sprang das Vorgebirge St. Antonius-Nase keck hervor, und ein einsamer Adler kreiste um dasselbe; während weiterhin sich Berg an Berg reihete, bis alle ihre Arme in einander zu verschlingen und den mächtigen Fluß in ihre Umarmungen aufzunehmen schienen. Es lag ein Gefühl ruhiger Wollust in dem Anblick der breiten, grünen Thäler, welche hie und da zwischen den Abgründen sich ausdehnten, oder der hoch in die Luft sich erhebenden Waldungen, welche über den Rand irgend einer kühn aufgethürmten Klippe hervorragten, während ihr Laub von den gelben Sonnenstrahlen ganz durchleuchtet wurde.

Inmitten seiner Bewunderung bemerkte Dolph eine Gruppe glänzender, schneeweißer Wolken, welche über die westlichen Höhen herüberblickte. Eine zweite und dritte folgten, von denen eine jede sich an die vorige anzuschließen und in blendendem Glanze an dem dunkelblauen Himmel sich aufzuthürmen schien; und nun hörte man einen dumpfen Donner hinter den Bergen rollen. Der Fluß, bisher ruhig und spiegelglatt, das Bild des Himmels und der Erde zurückwerfend, zeigte nun ein dunkles Kräuseln in der Entfernung, während der Wind langsam darüber anschwoll. Die Fischreiher kreisten und schrieen und suchten ihre Nester auf den hohen dürren Bäumen; die Krähen flüchteten krächzend in die Felsspalten, und die ganze Natur schien des herannahenden Ungewitters sich bewußt zu sein.

Die Wolken rollten sich nun in dichten Massen über die Berggipfel; ihre Spitzen noch glänzend und schneeweiß, der untere Theil aber von Rabenschwärze. Der Regen fing an, in einzelnen, großen Tropfen nieder zu fallen; der Wind ward stärker, und die Wellen kräuselten sich empor; endlich schien es, als ob die schweren Wolken von den Bergspitzen aufgerissen worden seien, und volle Regenströme kamen tosend herab. Aus allen Wolken leuchteten Blitze, schlängelten sich an den Felsen hin, und zerspalteten und zertrümmerten die stärksten Bäume des Waldes. Der Donner krachte furchtbar; von Berg zu Berg hallte sein Rollen wider, er tobte über den Dunderberg, rollte dann die lange Kette der Hochlande hinunter, wo jedes Vorgebirge ihn einzeln nachhallte, bis der alte Bullhill das Ungewitter zürnend zurückzutosen schien.

Eine Zeitlang entzog der fliegende Dunst und Nebel, so wie der Platzregen, die Gegend beinahe ganz dem Anblick. Es war eine furchtbare Düsterkeit, welche durch die einzelnen, zwischen den Regentropfen hindurchleuchtenden Blitzstrahlen noch furchtbarer wurde. Nie hatte Dolph einen so gewaltigen Kampf der Elemente gesehen; es schien, als ob das Ungewitter sich durch diese Bergschluchten einen Weg hindurchbahnen und brechen wolle, und das ganze Geschütz des Himmels dazu in Thätigkeit gesetzt habe.

Das Schiff ward von dem wachsenden Winde fortgetrieben, bis es an die Stelle kam, wo der Fluß eine plötzliche Wendung, die einzige in seinem ganzen majestätischen Laufe,Dieß muß die Krümmung bei der Westspitze gewesen sein. macht. Gerade, wie sie um die Spitze herumfuhren, wehte ein heftiger Windstoß aus einer Bergschlucht hervor, und machte, daß der Forst vor ihm erbebte, und der Fluß sich mit weißem Schaum bedeckte. Der Capitän sah die Gefahr, und befahl das Segel einzuziehen. Ehe dieser Befehl jedoch vollstreckt werden konnte, hatte der Wind schon die Schaluppe ergriffen und warf sie auf die Seite. Alles war nun Schrecken und Verwirrung: das Schlagen der Segel, das Pfeifen und Sausen des Windes, das Schreien des Capitäns und des Schiffsvolkes, das Wehklagen der Passagiere, Alles mischte sich mit dem Rollen und Krachen des Donners. Mitten in diesem Lärm richtete sich die Schaluppe wieder auf; in demselben Augenblicke fiel das große Segel, die Spier strich über die Schanze, und Dolph, der unbesorgt nach den Wolken blickte, sah sich plötzlich im Wasser zappelnd.

Einmal in seinem Leben war ihm also eine seiner Nebenbeschäftigungen von großem Nutzen. Die vielen Stunden, die er außer der Schule mit Schwimmen im Hudson zugebracht, hatten ihn zu einem geübten Schwimmer gemacht: bei all seiner Stärke und Geschicklichkeit konnte er jedoch nicht ohne große Anstrengung das Ufer erreichen. Sein Verschwinden von dem Verdecke war von dem Schiffsvolke, welches mit seiner eigenen Gefahr ganz beschäftigt war, nicht bemerkt worden. Die Schaluppe ward mit unglaublicher Schnelligkeit weiter getrieben. Sie hatte große Mühe um ein langes Vorgebirge an dem östlichen Ufer zu kommen, um welches der Fluß sich wendete, und welches sie Dolph's Blicken gänzlich entzog.

Es war an einer Spitze des westlichen Ufers, wo er endlich landete, die Felsen erklomm und sich nun, matt und erschöpft, am Fuße eines Baumes niederwarf. Allmählich ging das Ungewitter vorüber. Die Wolken zogen nach Osten hin, wo sie sich, von den letzten rosigen Strahlen der Sonne beschienen, in flockigen Massen anhäuften. Das ferne Spiel des Blitzes war noch an ihren dunkeln Untertheilen zu sehen, und zuweilen konnte man das schwache Murmeln des Donners hören. Dolph erhob sich und ging umher, um zu sehen, ob irgend ein Pfad vom Ufer abführe: Alles aber war wild und spurlos. Die Felsen waren auf einander gethürmt; große Baumstämme lagen zersplittert umher, wie die Stürme, welche über diese Berge hinziehen, sie umgestürzt hatten, oder wie sie, vom Alter entkräftet, darniedergesunken waren. Auch die Felsen waren mit wildem Wein und wilden Rosen bedeckt, die so in einander verwachsen waren, daß sie allen Zugang versperrten; jede Bewegung, die er machte, zog einen Regen von den tropfenden Blättern nach sich. Er versuchte, einen dieser beinahe senkrecht abhängenden Felsen zu erklimmen; allein, obgleich stark und behend, fand er ein herkulisches Unternehmen darin. Oft stand er nur noch auf bröckelnden Vorsprüngen des Felsens, dann hielt er sich wieder an Wurzeln und Zweigen und hing beinahe in der Luft. Die Waldtaube schwirrte dicht bei ihm vorüber, und der Adler schrie von der Spitze des überhangenden Felsens. Während er so emporklomm, und im Begriff war einen Strauch zu erfassen, um sich bei dem Aufsteigen zu helfen, rauschte etwas zwischen den Blättern, und er sah eine Schlange beinahe unter seiner Hand blitzschnell dahinschießen. Sie rollte sich fast unmittelbar in trotziger Stellung zusammen, mit plattem Kopfe, aufgesperrtem Rachen und schnell bewegter Zunge, welche wie eine Flamme um ihren Mund spielte. Dolph's Muth sank bei diesem Anblicke, und es fehlte nicht viel, so hätte er seinen Halt fahren lassen und wäre in die Tiefe hinabgestürzt. Die Schlange blieb indeß nur einen Augenblick in jener Stellung: es war eine instinctartige Bewegung der Vertheidigung; und da sie sich nicht angegriffen sah, glitt sie in eine Spalte des Felsens. Dolph's Auge folgte ihr mit banger Spannung; und er sah sogleich, daß er sich in der Nähe eines Nestes von Ottern befand, die verschlungen, durch einander sich bewegend und zischend in der Kluft lagen. Mit aller Eile suchte er einer so furchtbaren Nachbarschaft zu entkommen. Seine Einbildungskraft war voll von diesen neuen Schrecken; er sah in jeder Weinranke eine Schlange, und hörte in dem Rauschen eines jeden trockenen Blattes das Rasseln der Ringe einer Klapperschlange.

Endlich gelang es ihm, den Gipfel eines der Felsenabhänge zu erklimmen; allein er war mit einem dichten Walde bedeckt. Wo er zwischen den Bäumen hindurchblicken konnte, sah er, daß die Küste aus Höhen und Klippen bestand, von denen eine sich über der andern erhob, bis gewaltige Berge das Ganze überragten. Da waren keine Spuren von Anbau, zwischen den Bäumen kein Rauch, der auf das Dasein einer menschlichen Wohnung hätte schließen lassen. Alles war wild und einsam. Als er am Rande eines Abhanges stand, der über eine tiefe, mit Bäumen besetzte Schlucht hinüberragte, löste sich unter seinen Füßen ein großes Felsstück ab und rollte schmetternd durch die Baumwipfel in die Schlucht hinunter. Ein lautes Geschrei oder vielmehr Geheul tönte aus dem Grunde herauf; einen Augenblick nachher hörte er den Knall einer Flinte, und eine Kugel pfiff über seinen Kopf weg, zerschmetterte Zweige, schlug die Blätter darnieder und fuhr tief in die Rinde eines Kastanienbaumes.

Dolph wartete den zweiten Schuß nicht ab, sondern nahm eilig die Flucht, in beständiger Furcht, sich von dem Feinde verfolgt zu sehen. Indessen gelang es ihm, unangetastet an das Ufer zurück zu kommen, und er beschloß, nicht weiter in ein Land einzudringen, das mit so wilden Gefahren umgeben war.

Er setzte sich unaufhaltsam triefend auf einen feuchten Stein nieder. Was war zu thun? Wo sollte er eine Zuflucht suchen? Die Stunde der Ruhe näherte sich; die Vögel suchten ihre Nester auf, die Fledermaus begann im Zwielicht umher zu schwirren, und der Nachtfalk, der hoch am Himmel dahinflog, schien die Sterne hervorzurufen. Die Nacht brach allmählich an und hüllte Alles in Dunkel; und obgleich es in der letzten Hälfte des Sommers war, so war doch der Wind, welcher am Flusse und um die träufelnden Bäume wehte, frostig und durchdringend, besonders für einen halbertrunkenen Menschen.

Während er traurig und verzweiflungsvoll in dieser unbehaglichen Lage da saß, bemerkte er ein Licht durch die Bäume am Ufer schimmern, wo die Krümmung des Flusses eine tiefe Bucht machte. Es erfreute ihn mit der Hoffnung, daß hier eine menschliche Wohnung sein möchte, wo er vielleicht etwas, das die lauten Forderungen seines Magens befriedigte, und, was seiner schiffbrüchigen Lage eben so nöthig war, ein behagliches Obdach für die Nacht, finden könnte. Mit der größten Schwierigkeit bahnte er sich einen Weg nach dem Lichte an Felsschichten hin, an denen er in beständiger Gefahr schwebte, in den Fluß hinab zu gleiten, und über große Stämme umgestürzter Bäume, von denen einige von dem letzten Sturme entwurzelt worden waren, und die so dicht lagen, daß er sich durch ihre Aeste durchzukämpfen hatte. Endlich kam er an den Rand eines Hügels, der über eine kleine Schlucht hing, aus welcher das Licht herschien. Es kam von einem Feuer, das am Fuße eines großen Baumes angezündet war, welcher in der Mitte eines Rasens zwischen den Felsen stand. Das Feuer warf einen röthlichen Schein auf die grauen Klippen und die darüber hinhangenden Bäume, zwischen denen tiefe dunkle Spalten waren, welche Eingängen zu Höhlen glichen. Ein kleiner Bach, den der zitternde Widerschein der Flamme verrieth, rieselte dicht dabei. Zwei Gestalten bewegten sich um das Feuer, und andere hockten vor demselben. Da sie zwischen ihm und dem Lichte waren, standen sie ganz im Schatten: als aber die eine sich zufällig nach der andern Seite hinwandte, erschrak Dolph, denn bei der vollen Flamme, die auf sein bemaltes Gesicht schien und sich in den silbernen Zierrathen spiegelte, konnte er sehen, daß es ein Indianer war. Er sah nun genauer hin, und erblickte Gewehre an einen Baum gelehnt und eine Leiche, die am Boden lag.

Dolph fing an zu zweifeln, ob er nicht schlimmer daran sei, als vorher; hier war offenbar der Feind, der von der Schlucht aus nach ihm geschossen hatte. Er suchte sich deßwegen in aller Stille zu entfernen, da er sich diesen Halbmenschen doch, an einem so wilden, einsamen Orte, unmöglich anvertrauen konnte. Allein dieß war zu spät: der Indianer hatte, mit dem bei seinem Geschlecht so bemerkenswerthen Adlerblick, etwas in dem Gebüsch am Felsen sich bewegen gesehen: er ergriff eine von den Flinten, welche gegen den Baum gelehnt standen; ein Augenblick noch, und Dolph's Neigung zu Abenteuern wäre durch eine Kugel geheilt gewesen. Er rief laut den indianischen Freundschaftsgruß; der ganze Haufe sprang auf die Füße: der Gruß ward erwiderte, und der Flüchtling eingeladen, sich zu ihnen an das Feuer zu setzen.

Als er näher kam, fand er zu seiner Beruhigung, daß die Gesellschaft aus Weißen sowohl als aus Indianern bestand. Einer davon, der offenbar die Hauptperson oder der Befehlshaber war, saß auf einem Baumstamm vor dem Feuer. Es war ein großer, starker Mann, schon ziemlich bei Jahren, aber kräftig und rüstig. Sein Gesicht war beinahe zu der Hautfarbe der Indianer gebräunt: er hatte starke, aber ziemlich freundliche Züge, eine Habichtsnase und einen Mund wie der eines Bullenbeißers geformt. Sein Gesicht war von einem breitkrempigen Hut, mit einem Rehbocksschwanze daran, halb beschattet. Sein graues Haar hing kurz auf dem Nacken. Er trug einen Jagdrock, indianische Beinkleider und Mocasins und ein Tomahawk in dem breiten Wampumgürtel um die Hüften. Als Dolph seine Gestalt und Züge genauer betrachtete, fiel ihm einiges auf, das ihn an den alten Mann in dem Spukhause erinnerte. Der Mann vor ihm unterschied sich jedoch sowohl durch die Kleidung, als durch sein Alter: er war auch heiterer von Ansehen, und es war schwer, zu bestimmen, worin die ungewisse Aehnlichkeit lag; aber eine Aehnlichkeit war gewiß da. Dolph fühlte einige Scheu, als er sich ihm näherte, ward indessen durch die offene, herzliche Bewillkommung, mit der er empfangen ward, bald ermuthigt. Als er die Augen um sich her warf, fühlte er seinen Muth noch mehr wachsen, denn er sah, daß die Leiche, die ihm einigen Schrecken eingejagt, ein erlegter Hirsch war; und vollkommene Beruhigung gewährte es ihm, als er an dem kräftigen Geruch, der aus einem, an einem zackigen Stock über dem Feuer aufgehängten Kessel emporstieg, bemerkte, daß ein Theil davon zum Abendessen gekocht wurde.

Er fand nun, daß er auf eine Jagdgesellschaft gestoßen war; wie dergleichen damals von den am Flusse wohnenden Ansiedlern oft veranstaltet wurden. Der Jäger ist immer gastfrei; und nichts macht die Leute geselliger und zutraulicher, als wenn sie in einer Wildniß zusammentreffen. Der Anführer der Gesellschaft schenkte ihm einen Trunk belebenden Getränkes ein, das er ihm mit einem fröhlichen Lächeln hinreichte, um sein Herz zu erwärmen; und befahl sodann einem seiner Begleiter. einige Kleidungsstücke aus einem Jachtschiffe zu holen, welches in einer Bucht, nicht weit davon, vor Anker lag; während die triefenden Kleider, die unser Held auf dem Leibe trug, an dem Feuer getrocknet wurden.

Dolph fand, wie er vermuthet hatte, daß der Schuß aus der Schlucht, der ihm beinahe die ewige Ruhe gegeben hätte, als er auf dem Abhange stand, von einem dieser Jäger gekommen war. Er hätte mit dem Felsstück, das sich unter seinen Füßen abgelöst, beinahe einen aus der Gesellschaft erschlagen; und der muntere alte Jäger mit dem breiten Hute und dem Rehbockschwanze, hatte nach dem Orte hingefeuert, wo er das Gebüsch sich bewegen gesehen, in der Meinung, es sei irgend ein wildes Thier. Er lachte herzlich über den Irrthum, da er es für einen herrlichen Spaß unter Jägern ansah; »aber wahrhaftig, mein Bursche,« sagte er, »hätte ich nur etwas von Dir gesehen, um darnach zielen zu können, so wärst Du dem Felsstücke gefolgt. Anton Vander Heyden schießt bekanntlich selten fehl.« Diese letzten Worte befriedigten auf einmal Dolph's Neugier; uns einige wenige Fragen machten ihn vollkommen mit dem Charakter des Mannes, den er vor sich hatte, und mit dem von seiner ganzen Schaar von Buschkleppern bekannt. Der Anführer mit dem breitkrempigen Hute und dem Jagdrocke war Niemand anders, als Herr Anton Vander Heyden, aus Albany, von dem Dolph oft gehört hatte. Er war in der That der Held mancher Erzählung, da er ein Mann von gar sonderbaren Launen und seltsamen Gewohnheiten war, über die seine ruhigen holländischen Nachbarn sich gar sehr verwunderten. Da er ein vermögender Mann war, denn er hatte von seinem Vater große Strecken wilden Landes und ganze Fässer von Wampum geerbt, so konnte er seiner Laune ungestört nachleben. Statt ruhig zu Hause zu bleiben, zu regelmäßiger Zeit zu essen und zu trinken, seine Pfeife behaglich auf der Bank vor der Thüre zu rauchen, und dann sich am Abend in ein bequemes Bett zu legen, fand er an allen Arten von rauhen, wilden Unternehmungen Freude. Er war nie so glücklich, als auf einer Jagdparthie in der Wildniß, unter Bäumen oder in Hütten von Baumrinden schlafend, den Fluß hinunter, oder auf irgend einem See im Walde umherfahrend, fischend und schießend, und, Gott weiß wo, lebend.

Er war ein großer Freund der Indianer und der indianischen Lebensart, die er für wahre natürliche Freiheit und männliches Vergnügen hielt. Wenn er zu Hause war, hatte er immer einige Indianer bei sich, die sich um sein Haus umhertrieben, wie Hunde in der Sonne schlafend, oder Jagd- und Fischerzeug zu irgend einem neuen Ausfluge in Bereitschaft setzend, oder mit Pfeil und Bogen nach dem Ziele schießend.

Ueber diese Landstreicher übte Herr Anton eine so unbeschränkte Herrschaft aus, wie ein Jäger über seine Meute; für die ordentlichen Bewohner der Nachbarschaft waren sie aber eine große Last. Da er ein reicher Mann war, wagte es Niemand, ihm bei der Befriedigung seiner Launen etwas in den Weg zu legen; auch hatte er wirklich etwas Herzliches, Fröhliches an sich, das ihn allgemein beliebt machte. Wenn er die Straße hinunterging, brummte er ein holländisches Lied, rief Jeden an, wenn er noch eine halbe Meile von ihm war, und wenn er in ein Haus eintrat, schlug er den Hausvater vertraulich auf den Rücken, drückte ihm die Hand, daß er laut aufschrie, und küßte seine Frau und Töchter vor seinen Augen – kurz, Herr Anton hatte weder Stolz noch Griesgram an sich.

Außer seinen indianischen Begleitern, hatte er noch drei oder vier demüthige Freunde unter den Weißen, welche ihn als einen Gönner ansahen, seine Küche genau kannten, und von ihm gelegentlich auf seinen Ausflügen mitgenommen wurden. Mit einem gemischten Haufen dieser Art, war er jetzt auf einem Kreuzzuge auf dem Hudson, an den Ufern desselben hin, begriffen, und bediente sich dabei eines Jachtschiffes, welches er zu seiner Belustigung hielt. Es waren zwei weiße Männer bei ihm, die zum Theil nach indianischer Art gekleidet waren, mit Mocasins und Jagdhemden; seine übrige Begleitung bestand aus vier Lieblings-Indianern. Sie waren auf dem Flusse hingefahren, ohne irgend einen bestimmten Zweck, bis sie sich in den Hochlanden befanden, wo sie schon zwei oder drei Tage zugebracht und Hirsche jagten, welche sich noch in diesen Bergen hielten.

»Es ist ein glücklicher Umstand, junger Mann,« sagte Anton Vander Heyden, »daß Ihr zufällig heute über Bord geschleudert wurdet; denn morgen bei Zeiten kehren wir wieder nach Hause zurück; und Ihr würdet Euch dann vergebens in diesen Bergen nach einer Mahlzeit umgesehen haben – doch kommt, Bursche, rührt Euch! rührt Euch! laßt sehen, was es heute zu Abend gibt; der Kessel hat lange genug gesprüht; mein Magen knurrt; und ich wette, unser Gast hat nicht Lust, mit seinem Messer zu spielen.«

Nun gerieth in dem kleinen Lager Alles in Bewegung; Einer nahm den Kessel vom Feuer, und leerte einen Theil seines Inhalts in eine große hölzerne Schüssel aus. Ein Anderer machte ein plattes Felsstück zum Tisch zurecht, während ein Dritter mehreres Geräth aus der naheliegenden Jacht brachte; Herr Anton selbst aber holte ein oder zwei Flaschen trefflichen Getränks aus seinem Flaschenfutter, da er seine Spießgesellen zu gut kannte, um einem von ihnen den Schlüssel anzuvertrauen.

Eine einfache, aber kräftige Mahlzeit war bald aufgetragen; sie bestand aus dem Wilde, das rauchend aus dem Kessel kam, kaltem Speck, gekochtem türkischen Weitzen und gewaltigen Stücken guten schwarzen hausbackenen Brodes. Nie hatte Dolph eine köstlichere Mahlzeit gehalten; und als er sie durch zwei oder drei Züge aus Herrn Antons Flasche hinuntergespühlt hatte, und nun fühlte, wie des kräftigen Trunkes Feuer sich durch alle seine Adern verbreitete und sein Herz erwärmte, hätte er nicht mit dem Statthalter der Provinz tauschen mögen.

Auch Herr Anton ward ganz munter und fröhlich und erzählte ein halbes Dutzend derber Geschichten, bei denen seine weißen Begleiter unmäßig lachten, obgleich die Indianer, wie gewöhnlich, einen unerschütterlichen Ernst beobachteten.

»Das ist das wahre Leben, lieber Junge!« sagte er, indem er Dolph auf die Schulter schlug: »ein Mann ist nie ein Mann, bis er Wind und Wetter Trotz bieten, durch Wald und Flur streifen, unter einem Baume schlafen, und von Lindenblättern leben kann!«

Und nun sang er eine oder zwei Strophen eines holländischen Trinkliedes, eine kurze dicke holländische Flasche in der Hand schwingend, wobei seine Genossen im Chor einstimmten, bis die Wälder davon widerhallten, wie es in dem guten alten Liede heißt:

Sie jubelten all', daß es weitum erscholl,
    Sobald die Kirche geschlossen:
Zum Schmause gings froh nun und starke Wein'
    In rüstige Kehlen sie gossen.

Mitten in dieser Lust verlor jedoch Herr Anton die Vorsicht nicht aus den Augen. Obgleich er Dolph die Flasche ohne Weiteres hinschob, sorgte er doch, seinen Begleitern selbst einzuschenken, da er in Hinsicht ihrer wohl wußte, mit wem er's zu thun hatte; besonders den Indianern gab er nur ein sehr bescheidenes Maaß. Nachdem das Mahl geendet war, und die Indianer getrunken und ihre Pfeifen geraucht hatten, wickelten sie sich in ihre Decken, streckten sich auf den Boden hin, mit den Füßen nach dem Feuer gekehrt, und schliefen wie eben so viele ermüdete Jagdhunde bald ein. Der übrige Theil der Gesellschaft schwatzte noch bei dem Feuer, welches die Dunkelheit des Waldes und die durch den letzten Sturm feucht gewordene Luft sehr angenehm und behaglich machte. Die Unterhaltung wurde allmählich nach der Heiterkeit des genossenen Mahles ruhiger, und wandte sich auf Jagdabenteuer und auf Unternehmungen und Gefahren in der Wildniß, von denen manche so sonderbar und unwahrscheinlich klangen, daß ich sie nicht wiedererzählen will, damit man die Wahrheitsliebe des Herrn Anton Vander Heyden und seiner Genossen nicht in Zweifel ziehen möge. So wurden auch manche Mährchen von dem Flusse und den Niederlassungen an seinen Ufern zum Besten gegeben, in welcher schätzbaren Kunde Herr Anton tief bewandert schien. Als der mannhafte Waidmann so auf einer knotigen Baumwurzel saß, die ihm zu einer Art Lehnstuhl diente, und diese schauerlichen Geschichten erzählte, während das Feuer seine starken Züge erhellte, kam Dolph mehrmals etwas in den Sinn, das ihn an die Erscheinung im Spukhause erinnerte; eine flüchtige Aehnlichkeit, welche sich nicht auf irgend einen bestimmten Zug zurückführen ließ, wohl aber im Allgemeinen in seinem Antlitz und in seiner Gestalt lag.

Da der Umstand, daß Dolph über Bord gefallen war, wieder erörtert wurde, gab dieß Gelegenheit zur Erzählung verschiedener Unglücksfälle und besonderer Fährlichkeiten, welche Reisenden auf diesem großen Flusse, vorzüglich in den früheren Zeiten der Colonie, zugestoßen waren, von denen Herr Anton die meisten geradezu übernatürlichen Ursachen zuschrieb. Dolph staunte über diese Behauptung; allein der alte Herr versicherte ihn, daß die am Flusse wohnenden Ansiedler allgemein den Glauben hätten, diese Hochlande stünden unter der Herrschaft übernatürlicher und schadenfroher Wesen, welche gegen die holländischen Colonisten in den frühesten Zeiten der Niederlassung einen gewissen Groll gefaßt zu habe schienen. Demzufolge hätten sie jederzeit ein besonderes Gefallen daran gefunden, ihre Tücke an den holländischen Schiffern auszulassen und ihr Müthchen an ihnen zu kühlen; sie durch Windstöße, widrige Winde, entgegengesetzte Strömungen und alle Arten von Hindernissen zu plagen, so daß ein holländischer Schifffahrer immer sehr vorsichtig und klug bei seiner Fahrt sein, am Abend vor Anker gehen, und seinen Mast niederlassen, oder das Segel einziehen müsse, sobald er eine schwere Wolke über die Berge herkommen sähe; kurz, er müsse so viele Vorkehrungen treffen, daß er oft eine unglaublich lange Zeit brauche, sich den Fluß hinauf zu quälen.

Einige, sagte er, glaubten, diese feindlichen Mächte der Luft seien böse Geister, welche die indianischen Zauberer in den frühern Zeiten der Provinz beschworen, um sich an den Fremden zu rächen, die sie aus dem Besitz ihrer Lande vertrieben hätten. Sie schrieben selbst ihren Bezauberungen das Mißgeschick zu, welches den berühmten Hendrik Hudson betroffen, als er so kühn diesen Fluß hinaufgesegelt, um den nordwestlichen Durchgang zu finden, und mit seinem Schiffe, wie er glaubte, auf den Grund gerieth; dieß sei, wie sie behaupten wollten, nichts mehr und nichts weniger als ein Werk derselben Zauberer gewesen, um zu verhindern, daß er in dieser Richtung nach China gelangte.

Der größere Theil indessen, bemerkte Herr Anton, setzten alle die außerordentlichen, mit der Schifffahrt auf diesem Strome verknüpften Umstände, und die Gefahren. in welche die Schiffe geriethen, auf Rechnung der Sage von dem »Sturmschiffe,« welches bei Point-no-point spuke. Als er sah, daß Dolph mit dieser Sage ganz unbekannt war, starrte er ihn einen Augenblick lang voll Ueberraschung an, und fragte verwundert, wo er gelebt habe, daß er über einen so wichtigen Punkt in der Geschichte so gänzlich ununterrichtet sei. Um nun den übrigen Theil des Abends zu verkürzen, erzählte er die Sage, so weit sein Gedächtniß reichte, mit denselben Worten, in welchen Mynheer Selyne, einer der frühern Dichter der Neuen-Niederlande, sie geschrieben hatte. Nachdem er also das Feuer geschürt, daß die Funken umhersprühten wie die eines kleinen Vulkans, setzte er sich behaglich in seiner Baumwurzel zurecht; und den Kopf zurücklegend und einige Augenblicke lang die Augen schließend, um sein Gedächtniß aufzufrischen, erzählte er folgende Sage,


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