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An einem dunklen, feuchten Vorfrühlingstage des Jahres 1649 kam in Aachen ein Schöffe in den Turm, wo die Gefangenen verwahrt wurden, um die Rechnung zu begleichen, die der Turmwart für Beköstigung der Gefangenen und andere Auslagen eingereicht hatte. Er war neu in seinem Amte, runzelte die Stirn und rügte die Verschwendung des Turmwarts, die zumal in so bösen Zeiten gefährlich sei. Die Malefikanten wären nicht eingesperrt, um mit Haferbrei und sauberer Wäsche ein Freudenleben zu führen, sondern um durch Kreuz und Elend gebessert und womöglich dem Höllenrachen entrissen zu werden.

Der Turmwart entschuldigte sich, er sei über die Vorschriften der alten Zeit nicht hinausgegangen, wonach den armen Leuten Haferbrei und auch hie und da ein sauberes Hemdlein oder Bett gestattet wäre.

Vorschriften aus alter Zeit! rief der Schöffe. Die Menschen würden täglich frecher und boshafter und würden zuletzt rauben und morden, nur um ein Plätzlein im Turme zu bekommen. Die Stadt könne es nicht erleiden, so viele gottlose Bäuche zu füllen.

Der Turmwart erwiderte, das könnten die Herren draußen leicht sagen, aber wenn man mitten darin säße und das Winseln und Jammern hörte, so könne man sich des Erbarmens nicht immer entschlagen.

Da gleichzeitig aus einem Nebenraume durchdringendes Geschrei ertönte, öffnete der Schöffe die Tür, um zu sehen, was das wäre, und stand erstaunt vor einem seltsamen Schauspiel, dessen Bedeutung er sich nicht sogleich zu erklären wußte. Vier bis fünf Kinder umtanzten ein blasses, mageres Geschöpf, das nur mit einem Kittel bekleidet und mit einer Kette an der Wand befestigt war, und hielten ihm eine Brotrinde hin, nach der es haschte, so weit die Kette ihm Spielraum gab; stolperte oder fiel es etwa gar, von der Kette im Laufe zurückgehalten, so brachen die Kinder in ein triumphierendes Geheul aus und verschlangen die hingehaltene Lockspeise selbst. Auf die Frage des Schöffen, was das vorstellte und was für eine verwilderte Kreatur das sei, erklärte der verlegene Turmwart, das sei das Hexenkind, das vor vier Jahren zum Feuertode verurteilt, aber dazumal nicht verbrannt worden sei, weil die Richter geurteilt hätten, vor dem zwölften Jahre dürfe ein Kind nicht als Zauberer oder Hexe justifiziert werden. Es sei also beschlossen, daß es im Turme verwahrt werden solle, bis es zwölfjährig und damit zur Strafe herangewachsen wäre. Wie es dann im Winter bei der großen Kälte so jämmerlich geweint hätte, habe seine Frau sich des Waisenkindes erbarmt, und sie hätten es in ihre Wohnung genommen, was auch vom Rat gestattet worden sei.

Der Schöffe sagte, er müsse sich sehr verwundern, daß ein guter katholischer Christ eine schädliche Hexenbrut bei seinen Kindern leiden möchte; sie könne ja seine Kinder die Hexerei lehren oder sonst unversehens dem Teufel überantworten.

Nein, das sei nicht zu befürchten, sagte der Turmwart. Das arme Kind sei scheu wie ein Vöglein, tue keinem was zuleide, seine Kinder vertrieben sich die Zeit damit, und er habe kein anderes Bedenken, als daß seine Rangen es oft gar zu arg mißhandelten. Bei diesen Worten versetzte er seinen Kindern schnell ein paar kräftige Maulschellen, was sie bewog, sich schreiend unter das Bett zu verkriechen.

Wann denn das Kind das zwölfte Jahr erreicht haben würde? erkundigte sich der Schöffe.

Der Turmwart sagte, er wisse es nicht genau, glaube aber, es möchte bald soweit sein.

Dem Aussehen nach, meinte der Schöffe, könne es nicht mehr als sechs zählen.

Es sei an der Kette nicht so recht fortgekommen, sagte der Turmwart.

»Der Teufel wird auch seine Hand im Spiele haben«, sagte der Schöffe und ging fort, um dem Gericht anheimzugeben, daß der Fall in Ordnung gebracht würde.

Es zeigte sich, daß das Kind das zwölfte Jahr kürzlich erreicht hatte und daß also der Exekution nichts mehr im Wege stand; die Richter zweifelten nur, ob dieselbe sofort vorgenommen werden oder eine nochmalige Untersuchung vorhergehen sollte. Da aber das Urteil damals schon gesprochen und nie aufgehoben war, auch bei Kindern von Hexen, da das Früchtlein gemeiniglich nicht weit vom Stamme falle, das crimen als angeboren vorausgesetzt werden könne, einigte man sich dahin, dem Kinde nur noch ein paar schickliche Fragen vorzulegen und es dann ohne Federlesen auf den Scheiterhaufen zu expedieren, da es die Stadt ohnehin schon so viel gekostet hätte. Einer der Herren meinte, der arme Wurm könne nicht viel Unheil anrichten; allein, da man ihm entgegenhielt, wenn man es freiließe, würde doch nur eine Betteldirne aus dem Kinde werden, da es ja keine Mutter hätte und die Verwandtschaft nichts von ihm würde wissen wollen, beschied er sich.

Gleich am folgenden Tage begaben sich zwei Richter in den Turm, setzten sich vor das angekettete Kind und fragten, ob es wisse, daß seine Mutter eine Hexe gewesen sei? Das Kind sah die Herren eine Weile groß an, allmählich zog ein Lächeln über sein Gesicht und es nickte, worauf die Herren sich einen bedeutsamen Blick zuwarfen und spöttisch auflachten. Ob seine Mutter es oft mit zum Tanze genommen hätte? fragten sie weiter. Das Kind nickte mit glänzenden Augen. Als einzige Erinnerung von den Verhören, die vor Jahren stattgefunden hatten, war ihr das nächtliche Tanzen geblieben, von dem so viel die Rede gewesen war, und in ihrer langen, dunklen Einsamkeit hatte sie sich ein liebliches Bild von ihrer Mutter gemacht, wie sie auf duftender Wiese einen Reigen mit ihr tanzte. Jetzt hätten sie den Braten gerochen, sagten die Herren zu dem unruhig wartenden Turmwart, mehr bedürfe es nicht, seine Frau solle das Kind für den folgenden Morgen herrichten.

Als das aufgehende Licht in das Turmstübchen fiel, nahm die Frau das Kind auf den Schoß, zog ihm ein sauberes Kittelchen an und kämmte ihm die Haare, wobei sie zuweilen eine Träne wegwischte, die darauffiel. Das Kind streichelte ihre tätigen Hände und ihr trauriges Gesicht und warf zuweilen einen ängstlich erstaunten Blick nach den Kindern, die heute so still waren. »Komme ich jetzt zu meiner Mutter,« fragte es, »und werden wir zusammen tanzen?« Die Frau legte ihre Hand auf des Kindes Kopf und sagte, ja, es solle nur getrost sein, es werde jetzt die liebe Sonne sehen, und seine Mutter erwarte es im Himmel.

Als sie ins Freie traten, schauderte die Kleine zuerst und bedeckte die Augen mit den Händen; aber allmählich, während sie, zwischen den Turmwartsleuten sitzend, auf dem Karren durch die Stadt fuhr, gewöhnte sie sich, hielt die dünnen Hände in das Licht und sah zu, wie die frische Luft ihre losen Haare hob. Es waren nicht viele Zuschauer in den Straßen; denn seit mehreren Jahren hatten keine Hexenbrände mehr stattgefunden, und dieser vereinzelte Fall war nicht recht bekannt geworden. Auch von der Richterschaft waren zur Ersparnis der Tagegelder nur wenige da, und die Holzhütte, in der das Kind verbrannt werden sollte, war klein, weil das Holz teuer war und die Stadt die Kosten tragen mußte.

Beim Anblick der Wiesen, die sich vor dem Tore ausbreiteten, stieß das Kind einen schwachen Freudenruf aus; denn es glaubte den Schauplatz seiner schönen Träume vor sich zu sehen. Voll staunenden Entzückens deutete es mit der Hand auf die gelben Blumen, die wie Strahlenbüschel aus der Erde schossen, auf eine Schafherde, die am Rande des freien Platzes hinging, und auf die Holzhütte, an die ein paar Männer Feuer anzulegen beschäftigt waren. »Ist da meine Mutter?« fragte es. Der Turmwart und seine Frau weinten und vermochten nur zu nicken; laut schluchzend sahen sie der kleinen weißen Gestalt nach, wie sie unsicheren Schrittes, zaghaft und feierlich, über das Gras hinging und in der qualmenden Hütte verschwand.

*

Der Maler Daniel Seghers breitet vor Piccolomini die Kopien von vier Gobelins aus, die er in seinem Auftrage erworben hatte, und erklärte die dargestellten Szenen. Sie hatten alle den Sieg weiblicher Schönheit über den Mann zum Gegenstande: Herkules, dessen Muskeln fast das weibliche Gewand sprengten, saß zu Füßen der von ihren Mägden umringten Omphale; Delila hielt die Locken des in ihrem Schoße schlafenden Simson hoch, im Begriff, sie abzuschneiden; Judith, mit der Rechten noch das Schwert umklammernd, zeigte das Haupt des Holofernes, aus dem Blut wie aus der Röhre eines Springbrunnens hervorschoß, während der gewaltige Rumpf ohnmächtig vom Lager herabhing; Circe, das flatternde Haar von phantastischen Blumen durchflochten, berührte die vor ihr knienden Genossen des Odysseus mit dem Zauberstabe, von denen einige schon in Schweine verwandelt ihr feuerfarbiges Gewand beschnüffelten.

Er habe geglaubt, sagte Seghers, daß diese mit so lustigen Farben geschilderten Geschichten sehr geeignet wären, den finstern Saal auf Nachod lieblich und heiter zu machen, und er habe den Preis von 2000 Reichstalern nicht zu hoch dafür gefunden, besonders weil sie ganz gewiß nach einem Entwurf des Rubens hergestellt wären.

Man müsse schon noch etwas herunterhandeln, sagte Piccolomini; aber haben wolle er sie auf jeden Fall; das sei gerade, was er brauche.

Er sei überzeugt, sagte Piccolominis Sekretär Bilstock, das häßliche Gespenst, das sich jezuweilen auf Nachod blicken ließe, werde sich inmitten dieser passionierten Auftritte nicht heimisch fühlen, sondern wie vor einem morgendlichen Hahnenschrei davonfahren.

Was es denn mit dem Gespenst auf sich habe? fragte Seghers.

Piccolomini lächelte überlegen und sagte, er halte dafür, Gespenster zeigten sich nur den Hasenherzen, die sich fürchteten. Übrigens meinten einige, daß es die alte Gräfin Terzka sei, die Anno 1633 dort gestorben sei; andere hielten es für die Smersitschka, der Nachod vor dem Ausbruch der Unruhen gehört hätte. Er habe es nie gesehen, vielleicht auch, weil Rebellen sein offenes Gesicht scheuten.

Es kam in diesem Augenblick eine Kutsche über den Weinmarkt gefahren und hielt vor dem Gasthofe, den Piccolomini bewohnte; sie brachte einen höchst vornehmen Besuch, den Pfalzgrafen und Generalissimus Karl Gustav von Zweibrücken, der die schwedische Krone auf dem Nürnberger Kongreß vertrat. Diese aus den militärischen Häuptern des Krieges zusammengesetzte Versammlung behandelte hauptsächlich die Entschädigung der zu entlassenden Soldaten, welche in Münster auf fünf Millionen Taler festgesetzt worden war; doch lagen auch noch mehrere andere verwickelte Fragen vor, über welche die Gemüter sich in der gefährlichsten Weise erhitzten.

Er wolle versuchen, sagte der Pfalzgraf, sein Kommen erklärend, ob sich diejenigen Punkte, die der endgültigen Verständigung noch im Wege wären, nicht durch freundschaftliche Unterredung beseitigen ließen. Es scheine ihm unmöglich, daß der so gerechte und scharfsinnige Piccolomini die Berechtigung der schwedischen Forderungen in bezug auf Eger nicht einsehen sollte.

Piccolomini begann mit der Erklärung, sein Wunsch, dem Pfalzgrafen gefällig zu sein, sei so lebhaft, daß die dem Kaiser schuldige Pflicht fast dadurch beeinträchtigt werde. Dennoch könne er nicht vergessen, wie gerade dieser Krieg die Wichtigkeit der Festung Eger für Böhmen bewiesen habe; und es komme doch nun einmal in der Politik weniger darauf an, was recht, als was opportun sei.

Diesen Standpunkt wollte Karl Gustav nicht anerkennen. Sein Oheim, der hochselige König Gustav Adolf, sei der Erretter und Beschützer des evangelischen Glaubens gewesen, und es solle dies rühmliche Prinzip beim Friedensschlusse zur Geltung kommen. Daß die Stadt Eger sich seit undenklichen Zeiten im Besitz der Reichsfreiheit befinde, sei hinlänglich erwiesen, es werde also von schwedischer Seite nichts als die Restituierung des alten rechtmäßigen Zustandes verlangt. Übrigens wundere er sich, daß Piccolomini von der Evakuierung Egers reden möge, während doch die hochwichtige pfälzische Festung Frankenthal noch von den Spaniern besetzt sei.

Ja, lachte Piccolomini, der Pfalzgraf werde doch den Kaiser nicht für die Seltsamkeiten der Spanier verantwortlich machen! Die wären schwerer auszutreiben als Läuse! Wenn er nur eine gute Salbe dagegen wüßte, wolle er sie gern anwenden.

Feuer und Schwert heiße die Salbe, sagte der Pfalzgraf heftig, und er sei gern bereit, den Bader zu machen.

Ablenkend zeigte Piccolomini dem Gereizten die Bilder, die Seghers gebracht hatte, und sagte, wenn ihn, Piccolomini, die Bellona entlassen hätte, was ja bald der Fall sein werde, wolle er sich dem Dienste der Venus widmen, bei der er auch einige Gnade zu finden hoffe. Er lasse deshalb sein Schloß Nachod zum Empfang einer jungen Herrin herrichten.

Man erzähle Wunderdinge von seinen Einkäufen in der Stadt, sagte der Pfalzgraf.

Das Schloß sei zur Zeit des Terzkaschen Prozesses ziemlich heruntergekommen, erklärte Piccolomini. Überhaupt sei der alte Terzka ein guter Jäger gewesen, habe aber wenig Kunstverstand gehabt.

Er habe in Prag gehört, sagte der Pfalzgraf, sein Oheim, der verstorbene König von Böhmen, habe nach der unglücklichen Schlacht am Weißen Berge eine Nacht auf Nachod zugebracht und im dortigen Keller einen Teil seiner Kostbarkeiten vergraben.

Wenn er sie fände, sagte Piccolomini, wolle er sie dem Pfalzgrafen als ein Zeichen seiner Sympathie überreichen; aber er glaube, derartige Leichen brauchten nicht dreißig Jahre auf ihre Auferstehung zu warten.

Der junge Pfalzgraf betrachtete Piccolomini mit einem Gemisch von Ärger, Neid und Bewunderung. Dieser Italiener trat mit einer Grandezza und zugleich Kordialität auf, seine Reden und Bewegungen hatten eine Farbe und eine Wärme, als kämen sie gerade aus dem Herzen heraus und könnten durchaus nicht anders sein. So fürstlich herablassend und dabei im rechten Augenblick so weltmännisch kameradschaftlich sein zu können, das wäre für den größten Potentaten der Erde erstrebenswert. Eine Ungeduld stieg in dem Pfalzgrafen auf, diesem gewichtigen, unerschütterlichen Manne seine Überlegenheit zu zeigen. Im Kriege, ja, da glaubte er ihm gewachsen, vielleicht sogar überlegen zu sein. Er fühlte, daß er größere Würfe wagen und sie entschlossener durchführen würde. Und gerade jetzt sollte die Bühne, wo sein Genie sich entfalten könnte, abgerissen werden!

Sich den Geschäften wieder zuwendend, sprach er von seiner aufrichtigen Friedensliebe; aber seine Glaubensgenossen, die auf ihn bauten, zu verlassen, gehe wider sein Gewissen. Er habe das Äußerste getan, indem er wegen der Evangelischen in den österreichischen Erblanden nachgegeben habe.

Das könne des Pfalzgrafen Ernst nicht sein, rief Piccolomini aus. Nun sie den Grund zu einer neuen Staatsverfassung im Reich mit Mühe gelegt hätten, solle gar ein Religionskrieg entstehen und alles wieder einreißen? Er erinnerte den Pfalzgrafen daran, wie er, Piccolomini, ihm in allen seinen Wünschen beigestanden, ihm nicht nur die hinterpommerschen, sondern auch die mecklenburgischen Zölle verschafft hätte; für dies Entgegenkommen müsse Schweden den Kaiser nun auch seine Erkenntlichkeit verspüren lassen. Der Kaiser verlange zunächst nichts, als daß die schwedische Garnison von Eger abziehe, unbeschadet der Beschlüsse, die ein künftiger Reichstag über die Stellung der Stadt zu Kaiser und Reich fassen würde. Als nunmehriges Reichsglied werde ja Schweden in besagtem Reichstage auch Sitz und Stimme haben.

Nach dieser Unterredung berichtete Piccolomini dem Kaiser, den Schweden scheine es mit ihrer oft beteuerten Friedensliebe nicht Ernst zu sein; jedenfalls sei es nicht rätlich, mit Entlassung der Regimenter den Anfang zu machen.

Da immerhin eine friedliche Vereinbarung über die Abdankung der Truppen und Auszahlung der Satisfaktionsgelder einstweilen getroffen wurde, veranstaltete der Pfalzgraf ein Freudenfest, welches am 5. Oktober im großen Saale des Rathauses gefeiert wurde. Unter den anwesenden Fürsten befand sich Pfalzgraf Johann Ludwig von Sulzbach, der jüngste Bruder des Herzogs von Jülich, Wolfgang Wilhelm, der, für gewöhnlich still und etwas stumpfsinnig, erst durch eine Weile fortgesetzten Trinkens gesprächig und erregbar zu werden pflegte. Er saß schweigsam neben dem stets lustigen Prinzen Friedrich von Hessen, einem Sohne des verstorbenen Landgrafen Moritz, als im Verlaufe des Essens der durch den Friedensschluß in einen Teil seiner Länder wieder eingesetzte Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz sich erhob und die Gesundheit des Generalleutnants Piccolomini ausbrachte. Er sprach von den Verdiensten Piccolominis um das Zustandekommen des Friedens und daß es die Absicht der deutschen Fürsten sei, den Kaiser zu bitten, er möge den Helden, der nicht nur Heere siegreich anführen könne, sondern der das von denselben wie von laokoontischen Schlangen umstrickte und fast erstickte Deutschland von ihnen befreit habe, zum deutschen Reichsfürsten erheben, damit der allgemein empfundenen Dankbarkeit Genüge geschehe.

Das sei nach der wunderlichen neuen Mode, bemerkte Johann Ludwig von Sulzbach gegen seinen Nachbar, daß man einen Welschen neben sich auf die Fürstenbank setze, und einen Katholiken dazu. Nun, er habe nichts dagegen, wolle beweisen, daß er kein Bauer und Ofenhocker, sondern weltkundig sei, obgleich er nicht wie andere seinesgleichen seine Jugend mit Reisen und im Umgang der Musen habe zubringen können.

Sie wären eben rauhe Kriegsleute, sagte Friedrich von Hessen, und das sei auch etwas wert. Er möchte sich nie von seinem Schwerte trennen.

Ihm komme ohnehin der Friede nicht zugute, sagte Johann Ludwig. Er sei inzwischen alt geworden, es bleibe ihm gerade noch übrig, zu sterben, und das hätte er lieber in der Feldschlacht getan.

Nun, lachte Prinz Friedrich, indem er dem Klagenden auf die Schulter schlug, so könne er sich doch wenigstens in der väterlichen Gruft zur Ruhe legen. Manches fürstliche Gebein reise zur Zeit noch herum wie der Ewige Jude.

Sein Vater und seine Vorfahren, sagte Johann Ludwig mit einem ärgerlichen Blick auf seinen Nachbar, wären zu Neuburg beigesetzt. Er wisse nicht, ob sein Herr Bruder zu Düsseldorf ihm die Erlaubnis gäbe, dort zu liegen. Übrigens möchte er gar nicht zwischen Papisten auferstehen.

Wenn man nur überhaupt auferstände, sagte Prinz Friedrich begütigend. Der Herrgott werde seine Knochen auch in Sulzbach finden.

Man könne das nicht wissen, sagte Johann Ludwig. Es gäbe wohl auch im Himmel Schikanen und Impertinenzen und Gewalttätigkeiten, sonst wisse er nicht, warum Gott sie auf Erden zuließe. Sein Vater habe Gottes Gebote gehalten und habe doch mit Jammer ins Grab sinken müssen. Lug und Trug fahre in goldenen Kutschen, und die Frommen müßten den Staub vom Boden lecken. Friede! Den Frieden hätten die Wölfe geschlossen, nachdem sie die gewürgten Lämmer untereinander verteilt hätten.

Da der Pfalzgraf immer lauter und heftiger sprach, wurden seine Worte an der ganzen Tafel vernommen, und ein Murmeln und Kichern erhob sich, während Prinz Friedrich dem Aufgeregten den Mund zuzuhalten suchte.

Johann Ludwig machte sich los und redete lauter fort: Alle sollten ihn hören! Ob sie Heiden wären, daß die Wahrheit sich nicht hervorwagen dürfe? Wenn der hochselige König Gustav Adolf noch lebte, wäre ein solcher Bastardfrieden nicht geschlossen worden! Hundertmal habe Gustav Adolf ihm versprochen, sein Schwert nicht niederzulegen, bis er, Johann Ludwig, und sein nun verstorbener Bruder Philipp August ihr rechtmäßiges Erbe Neuburg wiedererhalten hätten! Gustav Adolf sei ihm wie ein Vater gewesen; aber seinem Bruder Wolfgang Wilhelm, als der sich habe bei ihm einschmeicheln wollen, habe er den Rücken zugekehrt und habe ihn Jesuitenknecht und Vatermörder genannt.

Der pfalz-neuburgische Gesandte, der Wolfgang Wilhelm vertrat, stand erschrocken auf und fragte, ob das Pfalzgraf Johann Ludwig im Ernst gesprochen habe?

Johann Ludwig lachte laut und höhnisch. Allerdings rede er im Ernst, rief er, der Gesandte solle es seinem Herrn berichten, er halte ihn für einen Vatermörder, und wenn der Friede nicht ein Räuberfriede wäre, so hätte er Neuburg herausgeben müssen. Der Friede sei nichts als eine Vogelscheuche, deren Lumpen der nächste Windzug forttragen werde.

Jetzt sprangen sämtliche Gäste von ihren Sitzen, und einige stürzten auf Johann Ludwig zu; aber Piccolomini rief mit eherner Stimme über die Tafel: »Ihr Herren, bleibt sitzen! Er ist betrunken, man soll ihn zu Bette tragen!« Er winkte den an der Wand aufgereihten Dienern, von denen mehrere sich näherten, um den Befehl auszuführen. Unterdessen hatte Prinz Friedrich von Hessen den Wütenden schon umfaßt und suchte ihm das Schwert, mit dem er sinnlos um sich hieb, zu entreißen; plötzlich jedoch verstummte und erstarrte der unglückliche Mann, als ob ein Zauber ihn gelähmt hätte. Sein Gesicht wurde blaurot, seine Augen rollten angstvoll, und seine Brust keuchte; unter den staunenden und entsetzten Blicken der ihn umgebenden Herren griff er noch einmal mit den Händen in die Luft und fiel dann tot in die Arme der Diener.

*

Am Ostermorgen des Jahres 1650 brannte die Sonne nicht wie ein Freudenfeuer; sondern wie die Flamme eines Leuchtturmes an der Küste eines wilden Meeres, das Nebel umwogen, schimmerte sie verhüllt durch schweres Frühlingsgewölk. Der Pfarrer des Dorfes, Christian Hohburg, wohnte mit seiner Tochter und ihrem kleinen Kinde bei einem Bauern, weil das Pfarrhaus abgebrannt und noch nicht wieder aufgebaut war, und befand sich im Hofe, wie die übrigen mit der Fütterung des Viehs beschäftigt. Er band eine Ziege an einen Zaunpfahl, rüttelte daran, und da er ihn locker fand, machte er den Strick wieder los und knüpfte ihn an einen Apfelbaum; dann winkte er dem Sohne des Bauern, damit er ihm behilflich wäre, den Pfahl besser zu befestigen. Am besten wäre es, den morschen ganz zu entfernen und einen neuen einzuschlagen, sagte der hinzutretende Bauer, und wie er über den Zaun hinweg in die wellige Ebene hinuntersah, unterbrach er sich, hielt die Hand über die Augen und sagte, er sehe etwas Schwarzes am Horizonte, das sich bewege. Wenn der Frieden nicht ausgerufen wäre, würde er es für Soldaten halten.

Da der Pfarrer es auch sehen wollte und fragte, wo es wäre, erklärte der Bauer, er müsse gerade über die Wüste hinübersehen, wo vor der Schlacht bei Lutter das Dorf gewesen wäre.

Die Tochter des Pfarrers, die zur Zeit jener Schlacht noch nicht gelebt hatte, erkundigte sich, was es mit dem Dorf und der Schlacht für eine Bewandtnis habe, worauf der Bauer davon erzählte und daß dort, wo man den großen Steinhaufen erkennen könnte, die Mühle gestanden hätte. Sie könne übrigens den alten Schuhflicker ausfragen, der ehemals in jenem Dorf ein wohlhabender Bauer gewesen wäre und eine Frau und schöne Kinder gehabt hätte. Er habe aber nur eins davongebracht, und das sei bei der Flucht aus dem brennenden Dorfe stumm und närrisch geworden.

Der Schuhflicker erzählte auch, fügte die Bäuerin hinzu, daß irgendwo drüben auf dem wüsten Fleck ein Schatz vergraben sei; denn mehrere fliehende Offiziere hätten ihre Beute, eine unermeßliche Menge von Gold, Silber und Kostbarkeiten, in einem Stalle vergraben, in der Meinung, sie nach beendigter Schlacht zu holen, wären aber gefallen und niemals wiedergekommen.

Warum denn der Schuhflicker den Schatz nicht ausgegraben hätte? fragte der Pfarrer. Der arme Mann werde ihn wohl brauchen können.

Er habe es oft und oft versucht, sagte der junge Bursche, aber er habe die Stelle nicht mehr finden können.

Die Bäuerin blickte besorgt auf ihren Sohn und sagte, sie wisse wohl, mit was für Gedanken er sich trage, sie wolle es aber nicht leiden; die Schatzgräberei sei etwas Teuflisches, und der Mensch solle nicht durch Schwarze Kunst reich werden.

Nun, meinte der Pfarrer, etwas ausgraben, was ein anderer eingegraben hätte, sei natürlich und habe nichts mit dem Teufel zu schaffen. Aber er sei der Meinung, man vergeude wohl nur Zeit und Kraft damit und tue besser, die Erde nach der Frucht umzugraben, die man selbst gesät habe und die Gott wachsen lasse.

Die Pfarrerstochter, eine schlanke, braune, mädchenhafte Frau, die während des Gespräches träumerisch nach den Trümmern des verschwundenen Dorfes hinübergesehen hatte, warf verstohlen einen schnellen, lachenden Blick auf den jungen Burschen, als ob sie doch Lust zu dem Abenteuer hätte und sich mit ihm dazu verabreden wollte.

Als die Stunde zum Gottesdienst kam, begab sich der Pfarrer mit seiner kleinen Gemeinde auf den Kirchhof, der die Kirche umgab. Während des Krieges hatte sich dort einmal eine Abteilung Soldaten verschanzt, und die Kirche war bei diesem Kampfe zerschossen, verbrannt, verwüstet und ausgeraubt worden. Die Armut der Gemeinde hatte den Schaden noch nicht ersetzen können, und so fand es der Pfarrer schicklicher, die Osterfeier im Freien vor der Kirche zu begehen, da das Wetter gut war. Er hatte einen Tisch auf den Kirchhof gebracht und zur Feier des heiligen Abendmahles einen Laib Brot und einen Krug Wein bereitgestellt; von dem dazu bestimmten kirchlichen Gerät war nichts mehr vorhanden.

Der Pfarrer, der zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahre stand, dem aber Sorgen und Kämpfe aller Art hart zugesetzt hatten, musterte seine Zuhörer, richtete sich gerade auf und begann seine Rede.

»Ihr seid alle arm«, sagte er, »und habt viel gelitten; aber gebt euch nicht der Trübsinnigkeit hin, denn heute ist der Tag der Auferstehung, ein Freudentag. Es ist der Tag, da es im Grabe des Herrn der Welt leise donnerte wie in einem vulkanischen Berge, da der heilige, gemarterte Leib, herausgeschleudert wie ein feuriges Schwert, den Grabdeckel zur Seite warf, die Luft durchschnitt und in den Wolken verschwand. Auch unser geliebtes deutsches Vaterland ist verhöhnt, gegeißelt und ans Kreuz geschlagen worden und liegt nun begraben; möge es unten im Krater der Gruft still sich mischen und kochen und einst, das Gehäuse zerbrechend, wie eine verwandelte Raupe geflügelt in das eroberte Element steigen. Das kann aber nur geschehen, wenn ein jeder von euch in seinem Herzen Wiedergeburt und Auferstehung erlebt. Die kommt nicht von Worten, die muß errungen und erstritten sein. Glaubt es den feisten Pfaffen nicht, daß es mit Glauben und Katechismuslernen getan sei, und daß die Gnade Gottes einem wie die Taube dem faulen Schlaraffen gebraten ins offene Maul fliegt. Wir haben einen Willen und eine Kraft in uns; denn wir sind, wie geschrieben steht, nicht der Magd Kinder, sondern der Freien; und damit sollen wir das Reich Gottes erobern. Laßt euch nicht verführen, zu glauben, daß wir das Gute nicht vollbringen könnten, weil uns die Sünde aufgeerbt und eingefleischt wäre: das sagen die Trägen, die Schwelger, die Gleichgültigen, um ihre Unfruchtbarkeit zu entschuldigen. Wir haben einen Simson in uns, der ist, wenn er sich enthält, ein unüberwindlicher Soldat, der schüttelt die Locken wie ein Löwe und zerbricht die Säulen, die das Reich der Sünde tragen, daß es einstürzt. Wasser und Gebet taufen nicht recht, Feuer und Schwert taufen zur Wiedergeburt und Auferstehung. Seid wachsam, seid tapfer, seid ohne Falsch und ohne Furcht, das sind Tugenden über alle Tugenden; so ihr die habt, seid ihr Ritter, mögt ihr auch als Bauern geboren sein. Aus Staub und Dreck seid ihr doch zum Ebenbilde Gottes geschaffen; aber ihr müßt es selber in euch schaffen, wie der Künstler das Bild aus dem Marmor schlägt. Setzt Hab und Gut und die ganze Kraft daran, so wird der neue Mensch, der aus eurem zerrissenen Herzen aufersteht, Gottes Züge tragen.«

Erst jetzt bemerkte der eifrig redende Pfarrer eine Unruhe unter seinen Zuhörern, und indem er ihren über die Kirchhofsmauer gerichteten Blicken folgte, sah er einen Trupp Reiter auf das Dorf zusprengen. Sie hätten doch ihre Häuser gut verschlossen? wandte sich der Pfarrer an die Bauern. Diese bejahten, setzten aber besorgt hinzu, Soldaten pflegten überall eine Tür zu finden, wenn sie etwas suchten. Der Frieden sei ja verkündigt, sagte der Pfarrer beschwichtigend, blickte aber doch scharf nach den Reitern, unentschlossen, ob er den Gottesdienst weiterführen solle. Unterdessen hatten die Soldaten vergebens an einigen Türen gerüttelt und kamen, da sie die Versammlung gewahr wurden, auf den Gottesacker.

Ihr Anführer, ein junger Mensch, sprang vom Pferde, näherte sich dem Pfarrer und sagte, er sei beauftragt, in diesem Orte eine Kontribution von 1000 Talern zu erheben; der Pfarrer solle das Geld zusammenbringen, und inzwischen solle ihnen ein Essen hergerichtet und ihren Pferden Futter gegeben werden.

Das könne nicht an dem sein, entgegnete der Pfarrer; es sei ja Frieden, die Plackerei habe ein Ende. Brot und Hafer für die Pferde würden sie aus christlichem Mitleiden und gegen Bezahlung hergeben, zu mehrerem wären sie nicht verpflichtet, und vorher wolle er den Gottesdienst zu Ende bringen.

Für wen der Pfarrer sie hielte? erwiderte der Leutnant gereizt. Sie wären keine Herde Schafe, sondern Soldaten. Sie pflegten nicht zuzuhören, sondern predigten selbst, und wer ihr erstes Wort nicht verstünde, dem hieben sie das zweite mit dem Schwert in den Kopf.

Da er mit dieser Drohung keinen Eindruck auf den Pfarrer machte, wurde er zornig, packte plötzlich die Tochter des Pfarrers am Arm und erklärte, sie als Geisel behalten zu wollen, bis das Geld herbeigeschafft wäre. Die junge Frau wollte sich unwillkürlich zur Wehr setzen, aber da sie das kleine Kind auf dem Arme trug, das leicht hätte verletzt werden können, warf sie einen hilfeflehenden Blick auf ihren Vater. Im ersten Augenblick zuckte die Hand des Pfarrers nach dem Messer, das er im Gürtel trug; angesichts der vielen Bewaffneten jedoch beherrschte er sich und bat den Anführer, eingedenk zu sein, daß sie alle Brüder wären, und ihm seine Tochter mit ihrem Kinde herauszugeben; er sei bereit, zu versuchen, ob er das Geld oder einen Teil davon in den nächsten Dörfern zusammenbetteln könne.

»Du böser, ketzerischer Lutherpfaff,« sagte der junge Mann, »obwohl du verdientest, daß ich dich am nächsten Baume aufhängte, will ich gnädig sein und dir die Dirne herausgeben, wenn du mir das Geld schaffst; aber nicht eher.« Hierauf entschloß sich der Pfarrer, das Unwahrscheinliche zu wagen, empfahl den Bauern seine Tochter und machte sich auf den Weg.

Als er nach mehreren Stunden zurückkam, war der Kirchhof voll Geschrei und Getümmel. Eine Frau kam dem erschreckten Pfarrer entgegengelaufen und berichtete, der Leutnant habe seine Tochter erstochen, sie liege in ihrem Blute, und bald würden sie alle miteinander des Todes sein. In einem Satze war der Pfarrer zwischen den Kämpfenden, schrie nach seinem Kinde und warf sich, da sie unwillkürlich Raum gaben, auf den noch atmenden, über einen Grabhügel hingestreckten Körper. Nach einer Minute jedoch sprang er wieder auf und rief mit starker Stimme: »Herrgott! bist du wahrhaftig Gott der Herr, so räche deinen Knecht an diesem Mörder!« Dann stürzte er sich, das Messer aus dem Gürtel reißend, mitten in den Haufen. Den Bauern war es zumute, als sei ein Engel vom Himmel gefahren, um ihnen beizustehen; sie drängten mit verdoppeltem Nachdruck auf den Leutnant ein, der von dem Anprall das Gleichgewicht verlor und umfiel. Während Männer und Frauen sich gegen die Soldaten stemmten, kniete der Pfarrer auf der Brust des Mörders. »Du Abtrünniger von Gott!« rief er, »du Judas! du Judas! Der Herr, den du verraten hast, hat dich in meine Hände gegeben. Jetzt werde ich dir das bübische Herz aus dem Leibe reißen und es auf den Mist werfen, daß die Schweine es mit ihrem Rüssel umwühlen und es fressen. Wimmere du jetzt um Gnade! Mir ist es nicht genug, dich wimmern zu hören, ich will dich röcheln und nach Luft schnappen hören. Ja, Gott der Herr wird mir genugtun und mich in Ewigkeit dein Jammergeschrei aus der Hölle hören lassen. Mein Kind wird seinen Engelsleib auf Taubenflügeln schwingen, während dein verfluchtes Fleisch sich unter feurigen Martern krümmt, ohne je zu vergehen!«

Solche Worte schrie der Pfarrer, über den sich windenden Mann gebeugt, halb besinnungslos vor Wut heraus, als er plötzlich in jäh entstehende Stille hinein eine laute Stimme hörte und, sich umwendend, einen reichgekleideten Offizier sah, der mit hochgezogenen Brauen, den blanken Degen in der Hand, neben ihm stand; es war der Oberst, zu dessen Regiment der Leutnant gehörte und dessen unerwartetes Erscheinen den Aufruhr mit einem Male stillte. Er wolle die Sache untersuchen, sagte er, da von allen Seiten auf ihn eingeredet wurde; der Pfarrer möge den Leutnant einstweilen loslassen, sei er schuldig, wolle er, der Oberst, ihn nach Gebühr bestrafen.

Der Pfarrer schüttelte den Kopf. Den Wolf, der sein liebes Kind erwürgt habe, sagte er, wolle er selbst töten; in seine Hand habe Gott ihn gegeben.

Unterdessen hatte sich der Knäuel der Streitenden völlig gelöst, so daß der Oberst des erstarrten Körpers der getöteten Frau ansichtig wurde. Der Täter, der sein Gesicht sich verdüstern sah, richtete sich unter des Pfarrers nachlassenden Fäusten ein wenig auf und winselte, er habe das Weib gewiß nicht töten wollen, habe sie nur zum Spaß an sich gedrückt, da habe sie sich wie eine wilde Katze gebärdet und würde ihn mit den Händen erwürgt haben, wenn er sich ihrer nicht gewaltsam entledigt hätte.

»Du bist ein Mörder und Landfriedensbrecher«, sagte der Oberst finster, »und wirst deinen Lohn durch Henkershand sogleich erhalten. Dein Blut soll das Blut, das du meuchlerisch vergossen hast, auswaschen. Der Pfarrer soll sagen, auf welche Weise ich ihm Genugtuung geben kann; ich bin bereit, sie zu leisten, wenn ich vermag.«

Der Pfarrer kam während dieser Worte wie aus einem Krampfe zu sich; seine Hände, die den Schuldigen an der Brust gepackt hielten, lösten sich auf, er ging wankenden Schrittes zu dem Leichnam seiner Tochter hinüber, kniete neben ihr nieder und brach in Tränen aus.

Mit gerunzelter Stirn blickte der Oberst zu Boden und gab ein Zeichen, daß der Leutnant, dem die Hände bereits gebunden waren, abgeführt würde. Wie er dann das verwaiste Kind bemerkte, mit dem sich ein paar Bäuerinnen beschäftigten, betrachtete er es, dachte ein wenig nach und wandte sich zu dem Pfarrer. Wenn es ihm recht sei, sagte er, so wolle er das kleine Mädchen mitnehmen und zu Hause mit seinen eigenen Kindern aufziehen lassen, daß es einmal eine reiche und vornehme Dame würde.

Der Pfarrer stand auf, legte die Hand auf den blonden Kinderkopf und sagte, das könne nicht sein. Gott habe ihm das Kind anvertraut, es solle lieber bei ihm ein Bettelkind werden als ein Fürstenkind anderswo.

Das sei wunderlich geredet, sagte der Oberst unzufrieden. So möge der Pfarrer denn gestatten, daß er dem Kinde ein Schmuckstück hinterließe, zum Andenken und auch zur Buße; und er löste sich dabei eine goldene Kette mit einem Anhänger von der Brust, auf dem ein Bild der Mutter Maria in Schmelz gegossen war. Der Pfarrer war im Begriff, die Gabe unwillig zurückzuweisen; allein als er das Kind mit Lachen danach haschen sah, besann er sich und ließ es schweigend geschehen, daß der Oberst das Gehänge um den kleinen Leib wand.

Da sich gleichzeitig alle Blicke dahin wendeten, wo eben der Mörder zur Hinrichtung geführt wurde, stieg dem Pfarrer das Blut ins Gesicht, und er wandte sich hastig an den Obersten mit der Bitte, den Delinquenten loszulassen, er habe seine Rache Gott geopfert und wolle seinen Tod nicht mehr.

Das gehe nicht an, erwiderte der Oberst, er könne einen Bösewicht nicht bei braven Soldaten stehen lassen, das sei ein schlechtes Exempel, und Strafe müsse sein.

Es sei Ostern und Frieden, sagte der Pfarrer, seit dreißig Jahren zum ersten Male Frieden. Leider sei der holdselige Tag mit Blut befleckt worden, das müßten sie sühnen, es geschehe aber nicht durch mehr Blut. Der Schuldige solle zusehen, wie er seine Seele errette.

Mit sichtlichem Widerwillen gab der Oberst endlich nach; er tue es ungern, sagte er, und nur, um dem Pfarrer seinen guten Willen zu beweisen.

Der Pfarrer dankte und wies die Bauern an, nunmehr den Kirchhof ein wenig zu säubern, damit er den Gottesdienst vollenden und ihnen das Abendmahl reichen könne; den Obersten lud er ein, mit den Seinigen daran teilzunehmen. Nach einigem Zögern sagte der Oberst, sie wären meistenteils Katholiken und stehe es ihnen fast nicht an, einer evangelischen Osterfeier beizuwohnen, man könne es aber zu dieser Zeit und bei dieser Gelegenheit so genau nicht nehmen, und zum Zeichen des endlich aufgerichteten Friedens willige er ein.

Es war inzwischen Abend geworden, und der weiche Himmel bog sich über das dämmernde Hügelland, wie ein Strauch voll weißer Rosen über ein Grab. Der Tisch wurde wieder hergerichtet, und für den verschütteten Wein wurde Wasser gebracht. Dergleichen Abendmahl habe er noch nicht gesehen, fuhr es dem Obersten heraus, der den Vorbereitungen staunend zusah; es scheine mehr für Vieh als für Christenmenschen zu passen.

»Als Christus auferstanden war,« sagte der Pfarrer, während er das Brot sorgsam von Erde reinigte, »hatte er ein fremdes Antlitz, und seine Jünger erkannten ihn nicht.«

Der Oberst verstand nicht, schwieg aber, und als alle versammelt waren, nahm er seinen Federhut ab, richtete einen befehlenden Blick auf seine Soldaten und kniete nieder, worauf alle seinem Beispiel folgten. Das Stückchen Brot, das der Pfarrer ihm, als dem ersten, reichte, würgte er folgsam, wenn auch nicht ohne Widerwillen hinunter.

Als die stille Zeremonie beendet war, brach die Nacht herein. Wie wenn Chorknaben die Rauchgefäße schwingen und duftendes Gewölk die Pfeiler des Domes verhüllt, wogte es weit um die verschwimmenden Trümmer der zerstörten Kirche, um die Grabkreuze und die knienden Menschen. »Siehe, es ist alles neu geworden«, sagte der Pfarrer, nachdem er den Segen gesprochen hatte. Alle blieben noch eine Weile mit gesenktem Kopfe, dann standen sie von der feuchten Erde auf, die Soldaten blickten wartend auf den Obersten. »Aufsitzen!« kommandierte der, »weiter!«, worauf sie nach ihren Pferden eilten und in schnellem Trabe aus dem Dorfe ritten. Der Pfarrer lud sein totes Kind auf den Arm und verließ an der Spitze seiner Gemeinde festen Schrittes den Totenacker.

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