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An die Tür eines dicht an der Zwickauer Stadtmauer klebenden Häuschens klopfte es ängstlich und hastig, worauf ein blindes Fenster sich öffnete und eine alte Frau herausschauend einen kleinen Knaben gewahrte, der angstvoll zu ihr aufblickte und um Einlaß bat. Die Alte zog den Kopf zurück, machte vorsichtig die Tür auf und ließ den Jungen eintreten, der von Schlamm tropfte und über und über zitterte, obwohl es ein schwüler Augustabend war. Wie er sich denn so zugerichtet habe? schalt die Alte; er solle alles erzählen, aber nicht lügen, sie könne es ihm von der Stirne ablesen.

Der Junge erzählte, daß er des Apothekers Sohn aus Chemnitz sei und daß die Holkischen Jäger die Stadt eingenommen hätten. Bei seinem Vater sei ein ganzer Haufe im Quartier gelegen, die hätten geplündert, viele Kruken und Gläser voll Arznei aus dem Fenster geworfen, aus anderen Sachen Bündel gemacht, und als sie abgezogen wären, ihn geheißen, sie ihnen nachzutragen. Die Eltern hätten geweint und gefleht, aber der Leutnant habe gesagt, ein Bube sei ihnen an der Pest gestorben, ein anderer davongelaufen, sie brauchten einen Ersatz. Es solle ihm kein Leid geschehen; wenn er ihnen die Bündel bis Zwickau getragen hätte, wollten sie ihn zurückschicken und ihm noch einen Lohn dazu geben. Unterwegs hätten sie ihm aber gesagt, sie wollten ihn behalten, weil er so gescheit und behende sei, er werde sein Glück machen und ihnen später dankbar sein. Da habe er sich vielmals bedankt und geantwortet, er wolle kein Soldat, sondern Pfarrer werden, dürfe auch seine Eltern nicht verlassen, denen der Leutnant ja auch versprochen habe, ihn heimzuschicken; worauf sie böse geworden wären, ihm ein paar heruntergehauen und gesagt hätten, bei ihnen bleiben müsse er, und wenn er zu entwischen versuche, würden sie ihn am nächsten Baum aufhängen. Bei Tage habe er nicht weglaufen können, bei Nacht aber die Gelegenheit gefunden, sich in einem tiefen, mit Wasser gefüllten Graben zu verstecken, und sei viele Stunden darin geblieben, bis das Regiment weitergezogen wäre. Er habe bis an den Hals im Wasser gesteckt und währenddessen alle Sprüche gebetet, die er auswendig wisse, so habe er es mit Gott ausgehalten und sei auf geschwinden Pfaden, die ihm bekannt wären, nach Zwickau gelaufen.

Die Alte klopfte dem Jungen die Backen, lobte seine Tapferkeit und sagte, er solle sich in das Bett legen, das in der Ecke stehe, half ihm, sich auszuziehen, und warf seine verschlammten Kleider in die Regentonne, die vor der Tür stand. Das solle sie doch um Gottes willen nicht tun, bat der Kleine, wenn die Soldaten kämen, würden sie alles um und um suchen, die Kleider finden und seinen Aufenthalt entdecken. Das würden sie sich nicht getrauen, sagte die Alte geheimnisvoll kichernd, vor ihr liefen sie davon wie die Hasen vor einer Krautscheuche. Der Junge betrachtete sie neugierig und ehrfurchtsvoll und fragte leise, wer sie sei? ob sie zaubern könne? worauf sie noch mehr lachte, ihm einen Teller mit Mus und ein Glas abgestandenes Bier brachte und ihm befahl, er solle schlafen, er habe das Fieber. So verhielt es sich in der Tat; er sprach immer rascher und lauter: wenn er wieder zu seinen Eltern käme, würden sie sich der Alten dankbar erweisen, die Soldaten hätten ihnen zwar vieles fortgeschleppt, aber das Beste hätten sie in ein Loch in der Brunnenmauer versteckt. Wenn ihn nur die Soldaten nicht fänden, in ein paar Stunden würden sie gewiß in der Stadt sein, es sei ja nicht einmal ein Torwärter da, er selbst habe unvermerkt hineinschlüpfen können.

»Der Torwärter ist gestern gestorben«, sagte die Alte; »aber jetzt ist ein neuer da, der wird die Stadt gut bewachen, braucht nicht einmal Schloß und Riegel dazu.« Der Kleine sah die hüstelnde Alte mit großen glänzenden Augen erwartungsvoll an. »Wer ist es?« flüsterte er. »Es ist die Pest«, sagte ihm die Alte ins Ohr. Der Junge fuhr ein wenig zurück und besann sich. Und wer denn sie sei? fragte er weiter. »Ich bin die Pestfrau,« sagte die Alte, »und das Bett, in dem du liegst, ist das Pestbett; kurz eh du kamest, haben sie die letzte Leiche herausgeschafft.«

Dabei fing sie so zu lachen an, daß der Schemel unter ihr krächzte. Der Knabe holte tief Atem und sagte, das habe Gott so gefügt, damit die Soldaten ihn nicht auftrieben, faltete die Hände und betete deutsch und lateinisch, worüber er endlich einschlief, so daß er den Lärm der in die Stadt eindringenden Soldaten nicht hörte.

Im Laufe des Vormittags traf Holk selbst in Zwickau ein und begab sich böse gelaunt sofort auf das Rathaus; denn ein paar Offiziere waren ihm mit der Nachricht entgegengekommen, die meisten Häuser ständen leer, in Küche und Keller sei nichts aufzutreiben, man müsse inmitten einer wohlhabenden Stadt Hunger leiden. Die beiden Ratsherren, die Holk in der Ratsstube fand, herrschte er an, was das heißen solle? Wo die Bürgermeister und übrigen Ratsherren wären? Seine Truppen müßten ins Quartier; wo die Bürgerschaft sei? Er würde schon Mittel finden, sie aus ihren Verstecken auszuräuchern.

Die Bürgerschaft liege allermeist auf dem Friedhofe, sagte der eine; die Soldaten, die letzthin durch Zwickau gekommen wären, hätten die Pest eingeschleppt, an achtzig Häuser wären gänzlich ausgestorben. Andere wären ausgewandert, da man füglich zwischen lauter Gräbern keinen Erwerb und Nahrung mehr finden könne.

Das wären Ausflüchte, sagte Holk erbost, er kenne die Zwickauer, das Gaukelspiel solle sie aber teuer zu stehen kommen. Die Stadt müsse sogleich 5000 Reichstaler Kontribution erlegen, ferner den Soldaten einen rechtschaffenen Unterhalt beibringen. Ach Gott, sagten die Ratsherren, kümmerlich lächelnd, wie denn die paar übriggebliebenen, dem Tode abgesparten Elenden 5000 Reichstaler aufbringen sollten? Holk wisse ja wohl, daß die Stadt ihm erst kürzlich 8000 Reichstaler habe zahlen müssen, dabei sei der allerletzte Sparpfennig aufgegangen. Wenn man alles Vorhandene auf einen Haufen sammelte, würde nicht 1000 Reichstaler Wert mehr herauskommen. Das werde sich zeigen, sagte Holk; sie, die beiden Ratsherren, nehme er als Geiseln und werde sie nicht eher freigeben, als bis die verlangte Summe erlegt sei. Die beiden Männer baten, er möge sie doch von ihrer Familie Abschied nehmen lassen, die sie ja wohl nie wiedersehen würden; aber Holk winkte ein paar Soldaten, ihnen die Hände zu binden und sie ohne Verzug im Rathaus einzusperren. Soeben kam in voller Wut ein Offizier gelaufen und meldete, er habe sich eine Mahlzeit aufdecken lassen wollen, da habe auf dem Tisch lang ausgestreckt ein halb verwester Leichnam gelegen; eine solche Ungebühr müsse an der ganzen Stadt gerächt werden, man könne ja vor Abscheu, von der Ansteckung ganz zu schweigen, den Tod haben. Holk fluchte: das sollten die beiden Ratsherren büßen, man solle sie dicht unters Dach legen, damit die Sonne sie verbriete. Und wie das zugehe, wandte er sich an einen zitternden Ratsdiener, daß unbegrabene Tote in den Häusern umherlägen? Das sehe einer Verschwörung gleich, er wolle die Stadt an allen Ecken anzünden lassen und sich der Toten und Lebendigen miteinander entledigen. Der Gefragte gab Auskunft, daß der Totengräber kürzlich davongelaufen sei; ein neuer sei noch nicht bestellt, und die Bader, die die nächsten dazu wären, weigerten sich. Er wolle ihnen schon zum Tanze aufspielen, drohte Holk; inzwischen sollten die Soldaten die Bürgerschaft zum Reinigen der Häuser antreiben.

Beim Verlassen des Rathauses legte einer von Holks Adjutanten ein Wort für die beiden Ratsherren ein; wenn sie stürben, meinte er, fiele es ihm aufs Gewissen, und Geld würde er doch nicht sehen; es scheine in Wahrheit nichts mehr vorhanden zu sein. Holk antwortete verdrießlich, man müsse nur ordentlich pressen, es kämen schon ein paar Tropfen. Der General habe ihm befohlen, starke Mittel zu gebrauchen, und er verlange bündigen Gehorsam; die Folgen gingen ihn, Holk, nichts an, sein Gott und sein Gewissen sei Wallenstein.

Er bezog das Haus des Bürgermeisters, der die Stadt verlassen hatte, ließ Wein aus dem Keller schaffen und zechte bis in die Nacht mit den Kameraden. Stark angetrunken schlief Holk, mit dem Oberkörper auf dem Tische liegend, ein; unterdessen entfernten sich die Offiziere mit den Mädchen, die beim Essen bedient hatten. Nach einer Stunde erwachte Holk mit dem Gefühl, daß ihm jemand von hinten den Hals angehaucht habe, fuhr auf und blickte sich zögernd, nicht ohne Grauen um. Durch das geschlossene Fenster sah er den fast vollen Mond, der gerade über den spitzen Hausgiebeln gegenüber stand; der Anblick erinnerte ihn an die Überreste eines Geräderten auf dem Rade, und ein fauliger Geruch, den er spürte, schien ihm von dort auszugehen. Jetzt fiel ihm ein, daß ein Mädchen die Nacht hatte bei ihm bleiben wollen und daß sie mit einem anderen, den er ohnehin nicht leiden konnte, Blicke gewechselt hatte; war sie mit dem fortgegangen, oder hatte sie sich irgendwo versteckt? Er stand auf und tappte nach einer Tür, die er öffnete: er sah in der Dunkelheit nichts als ein Paar rote Augen, die ihn trübe glimmend anstarrten. Unwillkürlich sprach er ein Stoßgebet; dann fiel ihm ein, daß dies ein erlöschendes Feuer in einer Pfanne war, über der man Wacholderbeeren erhitzt hatte, und daß davon der süßliche Geruch kam, den er nicht loswerden konnte. Unwillig tastete er sich nach einer anderen Tür und rief nach seiner Dienerschaft; aber niemand kam, und niemand antwortete.

Während der ganzen Zeit spürte er den Mond hinter sich, wie wenn der geräderte Tote die modernde Hand nach ihm ausstreckte, und wagte nicht, sich umzusehen und die Täuschung richtigzustellen. Die Diener, die endlich kamen und ihn zu Bett brachten, entschuldigten sich mit schwerem Schlaf; das leere Haus komme ihnen wie verhext vor. Ja, er wolle morgen weiter, sagte Holk; in der verfluchten Stadt setze sich einem noch die Pest auf den Nacken.

Unterwegs traf Holk eine Ordonnanz Wallensteins, er solle in Gera mit Arnim zusammentreffen und sich wegen des Friedens besprechen. Holk solle sich dabei mit seiner gewohnten Prudenz verhalten und nicht in die Fallen gehen, die der listige Arnim ihm stellen würde.

Der schlüpfrige Auftrag beunruhigte ihn ein wenig; andererseits schmeichelte es ihm, Arnim, der sich für einen unübertrefflichen Politiker hielt, zu überlisten; er nahm sich vor, ihn gehörig zu ärgern und womöglich mit kreuz und quer schießenden Irrlichtern in den Sumpf zu locken. In Gera angekommen, kleidete er sich prächtig an, behängte sich mit der schweren goldenen Kette, die er sich in Leipzig hatte verehren lassen, und befahl auch seiner Dienerschaft, sich nach Möglichkeit herauszuputzen. Nach dem Austausch der üblichen Höflichkeiten fing Arnim von der sächsischen Friedensliebe zu sprechen an und daß der Kurfürst ganz perplex über Holks Einfall in sein Land bei währendem Waffenstillstand sei.

Er sei von dem Abschluß des Waffenstillstandes noch nicht unterrichtet gewesen, sagte Holk. Übrigens könne er doch die Waffen nicht niederlegen, solange der Herzog von Weimar mit offenbar feindseliger Intention an der Grenze drohe. Er habe nichts Böses wider den Kurfürsten im Sinne, und wenn seinem Heere nur immer der nötige Unterhalt gewährt worden wäre, hätten sie in Frieden nebeneinander leben können. An seiner Friedensliebe werde Arnim doch nicht zweifeln, er sei ja Protestant, werde seine Glaubensgenossen nicht in Ruin setzen wollen. Auch sei er ja nunmehr deutscher Reichsgraf, wie Arnim wohl wissen werde, und es stehe ihm als solchem besser an, sein Vaterland vor Verwüstung zu bewahren als damit heimzusuchen.

Mit Erwähnung dieser Standeserhöhung gelang es Holk, Arnim empfindlich zu ärgern. Er habe davon gehört, sagte er, auch daß Holk Güter in Böhmen von Wallenstein erhalten habe; wenn aber Böhmen wirklich in den alten Stand restituiert würde, könne ihm der eben gefangene Vogel leicht wieder aus der Hand wischen.

Nun, sagte Holk selbstgefällig, das hange doch auch davon ab, ob einer wirklich Meriten um Kaiser und Reich hätte.

Beim Mittagessen, zu welchem Arnim Holk mit einem vertrauten Offizier einlud, wurde das Gespräch fortgesetzt. Arnim sagte, von Bernhard von Weimar brauche Holk nichts zu besorgen, er sei jetzt auf dem Wege zu Oxenstierna, wo sie einen endgültigen Beschluß fassen würden. Wallenstein, aus dessen Lager er eben komme, habe ernstlichen Willen zum Frieden und bürge auch so oder so für die Einwilligung des Kaisers.

Ja, sagte Holk eifrig, daß sie, die den Krieg in der Hand hätten, einig untereinander wären, das sei die Hauptsache. Arnim könne ja wohl ebenso für den Kurfürsten einstehen.

Das könne er, sagte Arnim; wenn nur die evangelische Religion stabiliert würde, so finde er keinen Grund mehr zum Kriege.

Plötzlich stieß Holk seinen Teller zurück und sagte, das Rebhuhn ekle ihn, es rieche nach faulen Pilzen.

Das könne er nicht finden, sagte Arnim erstaunt und mißbilligend, es munde ihm vorzüglich. Holk solle einen Schluck Wein dazu trinken.

Holk stand auf und öffnete das Fenster. »Mit Euer Exzellenz Erlaubnis,« sagte er, »der unleidliche Geruch benimmt mir den Atem.« Vielleicht komme es davon her, daß sie die letzte Nacht durch einen feuchten Wald geritten wären, wo es nach Pilzen gerochen hätte.

Arnim beachtete es nicht weiter und fuhr fort, über die Möglichkeit zu sprechen, daß der Kaiser auf die von Wallenstein beliebten Friedenspunkte nicht eingehen wollte. Wie Holk sich dazu stellen würde, wenn es gälte, eine nachdrückliche Schärfe gegen den Kaiser zu gebrauchen.

»Des Generals Wille ist mein Wille«, sagte Holk. Er wisse ja auch, setzte er hinzu, daß Wallenstein nichts intendiere, was nicht zu guter Letzt das Wohl des Kaisers bezwecke.

Arnim bat Holk, sich näher darüber zu erklären, was des Kaisers Wohl sei, und blickte, da er keine Antwort erhielt, fragend nach ihm hinüber. Holk habe ja die Farbe verloren, sagte er, und er esse ja nicht?

Der Geruch mache ihm übel, antwortete Holk, er könne keinen Bissen hinunterschlucken.

Der Offizier stand auf und befahl einem Stallknecht, der auf dem Platze stand, wohlriechende Blumen im Wirtsgarten zu pflücken, und stellte den eilig gebrachten Strauß auf den Tisch. »Der Herr hat Einfälle wie ein Weib«, sagte Holk zu seinem Offizier, lobte aber die Wirkung des Blumengeruchs, der die Luft reinige. Nach einigen Minuten jedoch rief er: »Es riecht faul!« und warf den Strauß aus dem Fenster. Ohne daß die Unterredung zu einem Ergebnis geführt hätte, brach er bald danach auf und begab sich eilig in seine Wohnung.

Am folgenden Morgen sagte er zu dem Offizier, der mit ihm bei Arnim gewesen war, er sei jetzt ganz wohl, und der widerliche Geruch sei verschwunden; es habe also an Arnims Gasthaus, nicht an ihm gelegen.

Ja, was sollten sie denn dort getrieben haben? meinte der Offizier nachdenklich.

Vielleicht habe Arnim etwas ins Essen praktiziert, sagte Holk; ob er, der Offizier, nichts bemerkt habe?

Nein, erwiderte der, und Arnim habe ja selbst davon gegessen, das sei nicht anzunehmen. Und zu welchem Zweck er das getan haben sollte?

Warum? sagte Holk heftig. Weil er ein falscher, verschmitzter, pfäffischer Giftmolch sei und Lust an heimtückischen Bubenstreichen habe, es brauche keinen Grund weiter. Arnim sei voll Galle und würde am liebsten Gott selbst vergiften.

Das habe er nicht gewußt, sagte der Offizier erschrocken; Gott sei Dank, daß Holk so wenig zu sich genommen habe.

Holk nickte. Jetzt sei ihm wohl, außer daß ihm die Haut kribbele wie von Ameisen. Er sei jetzt ungeduldig, den Ort und das verwünschte Sachsen überhaupt zu verlassen.

In Plauen befand er sich so schlecht, daß er nicht mehr zu Pferde sitzen konnte und einen Wagen bestellte; aufhalten wollte er sich nicht, sagte er, solange er in Sachsen sei, bleibe er unter keinem fremden Dache. Zu dem Arzt, der gerufen wurde, sagte er, er bedürfe seiner nicht, wisse ohnehin, daß er vergiftet sei. Der Arzt betrachtete und betastete ihn aufmerksam. »Die Symptome sind häßlich«, sagte er, mußte aber auf Holks Befehl abziehen, ohne etwas verordnet zu haben.

Eine Stunde hinter Plauen ließ Holk den Arzt holen: er solle bei empfindlicher Strafe eilig zu Pferde kommen und seine besten Arzneien mitbringen. Als der Arzt an die Kutsche trat, lag der Feldmarschall stark fiebernd in eine Ecke gedrückt und hatte augenscheinlich Mühe, die Personen zu erkennen. Mit Hilfe des Kammerdieners zog ihm der Arzt das Oberkleid ab und sagte nach flüchtiger Untersuchung: »Es ist die Pest, wie ich gleich gedacht habe.« Holk starrte ihn mit glasigen Augen an, sich gewaltsam besinnend. »Was für ein Hund spricht von Pest?« stammelte er. »Ich habe Gift im Leibe!«

Die Beulen säßen in der Achselhöhle, sagte der Arzt, das sei ein unwiderlegliches Zeichen. Holk solle noch ein paar Decken auf sich legen und schwitzen; übrigens solle er, anstatt zu schimpfen, seine Seele Gott befehlen.

Holk machte einen Versuch aufzustehen, fiel aber wieder auf den Sitz zurück. Der Kutscher solle eilen, eilen, sagte er, daß sie nach Adorf kämen; dort wäre vielleicht ein verständiger Arzt aufzutreiben.

Er kam zu sich, als der Wagen hielt, und rief nach Wasser. Da sich nichts rührte, kroch er mühsam an das Fenster und beugte sich hinaus. Weit und breit regte sich nichts; der Wagen stand auf einer schmalen Fahrstraße zwischen Stoppelfeldern, die wie das kurze, borstige Fell eines großen Tieres anzusehen waren, eines einsamen, auf einer Klippe im Weltraum träumenden Leviathan. Über den Höhen des Erzgebirges loderte die untergehende Sonne; sie schien Holk so nah zu sein, daß er entsetzt zurückfuhr. Er wußte, daß es die Sonne, aber nicht minder gewiß, daß es die Hölle war: aus bodenlosem Kessel schlug das unauslöschliche, allgegenwärtige rächende Feuer. Er glaubte das Wallen und Flackern der Flammen zu hören und die zunehmende Glut zu spüren und versuchte laut um Hilfe und um Wasser zu schreien: da stand plötzlich der Kutscher mit einem Kübel Wasser vor ihm und starrte ihm furchtsam ins Gesicht. Die Pferde seien am Verschmachten gewesen, sagte er, darum sei er fortgegangen und habe Wasser für die Tiere gesucht. »Wasser!« stöhnte Holk, »die Hunde lassen mich verdursten.« Der Mann hob den Kübel herauf, und Holk langte mit beiden Händen hinein und führte sie zum Munde, stieß aber sogleich das Gefäß mit Abscheu zurück. »Es schmeckt faul!« rief er, »woher hast du das Wasser genommen?« Wie jedoch der Kutscher sich anschickte, das Wasser den Pferden zu bringen, streckte Holk die Arme nach ihm aus und rief: »Verlaß mich nicht! Siehst du nicht, daß ich des Todes bin? Hole mir einen Pfarrer, daß ich beichten kann!« Hierherum sei kein Mensch, kein Dorf, keine Hütte, sagte der Kutscher. Sie wären doch nicht in der Türkei, jammerte Holk, es müsse doch ein Pfarrer da sein! Er solle ihm hundert, fünfhundert Reichstaler versprechen, wenn er schnell käme! »Hole mir einen Pfarrer, du Schuft, daß ich nicht zur Hölle fahre!« schrie er, da der Kutscher noch zögerte, der nun, im Grunde froh, den Sterbenden verlassen zu können, spornstreichs davonlief. Gleich darauf kamen mehrere Holksche Offiziere zu Pferde an und fanden ihren Feldmarschall tot in der Kutsche.

*

Zwei Wochen nach Holks Tode langte Arnim bei Wallenstein an und erzählte ihm, daß er die beiden Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg dahin gebracht habe, zu der Konjunktion der Armeen ihre Zustimmung zu geben.

Ja, von Arnim komme ihm nur Gutes, sagte Wallenstein, nicht umsonst habe er seine Angelegenheiten stets gern Arnim anvertraut.

Er habe es sich Mühe kosten lassen, fuhr Arnim fort; den Kurfürsten gehe es mit ihren Entschlüssen wie manchen Leuten mit ihren Gänsen, mästeten sie so lange, daß sie verreckten, bevor es zum Schlachten käme. Er habe aber einen nachdrücklichen Ernst gezeigt und sich auch gewissermaßen für Wallenstein verbürgt.

So könnten sie also unverweilt miteinander auf den gemeinsamen Feind losgehen, sagte Wallenstein.

Arnim stutzte. Allerdings, sagte er nach einer Pause, wer sich dem Frieden widersetzte, dem wollten sie ihre Meinung mit den Waffen demonstrieren.

Den Schweden, sagte Wallenstein, gönne er die Überraschung, die ihnen bevorstehe. Die hätten sich eingebildet, in Deutschland regieren zu können. Er könne es nicht erwarten, sie ins Meer zu jagen.

Das werde nicht nötig sein, entgegnete Arnim. Er komme jetzt von Oxenstierna, der wünsche sich nichts Lieberes als eine aufrichtige Konjunktion mit Wallenstein, um den Frieden herbeizuführen. Wegen der Satisfaktion werde man sich einigen, schließlich müsse Brandenburg Pommern zedieren, der Verlust könne durch die schwedische Heirat ausgeglichen werden.

Wallenstein lachte. Ob Arnim ernstlich glaube, es sei seine Meinung, mit den Schweden zu akkordieren? Hätte er sie gerufen? Er sei der Tölpel nicht, ihnen einen Lohn auszuhändigen dafür, daß sie den Ruhestand Deutschlands perturbiert hätten. Hinauswerfen wolle er sie und hoffe, daß ihm Arnim dabei behilflich sein werde.

Das könne er nur für eine scherzhafte Rede halten, sagte Arnim aufstehend. Er sei jetzt wochenlang hin und her gereist und habe die Kurfürsten bearbeitet, um die Kombination zustande zu bringen; seine Ehre sei verpfändet. Es sei doch nicht möglich, daß Wallenstein jetzt alles verkehre und ihn Lügen strafe.

Ihm scheine es vielmehr, als rede Arnim irre, sagte Wallenstein, indem er eine hochmütige Miene annahm. Er wisse es nicht anders, als daß sie miteinander eins geworden wären, über die Schweden herzufallen und dann den allgemeinen Reichsfrieden herzustellen. Ob Arnim etwas anderes schriftlich von seiner Hand habe?

Arnim wurde dunkelrot und stampfte mit dem Fuße auf. »Der Donner soll mich treffen,« fluchte er, »daß ich noch einmal getraut habe!«

»Der Herr weiß nicht, was er redet«, sagte Wallenstein mit harter Stimme. »Der Herr verdreht mir die Worte im Munde, um mich in seine fuchsschwänzigen Judasprojekte zu verflechten. Er hat mir eine Falle gestellt.«

Als Arnim auf dem Rückwege von dieser Zusammenkunft den Herzog von Sachsen-Lauenburg aufsuchte, sagte dieser lachend, er habe nicht für möglich gehalten, daß Arnim sich so erhitzen könne; er sehe aus, als müsse ihm im nächsten Augenblick ein Äderlein platzen. Arnim gab die gehabte Unterredung wieder; der Teufel habe nun seine Klaue gezeigt, sagte er, man könne sich eben doch mit dem katholischen Schlangengezücht nicht einlassen.

Franz Albrecht hörte nachdenklich zu und meinte endlich, da walte gewiß ein Mißverständnis vor; vielleicht sei Wallenstein durch irgend etwas disgustiert gewesen, launisch sei er ja und verwöhnt wie eine schöne Buhldirne.

Gerade darum, sagte Arnim, wolle er nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er stecke so voll Lug und Trug, daß er selbst nicht mehr wisse, was er wolle. Wenn er jetzt auch noch einmal glatte Worte brauchte, er, Arnim, lasse sich nicht wieder fangen.

Man müsse mit Wallenstein auf besondere Art umgehen, sagte der Lauenburger, ihm die Worte gewissermaßen selbst in den Mund legen.

Der Herzog möge es immerhin versuchen, sagte Arnim, er sei gegen so viel Falschheit nicht gewappnet.

Franz Albrecht dachte nach: ja, Wallenstein war launisch, und er war furchtsam; er hatte im Grunde Angst vor der kaiserlichen Macht, und der Umstand, daß er soeben seinen ergebensten Offizier, nämlich Holk, verloren hatte, mochte ihn unsicher gemacht haben. Gleichzeitig war dem Thronfolger, von dem er geglaubt hatte, er werde ohne Erben verkümmern, ein Söhnlein geboren worden; das mochte ihm so vorkommen, als nehme das Schicksal sich seiner Gegner an. Es komme also darauf an, dachte er, ihm Mut einzuflößen, was Arnim immer so gut verstanden habe. Wie, wenn es nun aber nicht gelingen wollte?

Übrigens, sagte er, sich plötzlich aus seinem Sinnen gegen Arnim wendend, könne man ja auch wirklich mit Wallenstein vereint die Schweden hinauswerfen.

Arnim warf einen ärgerlichen Blick auf Franz Albrecht. Auf die Art, sagte er, daß man sie jetzt, das Bündnis brechend, überfalle, gehe es einmal gewiß nicht, das müsse anders vorbereitet werden. Franz Albrecht solle sich nur mit seinen Reden vorsehen, er wisse ja gut genug, was für ein Geschwätz unter den Schweden über ihn im Schwange sei.

Das tue ihm nicht weh, lachte der Herzog auf, könne ihn höchstens bewegen, ihnen das Lügenmaul zu stopfen. Die Franzosen wären auch da, denen das schwedische Bündnis im Grunde verhaßt wäre. Mit ihrer Hilfe hätten sie gewonnenes Spiel, sie könnten Wallenstein auch in Böhmen einsetzen.

»Von den zwei Spitzbuben«, sagte Arnim böse, »ist mir der schwedische noch lieber als der französische.« Außerdem wolle ja Wallenstein von der böhmischen Krone gar nichts mehr wissen.

Nein, das könne er doch nicht glauben, erwiderte Franz Albrecht, er habe sich zu tief in die böhmische Sache eingelassen. Vielleicht wolle er sich nur nicht klar darüber äußern, wolle, ohne zu sprechen, verstanden sein; aufgeben könne man ihn noch nicht.

Wallenstein fühlte nach Arnims Abreise eine große Befriedigung. Gott sei Dank, dachte er, daß er den selbstsüchtigen, eigenmächtigen Brandenburger ein- für allemal losgeworden sei, der ihm immer seinen Einfluß aufgedrängt habe, um ihn für fremde Zwecke auszunützen. Nun könne er sich wieder frei entschließen. Er ließ Seni kommen und erzählte ihm, daß er mit den Sachsen und Schweden gänzlich brechen wolle. Er habe schon vorausgesehen, sagte dieser, daß ein Umschwung eintreten werde; denn er habe nachts eine bedeutsame neue Konstellation am Himmel beobachtet. Wallensteins Stern schwinge sich wieder mächtig empor, er werde allen seinen Feinden obsiegen.

Den Herzog von Lauenburg empfing der Herzog mit einer Klage über Arnims Arglist: er könne es nicht fassen, sagte er, daß Arnim, der den Frommen herauskehre, solchen Betrug ausübe, ihn mit Worten binden zu wollen, die er niemals gesprochen habe.

Franz Albrecht entgegnete munter, den pfäffischen Arnim wollten sie einmal beiseite lassen. Von ihm, Franz Albrecht, wisse ja Wallenstein, wie widerwärtig ihm die Schweden wären und daß er gewiß nicht daran denke, ein ewiges Bündnis mit ihnen zu halten. Jetzt frage es sich aber, ob man es ohne ihren Beistand mit dem Kaiser aufnehmen könne? Ob man es etwa lieber mit den Franzosen versuchen sollte?

»Habe ich jemals gesagt,« fragte Wallenstein scharf, »daß ich etwas gegen den Kaiser tentieren würde? Das wäre eine Spitzbüberei!«

Nun, erwiderte Franz Albrecht lachend, er habe die Möglichkeit erwogen, daß der Kaiser etwas gegen ihn tentierte, wenn er sich der böhmischen Emigranten annähme.

Böhmen! Böhmen! rief Wallenstein sich ereifernd. Ja, es möchte manchem Leckermaul passen, wenn er ihm die Kastanien aus dem Feuer holte. Franz Albrecht habe ja wohl auch Geschmack an böhmischen Schürzen und Geldsäcken bekommen, täusche sich aber, wenn er glaube, er, Wallenstein, setzte seine Reputation aufs Spiel, um Weiberjägern und Huren den Beutel zu füllen.

Allmählich fing der Lauenburger die Fassung zu verlieren an. Jetzt würde es ihn nicht wundern, sagte er, wenn die Elbe sich umdrehte und ins Mittelmeer würfe. Er möchte aber lieber glauben, daß Wallenstein das Gedächtnis als seine Inklination und Freundschaft für ihn verloren hätte.

»Das sieht euch Schelmen gleich,« sagte Wallenstein trocken, »daß ihr mich zum Narren machen möchtet, um nicht als Lügner dastehen zu müssen.«

Eine nochmalige Unterredung, die der Herzog von Sachsen-Lauenburg und der alte Graf Thurn mit Wallenstein hatten, führte zu keinem anderen Ergebnis. Thurn behauptete, es müsse sich des Generals eine Gemütsverwirrung bemächtigt haben, sonst könne doch nicht aus einem so großen Fürsten und Feldherrn ein so meineidiger, abgefeimter zweizüngiger Jesuit werden. Franz Albrecht dagegen meinte, man müsse die Hoffnung noch nicht aufgeben: ein unsteter Wind könne unversehens wieder umspringen; hüten müsse man sich freilich vor einem zweiten plötzlichen Überfall. Trotz dieser augenscheinlich vorliegenden Gefahr war Thurn so sorglos, daß es Wallenstein gelang, ihn in seiner Stellung bei Steinau einzuschließen und mit sämtlichen Truppen gefangenzunehmen, wodurch fast ganz Schlesien in seine Hände fiel.

*

Es war November, und der Nebel lag dick im Hofe der Wiener Burg, als dem Kaiser, der mit seiner Frau und seinem Sohne beim Mittagessen saß, ein Billett Eggenbergs überreicht wurde. Er hielt es weit von sich und gab es dann der Kaiserin mit der Bemerkung, Eggenbergs Schrift werde immer kleiner und undeutlicher, er werde sie zuletzt mit dem Fernrohr suchen müssen.

Man brauche nicht erst zu lesen, sagte der König von Ungarn, er wisse ohnehin, daß Eggenberg sich wegen der heutigen Sitzung entschuldige. Wolle nicht dabei sein, wenn über den Friedländer beschlossen würde.

Der Wallenstein sei einmal sein Freund, sagte der Kaiser begütigend; er wisse aber genau, daß Eggenberg ihn, den Kaiser, über alles und auch mehr als den Wallenstein liebe.

»Wozu er auch verpflichtet ist«, sagte der König.

Nun, wendete sich die Kaiserin liebenswürdig zu ihrem Stiefsohn, sie wollten wegen des Briefes miteinander wetten. Er behaupte, daß Eggenberg nicht zur Sitzung kommen wolle, sie halte dagegen. Ob es um ein Paar florentinische Handschuh gehen sollte?

Er möchte am liebsten etwas Gesticktes von ihrer Hand, sagte der König, wenn es auch nur ein schlechtes Tuch wäre. Sie sollte, wenn sie gewönne, wählen, ob sie Handschuh oder ein Kleinod oder etwa ein paar Jagdhunde wolle; aber es werde nicht dazu kommen.

»Sonst würdest du auch nicht so splendid sein«, sagte der Kaiser lachend.

Er habe ihr doch kürzlich das hübsche Bild geschenkt, das von Rubens sein solle, sagte die Kaiserin.

Das habe er ja den Pragern abgepreßt, sagte der Kaiser.

Er hätte es doch auch für sich behalten können, sagte sein Sohn ernsthaft. Nun solle aber die Kaiserin den Brief lesen, damit er eher zu seinem Vorteil käme.

Es zeigte sich, daß Eggenberg in der Tat mitteilte, er könne wegen eines heftigen Anfalls von Podagra an der heutigen Sitzung nicht teilnehmen. Er würde sein Votum aufgeschrieben haben, wenn es nicht mißlich wäre, in einer so wichtigen Staatssache sich dem plauderhaften Papier anzuvertrauen. Nur so viel wolle er sagen, daß er dafür halte, wenn die bewußte hohe Person durch einen Vertrauten, etwa den Questenberg, zum freiwilligen Rücktritt veranlaßt werden könnte, so scheine ihm das der beste Weg zum Ziele zu sein, falls man nicht bei bekannter großer Leibesschwachheit besagter Person eine wahrscheinlich nahe bevorstehende Fundamentalveränderung erwarten wolle.

Ob sie dem König einen Lorbeerkranz auf seine Schärpe sticken solle? schloß die Kaiserin; das würde dem künftigen Kriegshelden wohl anstehen.

Der junge König nahm eine majestätische Haltung an und stemmte den Arm in die Seite. Dessen könne sie gewiß sein, sagte er, daß er ihrem erhabenen Geschenk keine Schande machen werde. Gott lege den Kaisern die Kraft in die Wiege, deren sie bedürften, um ihre Feinde in den Staub zu werfen. Er halte sich für auserkoren, der himmlischen Glorie, die sein Vater erworben, die kriegerische hinzuzufügen.

»Wenn du erst das Römische Reich auf dem Buckel hast, wirst du nicht mehr solche Sprünge machen«, scherzte der Kaiser behaglich; aber seine schon etwas verblichenen Augen hingen doch mit verstohlener Bewunderung an seinem ernsten Sohne.

Der Oberstkanzler Slawata, der Vizekanzler Strahlendorff und der Hofkriegsratspräsident Schlick fanden sich zu der Sitzung ein und wurden vom Kaiser, der auf einem erhöhten Sessel saß, mit Handreichung begrüßt. Die Herren sollten ihm helfen, seinen Mitkaiser loszuwerden, sagte er vergnügt; für ein solches Monstrum sei kein Platz auf dem habsburgischen Throne.

Schlick räusperte sich und sagte, die seraphische Gnädigkeit und Arglosigkeit des Kaisers habe einem gefährlich wuchernden Schwamme Zeit und Gelegenheit gegeben, sich auszubreiten und anzukleben, weswegen es nun großer Kraft und zugleich Behutsamkeit bedürfe, ihn zu entfernen. Für notwendig halte er es allerdings, da sonst, was jedem aufrichtigen Diener des Kaisers zu Herzen gehe, dessen Ansehen verkleinert und Erblande und Reich verderbt würden.

Von der heiligen Religion nicht zu reden, sagte Slawata, dessen Rücken ein wenig gekrümmt war und der den Kopf stets mit kläglicher Gebärde auf die linke Schulter geneigt trug. Wenn man die Gottlosigkeit ausrotten wolle, die heutzutage floriere, müsse man vor allen Dingen den Stamm umhauen, der ihr Halt gewähre. Nach seiner Erfahrung resultiere alles Übel aus der Gottlosigkeit.

Ob denn der Herzog von Friedland von der heiligen katholischen Religion abtrünnig geworden sei? fragte der Kaiser neugierig und ängstlich.

Nein, in forma wohl nicht, sagte Strahlendorff mit dröhnender Stimme, die er nicht mäßigen konnte, er nehme vielmehr überhaupt Abstand von der Religion. Es sei offenbar ein gewisses Nihil oder Vakuum beim Herzog von Friedland an Stelle der Religion vorhanden. Darum sei seine Meinung, daß man sich zunächst einmal über die facta hermachen solle, zum Beispiel über den so höchst ruinösen Fall von Regensburg.

Das sei auch seine Ansicht, sagte der König von Ungarn, wenn sein Vater ihm die Meinungsäußerung gestatte. Regensburg hätte nun und nimmer fallen dürfen. Wenn ein Generalissimus, der das ganze Reich, Fürsten, Adel und Untertanen, arm gemacht hätte, einen so wichtigen Paß in die Hände der Feinde geraten ließe, so sei er entweder untauglich oder ein Schelm.

Slawata bückte und krümmte sich in Bewunderung der Worte des Thronfolgers. Der Heilige Geist müsse sie ihm eingegeben haben, sagte er. Auch Schlick fand, der Pfeil habe ins Schwarze getroffen; es sei überflüssig, vielmehr unmöglich, noch etwas hinzuzusetzen. Ohne Zweifel, brüllte Strahlendorff, bedürfe die Weisheit des Erzhauses der Räte nicht, um in der Sache zu entscheiden. Da der Kaiser sie aber herbeschieden hätte, um ihm ihre Meinungen zu unterbreiten, so wolle er noch hinzufügen, daß der Herzog von Friedland allerdings sich damit defendiert habe, daß er die bayrische Garnison aus Regensburg habe ausschaffen wollen, daß der Kurfürst von Bayern es aber hintertrieben und also die Verantwortung auf sich behalten habe. Allein die kaiserliche Majestät habe trotzdem von ihm verlangen dürfen, daß er eine so ansehnliche kaiserliche Stadt vorsichtig im Auge behielte und den Kurfürsten von Bayern eventualiter sekundierte.

Der Kaiser rückte beunruhigt in seinem Sessel. Es wäre wohl besser gewesen, sagte er, man hätte das vielfältige Bitten der guten Stadt, ihr die bayrische Besatzung abzunehmen, erhört; aber es sei ja allbekannt, was für ein wunderliches Kramen mit seinem Vetter von Bayern sei.

Ja, die Furcht, bayrisch werden zu sollen, habe das arme Regensburg wohl etwas vom Kaiser abalieniert, sagte Strahlendorff.

Besser bayrisch als schwedisch, sagte Ferdinand von Ungarn. Er halte zwar die Stadt Regensburg, wo so viele Reichs- und Kurfürstentage von jeher abgehalten worden wären, für einen kostbaren Augapfel des Reichs, wolle sie sich auch nicht aus der Hand winden lassen; aber klar sei es, daß die Bürgerschaft durch Ketzerei verderbt sei und verräterischerweise mit dem Weimaraner und den Schweden unter einer Decke gespielt habe. Der Kurfürst von Bayern, sein Oheim, habe es redlich gemeint; Wallenstein dagegen, der es in der Hand gehabt hätte, Regensburg zu retten, habe es böswillig unterlassen, sei es aus Rachsucht gegen den Kurfürsten oder aus Begünstigung des Feindes oder aus beiden Ursachen zugleich.

Ja, anders könne das Problem nicht gelöst werden, stimmte Strahlendorff bei.

Ach Gott, und wenn es nur um die Stadt Regensburg ginge, sagte Slawata, so möchte es leidlich sein; wenn aber die ganzen österreichischen Erblande dem Satan in die Hände gespielt würden, so möchte einem billig das Herz darüber brechen.

Solange er lebe, werde das nicht geschehen, sagte Ferdinand; er habe keine Furcht, wisse, daß Gott und die Heilige Jungfrau für ihn wären.

Slawata faltete die Hände und sagte zum Kaiser gewendet, er sei selig zu preisen, daß er der Kirche und dem Reich einen solchen Bekehrer und Befreier geschenkt habe.

Der Kaiser, dem vor Schläfrigkeit die Augen zufallen wollten, fuhr in die Höhe und erwiderte, ja, der Ferdinand und der Leopold Wilhelm wären sein Trost in allen Widerwärtigkeiten. Wenn nur die Sache mit dem Herzog von Friedland einmal ins reine gebracht wäre, er wolle wissen, woran er sei.

Im Augenblick wollten sie die dornige Sache anfassen, rief Strahlendorff beherzt und forderte die Herren auf, Vorschläge zu machen.

Nach einer langen Pause zog Schlick einen Zettel aus der Tasche und sagte, er habe sich da einige flüchtige und unvorgreifliche Notizen gemacht und die hochwichtige Sache in drei Haupt- und verschiedene Unterparagraphen zerlegt, welche einzeln untersucht werden müßten. Die drei Hauptparagraphen wären folgende: Erstens, ob der General seines Amtes gänzlich oder teilweise zu entsetzen und, wenn teilweise, in welcher Gegend des Reiches er zu belassen sei. Zweitens, ob der gänzliche oder teilweise Entsatz gütlich oder mit Gewalt, gleichsam per processum poenale zu vollziehen sei, und endlich drittens, ob weder das eine noch das andere, sondern ein mehr akzidentieller und opportuner Methodus beliebt werden wolle.

Ein beifälliges Nicken begrüßte die Vorlage, und Strahlendorff fragte, ob sie die Punkte nacheinander besprechen oder ob einer als vorzüglich in Betracht kommend herauszugreifen sei?

Es trat Stillschweigen ein, bis Slawata das Wort nahm und sagte, er wolle voranschicken, daß die weisen Schriftsteller des Altertums, Cicero, Herodot, Sallust und andere, die halben Mittel zu verabscheuen lehrten, wie auch die Heilige Schrift bei jeder Gelegenheit gegen Lauheit und Halbheit zu Felde ziehe. Darum halte er für die beste Richtschnur des Lebens, daß man, wenn einmal ein Eingriff als notwendig erkannt sei, denselben sofort und gründlich an die Hand nehme.

Die Herren gaben teils murmelnd, teils brüllend ihre Zustimmung zu erkennen, und der König von Ungarn sagte, die erste Frage sei auch insofern bald erledigt, als der Herzog von Friedland unlängst im Freundeskreise habe verlauten lassen, daß er sich das Kommando nun und nimmermehr würde entwinden lassen. Seine diesbezüglichen Anerbietungen wären als ganz und gar erlogen zu betrachten, habe er sich doch schon wie ein Rasender gebärdet, als Schlick ihm einige wohlmeinende Erinnerungen der kaiserlichen Majestät habe insinuieren wollen. Also sei seine Meinung, daß man gleich zu den folgenden Punkten übergehen könne.

Wer die Historien studiert und dabei eine gewisse Kenntnis des menschlichen Herzens erlangt habe, sagte Slawata, den Kopf tiefer auf die Seite neigend, dem sei es bekannt, daß die herrschbegierigen Tyrannen zu freiwilliger Abdankung der usurpierten Macht niemals die geringste Inklination verspüren ließen.

Der Kaiser klopfte dem neben ihm Sitzenden auf die Schulter und sagte, das sei ganz wie sein gelehrter Slawata gesprochen und sehr tiefsinnig. Das Projekt der Abdankung komme ihm auch etwas schwer und ungereimt vor.

Ja, ungereimt, rief Strahlendorff unter donnerndem Lachen; denn wozu hätte sich der Wallenstein eigentlich so gewaltig aufgeschwungen?

Ein greifbarer Vorschlag, sagte Slawata, sei, soviel er wisse, noch nicht gemacht worden. Der Kaiser sei seiner Natur nach ein ewig fließender Gnadenstrom, und ein jeder wünschte wohl, daß die leidige Sache ohne Disput und zu allseitiger Satisfaktion geordnet werde. Die Frage sei, ob das ebenso möglich wie wünschbar sei.

Hierauf entstand unter den Räten ein Zwinkern und Tuscheln, das sich immer lebhafter fortpflanzte und endlich die Aufmerksamkeit des Kaisers erregte. Auf Befragen erklärte Schlick, der Kaiser wisse ja wohl, was für eine hitzige Person der spanische Gesandte sei. Dieser habe sich verlauten lassen, gordische Knoten pflege ein Alexander mit dem Messer zu durchhauen, und er könne nicht begreifen, warum in der Wallensteinischen Sache nicht nach dem Exemplum und Rezept vorgegangen werde.

Der Kaiser lachte vergnügt und kopfschüttelnd in sich hinein: Ja, die Spanier wären scharf, sagte er. Was man ihm denn darauf geantwortet hätte?

Wenn er dabeigewesen wäre, sagte Slawata, würde er geantwortet haben, möge jener mazedonische Alexander immerhin ein blutiger Herodes gewesen sein – was er aber dahingestellt sein lassen wolle –, so sei doch die kaiserliche Majestät vom Geiste des Heilands voll und werde sich durch keine Bosheit der Feinde darin irren lassen. Indessen glaube er, man dürfe den Kurfürsten von Bayern nicht aus dem Auge verlieren, der ein treuer Erzengel am kaiserlichen Throne sei, und müsse seine immer lauteren Klagen über die Treulosigkeit des Herzogs von Friedland erhören. Nach der Behauptung des Kurfürsten periklitiere sein gesamtes Reich und werde leider gänzlich exterminiert werden, wenn der Kaiser nicht einen gründlichen Modum gegen den Generalissimus effektuieren wollte.

Inzwischen war der Kaiser eingeschlafen, und die Herren setzten die Unterhaltung halblaut fort: daß die Prozedur mit großer Behutsamkeit vorgenommen werden müsse wegen der Unbedenklichkeit von Wallensteins Charakter; daß auch Piccolomini und Gallas der Ansicht wären, sie setzten ihr Leben aufs Spiel, wenn nicht die strengste Heimlichkeit gewahrt würde; daß deshalb zunächst alles im gleichen bleiben und der vertrauliche Verkehr mit dem Verräter fortgesetzt werden müsse, er vielmehr durch besondere Begünstigung in dem Glauben zu erhalten sei, als genieße er mehr Favor als je bei Hofe.

Ja, sagte Strahlendorff, Ungetüme durch ein liebliches Karmen einzuschläfern, die Politik habe man von dem Helden Herkules gelernt, der in solcher Weise mit der greulichen Schlange dissimuliert habe.

Die Stimme seines Vizekanzlers weckte den Kaiser, und er öffnete die Augen, indem er sagte, von der Schärfe wolle er nun einmal nichts wissen, der Kurfürst von Bayern müsse noch ein wenig vertröstet werden. Inzwischen wolle er nochmals versuchen, Wallenstein durch ernstliches Anziehen der kaiserlichen Obergewalt auf den Weg des Guten zu führen, damit seine Langmut und Gerechtigkeit vor der ganzen Welt stabiliert werde.

Untereinander Blicke wechselnd, nahmen die Räte diese Willensäußerung ihres Herrn beifällig und bewundernd auf, und es wurde ein Brief an Wallenstein aufgesetzt, in welchem der Kaiser ihm nachdrücklich befahl, Regensburg zurückzuerobern und Quartier im Feindesland zu nehmen.

*

Um Neujahr fuhr Kinsky bei anbrechender Nacht im Schlitten von Pirna nach Dresden, in schmeichelnde Träume versenkt. Nach Terzkas letztem Briefe war kein Zweifel mehr, daß Wallenstein, an der Ungnade des Kaisers nicht länger zweifelnd, Ernst machen würde, und er malte sich die Genugtuung aus, die dem französischen Gesandten Feuquières diese Mitteilung bereiten würde. Der Erfolg konnte als gesichert betrachtet werden, da eine so mächtige Koalition, Schweden, Frankreich, Sachsen und Brandenburg, den General deckte. In einer engen Straße der Stadt angelangt, hielt der Kutscher an und fragte, sich zurückwendend, ob der Herr Graf einen Krug Warmbier befehle? Während Kinsky das aus dem Wirtshaus geholte Getränk in kleinen Schlucken zu sich nahm, fiel ihm ein, daß in dem hohen dunklen Hause nebenan der schwedische Resident Nikolai gewohnt hatte, der vor ein paar Monaten an der Pest gestorben war, und ein leises Unbehagen beschlich ihn. Er verwünschte im Weiterfahren die Unschlüssigkeit und kleinliche Herrschsucht des Kurfürsten, welche ihn zwangen, die verseuchte Stadt vor seiner Abreise nach Böhmen noch einmal zu betreten; sonst hätte er schon in Pilsen sein können.

Es war nicht weit von Mitternacht, als er beim Zeughause anlangte und, nachdem er sich durch viele Treppen und Gänge gewunden hatte, vor dem Kurfürsten stand. Nun, fragte dieser, ob Kinsky auch ein Friedensräuschchen gehabt habe? Es werde es niemand glauben wollen, aber gestern habe er den Arnim unter den Tisch gesoffen, so vergnügt wären sie beide gewesen, daß nun alles im reinen sei. Ob Kinsky einmal dabeisein möchte? So würde er es am folgenden Abend wieder versuchen.

Kinsky entschuldigte sich, weil er die Reise morgen antreten wollte, falls der Kurfürst die Erlaubnis dazu gäbe. Jetzt tue höchste Eile not, denn Wallenstein müsse dem Kaiser zuvorkommen, und man wisse ja, wie launisch er infolge seiner Krankheit sei.

Ein lausiger Böhme sei er, sagte der Kurfürst geärgert, trage die Nase zu hoch, weil der Kaiser nicht rechtzeitig daraufgeklopft habe. Nun, ihm sei es gleich, sein Untertan sei er ja nicht, und in der Politik müsse alles ausgenützt werden. Doch sollten es sich Arnim und Kinsky und alle, die das Wesen betrieben, hinters Ohr schreiben: Niemals dürften sich weder Wallenstein noch Schweden oder Franzosen in seinem Lande breitmachen.

Kinsky beteuerte, daß alle die Hoheit des Kurfürsten respektieren, ja sogar vermehren und ausbreiten würden. Er, Kinsky, und andere böhmische Edle hätten ja Anno 1619 dem Kurfürsten die böhmische Krone angetragen, die er leider ausgeschlagen hätte.

»Ich pflege Bettler stets eine Weile vor der Tür stehen zu lassen«, sagte der Kurfürst gutgelaunt. »Wer den andern braucht, darf sich das Warten nicht verdrießen lassen.«

Am folgenden Tage machte sich Kinsky mit seiner Frau und dem ihnen befreundeten Anton von Schlieff nach Pilsen auf. Kinsky und seine Frau waren in gehobener Stimmung, denn sie würden, meinten sie, nicht mehr dauernd nach Sachsen zurückkehren, wo sie die Trübsal der Babylonischen Gefangenschaft empfunden hätten. In der Heimat würden sie ein neues Leben beginnen; denn das sei gewiß, daß Wallenstein die Wiederherstellung des evangelischen Adels in Böhmen zur Grundbedingung des Friedens machen würde.

Keinem anderen sei so etwas zuzutrauen, sagte Schlieff; aber Wallenstein vermöge mehr als gemeine Menschen. Beunruhigung mache ihm nur die Leibesschwäche des Fürsten. Wie, wenn er vor der Lösung des verworrenen Knotens hinwegstürbe?

Die Gräfin sagte, er sei doch erst fünfzig Jahre alt; und daß seine Feinde etwa mit Gift an ihn herankönnten, dazu sei er zu vorsichtig; er sei ja seit Jahren darauf gefaßt.

Ihnen, setzte ihr Mann hinzu, könne man in keinem Falle etwas anhaben; in Sachsen hätten sie sich nichts Unrechtes entwischen lassen und sonst nichts Leserliches von sich gegeben.

Die Gräfin warf einen schnellen Blick auf Schlieff im Gedanken an die heimlichen Verhandlungen, die ihr Mann mit Feuquières gepflogen hatte; aber jener schien nichts davon zu wissen oder nicht daran zu denken.

Was ihn betreffe, sagte er, so habe er sich schon oftmals dünn gemacht und sei glücklich durchgeschlüpft; auf der Abenteuerreise des Lebens müsse man Szylla und Charybdis zu passieren stets gewärtig sein.

Jenseit Furth lag der Schnee sehr hoch; nach dem Untergange der Sonne schimmerten die Berge wie Lilienblätter auf dem grauen Grunde des Himmels.

Böse würde es doch sein, sagte Kinsky, auf das Gespräch des Vormittags zurückkommend, wenn Wallenstein eben jetzt stürbe. Krank sei er, das könne man ihm ansehen. Und die Leute stürben überhaupt in letzter Zeit so unverhofft.

Die Gräfin legte sich mit verdüsterter Stirn in den Wagen zurück, während Schlieff lachte. Das sei nur in Sachsen so, wo die Pest grassiere, sagte er, und wenn der Tod auch ein Schnitter sei, der überall zugleich mähen könnte, so habe er doch verbundene Augen wie der Genarrte im Blindekuhspiel. Wenn Wallenstein nur noch ein Jahr lebte, so könnten sie alle bis dahin unter ein sicheres Dach gekommen sein.

Die Gräfin saß still träumend; es war ihr, als ob in dem Schnee, der großgeflockt zu fallen begann, etwas webte und huschte, was sie anging, als flögen die Geister ihrer verstorbenen Kinder schüchtern zärtlich neben ihr her, und sie rührte sich nicht, um die lieben Fremdlinge nicht zu verscheuchen. Plötzlich richtete sich Kinsky auf und horchte. Ob sie nichts gehört hätten? fragte er die anderen. Was er denn meine? fragte Schlieff. Ob Schüsse gefallen wären? Sie hätten ja Waffen, und die Dienerschaft sei auch in der Nähe. Übrigens, fügte die Gräfin hinzu, streiften höchstens weimarsche Truppen in dieser Gegend, von denen sie nichts zu befürchten hätten.

Es sei gar nicht das, sagte Kinsky, er habe ein Bellen oder Heulen zu hören vermeint.

»Denkst du an Wölfe?« fragte seine Frau. Sie habe nie gehört, daß es in diesem Teil des Böhmerwaldes Wölfe gäbe.

Es sei wohl der eine oder andere in diesem Winter gesehen worden, sagte Schlieff; aber solch ein einzelnes versprengtes, halbverhungertes Tier könne ihnen nicht gefährlich werden.

Ihr wäre auch sonst nicht bange, sagte die Gräfin munter, sie habe ja eine Büchse und könne gut im Fahren und Reiten treffen. Zu Hause habe sie viele Jagden mitgemacht.

Schlieff erzählte Jagdabenteuer aus Preußen und Polen, die er erlebt haben wollte; indessen Kinsky blieb unruhig und fragte den Kutscher, wann sie in Pilsen wären. Etwa drei Viertelstunden hätten sie noch zu fahren, gab der zur Antwort.

Sie hätten besser getan, in Taus oder Stankau zu bleiben, sagte Kinsky. Eben jetzt vernehme er das widerliche Bellen wieder.

Was? lachte Schlieff, das sei ja eine Eule, die vielleicht ein Mäuschen gefangen habe.

Sie habe Lust, eine zu schießen und später ausstopfen zu lassen, sagte die Gräfin, und Schlieff erklärte sich bereit, mit ihr auszusteigen und in den Wald einzudringen.

Sie griff nach der Büchse und zog die Pelzmütze tiefer in ihr festes, gerötetes Gesicht, als Kinsky die Hand auf ihren Arm legte und einwendete, der Schnee liege zu hoch, und sie hätten keine Zeit zu verlieren. Indem sahen sie etwas Geschwindes über den schimmernden Weg huschen; Kinsky schrak unwillkürlich zusammen, Schlieff jedoch sagte lachend, es sei ein Eichhörnchen oder Häschen gewesen.

Ein Häschen sei es gewesen, sagte die Gräfin, sie habe es deutlich erkannt.

Er glaube es wohl, sagte Kinsky trübselig, und das sei ein böses Vorzeichen. Er wollte, sie wären in Taus oder Stankau geblieben.

»Am Ende wären Euer Gnaden ein Rudel Wölfe lieber gewesen als das einfältige Häschen«, sagte Schlieff und lachte laut heraus.

Kinsky stimmte jetzt ein und sagte, er sei wahrhaftig schreckhaft wie das böse Gewissen; das sei die Folge der vielen verwickelten Geschäfte, mit denen er seit Monaten beladen sei. Er sei froh, daß es einmal zum Austrag komme.

Pilsen war voll Bewegung, Kommen und Gehen. Wallenstein empfing Kinsky bald nach dessen Ankunft und zeigte sich anfangs entschlossen und gesprächig. Es gingen unerhörte Dinge in Wien vor, sagte er, die Maulwürfe hätten so gründlich gewühlt, daß ihm ein neuer Sturz bevorstehe, sie möchten sich aber leicht verrechnet haben und am Ende selbst unter den Trümmern begraben werden. Vom Kaiser wolle er nicht reden, wäre er nur immer bei den Sachen geblieben, die er verstände, so möchte er lieb und recht sein; wer die Suppe gemischt hätte, das wären der Herzog von Bayern, Slawata, Schlick und dergleichen Jesuitenschleppen. Das mache ihm das Blut wallen, daß solche Heuchler und Kujone die Welt regieren sollten! Mit ihrem Maulbeten und Augenverdrehen suchten sie nur ihr Partikularinteresse. Die Hölle müsse ihren Schlund im Heiligen Reiche haben, daß sie ihre Pest so hineinspucken könnte. Sein schönster Tag würde der sein, an dem er ihr den Unrat wieder in den Bauch zurückjagen könnte.

Es würde ihm gewiß gelingen, sagte Terzka, und das ganze Reich, ja die ganze ehrliebende Welt würde ihn dafür preisen.

Wallenstein ließ den Kopf langsam in die Hände sinken. Ja, die Guten möchten ihm vielleicht danken, sagte er; aber es habe ihn doch niemand recht verstanden, und darum möchte er am liebsten Ruhe haben. Sie sollten sich die Köpfe zerschlagen, er wolle nichts davon wissen, wolle seine Gewalt niederlegen und sich in seine Arche einschiffen.

Untereinander sprachen die Offiziere davon, daß sie es auf keinen Fall zu einer Abdankung Wallensteins dürften kommen lassen. Sie wären an seine Person gebunden, sein Abschied würde für die meisten von ihnen Verlust des Vermögens bedeuten, so viel hätten sie im Dienste zugesetzt. Sein unermeßlicher Reichtum sei ihnen für alles genügende Bürgschaft gewesen, nun dürfe er sie nicht im Stiche lassen. Andererseits müsse er sich auf sie verlassen können, daß sie unbedingt zu ihm hielten, wenn etwa seine Feinde ihm einen Tort tun wollten. Wenn sie sich so zusammenschlössen, daß sie gleichsam einen unzertrennlichen Körper bildeten, würden sie unüberwindlich sein.

*

Piccolomini, der wie Wallenstein in Pilsen am Marktplatze wohnte, stand mit dem Grafen Hatzfeld an einem der hohen Fenster seines Hauses und blickte auf das unten herrschende lustige Getümmel. Vor einem benachbarten Hause stand eine prächtige, an den Ecken mit vergoldeten Knäufen geschmückte Karosse, vor welche vier Pferde von ausgezeichneter Schönheit gespannt waren. So schöne Goldfüchse habe er in seinem Leben noch nicht gesehen, sagte Hatzfeld bewundernd, einer wie der andere sei wie aus Bronze gegossen, und dabei lebendig und zitternd, als ob das Metall noch im Flusse sei. Sie gehörten dem Schaffgotsch, sagte Piccolomini, der vor ein paar Tagen angekommen sei, von Wallenstein gerufen. Er habe noch mehr und ebenso schöne Pferde auf seinen Gütern, gewiß mehr als der Kaiser. Ja, der Schaffgotsch, sagte Hatzfeld, das hätte er sich denken können, er sei ja der reichste Mann in Schlesien. Ein großer Kriegsheld sei er wohl nicht.

Piccolomini zuckte die Achseln. Wäre er nicht der Schaffgotsch, hätte der General ihn längst springen lassen. Bei Steinau habe er übrigens den alten Thurn fangen helfen.

Das Maul aufzusperren, wenn die gebratene Taube hineinfliege, sei keine große Kunst, sagte Hatzfeld. Aber er sei beim Kaiser gut angeschrieben, soviel er wisse.

Wunderbar genug, sagte Piccolomini, es sei ja ganz bekannt, daß er mit den Evangelischen durchstecke. Er habe auch Anno 1620 offenkundig zum Pfälzer gehalten, erst im letzten Augenblick sei er übergelaufen. Der Kaiser habe ein Auge zugedrückt und getan, als wisse er nichts von seiner Untreue, und der Schaffgotsch lasse sich die Gnade wohl bekommen, bleibe aber im Herzen ein widerhaariger Ketzer wie zuvor.

Inzwischen war Schaffgotsch mit zwei Damen aus der Tür eines vornehmen Hauses getreten und öffnete den Kutschenschlag. Das wären die Kinsky und die Terzka, erklärte Piccolomini, mit denen sei Schaffgotsch viel zusammen. »Schöne Weiber,« sagte Hatzfeld, »besonders die Kinsky, wenn auch etwas zu üppig.« Die Damen standen plaudernd und lachend im knirschenden, in der Sonne blinkenden Schnee und stiegen dann ein, worauf Schaffgotsch sich auf ein Pferd schwang, um neben der Kutsche her zu reiten. Als er unter dem Fenster vorbeikam, an dem die beiden Offiziere standen, lüftete er den Federhut und begrüßte Piccolomini liebenswürdig in italienischer Sprache. Der antwortete ebenso und winkte kordial mit der Hand. Wieso der Schlesier Italienisch verstehe? fragte Hatzfeld. Und Polnisch und Französisch dazu, antwortete Piccolomini lächelnd; er sei überhaupt ein Kavalier und deutscher Adonis. Nur sei leider zu befürchten, daß diese blumenbestreute Laufbahn plötzlich gewaltsam abbreche, wenn er nicht beizeiten umkehre.

Zu welchem Zweck ihn denn Wallenstein habe kommen lassen? erkundigte sich Hatzfeld. Nun, sagte Piccolomini, darüber brauchten Einsichtige nicht zu reden. Wallenstein gäbe Schlesien ganz in des Schaffgotsch Hand, meinte, da wäre es gut aufgehoben. Er habe keine Ahnung, daß dessen Ordres schon nichts mehr gälten.

Da kämen wundervolle Güter zur Verteilung, sagte Hatzfeld nach längerem Stillschweigen nachdenklich, wenn der Schaffgotsch sich ernstlich kompromittierte.

Dahin könne es leicht kommen, sagte Piccolomini.

Es wären aber doch Kinder da, sagte Hatzfeld, deren Prätentionen würden wohl bestehen bleiben, besonders wenn der Kaiser so eingenommen für Schaffgotsch wäre.

Wenn er das schwarze Herz seiner falschen Diener erst erkennte, würde sich da manches ändern, sagte Piccolomini. Wenn Hatzfeld etwa Absichten hätte, solle er nur beizeiten beim Kaiser damit vorstellig werden; denn die Schaffgotschschen Güter würden viele Liebhaber finden.

Es sei sonderbar, sagte Hatzfeld träumerisch, er habe stets gedacht, der, welcher das Gut Trachenberg sein nennte, müsse sich schon auf Erden im Paradiese fühlen. Wenn er nun auf so unverhoffte Art dazu käme, könne das doch nur der göttlichen Vorsehung zugeschrieben werden.

Jedenfalls, sagte Piccolomini, habe Hatzfeld gute Aussichten. Er habe dem Kaiser rühmliche Kriegsdienste geleistet, und sein Bruder, der Fürstbischof von Würzburg, habe durch die schwedische Okkupation viel gelitten; demnach werde sein Gesuch gewiß vor allen berücksichtigt werden.

* * *

 


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