Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Washington Irving

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Unterdessen wurden alle jene Mittel angewendet, welche darauf hinzielen, die Sinne zu bezaubern, die Gefühle zu erregen und das Herz in Zärtlichkeit aufzulösen. Don Ambrosio war Meister in den feinen Künsten der Verführung. Selbst seine Wohnung athmete die entnervende Luft der Sehnsucht und des Vergnügens. Hier, in halb beleuchteten Sälen und dämmernden Gemächern zwischen Orangen- und Myrthengebüschen, verschloß er sich zuweilen vor den spähenden Augen der Welt, und überließ sich ganz der Befriedigung seiner Vergnügungen.

Die Zimmer waren auf das kostbarste und üppigste ausgestattet; die seidenen Lager erhoben sich bei jeder Berührung, und sanken bei dem leisesten Druck in flaumiger Weiche zusammen. Gemälde und Bildsäulen versinnlichten alle irgend eine klassische Liebesdichtung; in der Behandlung sprach sich aber eine verrätherische Zartheit aus, welche, indem sie alle widrige Beleidigung der Sittsamkeit verbannte, nur desto mehr darauf berechnet war, die Einbildungskraft zu entflammen. Hier sah man den blühenden Adonis, nicht, wie er sich losriß, um der lärmenden Jagd zu folgen, sondern mit Blumen bekränzt und in den Umarmungen einer himmlischen Schönheit. Dort koste Acis mit seiner Galathea im Schatten, während das sizilische Meer in friedlicher Heiterkeit seinen Spiegel vor ihnen ausbreitete. Hier waren Gruppen von Faunen und Dryaden abgebildet, lässig in ihren Sommerlauben gelagert und auf die angenehmen Töne der Rohrflöte lauschend, oder üppige Satyrn, eine Waldnymphe während ihres Mittagsschlummers überraschend. Auch sah man auf der Tapete die keusche Diana, wie sie im geheimnißvollen Mondlichte leise heran trat, den schlafenden Endymion zu küssen, während Amor und Psyche, in unsterblichem Marmor verschlungen, den ersten Kuss der Liebe tauschten.

Die brennenden Strahlen der Sonne wurden von diesen balsamduftenden Hallen entfernt gehalten: sanfte, zärtliche Töne, von unsichtbaren Musikern hervorgebracht, hauchten ringsum in süßen Harmonien und schienen sich mit den Düften zu vermählen, welche Tausende von Blumen ausströmten. Des Abends, wenn der Mond sein Feenlicht über das Ganze verbreitete, erhoben sich zärtliche Serenaden aus den Lauben des Gartens, worin man die schöne Stimme Don Ambrosio's oft unterscheiden konnte; oder man hörte den Berg entlang den sanften Ton der Flöte, wie sie in ihren träumerischen Cadenzen die tiefe Seele der verliebten Schwermuth aushauchte.

Auch waren Unterhaltungen aller Art ersonnen, die Einsamkeit zu erheitern und den Gedanken an Einschließung zu verscheuchen. Gruppen andalusischer Tänzer führten in den glänzenden Sälen die verschiedenen malerischen Tänze ihres Landes oder kleine zärtliche Ballets auf, welche irgend eine liebliche Scene ländlicher Liebe und neidischer Eifersucht darstellten. Zuweilen erschienen auch Sänger, welche zu der romantischen Guitarre Lieder voll Leidenschaft und Zärtlichkeit sangen.

So forderte Alles um sie her zum Vergnügen und zur Lust auf; allein ihr Herz wandte sich mit Abscheu von diesen eitlen Blendwerken. Thränen traten in ihre Augen, wenn ihre Gedanken sich von diesen Auftritten verführerischen Glanzes zu ihrer niedrigen aber tugendhaften Heimath wandten, der man sie so verrätherisch entführt hatte; oder wenn die Zaubermacht der Musik sie ja einmal in eine zärtliche Träumerei versenkte, geschah dieß nur, um mit Liebe bei Antonio's Bilde zu verweilen. Wenn aber Don Ambrosio, von dieser vorübergehenden Ruhe getäuscht, in einem solchen Augenblicke einmal eine leise Andeutung seiner Leidenschaft versuchte, fuhr sie wie aus einem Traume empor, und schrak mit unwillkührlichem Schauder vor ihm zurück.

Sie hatte einen langen Tag in ungewöhnlicher Trauer zugebracht, und vergebens bot am Abend ein Haufe jener Miethlinge all die belebenden Künste des Gesanges und des Tanzes zu ihrer Erheiterung auf. Während der hohe Saal von ihren Tönen widerhallte, und der leichte Tritt der Füße auf dem marmornen Fußboden sich dem Takte des Gesanges anpaßte, fühlte die arme Inez, ihr Haupt in die seidenen Kissen verhüllend, auf denen sie lehnte, in diesen Klängen der Freude ihr Elend nur um so tiefer.

Endlich ward ihre Aufmerksamkeit durch die Stimme einer der Sängerinnen angezogen, welche unbestimmte Erinnerungen bei ihr erregte. Sie erhob ihr Haupt und warf einen forschenden Blick auf die Gruppe, die wie gewöhnlich sich am untern Ende des Saales befand. Eine von ihnen trat etwas näher. Es war ein Mädchen, in der phantastischen Schäferkleidung, welche sich zu der Rolle paßte, die sie darstellte; allein ihr Gesicht war nicht zu verkennen. Es war dieselbe Balladensängerin, welche ihr schon zweimal in den Weg getreten, und ihr geheimnißvolle Winke über das sie bedrohende Unheil gegeben hatte. Als die übrigen Darstellungen beendigt waren, ergriff sie ein Tambourin, schwang es hoch über dem Kopfe, und tanzte allein, nach der Melodie ihrer Stimme. Im Tanze näherte sie sich dem Lager, worauf Inez ruhte, und während sie das Tambourin schlug, warf sie ihr gewandt ein zusammengefaltetes Papier in den Schooß. Inez ergriff es mit Begierde, und verbarg es in ihrem Busen. Als Gesang und Tanz zu Ende waren und der bunte Haufe sich entfernte hatte, eilte Inez, sich selbst überlassen, das ihr so geheimnißvoll zugekommene Papier zu entfalten. Es war mit zitternder Hand in fast unleserlichen Zügen geschrieben und lautete: »Seid auf Eurer Hut! Ihr seid von Verrath umgeben. Traut Don Ambrosio's Zurückhaltung nicht: er hat Euch zu seiner Beute ausersehen. Ein schwaches Opfer seiner Treulosigkeit gibt Euch diesen Rath; es ist von zu vielen Gefahren umgeben, um sich deutlicher erklären zu können. – Euer Vater schmachtet in den Kerkern der Inquisition!«

Inez schwindelte, als sie dieses furchtbare Papier las. Es war weniger Angst über ihre eigene Gefahr, als Schauer über die Lage ihres Vaters, was sie erfüllte. In dem Augenblicke, wo Don Ambrosio erschien, sprang sie auf, warf sich zu seinen Füßen und flehte ihn an, ihren Vater zu retten. Don Ambrosio war betroffen; er faßte sich aber schnell wieder, und suchte sie durch seine Schmeichelworte und durch die Versicherung, daß ihr Vater wohlbehalten sei, zu beruhigen; allein Inez war nicht zu beruhigen; ihre Besorgnisse waren zu mächtig geworden, als daß sie durch Worte hätten gemildert werden können. Sie erklärte ihm, daß sie es wisse, ihr Vater sei ein Gefangener der Inquisition, und beschwor ihn auf's Neue, ihn zu retten.

Don Ambrosio schwieg, in der Ueberraschung der Verlegenheit, einen Augenblick; er war aber zu gewandt, um sich so leicht außer Fassung bringen zu lassen. »Daß Euer Vater ein Gefangener ist,« erwiederte er, »habe ich längst gewußt. Ich habe es Euch verschwiegen, um Euch vergebliche Angst zu ersparen. Ihr kennt jetzt die wahre Ursache, warum ich Euch Eurer Freiheit beraubt habe: es geschah, Euch zu schützen, nicht, Euch gefangen zu halten. Es ist Alles geschehen, Euren Vater zu retten; allein ich bedaure, Euch sagen zu müssen, daß die Beweise für die Verbrechen, deren man ihn beschuldigt, zu unumstößlich sind, um entkräftet werden zu können. Indessen,« fügte er hinzu, »steht es dennoch in meiner Macht, ihn zu retten; ich habe Einfluß, es stehen mir Mittel zu Gebote: die Anwendung derselben kann mir, es ist wahr, manche Unannehmlichkeiten zuziehen, ja vielleicht mich in ernste Bedrängnisse versetzen; aber was würde ich nicht thun, wenn ich hoffen dürfte, durch Eure Gunst mich belohnt zu sehen? Sprecht, schöne Inez,« sagte er, und seine Augen flammten von plötzlicher Begierde: »es steht bei Euch, das Wort auszusprechen, das über Eures Vaters Schicksal entscheidet. Sprecht nur eine freundliche Sylbe, daß Ihr mein sein wollt, und Ihr werdet mich zu Euren Füßen, Euren Vater in Freiheit und in Ueberfluß sehen, und wir Alle werden glücklich sein!«

Inez trat mit Verachtung und Mißtrauen von ihm zurück. »Mein Vater,« rief sie aus, »ist zu unschuldig und tadellos, als daß er eines Verbrechens überführt werden könnte: dies ist irgend ein schändlicher, grausamer Kunstgriff!« Don Ambrosio wiederholte seine Behauptungen und zugleich seine ehrlosen Anträge, allein seine Leidenschaft trieb ihn zu weit. Seine niedrigen Andeutungen erweckten Inez' Unwillen und Mißtrauen; und er entfernte sich, zurückgeschreckt und gedemüthigt von dem Stolze und der Würde, die sich auf einmal in ihrem Betragen aussprachen.

Die unglückliche Inez ward nun eine Beute der quälendsten Besorgnisse. Don Ambrosio erkannte, daß die Larve ihm vom Gesichte gefallen, und der Zweck aller seiner geheimen Anschläge klar geworden war. Er war zu weit gegangen, um einen Rückschritt zu thun, und abermals Zärtlichkeit und Ehrerbietung zu heucheln; allerdings kränkte und erbitterte ihn ihre Gleichgültigkeit gegen seine Vorzüge, und er suchte jetzt durch Erregung von Furcht seine Absichten zu erreichen. Er schilderte ihr täglich die Gefahren, welche ihren Vater bedrohten, und daß es nur in seiner Gewalt stehe, dieselben abzuwenden. Inez war noch immer ungläubig. Sie kannte die Inquisition zu wenig, um zu wissen, daß selbst die Unschuld nicht immer gegen ihre Grausamkeit schütze; und sie baute zu sehr auf die Tugend ihres Vaters, um zu glauben, daß irgend eine Anschuldigung gegen ihn begründet sein könne.

Endlich überreichte ihr Don Ambrosio, um ihrer Zuversicht einen wirksamen Schlag beizubringen, die Bekanntmachung des bevorstehenden Auto da Fé, worin die Gefangenen namhaft gemacht wurden. Sie warf ihr Auge darauf und fand den Namen ihres Vaters, wegen Zauberei zum Scheiterhaufen verdammt.

Einen Augenblick stand sie von Schrecken überwältigt da. Don Ambrosio suchte diesen vorübergehenden Zustand zu benutzen. »Bedenkt jetzt, schöne Inez,« sagte er mit dem Tone erheuchelter Zärtlichkeit, »noch ist sein Leben in Euren Händen: ein Wort von Euch, ein freundliches Wort, und ich kann ihn noch retten.«

»Ungeheuer! Elender!« rief sie aus, indem sie mit unüberwindlichem Abscheu von ihm zurückwich: »Du bist die Ursache von Allem – Du bist sein Mörder!« Dann, ihre Hände ringend, brach sie in Ausrufungen des leidenschaftlichsten Schmerzes aus.

Der verrätherische Ambrosio sah die Qualen ihrer Seele, und erwartete davon seinen Triumph. Sie war, wie er wohl bemerkte, bei dem jetzigen gereizten Zustande nicht in der Stimmung, seinen Worten Gehör zu geben; allein er hoffte, daß die Schauer des einsamen Nachdenkens ihren Stolz beugen und sie seinem Willen geneigt machen würden. Hierin sah er sich aber getäuscht. Die Uebergänge in dem Gemüthszustande der unglücklichen Inez waren mannigfach; bald umschlang sie seine Knie mit herzzerreißendem Flehen; bald fuhr sie mit krampfhaftem Schrecken bei seiner Annäherung zusammen; allein jede Erwähnung seiner Leidenschaft erregte nur dieselben Gefühle des Widerwillens und des Abscheues in ihr.

Endlich nahte der verhängnißvolle Tag heran. »Morgen,« sagte Don Ambrosio, als er sie Abends verließ. »morgen wird das Auto da Fé gehalten. Morgen werdet Ihr den Ton der Glocke hören, welche Eurem Vater zum Tode läutet. Ihr werdet beinahe den Rauch sehen können, welcher von seinem Scheiterhaufen emporsteigt. Ich überlasse Euch Eurem Nachdenken. Noch steht es in meiner Macht, ihn zu retten. Bedenkt, ob Ihr die Schrecken des morgenden Tages ohne Schauder werdet überstehn können. Bedenkt, ob Ihr den Gedanken werdet ertragen können, die Ursache seines Todes zu sein, und zwar bloß durch die Hartnäckigkeit, mit der Ihr ein angebotenes Glück von der Hand weiset.«

Welch eine Nacht für Inez! Ihr Herz erlag beinahe unter diesen wiederholten, endlosen Bedrängnissen; ihre Kraft verließ sie. Auf allen Seiten harrten ihrer unentfliehbare Schrecken: ihres Vaters Tod, ihre eigene Schande; hier schien kein Ausweg zwischen Elend und Verderben. »Ist denn keine Hülfe von Menschen – kein Mitleid im Himmel?« rief sie aus. »Was – was haben wir verbrochen, daß wir so gränzenlos elend werden sollen?«

Als die Morgendämmerung anbrach, stieg das Fieber ihres Gemüths beinahe zum Wahnsinn; tausendmal rüttelte sie an den Thüren und Fenstern ihres Gemaches, in der Hoffnung, entweichen zu können. Ach! bei all dem Glanze ihres Gefängnisses war es für ihre schwachen Hände zu sicher verwahrt, als daß diese sich einen Weg zur Freiheit hätten bahnen können. Wie ein armer Vogel, der seine Flügel gegen die Wände seines vergoldeten Käfigs anschlägt, bis er athemlos in Verzweiflung dahin sinkt, warf sie sich in hoffnungsloser Angst auf den Boden. Ihr Blut floß glühend in ihren Adern; ihre Zunge war trocken, alle Pulse schlugen heftig, sie keuchte mehr als sie athmete; ihr Gehirn schien wie von Flammen verzehrt. »Heilige Jungfrau!« rief sie aus, indem sie ihre Hände faltete und ihre Augen zum Himmel erhob, »blicke mitleidsvoll herab, und stehe mir in dieser furchtbaren Stunde bei!«

Gerade als der Tag anzubrechen begann, hörte sie leise einen Schlüssel in der Thüre ihres Zimmers drehen. Sie fürchte, es möchte Don Ambrosio sein; und schon der Gedanke an ihn benahm ihr die Besinnung. Es war ein Frauenzimmer in bäurischer Kleidung, das Gesicht durch die Mantilla verdeckt. Sie trat schweigend in das Zimmer, blickte vorsichtig umher, und ihr Gesicht enthüllend, zeigte sie die wohlbekannten Züge der Balladensängerin. Inez stieß einen Schrei der Ueberraschung, beinahe der Freude aus. Die Unbekannte trat erschrocken zurück, legte ihre Finger auf die Lippen, zum Zeichen des Schweigens, und winkte ihr, zu folgen. Sie hüllte sich eilig in ihren Schleier, und gehorchte. Sie gingen mit schnellen, aber geräuschlosen Schritten durch ein Vorzimmer, eilten einen geräumigen Saal und einen Gang entlang; Alles war still; die Hausbedienten lagen noch in tiefem Schlafe. Sie kamen an eine Thüre, in welche die Unbekannte einen Schlüssel steckte. Inez' Herz ergriff eine böse Ahnung: sie wußte nicht, ob nicht eine neue Verrätherei ihr drohe; sie legte ihre kalte Hand auf den Arm der Fremden, und sagte: »wohin führst Du mich?« – »In die Freiheit!« antwortete ihr diese flüsternd.

»Kennst Du die Gänge in diesem Hause?«

»Nur zu wohl!« antwortete das Mädchen mit einem schwermüthigen Kopfschütteln. Es lag ein Ausdruck trüber Wahrheit in ihrem Gesicht, dem man nicht mißtrauen konnte. Die Thüre öffnete sich auf eine kleine Terrasse, auf welche mehrere Fenster des Hauses hinausgingen.

»Wir müssen schnell hier hinüber gehen,« sagte das Mädchen, »man könnte uns sonst bemerken.«

Sie flohen hinüber, als ob ihre Füße kaum den Boden berührten. Eine Treppe führte in den Garten; eine Gitterthür am Ende derselben war leicht aufgeriegelt; sie gingen in athemloser Eile eine der Alleen hinunter, noch immer im Angesicht des Hauses, worin jedoch Niemand wach zu sein schien. Endlich kamen sie an eine niedrige Seitenthür in der Mauer, welche fast ganz von einem Feigenbaume verdeckt wurde. Sie war durch rostige Riegel verschlossen, welche den schwachen Kräften der Frauen nicht weichen zu wollen schienen.

»Heilige Jungfrau!« rief die Fremde aus, »was sollen wir thun? Noch einen Augenblick, und wir können entdeckt werden!«

Sie ergriff einen Stein, der dicht dabei lag; einige wenige Schläge, und die Riegel flogen zurück. Die Thür knarrte gewaltig, als sie sie öffneten; und in dem nächsten Augenblicke befanden sie sich auf einem schmalen Wege.

»Nun nach Granada,« sagte die Fremde, »so schnell als möglich. Je näher wir der Stadt sind, desto sicherer sind wir, denn die Straße ist dann besuchter.«

Die drohende Gefahr verfolgt und eingeholt zu werden, gab ihren Gliedern übernatürliche Kräfte; sie flogen mehr, als sie gingen. Der Tag war eben angebrochen; die purpurrothen Streifen am Rande des Horizonts verkündigten den nahen Aufgang der Sonne; schon waren die lichten Wolken, welche am westlichen Himmel schwebten, mit Gold und Purpur gefärbt, obgleich die weite Ebene der Vega, welche sich vor ihren Blicken auszubreiten anfing, noch von dem dunkeln Nebel des Morgens bedeckt war. Bis jetzt waren sie nur selten einzelnen Bauern auf dem Wege begegnet, die ihnen keinen Beistand hätten leisten können, falls man sie eingeholt hätte. Sie eilten weiter, und hatten schon eine bedeutende Strecke zurückgelegt, als Inez' Kräfte, welche nur ihr Fieberzustand noch emporgehalten hatte, der Erschöpfung zu weichen begannen: ihre Schritte wurden langsamer, und sie mußte von Zeit zu Zeit stehen bleiben.

»Ach!« sagte sie, »meine Glieder versagen mir den Dienst! Ich kann nicht weiter gehen!« –

»Faßt Muth, faßt Muth,« sagte ihre Gefährtin ermunternd, »nur noch etwas weiter, und wir sind sicher. Seht! dort liegt Granada, eben zeigt es sich uns in dem Thale drunten. Nur etwas weiter, und wir haben die große Landstraße erreicht, und werden dann Vorübergehende genug finden, welche uns beschützen können.«

Inez machte, so ermuthigt, neue Anstrengungen, weiter zu gehen, allein ihre müden Glieder waren der Kraft ihres Willens nicht gewachsen; ihr Mund, ihre Kehle waren vor Angst und Schrecken trocken; sie athmete hoch auf nach Luft, und lehnte sich an einen Felsen.

»Es ist alles vergebens!« rief sie aus, »ich fühle mich einer Ohnmacht nahe.«

»Lehnt Euch auf mich,« sagte die Andere: »laßt uns in den Schatten jenes Dickichts gehen, das uns den Augen entziehen wird: ich höre Wasser rauschen; dies wird Euch erfrischen.«

Mit großer Schwierigkeit erreichten sie das Dickicht, welches über einem kleinen Bergstrom hing, dessen perlendes Wasser sich hier über den Felsen ergoß und in ein natürliches Becken hinabrieselte. Hier sank Inez erschöpft auf den Boden nieder. Ihre Gefährtin brachte Wasser in der hohlen Hand, und benetzte damit ihre bleichen Schläfen. Die kühlen Tropfen brachten sie wieder zu sich; sie war im Stande, bis an den Rand des Flusses zu gehen und aus seinen krystallenen Fluthen zu trinken; und dann erst konnte sie, ihr Haupt auf den Busen ihrer Befreierin legend, dieser ihren heißen Dank stammeln.

»Ach!« sagte die Andere, »ich verdiene keinen Dank: ich verdiene nicht die gute Meinung, die Ihr von mir habt. Ihr seht in mir ein Opfer von Don Ambrosio's Künsten. In meiner frühen Jugend lockte er mich aus der Hütte meiner Aeltern: seht, an dem Fuße jenes blauen Berges in der Ferne liegt mein Geburtsort: aber er ist keine Heimath mehr für mich. Von dort wußte er mich zu entfernen, als ich noch zu jung war, um reiflich zu überlegen. Er erzog mich, brachte mir allerhand kleine Fertigkeiten bei, machte mich für die Liebe, den Glanz, die feineren Genüsse empfänglich; vernachlässigte mich endlich, als er meiner müde geworden war, und stieß mich in die Welt hinaus. Glücklicherweise haben die Fertigkeiten, die er mich gelehrt hat, mich gegen gänzlichen Mangel geschützt; und die Liebe, die er mir eingeflößt, hat mich vor weiterer Erniedrigung bewahrt. Ja! Ich bekenne meine Schwachheit: all seine Treulosigkeit und Härte können ihn nicht aus meinem Herzen verdrängen. Ich bin erzogen worden, ihn zu lieben; ich habe keinen andern Abgott: ich weiß, daß er ein Schändlicher ist, allein ich kann nicht ablassen, ihn anzubeten. Ich begnüge mich, in den Schwarm der Miethlinge, die bei seinen Vergnügungen eine Rolle spielen, mich zu mischen, damit ich noch länger um ihn sein und in jenen Sälen verweilen kann, wo ich einst als Gebieterin thronte. Welches Verdienst habe ich also, Euch zu Eurer Entweichung behülflich gewesen zu sein? Ich weiß kaum, ob ich aus Mitgefühl und dem Wunsche ein Opfer aus seiner Gewalt zu erretten, so handle, oder, ob aus Eifersucht und der Begierde, eine zu mächtige Nebenbuhlerin zu entfernen!«

Während sie noch sprach, ging die Sonne in ihrem vollen Glanze auf, zuerst die Gipfel der Berge beleuchtend; dann auf eine Höhe nach der andern nieder glänzend, bis ihre Strahlen die Kuppeln und Thürme von Granada vergoldeten, welche die Wanderinnen hie und da durch die Bäume unter sich sehen konnten. In diesem Augenblicke erklangen die tiefen Töne einer Glocke in der Entfernung, die in dumpfem Schall an den Bergen widerhallte. Inez erbleichte bei diesem Klange. Sie wußte, daß er von der großen Glocke der Kathedrale kam, welche bei Sonnenaufgang an dem Tage des Auto da Fé ertönte, um von den Vorbereitungen zur Trauerfeier Kunde zu geben. Jeder Ton schlug an ihr Herz, und verursachte ihr ein tiefes körperliches Leiden. Sie sprang wild auf. »Laß uns gehen,« rief sie aus, »wir haben keinen Augenblick zu verlieren!«

»Halt!« erwiderte die Andere, »dort sehe ich Reiter, welche über den Gipfel jener entfernten Höhe herkommen; und wenn ich nicht irre, ist Don Ambrosio an ihrer Spitze. – Ach, er ist's: wir sind verloren! Halt,« fuhr sie fort, »gebt mir Eure Schärpe und Euren Schleier; hüllt Euch in diese Mantilla ein. Ich will jenen Fußpfad hinauf eilen, der nach der Höhe führt. Ich werde beim Hinaufgehn den Schleier wehen lassen; vielleicht halten sie mich für Euch, und dann müssen sie absteigen, um mir zu folgen. Eilt Ihr unterdessen vorwärts: Ihr werdet bald die Landstraße erreichen. Ihr habt Juwelen an den Fingern; bestecht den ersten Maulthiertreiber, dem Ihr begegnet, daß er Euch auf Eurem Wege forthelfe.«

Alles dieß sagte sie mit geflügelter, athemloser Eile. Der Tausch der Kleidung war in einem Augenblicke geschehen. Das Mädchen flog den Bergpfad hinauf, indem ihr weißer Schleier zuweilen zwischen dem dunkeln Gesträuch sichtbar ward; während Inez, mit neuer Stärke, oder vielmehr von neuem Schrecken beseelt, nach der Landstraße hin floh, und der Vorsehung es überließ, ihre wankenden Schritte nach Granada zu leiten.

Ganz Granada war an dem Morgen dieses unglücklichen Tages in Bewegung. Die schwere Glocke der Kathedrale fuhr fort, ihre dumpfen Töne von sich zu geben, welche jeden Theil der Stadt durchhallten, und Jedermann zu dem schrecklichen Schauspiele hinriefen, welches jetzt bald stattfinden sollte. Die Straßen, durch welche der Zug gehen mußte, waren mit Volk angefüllt. Die Fenster, die Dächer, jeder Ort, von dem man nur sehen oder wo man nur stehen konnte, waren mit Zuschauern besetzt. Auf dem großen Platze war ein geräumiges Gerüst, einem Amphitheater ähnlich, aufgeschlagen, wo die Urtheile der Gefangenen abgelesen und die Glaubenspredigt gehalten wurde, und dicht dabei waren die Scheiterhaufen errichtet, auf denen die Verurtheilten verbrannt werden sollten. Sitze für die Großen, die glänzende und die schöne Welt waren bereitet; denn so mächtig ist die schreckliche Neugierde in der menschlichen Natur, daß dieses grausame Opfer mit weit größerem Eifer besucht wurde, als ein Schauspiel oder ein Thiergefecht.

Wie der Tag vorrückte, füllten sich die Gerüste und Balkone mit harrenden Zuschauern; die Sonne schien hell auf schöne Gesichter und zierliche Kleider; man würde geglaubt haben, hier einem glänzenden Freudenfeste, statt dem Schauspiele menschlichen Todeskampfes und Unterganges, beizuwohnen. Wie verschieden aber war dieß Gepränge und diese Feierlichkeit von denen, welche Granada in den Tagen seiner Größe unter den Mauren darbot. »Seine Prachtaufzüge, seine Turniere, seine Ringstechen, seine Johannisfeste, seine Musik, seine Zambras, seine bewunderungswürdigen Stockgefechte! Seine Serenaden, seine Concerte, seine Gesänge in dem Generalife! Die kostbaren Livreen der Abencerragen, ihre ausgesuchten Erfindungen, die Geschicklichkeit und Tapferkeit der Alabaces, die herrlichen Kleidungen der Zegris, Mazas und Gomeles!«Rodd's bürgerliche Kriege von Granada. Alles dieß war zu Ende. Die Tage des Ritterthums waren vorüber. Statt des einhersprengenden Reiterzuges, mit wiehernden Streitrossen und schmetternder Trommete; mit vergoldeter Lanze, Helm und Schild; mit der reichen Pracht der Federn, Schärpen und Banner, wo Purpur und Scharlach, Grün, Gelb und jede lebhafte Farbe mit Goldstoff und glänzender Stickerei gemischt waren; statt dessen schlich der düstere Zug des Aberglaubens, in Kaputze und grober Leinwand, mit Kreuz und Sarg und den furchtbaren Sinnbildern des menschlichen Leidens, daher. Statt des freisinnigen, männlichen Ritters, welcher offen und brav, mit der Bandschleife seiner Geliebten am Helm und dem Denkspruch der Liebe auf dem Schilde, durch tapfere Thaten das Lächeln der Schönheit zu erringen strebte, kam der kahlgeschorene, unmännliche Mönch daher, mit niedergeschlagenen Augen, den Kopf und das Herz in dem kalten Kloster gebleicht, heimlich über den Triumph der Frömmelei jauchzend.

Der Ton der Glocken verkündigte, daß der Trauerzug in Bewegung sei. Er ging langsam durch die Hauptstraßen der Stadt, und das furchtbare Banner des heiligen Gerichts ward ihm vorgetragen. Die Gefangenen gingen einzeln, von Beichtvätern begleitet und von Dienern der Inquisition bewacht. Sie waren, nach dem Grade ihrer Strafe, verschieden gekleidet; die, welche den Tod erleiden sollten, trugen die scheußliche Simarra, welche mit Flammen und Dämonen bemalt war. Der Zug wurde durch Chorknaben, verschiedene geistliche Orden, öffentliche Beamte, vor allen aber durch die Väter des Glaubens vergrößert, welche »langsam und in tiefem Ernst daherschritten, wahrhaft triumphirend, wie es den Hauptfeldherren, die jenen großen Sieg erfochten haben, zukommt.«Gonsalvius, S 135.

Als das heilige Banner der Inquisition sich näherte, sank die zahllose Menge vor ihm auf die Kniee; sie beugten, als es vorüberzog, ihre Häupter zur Erde, und erhoben sich dann langsam wieder, gleich einer großen wogenden Welle. Ein Gemurmel durchlief die Menge, als die Gefangenen sich näherten, und gierige Augen strengten sich an, alle Finger wiesen hin, um die verschiedenen Klassen der Büßenden zu bezeichnen, deren Gewänder den Grad der Strafe andeuteten, den sie erleiden sollten. Als aber diejenigen näher kamen, deren schreckliches Kleid sie als zum Flammentode bestimmt bezeichnete, verstummte das Lärmen des Volks! Alles schien den Athem an sich zu halten und von der sonderbaren, traurigen Theilnahme erfüllt zu sein, womit wir ein menschliches Wesen betrachten, welches Schmerzen und Tod entgegensieht.

Es ist etwas Gewaltiges – eine stumme, geräuschlose Menge! Die schweigende gespannte Ruhe der rings umher versammelten, auf Mauern, Thoren und Dächern dicht zusammengedrängten, gleichsam in Haufen darauf hängenden Tausende, erhöhte die Wirkung des Gepränges, das schreckbar sich dahin bewegte. Das leise Murmeln der Priester, welche Gebete und Ermahnungen hersagten, die dumpfen Antworten der Gefangenen, und dann und wann Stimmen der Chorknaben in der Entfernung, welche die Litaneien der Heiligen sangen, wurde nun vernehmbar.

Die Gesichter der Gefangenen waren geisterbleich und trostlos. Selbst die, welche Verzeihung erhalten hatten, und nun den Sanbenito oder das Bußgewand trugen, zeigten die Spuren der Schrecknisse, welche über sie ergangen waren. Einige waren durch lange Einkerkerung erschöpft, und schwankten daher; Andere waren verkrüppelt, und ihre Glieder durch verschiedene Torturgrade verdreht; jedes Gesicht war ein trauriges Blatt, auf welchem die Geheimnisse des Gefängnisses zu lesen waren. In den Blicken derjenigen, die zum Tode verurtheilt waren, lag etwas Wildes und Furchtbares. Sie schienen Leute, welche durch das Vergangene aufgereizt, der Zukunft kühn entgegen traten. Von dem Muthe der Verzweiflung entflammt, und mit einer in sich abgeschlossenen Entschiedenheit, blickten sie dem gewaltigen Kampfe mit Qual und Tod, welchen sie in Kurzem kämpfen sollten, in die Augen. Einige warfen zuweilen einen wilden, angstvollen Blick umher auf den hellen Tag; auf die »sonnenbeschienenen Paläste,« die glänzende, die schöne Welt, welche sie bald auf immer verlassen sollten; oder einen Blick plötzlichen Unwillens auf die sich zusammendrängenden Tausende, welche, glücklich in Freiheit und Leben, bei dem Anschauen ihrer furchtbaren Lage sich der eigenen verhältnißmäßigen Sicherheit zu freuen schienen.

Einer unter den Verurtheilten machte jedoch eine Ausnahme. Es war ein alter, etwas gekrümmter Mann von heiterm, wenn gleich niedergeschlagenen Aussehn, und mit einem strahlenden, schwermüthigen Auge. Es war der Alchymist. Das Volk blickte auf ihn mit einer Art von Mitleiden, das es sonst gegen die von der Inquisition verdammten Verbrecher nicht zu fühlen pflegte; als es aber hörte, daß er des Verbrechens der Zauberei überführt sei, trat Alles mit Schrecken und Abscheu zurück.

Der Zug hatte den großen Platz erreicht. Die erste Abtheilung hatte bereits das Gerüst bestiegen, und die Verurtheilten näherten sich. Das Gedränge des Volks ward unbeschreiblich, und es mußte, in ganzen Haufen, von der Wache zurückgewiesen werden. In dem Augenblicke, wo die Verurtheilten den Platz betraten, hörte man aus der Menge einen Schrei. Ein Mädchen, bleich, außer sich, mit herabhängendem Haar, erkämpfte sich einen Weg durch das Volk. »Mein Vater! mein Vater!« war Alles, was sie sagen konnte, aber es klang in jedem Herzen wieder. Die Menge trat unwillkührlich zurück, und machte ihr Platz, so wie sie sich näherte.

Der arme Alchymist hatte seine Rechnung mit dem Himmel abgeschlossen, und, nach einem harten Kampfe, sein Herz von dieser Welt abgewandt; die Stimme seines Kindes rief ihn wieder zu den irdischen Gedanken und Sorgen zurück. Er wandte sich dahin, woher die wohlbekannte Stimme kam; seine Kniee schlugen zusammen; er versuchte seine gefesselten Arme auszustrecken, und fühlte sich von den Umarmungen seines Kindes umfangen. Die Gefühle Beider waren zu gewaltsam, als daß sie ihnen hätten Worte gestatten sollen. Krampfhaftes Schluchzen, abgebrochene Ausrufungen und Umschlingungen, mehr der Angst als der Zärtlichkeit, waren Alles, was zwischen ihnen vorging. Der Zug war für einen Augenblick unterbrochen. Die erstaunten Mönche und Diener fühlten sich von einer unwillkührlichen Ehrfurcht vor diesem Ausbruche natürlicher Zärtlichkeit ergriffen. Ausrufungen des Mitleids brachen aus der Menge, welche von der kindlichen Liebe, der ungewöhnlichen, verzweiflungsvollen Angst eines so jungen und schönen Wesens gerührt war.

Jeder Versuch, Inez zu beruhigen und sie von ihrem Vater zu entfernen, war vergeblich; man suchte sie endlich mit Gewalt von ihm loszureißen. Diese Bewegung erweckte sie aus ihrer augenblicklichen Betäubung. Mit einer plötzlichen Anwandlung von Wuth, entriß sie einem der Diener sein Schwert. Ihr Gesicht, das bisher eine Leichenblässe bedeckt hatte, färbte sich auf einmal mit der Röthe des Zorns, und Feuer sprühte aus ihren sonst so sanften, schmachtenden Augen. Die Wächter traten erschreckt zurück. Es lag etwas in dieser kindlichen Begeisterung, dieser weiblichen, bis zur Verzweiflung gesteigerten Zärtlichkeit, das selbst ihre verhärteten Herzen rührte. Sie suchten sie zu beruhigen, aber vergebens. Ihr Auge war schnell und scharf, wie das der Wölfin, die ihre Jungen bewacht. Mit einem Arm preßte sie ihren Vater an ihren Busen, mit dem andern bedrohte sie Jeden, der sich ihr nähern wollte.

Die Geduld der Wächter war bald erschöpft. Sie waren aus ehrerbietiger Scheu, nicht aus Furcht zurückgetreten. Bei aller ihrer Verzweiflung ward die Waffe Inez' schwacher Hand bald entwunden, und man entfernte sie, ihres Geschrei's und ihres Sträubens ungeachtet, aus dem Zuge. Das Volk murmelte mitleidsvoll, aber die Furcht, welche die Inquisition einflößte, war so groß, daß Niemand Hand anzulegen wagte.

Der Zug kam wieder in Gang. Vergebens suchte sich Inez aus den Händen der Diener der Inquisition, die sie zurückhielten, loszureißen, als plötzlich Don Ambrosio vor ihr stand. »Unglückliches Mädchen!« rief er in Wuth aus: »warum bist Du Deinen Freunden entflohen? Uebergebt sie meinen Leuten,« sagte er zu den Dienern: »sie steht unter meinem Schutze.«

Seine Helfershelfer traten hervor, sie in Empfang zu nehmen. »O nein! O nein!« rief sie mit neuem Schrecken, indem sie sich an die Diener fest anklammerte, »ich bin keinen Freunden entflohen. Er ist nicht mein Beschützer! Er ist der Mörder meines Vaters!«

Die Diener waren betreten; die Menge drängte sich mit reger Neugier näher. »Zurück!« rief Ambrosio entrüstet, indem er die Nähertretenden rund umher wegschleuderte. Dann, sich zu den Dienern der Inquisition wendend, sagte er mit plötzlich angenommener Mäßigung: »Meine Freunde, übergebt mir dieses arme Mädchen. Ihr Unglück hat ihren Verstand verwirrt; sie ist diesen Morgen ihren Freunden und Beschützern entsprungen. Ruhe und sanfte Behandlung werden sie jedoch bald wieder zu sich bringen.«

»Ich bin nicht wahnsinnig! Ich bin nicht wahnsinnig!« – rief sie heftig aus. – »O, rettet mich, rettet mich vor diesen Leuten! Ich habe keinen Beschützer auf Erden als meinen Vater. und diesen wollen sie morden!«

Die Diener der Inquisition schüttelten die Köpfe; ihre Wildheit schien Don Ambrosio's Behauptungen zu bestätigen, und sein nicht zu verkennender Rang Ehrfurcht und Glauben zu heischen. Sie übergaben ihm das Mädchen, und er war im Begriff, Inez seinen Helfershelfern zu überantworten.

»Laß ab von ihr, Nichtswürdiger!« rief eine Stimme aus der Menge, und man sah Antonio sich mühsam einen Weg durch das Volk bahnen.

»Ergreift ihn! Ergreift ihn!« rief Don Ambrosio den Dienern der Inquisition zu: »er ist ein Mitschuldiger des Zauberers.«

»Lügner!« – entgegnete Antonio, indem er die Menge rechts und links auseinander warf, und sich zu ihm hindrängte.

Don Ambrosio's Schwert flog augenblicklich aus der Scheide; der Student war bewaffnet und eben so behend. Die Degen klirrten wild; die Menge machte ihnen Platz, als sie fochten, und schloß dann wieder einen Kreis um sie, so daß sie Inez' Blicken entzogen blieben. Alles war, einen Augenblick lang, Getümmel und Verwirrung. Auf einmal erhoben die Zuschauer ein Geschrei, und als die Menge sich theilte, sah Inez, wie ihr dünkte, Antonio in seinem Blute liegen.

Dieser neue Schlag war zu stark für ihren bereits überwältigten Verstand. Ein plötzlicher Schwindel ergriff sie; alles schien vor ihren Augen sich im Kreise zu drehen; sie stieß einige unzusammenhängende Worte aus, und sank bewußtlos zu Boden.

Tage – Wochen vergingen, ehe Inez wieder zum Bewußtsein kam. Endlich schlug sie, aus einem unruhigen Schlummer erwacht, die Augen auf. Sie lag auf einem prächtigen Bette, in einem Zimmer, welches reich mit Pfeilerspiegeln und gewichtigen, mit Silber eingelegten Tischen von ausgesuchter Arbeit verziert war. Die Wände waren mit Tapeten behängt; die Gesimse reich vergoldet; durch die offenstehende Thür sah sie einen prächtigen Saal mit Statuen und krystallenen Kronleuchtern, und jenseits desselben eine glänzende Reihe von Zimmern. Die Fenster ihres Zimmers waren offen, um den sanften Hauch der Sommerlüfte einzulassen, die hereinströmten, mit den Wohlgerüchen eines benachbarten Gartens geschwängert, aus welchem auch das erfrischende Rauschen eines Springbrunnens und der angenehme Gesang der Vögel in vereinter Harmonie ihr Ohr erreichte.

Dienerinnen bewegten sich mit geräuschlosem Schritt in dem Zimmer umher; allein sie fürchtete, sie anzureden. Sie wußte nicht, ob dieß Alles nicht eine Täuschung sei, oder ob sie sich nicht noch immer im Palaste Don Ambrosio's befände, und ihre Flucht und alle damit verknüpften Umstände nur ein Fiebertraum gewesen sei. Sie schloß ihre Augen abermals, bemüht, sich die Vergangenheit zurückzurufen und das Wahre von dem Scheine zu trennen. Aber die letzten Augenblicke ihrer Erinnerung traten mit allen ihren Schrecken zu klar vor ihre Seele, als daß sie an ihrer Wirklichkeit hätte zweifeln können, und sie wandte sich schauernd von jenen Scenen ab, um abermals die ruhige heitere Pracht um sich her zu betrachten. Als sie ihre Augen wieder aufschlug, ruhten sie auf einem Gegenstande, der auf einmal alle Besorgnisse zerstreute. Zu den Häupten ihres Bettes saß eine ehrwürdige Gestalt, welche mit einem Blicke liebevoller Angst sie zu bewachen schien – es war ihr Vater!

Ich will nicht versuchen, den Auftritt, welcher jetzt erfolgte, zu beschreiben, noch wage ich eine Schilderung der Augenblicke des Entzückens, welche die Leiden, die Inez' gefühlvolles Herz erduldet hatte, mehr als lohnten. Sobald ihre Gefühle etwas ruhiger geworden waren, verließ der Alchymist das Zimmer, einen Fremden einzuführen, dem er sein Leben und seine Freiheit dankte. Er kehrte zurück und hatte Antonio, nicht mehr in dem Gewande eines armen Studenten, sondern in der reichen Kleidung eines Edelmannes, an seiner Hand.

Inez' Gefühle wurden von diesem plötzlichen Glückswechsel beinahe überwältigt, und es dauerte einige Zeit, ehe sie sich hinlänglich beruhigen und die Erklärung dieser romanhaften Begebenheiten fassen konnte.

Es ergab sich, daß der Jüngling, der sich in dem demüthigenden Charakter eines Studenten um ihre Liebe beworben hatte, der einzige Sohn und Erbe eines mächtigen Großen von Valencia war. Er hatte die Universität Salamanca besuchen müssen; der Drang, sich in der Welt umzusehen und ein Durst nach Abenteuern, hatten ihn jedoch bewogen, die Universität ohne seines Vaters Einwilligung zu verlassen und mehrere Theile von Spanien zu besuchen. Nachdem er seiner Wanderungssucht Genüge geleistet, hatte er eine Zeit lang unerkannt in Granada verweilt, bis er sich, durch ferneres Studium und Selbstbildung, in den Stand gesetzt sah, mit Ehren nach Hause zurückzukehren und sein Vergehen gegen das väterliche Ansehen wieder gut zu machen.

Wie eifrig er studirt habe, bleibt unerwähnt. Das romantische Abenteuer vom Thurme ist alles, was wir von ihm wissen. Es war Anfangs eine bloße Jugendlaune, zu welcher der flüchtige Anblick eines schönen Gesichts Gelegenheit gegeben hatte. Als er ein Schüler des Alchymisten ward, dachte er wahrscheinlich an nichts anderes, als dadurch einen leichten Liebeshandel weiter fortzuspinnen. Die lange Bekanntschaft mit Inez hatte indessen seine Neigung gefesselt; und er sah sich zu dem Entschluß gebracht, sie und ihren Vater nach Valencia zu führen, in der Hoffnung, des Mädchens Liebenswürdigkeit würde seines Vaters Zustimmung zu ihrer Verbindung gewinnen.

Unterdessen hatte man seinen Aufenthaltsort entdeckt. Sein Vater hatte erfahren, daß er in den Schlingen eines geheimnißvollen Abenteurers und seiner Tochter befangen sei, und wahrscheinlich dem Zauber der Letzteren unterliegen werde. Zuverlässige Abgesandte erhielten Befehl, sich seiner mit Gewalt zu bemächtigen und ihn ohne Verzug in das väterliche Haus zurückzubringen.

Welche Beredsamkeit er angewendet, um seinen Vater von der Unschuld, der Ehre und der hohen Abkunft des Alchymisten, so wie von dem vorzüglichen Werthe seiner Tochter zu überzeugen, ist uns nicht bekannt. Alles was wir wissen, ist, daß der Vater, ein leidenschaftlicher, aber auch ein vernünftiger Mann, seinem Sohn erlaubte, nach Granada zurückzukehren und Inez als seine Braut nach Valencia zu führen.

Voll freudiger Erwartungen eilte Don Antonio also nach Granada zurück. Noch immer hatte er seine Verkleidung nicht abgelegt, und dachte sich schon im Voraus Inez' Erstaunen, wenn er, nachdem er ihr Herz und ihre Hand als ein armer wandernder Student gewonnen, sie und ihren Vater auf einmal zu Reichthum und Glanz erheben würde.

Zu seinem großen Erstaunen fand er bei seiner Ankunft den Thurm von seinen Bewohnern verlassen. Vergebens suchte er Nachrichten über diese zu erhalten: ein undurchdringliches Geheimniß schwebte über ihrem Verschwinden, und er war wie vom Donner gerührt, als er zufällig das Verzeichniß der zu dem bevorstehenden Auto da Fé Verurtheilten lesend, den Namen seines ehrwürdigen Lehrers darunter fand.

Dieses war gerade der Morgen der Hinrichtung. Der Zug war schon auf dem Wege nach dem großen Platze. Es war kein Augenblick zu verlieren. Der Großinquisitor war ein Verwandter Don Antonio's, obgleich sich Beide nie gesehen hatten. Sein erster Gedanke war, sich ihm zu erkennen zu geben und allen seinen Familieneinfluß, das Gewicht seines Namens und die Gewalt seiner Beredsamkeit aufzubieten, um den Alchymisten zu retten. Allein der Großinquisitor war bereits in seinem ganzen Pompe nach dem Orte aufgebrochen, wo die traurige Feierlichkeit stattfinden sollte. Wie konnte man ihm sich nähern? Antonio warf sich in fieberhafter Angst in die Menge, bahnte sich durch dieselbe einen Weg zu der Schreckensscene, und kam noch gerade zu rechter Zeit, um Inez, wie erzählt worden, zu retten.

Don Ambrosio war in dem Zweikampfe unterlegen. Da er gefährlich verwundet war, und seinem Ende nahe zu sein glaubte, bekannte er einem der gegenwärtigen Priester der Inquisition, daß er die alleinige Ursache der Verurtheilung des Alchymisten, und daß die Anklage, auf welche sich diese gründe, durchaus falsch sei. Don Antonio's Zeugniß kam dazu, um diesem Geständnisse noch mehr Gewicht zu geben, und seine Verwandtschaft mit dem Großinquisitor trug wahrscheinlich nicht wenig dazu bei, ihm auch seine gehörige Wirkung zu verschaffen. So ward der arme Alchymist gewissermaßen aus den Flammen gerettet, und das Mitleid, welches seine Geschichte erregte, war so groß, daß zum ersten Male das Volk seine Freude darüber bezeugte, um eine Execution gekommen zu sein.

Den übrigen Theil der Geschichte können die, welche mit dieser schönen Art von Erzählungen schon vertraut sind, sich sehr leicht denken. Don Antonio vermählte sich mit der lieblichen Inez, und nahm sie und ihren Vater mit sich nach Valencia. Wie sie eine liebende, pflichtgetreue Tochter war, so zeigte sie sich auch als ein treues, zärtliches Weib. Bald darauf erbte Antonio seines Vaters Rang und Güter, und er und seine Gemahlin wurden für das schönste und glücklichste Paar in ganz Valencia gehalten.

Don Ambrosio kam mit einer theilweise zerrütteten Gesundheit und einem schmachbedeckten Namen davon, und barg seine Gewissensbisse und seine Schande in einem Kloster; das unglückliche Opfer seiner Künste, welche Inez zu ihrer Flucht behülflich gewesen war, zog sich ebenfalls, unfähig, die frühere Leidenschaft ihres Busens, bei aller Ueberzeugung von der Werthlosigkeit des Gegenstandes, zu besiegen, aus der Welt zurück, und ward eine demüthige Schwester in einem Nonnenkloster.

Der ehrwürdige Alchymist schlug seinen Wohnsitz bei seinen Kindern auf. Ein Pavillon in dem Garten ihres Palastes ward ihm zum Laboratorium angewiesen, wo er mit erneuter Emsigkeit seine Forschungen nach dem großen Geheimniß fortsetzte. Sein Schwiegersohn ging ihm zuweilen dabei an die Hand: allein sein Eifer und sein Fleiß waren, seit der Heirath, merklich erkaltet. Indessen hörte er noch mit großem Ernste und vieler Aufmerksamkeit den Reden des alten Mannes und seinen langen Citaten aus Paracelsus, Sandivogius und Pietro d'Abano. Auf diese Art erreichte der gute Alchymist ruhig und behaglich ein hohes Alter, und ward, zum Unglücke für die Menschheit, in seinem neunzigsten Jahre der Welt entrissen, als er so eben im Begriffe war, den Stein der Weisen zu entdecken.

Mit dieser Erzählung des Freundes des Capitains verkürzten wir den Morgen. Der Capitain ward von Zeit zu Zeit im Lesen durch Fragen und Bemerkungen aufgehalten, die ich nicht mitgetheilt habe, um den Faden der Erzählung nicht zu unterbrechen. Auch ward er einige Male von dem General gestört, welcher einschlief und, zum großen Aerger und Verdruß der Lady Lillycraft, vielleicht zu laut athmete. Bei der Erzählung einer langen, zärtlichen Liebesscene, welche besonders nach dem Geschmack Ihrer Herrlichkeit war, brachte der unglückliche General, dessen Kopf etwas auf seine Brust herabgesunken, in regelmäßigen Zwischenräumen einen Ton hervor, welcher einem lang gezogenen Pst! glich. Endlich folgte ein seltsam abgebrochener Kehlton, der ihn plötzlich erweckte; er räusperte sich, blickte etwas betroffen umher, und fing mit dem Arbeitsbeutel der Lady zu spielen an, den sie aber ziemlich verdrießlich wegzog. Der gehaltene Ton der Stimme des Capitains war jedoch ein zu mächtiges Einschläferungsmittel für den armen General: sein Auge that sich zu Zeiten auf, und sank dann wieder, bis das Ende der Erzählung ihn abermals ermunterte, wo er aufsprang, auf Lady Lillycraft's Hund, die schlafende Beauty, trat, der laut auf schrie und ihn am Bein faßte, so daß plötzlich die ganze Bibliothek von Gebell und Ausrufungen wiederhallte. Nie hat wohl ein Mann sein Glück mehr vom Grunde aus im Schlafe zerstört. Als die Ruhe endlich wieder hergestellt war, stattete die Gesellschaft dem Capitain ihren Dank ab, und gab ihre verschiedenen Meinungen über die Geschichte ab. Des Pfarrer's Geist wanderte, wie ich bemerkte, stets um die bleiernen Tafeln, deren zu Anfang der Erzählung, als in Granada ausgegraben, Erwähnung geschehen war, und er legte dem Capitain mehrere sehr angelegentliche Fragen über diesen Gegenstand vor. Der General konnte sich nicht recht in die Geschichte finden, meinte aber, sie sei etwas verworren. »Ich bin nur froh,« sagte er, »daß sie den alten Kerl vom Thurme verbrannt haben; er war ohne Zweifel ein offenbarer Betrüger.«


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