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Im Schlosse Wiesensteig lag Buttler, nachdem er vor wenigen Tagen Schorndorf erobert hatte, im Sterben. Seine Frau, eine geborene Gräfin Dohna, häufte immer mehr Kissen und Decken auf ihn, da er über unleidliche Kälte klagte. In einem großen Kachelofen knisterte Feuer, und ins Fenster schien der gelbleuchtende Himmel; die dunklen Kuppen der Alb wölbten sich sammetschwarz in der föhnigen Helligkeit des frühen Dezembernachmittags. Beim Bette saßen der Hauptmann Devereux, der im Anfang des Jahres Wallenstein umgebracht hatte, und ein Arzt, und der letztere sagte, er könne die Wunde wohl noch einmal schneiden, man müsse aber darauf gefaßt sein, daß der Kranke als sehr schwach ihm unter dem Messer stürbe. Buttler wollte nichts davon wissen; er habe keine Zeit zu verlieren, sagte er, wolle noch von den Seinigen Abschied nehmen und sich dann durch den Beichtvater auf den Tod vorbereiten lassen.

Sie sei ihm eine gute Ehefrau gewesen, sagte er zu seiner Frau, solle ihm nun geloben, daß sie ihre Tochter nur mit einem katholischen Herrn vermählen werde. Sollte sie selbst sich wieder verheiraten, so solle sie die kostbare Kette mit Bildnis, die der Kaiser ihm eigenhändig umgehängt hätte, um ihn für seine treuen Dienste bei Extinguierung der Friedländischen Rebellion zu belohnen, niemals veräußern, sondern seiner und ihrer Tochter vermachen, damit sie auf seine Enkel käme.

Ach, weinte die Gräfin, sie werde nicht wieder heiraten, würde doch nie mehr einen so guten Mann bekommen.

Es wäre vielleicht nötig, sagte Buttler, wegen der vielen Feinde und Neider, die er hätte, seit er in Besitz der Terzkaschen Güter gekommen wäre. Wenn sie als Witwe eines Beistandes bedürfe, solle sie sich an seinen Freund Walter Devereux wenden.

Ja, er werde ihr immer ein ergebener Diener sein, fügte dieser hinzu, werde nie vergessen, daß er Buttler sein Glück verdanke, und würde auf der Stelle sein Leben hingeben, wenn er ihn damit retten könnte.

Nunmehr bat Buttler Devereux und seine Frau, dem Beichtvater Platz zu machen, der gleich darauf eintrat und sich anschickte, die Beichte des Sterbenden zu empfangen.

Er habe das Schwert nie anders als im Dienste der heiligen Kirche geführt, sagte Buttler, nie aus Mutwillen Blut vergossen. Bei Eroberung feindlicher Plätze habe er oftmals der Raubgier der Söldner Einhalt getan, auch wenn die Feinde Ketzer gewesen wären. In einer Sache bekenne er sich aber schuldig: als der sogenannte Schwedenkönig Gustav Adolf Frankfurt an der Oder erstürmt hätte und gewisse Herren ihn lügnerischerweise beschuldigt hätten, als habe er in der Verteidigung etwas versehen, da habe er den Verleumdern den Tod gewünscht und würde sie umgebracht haben, wenn sie zur Stelle gewesen wären.

Nun, sagte Taaffe scherzend, da der allwissende Herrgott selbst das Zustandekommen der Sünde verhindert hätte, wolle er, als sein armer Knecht, sich nicht dabei aufhalten. Ob Buttler sich sonst einer Todsünde schuldig wisse? etwa der Völlerei oder Wollust?

Nein, sagte Buttler, das wisse Taaffe wohl, daß er kein Fresser oder Säufer sei. In jungen Jahren möge er in venere ein wenig exzediert haben und bereue es von Herzen.

Ob er allen seinen Feinden und Beleidigern aus aufrichtigem Herzen vergeben könne? fragte der Beichtvater weiter.

Buttler, dem der Schweiß auf der Stirne stand, rang eine Weile mit sich selber und sagte dann, wenn es zur Seligkeit unbedingt notwendig sei, wolle er es tun. Taaffe umfaßte den Röchelnden mit einem Arme und hielt ihm das Kruzifix vor, während er ihm tröstliche Aussichten auf den Himmel eröffnete, besonders auch mit Hinweis darauf, daß Buttler ja in seinem Testamente allerlei Vermächtnisse für die heilige Kirche verordnet und eine beträchtliche Summe für Seelenmessen ausgesetzt hätte. Die Augen des mit dem Tode ringenden umklammerten das Kreuz, das die schnell einfallende Dämmerung durchblitzte, und seine Lippen versuchten die von dem Priester laut vorgesprochenen Gebete mitzustammeln, bis das Wort ihm erstarb und sein Kopf leblos auf die Schulter des Beichtvaters fiel.

*

Diejenigen Offiziere, die als Anhänger Wallensteins verhaftet waren, nämlich Schaffgotsch, Mohr von Wald, Scherffenberg und einige andere, wurden von Wien nach Pilsen und von dort nach Budweis geführt und dort in einem vornehmen Hause untergebracht. Sie durften zwar nicht mehr als je einen Diener halten, lebten aber übrigens reichlich und behaglich und verkürzten sich die Zeit mit Banketten, Spiel und Tanz. Schaffgotsch hatte sich in eine schöne Witwe verliebt, die sein Gefühl zu erwidern schien, ihm ihre Gunst jedoch nur gewähren wollte, wenn er sie heiratete. Diese und mehrere andere Damen waren von den Gefangenen an einem der ersten Februartage zu einem Bankett geladen, wobei es laut und lustig zuging. Im Verlaufe desselben sagte der Herzog Julius von Sachsen-Lauenburg, sie wären nun schon recht vertraut geworden und wollten alle miteinander Brüderschaft trinken, zu dem Zweck den Wein in ein Handbecken gießen und dasselbe herumgehen lassen. Der Vorschlag wurde angenommen und unter allerlei geselligen Scherzen ausgeführt, indem die Herren die Damen beim Trinken anstießen, so daß der Wein über ihre Kleider geschüttet wurde, oder indem die Herren den Mund an die Stelle setzen wollten, wo die Damen getrunken hatten, was andere zu verhindern suchten, worüber Geschrei und Gelächter entstand und das Becken immer von neuem gefüllt werden mußte. Nach dem Essen wurde ein Tanz aufgeführt, der fiamma di amor hieß und durch alle Zimmer und über alle Treppen des Hauses getanzt wurde. Als man auf dem Flur zu ebener Erde angelangt war, rief eine Dame, sie wollte nun auch über den Marktplatz tanzen, und auf den Einwand einer anderen, es falle Schnee und sie würden ihre Schleppgewänder schmutzig machen, entgegneten die Herren, die Kleider wären ohnehin mit Wein verschlemmt, und sie wollten ihnen neue schenken. Also traten sie, Spielleute und Fackelträger voran, einen Rundgang um die Kirche an, mit Zuruf und Gebärden nach den Fenstern hinaufgrüßend, wo neugierige Zuschauer erschienen.

Indessen hatte sich Schaffgotsch während des Tanzes mit seiner Dame unversehens abgesondert und sie in ein dunkles Kabinett geführt, wo er sie auf seine Knie zog und in sie drang, wie er sie nun schon seit Wochen verehre, wie er glühe und fast verbrenne, und daß sie ihn endlich erhören solle. Sie schlang einen Arm um seinen Hals und legte seinen Kopf an ihre bloße Brust, damit er fühle, es brenne dort auch Feuer. »Wie soll ich löschen,« sagte sie mit einem süßen Lächeln, »da ich Arme selbst in lichten Flammen stehe?« Schaffgotsch warf den Kopf zurück und starrte verzaubert in ihr in der Dunkelheit leuchtendes puderweißes Gesicht. »So zeigt der Gott selbst an,« flehte er, »daß wir zusammengehören, da er seinen Blitz in unsere beiden Herzen geschleudert hat. Laß uns zusammen den Scheiterhaufen der Liebe besteigen, damit ein Feuer uns verschmilzt und wir zusammen in die Lust des Himmels eingehen!«

Sie preßte ihren Mund auf seinen, und die Worte halb in Küssen erstickend, stammelte sie, daß sie es nicht wage, daß sie nicht wisse, ob er sie nicht dennoch betrügen und verlassen werde.

Wie? rief Schaffgotsch, ob sie noch immer an seiner Liebe zweifle? oder an seinem adligen Wort? Er habe es ihr ja geschworen, daß er sie heimführen wolle, sowie er den Prozeß vom Halse hätte und wieder frei wäre!

Sie zweifle ja nicht, daß er es redlich meine, erwiderte sie, ihn enger an sich drückend; aber da wären seine hochvornehme, fürstliche Verwandtschaft und seine Kinder, die würden es nicht leiden wollen und gegen sie intrigieren, und mit dem Prozeß und der Gefangenschaft könne es sich auch noch lange hinziehen.

Was die Verwandtschaft betreffe, entgegnete Schaffgotsch, so sei er sein eigner Herr und reich genug, daß er ihrer nicht bedürfe, und den Prozeß belangend sei er überzeugt, er werde bald in Freiheit gesetzt werden, da der König von Polen noch einmal und dringend beim Kaiser für ihn interzediert habe. Sollte er aber trotzdem in eine längere Gefangenschaft verwickelt werden, so habe er doch das Recht auf ein adliges Gefängnis, wo man es wohl eine Weile miteinander aushalten könne. Vielleicht wäre das gerade eine trauliche Zuflucht für die Wonne ihrer jungen Ehe.

In seine beschwörenden Worte tönten die Geigen und Pfeifen vom Markte her, da die Tanzenden sich nun wieder dem Hause näherten. Der dicht fallende Schnee hatte viele Fackeln gelöscht, andere wehrten sich zischend gegen die Nässe; Gekreische und Gelächter schallte laut über den Platz.

Die Verliebten hatten über ihrem Geflüster und dem Lärm draußen das Klopfen des Konstantin von Wegner überhört, der nun eintrat und sagte, er bringe das Geld, das Schaffgotsch, wenn er es bekäme, sogleich hätte haben wollen. Mehr als hundert Dukaten habe der Verwalter von Trachenberg zwar nicht zusammenbringen können, da bereits alles unter kaiserlichem Sequester sei; die habe er, der Verwalter, einstweilen aus seinem Eigenen vorgestreckt.

Nun, er sei nur froh, daß er das Wenige doch endlich erhalten habe, sagte Schaffgotsch; dem treuen Gottwald wolle er es seinerzeit vielfältig ersetzen.

Inzwischen waren die Tanzenden zurückgekehrt, erfüllten das Haus mit Geschrei, drangen auch in das Kabinett ein und neckten die Verliebten; während Schaffgotsch sich ihrer zu erwehren suchte, brachte Konstantin von Wegner bescheidentlich vor, ob es nicht besser sei, dem Gelage jetzt ein Ende zu machen, da die Stadt sich schon einmal wegen des nächtlichen Ruhestörens und Lärmens beklagt habe. Einige Herren stampften mit den Füßen auf und drohten, Kanonen auf dem Marktplatz abzufeuern, bis die Fenster sprängen, damit die Bürger wüßten, was Lärm sei, sie wollten sich ihre adlige Lustbarkeit nicht vermindern lassen; allein Mohr von Wald meinte, es sei gescheiter, ein scandalum zu vermeiden, zumal sie ohnehin betrunken und schläfrig wären, und da das den meisten einleuchtete, verließen die geladenen Gäste das Haus.

Schaffgotsch suchte, ein wenig ernüchtert, sein Schlafzimmer auf. »Dir gefällt das Bankettieren nicht,« sagte er zu Wegner, der ihm beim Auskleiden behilflich war, »oder was fehlt dir sonst, daß du mir ein grämliches Gesicht machst?«

Er habe in der Stadt von einem Zollbeamten gehört, die Herren Gefangenen müßten sich in ein paar Tagen nach Regensburg einschiffen, antwortete Wegner, das mache ihm Gedanken.

So werde der Prozeß losgehen, sagte Schaffgotsch; es müsse ja einmal sein und sei gut, daß es zum Ende komme.

Ja, sagte Wegner, wenn man das Ende zuvor wüßte.

»Du setzest mir einen krächzenden Raben aufs Dach«, sagte Schaffgotsch. Er habe nicht mehr auf dem Gewissen, fuhr er fort, als die anderen Herren auch, ja andere hätten mehr, die frei wären. Der Kaiser könnte sie doch nicht alle miteinander aufs Schafott bringen, würde ihnen auch nicht soviel Freiheit lassen, wenn er ihnen ans Leben wollte.

Wegner schüttelte traurig den Kopf, während er, vor Schaffgotsch kniend, ihm die Lederstiefel abknöpfte. Er habe heute wieder gehört, gerade ihm, Schaffgotsch, sei das Todesurteil schon am ersten Tage seiner Gefangenschaft geschrieben, der Prozeß sei nur ein Schauessen, dem dummen Volk auf die Tafel gesetzt.

Schaffgotsch schwieg eine Weile und sah vor sich nieder. Nein, es könne nicht sein, sagte er dann; der Kaiser sei ihm immer ein wohlwollender Herr gewesen; seine Neider hätten das ausgestreut.

Warum wären denn, sagte Wegner, Schaffgotschs Güter schon alle in Kaisers Händen? Und warum müßten Schaffgotschs Kinder wie Bettler vor den Türen seiner Schlösser stehen?

Die Schurken! rief Schaffgotsch, die Hände ballend. Das hätten seine Verwandten hindern können! Da hätten diejenigen die Hand im Spiel, die nach seinen Gütern trachteten und ihn ins Garn gejagt hätten, der Colloredo und der Hatzfeld.

Es herrschte ein langes Stillschweigen, dann sagte Wegner, er würde dem Grafen nichts hinterbracht haben; aber es gehe ihm zu Herzen, wenn Schaffgotsch so guter Dinge sei und seine Seele mit überflüssigem Plunder belaste, während das Wetter tief auf sein Haupt herabhinge.

»Was hilft Traurigkeit?« sagte Schaffgotsch. Es habe jetzt ohnehin ein Ende, wenn sie nach Regensburg müßten. Ihm sei es recht, er sei für das Lotterleben nicht geschaffen.

Ob er die Kerze löschen solle? fragte Wegner, indem er sich anschickte, das Zimmer zu verlassen.

Schaffgotsch nickte; aber da Wegner noch an der Tür stand, fragte er, ob er gehört habe, wer Präsident des Kriegsgerichts sei? Etwa Piccolomini? Nein, sagte Wegner, nach Verlauten werde es Götz sein.

»Siehst du,« sagte Schaffgotsch, »mit Götz habe ich nie etwas gehabt. Er wird einen Kameraden nicht ins Unglück stürzen!«

Der Schlaf wollte Schaffgotsch lange nicht kommen, so ernste Gedanken waren ihm plötzlich aufgestiegen. Er überlegte sich, worauf er sich bei der Verteidigung stützen und wer sich etwa noch für ihn verwenden könnte, und zwischendurch mußte er an seine Kinder denken, die vor den eigenen Türen bettelten. Ein kleines Bild seiner Tochter in kostbarem Rähmlein hatte er bei sich: sie glich darauf einem schönen jungen Weibe, nur daß auf dem starken Halse ein Kindergesicht saß, rein, lachend und funkelnd wie eine betaute Wiese bei Sonnenaufgang. Sollte es denn dahin kommen, daß sie, seine und einer geborenen Herzogin Tochter, schimpflich ihr Brot als Almosen empfange?

Es wäre nur gut, dachte er, sich selber tröstend, daß der Prozeß nun seinen Anfang nähme, so könnte er für sich und sein Recht kämpfen. Schließlich, wenn die Menschen ihn verließen, so würde Gott ihm beistehen, Gott, der wußte, daß Schaffgotsch, als Evangelischer, um seinetwillen verfolgt wurde, und den Treuen am Ende retten, ja reichlich belohnen würde.

*

Als Herzog Georg in Hameln die Einladung des Kurfürsten Johann Georg erhielt, dem Frieden beizutreten, der zwischen ihm und dem Kaiser vorläufig geschlossen sei und bald endgültig ratifiziert werden sollte, geriet er in große Unruhe und Verlegenheit. Nichts Unlieberes hätte ihm begegnen können als eben jetzt ein Friede, der eigens gemacht schien, um ihm seine herrlichen Eroberungen wieder aus der Hand zu spielen. Nun würde von beiden Seiten gezerrt und gelockt werden, daß auch der Besonnene schwerlich die klare Vernunft würde behalten können. In der Tat liefen bald Briefe und Botschaften von den Braunschweiger Brüdern und Vettern ein, sie erwarteten, er werde des Kaisers dargebotene Hand ergreifen; er solle bedenken, was seit dem Tode des Herzogs Friedrich Ulrich von Wolfenbüttel auf dem Spiele stehe, denn bevor er nicht das Schwert aus der Hand lege, werde der Kaiser ihn schwerlich mit dem schönen Erbe belehnen. Ebenso mahnten die Stände der Braunschweiger Lande, die des Krieges längst überdrüssig waren, und der alte Kanzler Engelbrecht kam in Person, um den Herzog auf die Seite der Vernunft und Billigkeit zu ziehen.

Er wolle ihm nicht verhehlen, entgegnete der Herzog diesem, daß er des lieben Friedens wegen und auch aus reichsfürstlicher Gesinnung sich gern mit dem Kaiser einigen würde; aber er sei nun einmal nicht wie ein schlechter General oder eine Privatperson, sondern habe seine fürstliche Reputation zu bedenken, und insofern würde es ihm übel anstehen, wenn er sich von den Schweden trennte. Der Kanzler solle seine Haare betrachten, die einst schwarz gewesen, aber in der Kriegsmühsal ergraut wären; es würde sich schlecht mit seinem weißen Haupte reimen, wenn er sich jetzt mit dem Schimpf der Undankbarkeit und Treulosigkeit belüde.

In erster Linie sei er aber doch dem Kaiser verpflichtet, sagte Engelbrecht. Aus einem Dilemma könne man sich mit ganz heiler Haut einmal nicht herausbeißen.

Ja, da sei das punctum saliens verborgen, sagte der Herzog, die Augenbrauen hochziehend und den Finger hebend; es sei eben doch auf beiden Seiten nicht gleichviel zu wagen. Der Kaiser werde ihn jetzt bei einem Friedensschluß schwerlich im Besitz seiner sauer erworbenen Plätze Hameln und Minden lassen. Oder ob Engelbrecht sich das einbilde?

Nein, sagte Engelbrecht, etwas müsse der Herzog dreingeben; aber es wäre doch besser, zwei oder drei Plätze als ein altes angeerbtes Land zu verlieren. Der Kaiser würde ihn, wenn er im Krieg verharrte, nicht mit Kalenberg und Wolfenbüttel belehnen, für welche verlassene Braut sich denn leicht andere Liebhaber würden finden lassen. Der Hund, der zu viel erschnappen wolle, verliere gemeiniglich alles.

Der Herzog stützte sorgenvoll den Kopf in die Hand. Die Franzosen hätten sich eben recht schön hervorgemacht, sagte er nach einer Weile, hätten Geld in Fülle und teilten mit vollen Händen aus, um Bundesgenossen gegen Spanien zu werben. Mit ihrem Geld würden sie Schweden wieder mächtig machen, und anstatt daß er dann einen Profit seiner Friedensliebe hätte, würde er die beiden Mächte als Feinde auf den Hals bekommen. Mit Frankreich und Schweden vereinigt, könne der Kaiser es nicht aufnehmen.

Der Herzog habe doch auch viel vom schwedischen Übermut zu leiden, meinte Engelbrecht.

Das gab Georg zu: Oxenstierna möchte ihn am liebsten loswerden, und Banérs Extravaganzen wären vollends unleidlich, der traktiere uralte Reichsfürsten wie Troßbuben.

Darum gefalle es ihm wohl, sagte Engelbrecht schmunzelnd, daß der Kurfürst von Sachsen das Großmaul angeschnarcht habe, er solle sich aus dem Reich packen, oder er wolle ihm Beine machen. Der Banér habe den Bissen schlucken müssen, würge wohl noch daran, und wenn er daran ersticke, so sei es nicht schade.

Wenn er der schwedischen Gesellschaft ledig werden könnte, sagte der Herzog nachdenklich, so wäre er es gewiß zufrieden. Er wolle sich's noch überlegen, wolle auch, um sein Gewissen zu salvieren, bei den theologischen Fakultäten fragen, was vom Frieden zu halten sei. Denn es gehe ja in dieser Sache nicht nur um das Irdische, sondern auch um das Göttliche, und könne man über Geld und Gut unversehens das Seelenheil einbüßen. Eben darum sei der Fall so knifflig und durch eines Menschen Verstand allein nicht zu entscheiden.

Kaum war Engelbrecht abgereist, so kam der Generalmajor in schwedischem Dienst Lohausen mit Aufträgen Banérs, die den Frieden betrafen. Indem er die guten, in ein Gekräusel von Falten und Linien ein wenig zurückgezogenen Augen fest auf den Herzog richtete, sagte er, er wolle als ein deutscher Mann von Adel und Ehre zu einem deutschen Fürsten reden. Wer wollte den Frieden nicht herbeiwünschen, nach dem das ganze Reich und insbesondere die liebe Armut seufzte. Ja, wenn es sich um einen rechtschaffenen Frieden handelte, so müßte man wohl jedes Partikularbedenken beiseite setzen; aber wenn man recht zusähe, so habe nur der Kaiser den Kurfürsten von Sachsen um ein gutes Trinkgeld, nämlich die Lausitz und das Erzbistum Magdeburg, auf seine Seite gezogen, die anderen ständen draußen und könnten zusehen, wie sie ihre Habe unter Dach brächten. Die pfälzische Familie, um die eigentlich der Krieg ausgebrochen, sei vom Frieden ausgeschlossen und die Pfalz mit so vielen reformierten Seelen an die Katholiken, wohl gar an Spanien ausgeliefert. So wären auch die österreichischen und böhmischen Emigranten preisgegeben, und der Reformierten wäre mit keinem Worte gedacht, so daß sie inskünftig rechtloser als die Juden im Reiche wären. Ihnen, den deutschen Offizieren in schwedischem Dienst, habe der Kurfürst nur die Wahl gelassen, entweder in Kaisers Dienst zu treten oder den Dienst ganz, ohne Entschädigung zu quittieren, wonach sie denn auf das ewige oder auf das zeitliche Heil verzichten müßten. Sie hätten sich deshalb resolviert, bei den Schweden zu bleiben, wiewohl sie lieber, wenn es mit Ehren und der Religion unbeschadet hätte sein können, der Fremden entraten und in Deutschland nur mit Deutschen hausen möchten. Es sei doch auch nicht ohne, daß sie durch das Evangelium mit den Schweden verbrüdert und ihnen dankbar zu sein verpflichtet wären. Man müßte ja schamrot werden, wenn man diejenigen wie Missetäter aus dem Lande jagen wollte, die man kurz zuvor als Befreier begrüßt und deren Hilfe man sich gern gefallen lassen hätte. Banér sei zwar aufbrausend und tollköpfig, könne sich nicht bezähmen; aber von Grundsatz und Glauben würde er sich nie abbringen lassen, sondern bis zum letzten Blutstropfen um das Evangelium kämpfen. Ferner sei er dem Herzog wahrhaft ergeben, schätze ihn als Feldherrn hoch und möchte ihn nicht missen; wolle auch für seine Person nicht glauben, daß es wahr sei, was gemunkelt würde, daß der Herzog der gemeinsamen guten Sache abtrünnig geworden sei.

Herzog Georg seufzte. An Banérs Meinung sei ihm nicht soviel gelegen, sagte er, aber Lohausen, ein treuherziger deutscher Mann, dürfe nicht von ihm denken, daß er sich von seinen Glaubensgenossen absondern oder die Schweden mit Undank lohnen wolle. Oxenstierna und Banér hätten ihm vielfach bitteres Unrecht getan, dennoch sei er zur Versöhnung bereit, wenn sie es wieder gutmachen wollten. Er sei doch aber an seine Vettern, an seine Stände und den niedersächsischen Kreis gebunden, sei auch Familienvater und müsse sorgen, daß er den Seinigen ihr Erbteil erhielte. Aus dem Beschluß, den er mit dem Landgrafen von Hessen und dem Herzog Wilhelm von Weimar gefaßt hätte, nämlich, daß sie zwar den Frieden annehmen wollten, aber nur unter der Bedingung, daß die Schweden eine billige Entschädigung erhielten, könne Banér auch ersehen, daß er es treu und redlich mit ihnen meinte. Seine Arbeit sei jetzt, dem Kaiser beizubringen, daß er trotz des Friedens als General des niedersächsischen Kreises und zur notwendigen Defension das Recht habe, in der Kriegsrüstung zu verharren.

Unterdessen waren die herzoglichen Räte zu der Überzeugung gelangt, wenn der Herzog nur nicht in schwedischem Dienst stände, so wäre viel eher ein Verständnis mit dem Kaiser möglich, selbst wenn er, der Herzog, mit der eigentlichen Annahme des Friedens noch zögerte und etwa nur einen Waffenstillstand beliebte. Die Verbindung mit dem Reichsfeind, als welcher der Schwede vom Kaiser billigerweise angesehen werde, sei anstößig und könne zuletzt zur Ächtung des Herzogs führen, so daß es ihm wie dem guten seligen Pfalzgrafen erginge. Legte man dem Kaiser etwas Schriftliches vor, daß es mit dem schwedischen Dienst des Herzogs nichts auf sich hätte, so könnte wenigstens das Ärgste vermieden werden.

Wie das denn aber angehen sollte, fragte der Herzog, da er ja gerade den schwedischen Dienst aufzugeben Bedenken trüge?

Man könnte etwa eine Erklärung aufsetzen, war die Antwort, worin der Herzog sich mit der schwedischen Bestallung ausredete, wie wenn es eigentlich nicht an dem sei, was er in seinem Gewissen so auslegen könnte, daß er als deutscher Reichsfürst nicht wohl in Abhängigkeit von einem schwedischen Reichskanzler stehen könne.

Der Abhängigkeit sei er in der Tat vollauf überdrüssig, sagte der Herzog, und habe sie auch niemals als ein Faktum betrachtet, was alle seine Offiziere bezeugen könnten.

Freilich, stimmten die Räte ein, und er brauche sich ja auch in Zukunft nichts bieten zu lassen.

Sie sollten also immerhin eine Erklärung aufsetzen, befahl der Herzog, jedoch so, daß er in seinem Gewissen salviert sei, wenn er das schwedische Generalat doch einstweilen behielte.

Demnächst wurde dem Herzog ein Formular vorgelegt, in welchem er erklärte: daß, ungeachtet Uns der eine oder andere für einen von der Krone Schweden bestallten General habe halten wollen, Wir niemals und zu keiner Zeit, weder unter der Königlichen Majestät von Schweden glorwürdigen Andenkens und noch viel weniger nach derselben höchst zu beklagenden Ableben Uns eines solchen oder ähnlichen Titels eigentlich angenommen haben, da Wir als ein Fürst und Glied des Reichs und unperturbierlich in einer solchen Qualität begriffen, von welcher importante Veränderungen mitgeführter Inkonvenienzen halber zu exkludieren, wiewohl Wir aus gewisser Rücksicht nach der Königlichen Majestät zu Schweden seligem Ableben von besagtem Titel Abstand zu nehmen Uns ohne Präjudiz nicht haben unterwinden wollen.

Nachdem der Herzog sich diese Erklärung mehrere Male hatte vorlesen lassen, schüttelte er den Kopf und sagte, sie lasse sich nach beiden Seiten etwas zu weit heraus, müsse noch etwas besser verklausuliert werden, damit kein Loch in seinem fürstlichen Wort gefunden und seine Ehre nicht angegriffen werden könne. Von der verbesserten Fassung urteilte der Herzog zwar, indem er sich hinter den Ohren kraute, sie komme ihm sehr kraus und dunkel vor, da jedoch die Räte meinten, man könne es darauf ankommen lassen, ob sie in der kurfürstlichen und kaiserlichen Kanzlei verstanden würde, gab er sich zufrieden und ließ sie abgehen.

Als um diese Zeit Oxenstierna aus Paris zurückkam, wohin er sich zur Befestigung der Bundesbeziehungen begeben hatte, und von den Umtrieben des Herzogs erfuhr, beschloß er, seinem Abfall zuvorzukommen und die Offiziere seines Heeres von ihm ab auf die schwedische Seite zu ziehen. Freudig ergriff der Generalmajor Speerreuter, der bereits in allerhand Konflikte mit dem Herzog geraten war, die Gelegenheit, sich von diesem unabhängig zu machen, ja in seine Stellung einzurücken, überredete den größeren Teil der Offiziere und rückte mit dem Hauptteil des Heeres, seine bisherigen Quartiere verlassend, ins Lüneburgische. Auf einen entrüsteten Brief Herzog Georgs antwortete Speerreuter, er handle auf Befehl des Kanzlers Oxenstierna, zu dessen Dienst er, als von ihm besoldet, verpflichtet sei, und hoffe, der Herzog werde sich dergestalt mit dem Kanzler vereinbaren, daß er, Speerreuter, sich auch künftig von dem Herzog könnte gebrauchen lassen.

*

Der Erzbischof von Trier, Philipp von Sötern, wurde in der Frühe durch lautes Puffen und Knattern von Schüssen aus dem Schlafe geschreckt. Er läutete, um zu fragen, was das zu bedeuten habe, und sagte ärgerlich zu seinem Kammerdiener Wiedmann, den der Lärm gleichfalls geweckt hatte und der im Schlafrock herbeikam, er müsse durchaus den Übermut der Franzosen dämpfen, ihre Prätentionen fingen an unleidlich zu werden. Er wäre neugierig, zu sehen, brummte Wiedmann, wie der Fürst den Franzosen die Großmäuligkeit und Vanität auszutreiben dächte; das wäre, wie wenn man der Sau die Borsten abgewöhnen wollte, Gott habe sie sich leider so aus der Hand schlüpfen lassen. Aber er könne nicht recht einsehen, fügte er hinzu, wie sie das Kanonenfeuer verursacht haben sollten, wenn es nur nichts anderes zu bedeuten hätte.

Was sollte es anderes zu bedeuten haben? sagte der Kurfürst. Die Franzosen schössen aus purem Mutwillen oder zum Schabernack.

Das Schießen nahm jetzt zu, und Wiedmann sprang ans Fenster, ob etwas wahrzunehmen wäre. Wenn seine Domherren nicht so aufrührerische und räuberische Leute wären, schalt der Kurfürst, so hätte er die Franzosen nicht nötig, könnte sich selbst gegen alle Übergriffe schützen und seine fürstliche Souveränität erhalten. Er wollte, daß die Schüsse stracks in ihr galliges Eingeweide führen, da sie allein seiner Leiden und beständigen Aufregungen Ursache wären.

»Jesus Maria!« rief Wiedmann vom Fenster her, »die Straßen sind voll Laufen, Schreien und Schießen! Wir müssen uns in Defension setzen!«

Narrheit! entgegnete der Kurfürst; er unterhalte ja die Franzosen zu seiner Defension, wolle hoffen, daß sie ihre Pflicht täten. Jetzt werde er aufstehen und nach dem Rechten sehen, es sei sicher nichts als eine Feuersbrunst oder sonst ein blinder Lärm, aber die Dummheit mache die Leute kopflos.

Während Wiedmann mit zitternden Händen den Kurfürsten ankleidete, kam ein französischer Adjutant mit der Meldung, die Spanier hätten sich bei der Morgendämmerung zu Schiff in die Festung eingeschlichen, sie gedächten sie aber schimpflich wieder hinauszujagen.

Was? Was? rief der Kurfürst. Ob die Hundsbuben schon in der Stadt wären? Ob denn die Besatzung nicht auf ihrem Posten gewesen wäre?

In der Stadt? schrie Wiedmann. Auf dem Schlosse würden sie gleich sein. Besatzung? Die Windbeutel hätten natürlich miteinander geschwatzt und gefaselt und darüber die Festung verloren. Hätte er doch die gleisnerischen Fratzen nie gesehen! Aber der Kurfürst habe die Vernunft zur rechten Zeit nicht annehmen wollen.

Dieser bot Wiedmann eine Maulschelle an, während er im Ungestüm vergebens in den Ärmel seines Oberkleides zu fahren suchte. Wenn Wiedmann ihn wahrhaft liebte, sagte er, würde er ihn jetzt nicht mit ungereimten Vorwürfen überlaufen.

»Hilf Gott,« rief Wiedmann, »wenn ich Eure Fürstliche Gnaden nicht so liebte, würde ich mir alles so zu Herzen nehmen? Habe ich Sie nicht auf den Knien gebeten, die Lausbuben von Franzosen nicht hereinzulassen? Habe ich nicht vorausgesagt, daß, wenn Gott auch ein Auge zudrückte, der Kaiser doch den Abfall nicht ungestraft lassen würde?«

»Laß dich aufhängen mit deinem Kaiser,« schimpfte der Kurfürst, »so hängen zwei Gauner an einem Strick.« Woher denn die Spanier kämen, und wer sie anführte?

Wiedmann lief fort und rief zurückkehrend schon in der Tür, der Maillard führe sie an, der früher beim Herrn von Metternich Sekretär gewesen sei, und der Metternich selbst sei auch da.

Der Kurfürst schleuderte den Pantoffel, den er eben an den Fuß ziehen wollte, nach dem Kopfe seines Kammerdieners. Das Schloß solle besetzt werden! befahl er laut schreiend. Wenn es sonst nicht lange, müsse die Bürgerschaft her, ihn zu verteidigen. Der hundsföttische Metternich dürfe den Fuß nicht ins Schloß setzen. Die Bürgerschaft sei für den Galgen reif, wenn sie nicht ihr Blut einsetzte, um ihren fürstlichen Herrn vor Schimpf zu bewahren.

Da bilde sich der Kurfürst ein wenig zuviel ein, sagte Wiedmann; er habe die Bürgerschaft gar zuwenig respektiert, als daß sie ihn lieben sollte.

»Ich will sie's lehren, die Schelme!« sagte der Fürst. Wenn aber das Galgengesicht, der Metternich, doch hereinkäme, so sollte er nicht etwa meinen, daß er, Sötern, sich die Sache zu Herzen nähme. Wiedmann solle ihm sogleich seine schöne rote Mütze und Kragen bringen, auch das Zetern und Händeringen beiseite setzen, damit die Bösewichter sich nicht ins Fäustchen lachten.

Es währte nicht lange, so hörte man trabende Pferde, Kommandieren und Durcheinanderlaufen, das Schloß wurde besetzt, und Metternich betrat mit dem Obersten Maillard, unangemeldet die Tür aufreißend, das Zimmer, wo der Kurfürst prächtig gekleidet und anscheinend gelassen in einem Sessel saß.

»Da haben wir den alten Wolf in der Falle!« rief Metternich lachend. »Nur herein in den Käfig!«

»Ist das die Art, seinen Fürsten zu begrüßen?« sagte der Kurfürst. Wo es denn Sitte sei, daß Kavaliere sich so bäurisch und ungebührlich aufführten?

Oberst Maillard machte eine kurze Verbeugung und sagte, der Kurfürst habe es selbst verschuldet, daß man so mit ihm umspringe. Er solle sich fügen, Widerbellen sei umsonst, er sei jetzt Gefangener des Kaisers und des Königs von Spanien, die würden weiter über ihn verfügen.

Er brauche nicht soviel Umstände mit dem Ächter zu machen, warf Metternich ein. Er habe den Kopf verwirkt, könne Gott danken, daß sie ihn noch verschonten.

»Du wirst deine losen Reden noch bereuen!« drohte der Kurfürst, die Faust gegen Metternich schüttelnd. Wer ihn denn in die Acht getan habe? Das sei eine neue Mode, die höchsten Reichs- und Kirchenfürsten, wie wenn man in der Türkei wäre, zu ächten. Der Papst und der König von Frankreich würden seinen Widersachern den Kopf waschen.

Jetzt heiße es Maul halten, befahl Metternich. Wenn er noch weiter sperenziere, würde man andere Mittel ergreifen.

Er weiche der Gewalt, sagte der Kurfürst. Wiedmann sei Zeuge, daß ihm Gewalt angetan werde.

Ach Gott, jammerte Wiedmann, der Fürst könne doch nicht so fort, ohne seine Morgensuppe gegessen zu haben.

Werde gut tun, sich beizeiten das Hungern anzugewöhnen, höhnte Metternich.

Sie wollten warten, sagte Maillard, bis der Kurfürst einen Imbiß genommen hätte. Er solle sich aber sputen.

Wiedmann läutete, bestellte das Frühstück und beschwor Maillard und Metternich, sie sollten ihm erlauben, den Kurfürsten zu begleiten. Der Kurfürst inkliniere schon zum Alter, fange mit allerlei Gebrechen zu laborieren an, müsse doch als ein hochvornehmer Herr Bedienung haben. Die Majestäten würden gewiß einem hohen Kirchenfürsten nicht verwehren, was einem einfachen Edelmann in der Gefangenschaft zustände.

Der Kurfürst habe Leib und Leben verwirkt, entgegnete Maillard, könne nur auf Gnade Anspruch machen. Aber es sei ihm bekannt, daß Wiedmann ein redlicher Mann und an den Exorbitanzien und Teufeleien seines Herrn unschuldig sei; wenn er es aus gutem Herzen tun wolle, so dürfe er ihn begleiten.

Wiedmann bedankte sich und machte sich mit der Morgensuppe zu schaffen. Nun sei ihm das Herz ein wenig leichter, sagte er, da er selbst für den Fürsten sorgen könne. Ob der Fürst nicht ein paar Krebsaugen in Wasser zu sich nehmen wolle?

Wiedmann scheine zu glauben, daß er sich alteriert habe, sagte der Kurfürst scharf mit einem bösen Blick auf seinen Diener. Er fühle sich heiter und wohlauf als einer, der im Recht sei. Die möchten zittern, die ein böses Gewissen hätten.

Sowie der Fürst gegessen hatte, wurde er nebst Wiedmann in eine Kutsche gesetzt und zunächst nach Luxemburg, dann nach Brüssel und endlich nach Wien geführt und gefangen gehalten. Durch diese Gewaltmaßregel behauptete der König von Frankreich, als Schutzherr des Kurfürsten von Trier, beleidigt zu sein, und nachdem er ein Bündnis mit Holland geschlossen hatte, erklärte er dem König von Spanien förmlich und feierlich den Krieg, nicht aber dem Kaiser, den er einstweilen nur mittelbar bekämpfen wollte.

An jenem Frühlingstage, als die Spanier in Trier einfielen, zog sich der Straßenkampf zuletzt beim Jesuitenkloster zusammen, hinter welchem die Franzosen sich verschanzt hatten und aufs äußerste verteidigten. Ihre Bitte um Einlaß, damit sie einen festen Platz gewännen, schlug der Profeß ab; aber er gestattete, daß einige Väter, unter denen Friedrich von Spee war, hinausgingen, um die Verwundeten beider Parteien beiseite zu tragen und zu erquicken und den Sterbenden beizustehen. Ein schwerverwundeter Deutscher, dem Spee Wasser einzuflößen versuchte, verlangte nach einem evangelischen Geistlichen; mit den Jesuiten wolle er nichts zu tun haben. Freundlich sich über den Sterbenden beugend, sagte Spee, er wisse nicht, wo ein evangelischer Feldprediger sei, könne jetzt auch nicht suchen; sie wären alle eines Gottes Kinder, der Soldat möge zulassen, daß er, Spee, mit ihm betete. Nein, stöhnte jener, den Kopf gewaltsam von der Wasserflasche wegwendend, jesuitisch gebetet sei schlimmer als geflucht. Mit der Erde sei es jetzt vorbei, so wolle er sich den Himmel nicht verscherzen. »Quäle dein Herz nicht mit Haß,« bat Spee, »vergib deinen Feinden, damit Gott dir deine Sünden vergebe!« »Fort, du Teufel!« röchelte der Verwundete, indem er Spee mit seiner letzten Kraft zurückstieß und dann, mit dem Kopf auf das Pflaster schlagend, verschied. Spee betete bei dem Toten, drückte ihm die Augen zu, faltete seine Hände und ging traurig weiter.

Wie er sich unbekümmert zwischen den Kämpfenden bewegte, traf ihn eine Kugel an der Schulter, welche Verletzung anfangs für ungefährlich gehalten wurde, aber nach einigen Monaten seinen Tod herbeiführte.

Während seines langen Krankenlagers hielt ihm sein Beichtvater vor, er habe unrecht getan, indem er beim Einfall der Spanier sich auch der sterbenden Ketzer angenommen habe, ohne sie zu bekehren, ja sie sogar trotz ihres Irrglaubens der Gnade Gottes vertröstet habe. Spee entschuldigte sich damit, daß keine Zeit zum Disputieren gewesen wäre, worauf der Beichtvater erwiderte, es handle sich nicht um Disputieren, sie hätten sich vielleicht in der Todesangst bekehrt, wenn sie sonst keinen Beistand gefunden und die Hölle recht sichtbar vor Augen gehabt hätten. Das habe er sich nicht getraut, sagte Spee zaghaft, von der Todesangst der armen Leute zu profitieren. Der Beichtvater entrüstete sich. Man tue ihnen ja Gnade über Verdienst an, wenn man sie zur Kirche brächte, sagte er, sei es auch mit etwas Schleppen und Stoßen. Nun wären sie ja verdammt und voraussichtlich auf ewig in der Hölle, wo ihnen weit ärger zugesetzt würde als mit ein paar Fußtritten oder Rippenstößen.

Spee schlug klagend die Hände vor sein abgezehrtes Gesicht, in das die dünnen grauen Haare fielen. Wenn er etwas an den Unglücklichen versäumt hätte, sagte er, so hoffe er, daß Gott es an ihm und nicht an ihnen heimsuche. Sein Gewissen irre vielleicht; er habe aber nicht besser entscheiden können.

Freilich irre das menschliche Gewissen, sagte der Beichtvater strafend, darum sei der Gehorsam da, wodurch Irrtum verhindert und den Schwachen fruchtloser Kampf erspart würde. Aber eben am Gehorsam habe es Spee von jeher gemangelt. Unter der Larve der Demut sei er eigensinnig, verstockt, selbstwillig, hochmütig, rebellisch. Er habe gesündigt, indem er sich nach der eigenen Vernunft habe regulieren wollen, und wenn er es nicht bereute, so müsse er ohne Absolution hinfahren und habe im Jenseits böse Folgen zu befürchten.

Christus sei doch aber für die Heiden gestorben, ohne ihnen zu fluchen, wandte Spee schüchtern ein.

Er wolle sich wohl gar mit Christus vergleichen? schalt der Beichtvater. Da sehe man, zu was für Freveln der Hochmut führe. Eben weil Christus für die Heiden gestorben sei, habe sich Spee dergleichen nicht anzumaßen, dergleichen sei viel zu hoch für ihn. Gott wolle von ihm nur das Opfer des Gehorsams; alles andere sei vom Teufel eingeblasen.

Spee atmete leichter, wenn er das Gesicht des Beichtvaters nicht mehr wie einen Felsklotz auf sich herunterdrohen sah.

Ja, einer Sünde war er sich bewußt; daß er als Jüngling, nachdem er ein Tier, einen armen kleinen Esel, unter den Schlägen seines Treibers hatte zusammenbrechen sehn, in ein Kloster gegangen war, um sich vor dem Anblick des Leidens der Kreatur zu schützen, und um ihn zu strafen, hatte Gott ihn bestimmt, allezeit und allerwärts Leiden zu sehen und mit zu leiden; so viel hatte er mitgelitten, daß es ihm war, als habe er sein Leben damit aufgezehrt und müsse sterben, weil ihm die Kraft, zu leiden, ausgegangen sei. Sollte es möglich sein, daß er irrte, wenn er zu helfen suchte? Griff er damit in Gottes Weltplan ein, der diese Leiden vielleicht angeordnet hatte? Was bedeutete denn auch eine helfende Hand unter tausend Händen, die quälten!

In seiner Erinnerung tauchten die Frauen mit blutigen Augen und von der Folter verkrümmten Gliedern auf, die er in Würzburg im Feuer hatte sterben sehn; um sich vor diesen Bildern zu retten, kehrte er den Blick nach dem Fenster, durch das er über einer bräunlichen Mauer den Sommerhimmel blitzen sah. Wenn er nur einmal noch, dachte er, vor der Stadt auf einer Wiese liegen könnte, von Himmel und Erde umschlossen, ein zitternder Staub in der Hand Gottes! Immer hatte er sich draußen in der Weite der göttlichen Liebe am nächsten gefühlt und unfehlbar gewußt, daß Gott mit ihm war, wenn er, so gut er es verstand und vermochte, denen half, die litten, und denen wehrte, die quälten.

Sehnsüchtig heftete er die trockenen Augen auf das Stückchen Himmel, das er funkeln sah wie das lockende Ufer der Ewigkeit. Würde dort wieder Kampf und Leiden oder würde dort der Friede sein? Was immer, er gab sich willig hin. Indem er die Hände faltete und die Augen schloß, wurde es in ihm licht, und er fühlte sich hoch und höher hinauffliegen. Himmel und Erde schienen zu weichen und verschmelzend und verschwindend einer neuen strahlenden Hülle Raum zu geben, in die er wie eine aus dem Käfig erlöste Lerche freiheitberauscht und von den wiedererkannten Elementen fortgerissen stürzte.

*

Von Frankreich, das jetzt seine einzige Hilfsquelle war, ohne Unterstützung gelassen, entschloß sich Herzog Bernhard bitteren Herzens, das rechte Rheinufer zu verlassen. Nachdem er den an Oxenstiernas Stelle getretenen Vizedirektor des Bundes, den Rheingrafen Otto, nach Frankfurt geführt und den Magistrat ermahnt hatte, sich durch die vom Kaiser ausgeworfene Friedensangel nicht verlocken zu lassen, legte er nach Worms, Mainz und Kaiserslautern Besatzungen und trat den Rückzug an. In Frankenthal, wo ihn der von Heidelberg kommende Philipp Ludwig, Administrator der Pfalz, begrüßte, meldeten sich bei den beiden Fürsten einige Beamte und trugen ihnen vor, es stehe bei ihnen der Sarg mit dem Leichnam des Königs von Böhmen, den sie wegen der launischen Zeitläufte noch immer nach Heidelberg zu überführen gezögert hätten. Sie erbaten des Herzogs und des Pfalzgrafen Meinung, wie sie sich bezüglich desselben verhalten sollten, denn abgesehen davon, daß bei ihnen nicht das rechte Quartier für einen so erlauchten Fürsten aus uraltem Geschlechte sei, so stehe fast zu fürchten, daß er auch hier gestört werden und etwa von mutwilligen Feinden einen Schimpf empfangen könnte.

Das habe er nicht gewußt, sagte Herzog Bernhard, daß der König seine Ruhestätte noch nicht gefunden habe; er wolle den Ort selbst in Augenschein nehmen.

Die Beamten führten ihn und den Pfalzgrafen zur Hauptkirche, wo der Küster eine Weile zwischen ungeheuren Schlüsseln kramte und dann einen hinter der Sakristei gelegenen Verschlag öffnete, in dem zwischen Kisten und Brettern der Sarg gefunden wurde. Gebückt in dem niedrigen Raume fuhr der Küster mit der Laterne über den Sarg, damit man die in das Zinn eingelassenen Namenszüge und das Gepräge auf den Petschierungen sähe. Das sei freilich keine würdige Stätte für eines Königs Sarg, sagte der Herzog die Brauen faltend.

Er sei hier wenigstens vor Unbilden sicher gewesen, sagten die Beamten, sie wären es aber wohl zufrieden, wenn der Herzog ihnen die Verantwortung abnähme. Man wisse ja nicht, was für Veränderungen bevorständen.

Nach einigem Besinnen sagte Bernhard, er hoffe, daß die Besatzungen, die er in die rechtsrheinischen Plätze gelegt hätte, sich hielten, bis er mit französischer Verstärkung zurückkäme. Er wolle aber nicht leugnen, daß die nächste Zukunft schwer und dunkel sei. Es sei fast kein Stand mehr im Reich, der nicht des Friedens um jeden Preis habhaft werden wolle. Man habe ihm schöne Worte ins Gesicht gesagt, aber er wisse wohl, wie es hinter seinem Rücken lauten werde. Feigheit und Schwäche schössen jetzt überall auf, und sein einziges Schwert könnte des Unkrauts nicht mächtig werden. So möchte es das beste sein, daß er den Sarg mitnähme und einstweilen in Metz oder Sedan verwahren ließe.

Das wolle ihm nicht in den Sinn, sagte Philipp Ludwig, daß seines Bruders Leichnam aus dem Reiche geführt würde; und die Beamten setzten zögernd hinzu, besser wäre es wohl, wenn der arme Herr in Heidelberg bei seinen Vätern ruhen könnte.

Im Reiche sei jetzt keine Ruhestätte, sagte Bernhard finster. Es sei in diesem Kriege schon vorgekommen, daß man Kranke aus den Betten und Tote aus den Särgen gerissen hätte.

Wenn Bernhard nun unterwegs angegriffen würde, wandte der Administrator ein, so sei der Sarg vollends ausgesetzt und könne das heimatlose Gebein noch auf den wüsten Feldern verstreut werden.

Das wolle er über sich nehmen, entschied Bernhard. Er werde den Rückzug so ausführen, daß ihm keine Schuhsohle von der ganzen Mannschaft verlorenginge.

In Zweibrücken schloß sich dem weichenden Herzog der Pfalzgraf Johann II. an, nachdem seine Räte es für notwendig erklärt hatten, daß er sein bedrohtes Land verließe, um nicht in Feindeshand zu fallen. Es war um Johanni, als der Pfalzgraf sich im Schlosse von den Räten verabschiedete. Es falle ihm schwer, sagte er, sein treues Volk zu verlassen; aber da es sein müsse, füge er sich und empfehle es ihnen und Gott.

Die Räte versicherten ihre Ergebenheit und fügten hinzu, Gott tue allezeit Wunder, und wenn der Sturm vorübergebraust wäre, kehrte der Pfalzgraf wohl vergnügt in ihre Mitte zurück.

Der Pfalzgraf, dem die Augen voll Tränen standen, gab jedem der Herren die Hand, was auch die Pfalzgräfin tat, die hinter ihrem Tuche schluchzte.

Der Pfalzgraf solle nur seine Gesundheit recht in acht nehmen, sagte der eine der Räte; er habe in der letzten Zeit merklich abgenommen.

»Das Alter und der Gram!« sagte die Pfalzgräfin, indem sie den Herren traurig zunickte. Auf dem Schloßplatz hatten sich viele Menschen angesammelt, um den Abreisenden Lebewohl zu sagen, und ein sauber gekleidetes Mädchen überreichte der Pfalzgräfin einen Strauß roter und weißer Rosen. Der Pfalzgraf wendete sich an die Umstehenden und sagte, so laut er konnte, er lasse sie in der Obhut seiner Räte zurück und hoffte, sie würden ihnen gehorchen, wie wenn er selbst es wäre. Sie wüßten wohl alle, daß sein Sohn das Schwert ergriffen hätte, um sein Volk und den heiligen Glauben zu schützen, der ihnen von ihren Vätern überliefert wäre. Wenn etwa wider Verhoffen das Glück seinem Sohn abhold wäre und wenn etwa auch ihm selbst etwas zustieße, so bäte und ermahne er sie, daß sie lieber Gut und Blut aufopferten als ihren Gott. Unter lautem Zuruf und Schluchzen der Menge bestieg das Paar die Kutsche, die sich langsam in Bewegung setzte. Da einige Stimmen »Auf Wiedersehen!« riefen, schüttelte der Pfalzgraf mehrmals den grauen Kopf; er wollte etwas sagen, vermochte es aber nicht und deutete stumm mit der Hand nach dem Himmel.

Johann II. reiste nach Metz, während Herzog Bernhard in Saarbrücken blieb und Feuquières erwartete, der in seinem Auftrage nach Chaumont gegangen war, um das französische Hilfsheer unter dem Kardinal La Valette zur Eile anzutreiben. In dem Blick des Franzosen, der sich zögernd und besorgt auf Bernhard richtete, las dieser die Enttäuschung seiner letzten Hoffnung. So lasse ihn denn der König im Stich, sagte er bitter, so sei denn alles verloren. Er hätte es auch allein mit seinen geringen Kräften wagen wollen, dem Feinde den Proviant abzuschneiden und ihn dadurch aufzuhalten, aber seine Offiziere hätten es für unmöglich erklärt. Nun sei alles aus. Piccolomini und Gallas rückten heran, Worms habe schon kapituliert, bald werde Kaiserslautern auch übergehen.

Feuquières sagte, er habe es an Briefen und Vorstellungen nicht fehlen lassen, um den Sukkurs zu befördern. Auch vom Hofe aus sei der Kardinal La Valette angewiesen, Bernhard schleunig zu Hilfe zu kommen.

Bernhard zuckte die Achseln und schwieg.

Es sei ihm schmerzlich, fuhr Feuquières fort, an einem Helden wie Bernhard den Ausdruck trostloser Gleichgültigkeit wahrzunehmen.

»Meine Seele ist drüben geblieben,« sagte Bernhard, »und ich bin nur ein nachtwandelnder Körper, bis ich wieder drüben bin.«

Feuquières sah erstaunt und bewegt des Herzogs nasse Augen. Ob er denn gewiß glaube, fragte er, mit dem Sukkurs etwas ausrichten zu können?

Ob er das glaube? rief Bernhard aufspringend. Er wisse es. Er habe nicht den geringsten Zweifel. Sein Plan sei für den Fall schon fertig, er wolle es Feuquières auf der Karte zeigen. Er würde dann augenblicklich wieder über den Rhein gehen, Frankfurt schützen, dem Feinde den Proviant abschneiden. Der Landgraf von Hessen und der Herzog von Lüneburg würden ihm die Hand reichen, er habe gewisse Nachricht, daß sie den Prager Frieden nicht annehmen wollten. Sein blasses Gesicht hatte sich gerötet, seine Augen leuchteten.

Er wünschte, sagte Feuquières, es gelänge ihm, dem König die Lage deutlich zu machen. Wenn der König nur völlige Sicherheit über Bernhards Anhänglichkeit hätte, so würde er gewiß nicht zögern, seine billigen Wünsche zu befriedigen.

»Ist es königlich,« sagte Bernhard leidenschaftlich ausbrechend, »mit einem Ertrinkenden um den Preis seiner Rettung zu feilschen?« Was für Grund der König habe, an seiner Pflichttreue zu zweifeln? Er habe bisher geleistet, was er versprochen, ihn habe man im Stich gelassen. Verlassen und verraten, sehe er sich gezwungen, in das schimpfliche Grab des Prager Friedens zu steigen.

Nein, sagte Feuquières, das dürfe nicht sein! Ob er denn nicht lieber die Freundeshand, die der König ihm huldvoll biete, ganz und ohne Vorbehalt ergreifen wolle?

Der Herzog warf einen Blick auf Feuquières, in dem Zorn, Stolz und Scham lag. Der König und er, sagte er, hätten ihre Interessen vereinigt: der König gebe das Geld, er seine Kraft und sein Blut, übrigens sei er ein freier deutscher Fürst und verkaufe sich nicht.

Aufmerksam und nachdenklich betrachtete Feuquières den jungen Herzog; es kam ihm so vor, als sähe er eine Träne über sein mageres Gesicht schleichen.

Er, Feuquières, sagte er, sei ein treuer Diener seines Königs. Ob ihn Bernhard deswegen geringschätze? Ob Bernhard daran zweifle, daß er ihn liebe und sich glücklich schätzen würde, unter seinem Befehl zu kämpfen?

Nein, sagte Bernhard freundlich, er sei davon überzeugt. Feuquières habe viel für ihn getan, und er sei ihm Dank schuldig.

Nach etwa vierzehn Tagen konnte Feuquières dem Herzog melden, daß La Valette mit einem Sukkurs von 8000 Mann unterwegs sei; er sei bereit, dem Kardinal entgegenzureisen und ihn zu größerer Eile anzutreiben. Bernhard reichte dem Überbringer so erwünschter Nachricht beide Hände; nein, sagte er, das wolle er selbst tun, um sich mündlich mit La Valette zu verständigen. Feuquières schwieg verlegen und gestand endlich, er habe bereits viel darüber nachgedacht, wie diese Begegnung zu gegenseitiger Satisfaktion eingerichtet werden könne. Den seltenen Fall, daß ein französischer Kardinal und ein deutscher Reichsfürst sich als Oberfeldherren eines königlichen Heeres träfen, habe das Zeremoniell nicht vorausgesehen und nichts dafür festgesetzt. Er wolle Bernhard nicht verhehlen, daß die Furcht, der zu erhoffende Erfolg könne an dieser Schwierigkeit scheitern, ihm den Schlaf raube.

Bernhard besann sich einen Augenblick. Er sei bereit, sagte er langsam, in diesem Falle von seinen Rechten und Ansprüchen, wenn auch unvorgreiflich, etwas preiszugeben und dem Kardinal bei der Begrüßung den Vorrang zu lassen. »Das wird die bitterste Frucht nicht sein, die dieser Baum trägt«, setzte er hinzu.

»Der Lorbeer ist bitter«, sagte Feuquières.

Bernhard nickte schweigend. Würden ihm seine Taten Lorbeer tragen? Wußte er, was für ein Reis er eingrub, hastig, zu Pferde um Mitternacht? Gott würde sein Herz und seinen Willen ansehen. Hatte er nur wieder ein Heer hinter sich und ein Schwert in der Hand, so wollte er auch Fluch und Unheil zum Segen wenden.

*

Die Akten von Schaffgotschs Prozeß riefen große Enttäuschung in Wien hervor, indem durchaus nichts Neues und Erhebliches über die Wallensteinische Sache zutage gefördert worden war und die Verteidigung alle Anklagen so geschickt zurückgewiesen hatte, daß vielmehr der Vorwurf am Kaiser hängenblieb, als habe er die bezichtigten Offiziere gleichsam selbst zu Schuldigen gemacht, dadurch, daß er Wallenstein zu große Macht eingeräumt hätte. Der Kaiser sprach sich sehr beunruhigt aus: man habe ihm so viel von Briefen und Schriften gesagt, aus denen die höllische Verschwörung offensichtlich hervorginge, er warte aber noch immer darauf, und es werde inzwischen böswilliger Verleumdung, als habe er einen treuen, verdienten Diener hinterrücks umbringen lassen, Tür und Tor geöffnet. Er wisse gar nicht mehr, woran er sei; ob es denn etwa gar an dem sei, daß der Wallenstein ihn von Land und Leuten bringen und mit seinem ganzen Hause habe ausrotten wollen?

Schlick und Slawata trösteten: durch die Diener des alten Terzka werde noch vielerlei an den Tag kommen; Schaffgotsch sei leider ein verstockter Bösewicht, mit dem zu glimpflich umgegangen würde. Es liege ja auch schon kaiserliche Verordnung vor, die Schärfe gegen ihn zu gebrauchen, und es sei unbegreiflich, warum man damit angehalten hätte. Wegen der Folter hatte der Kaiser Bedenken: ob es üblich sei, sie anzuwenden, wenn einer schon zum Tode verurteilt sei, und Schaffgotsch sei doch von altem Adel, sogar mit Fürsten verschwägert. Er wolle Gutachten darüber einholen, sagte Schlick, Unrecht solle ihm nicht geschehen.

Infolgedessen erhielt Götz, der Präsident des Gerichtshofes in Regensburg, das den Grafen Schaffgotsch zum Tode verurteilt hatte, einen Brief Schlicks: der Prozeß befriedige dieserorts durchaus nicht, sei schlampig geführt, der Kaiser habe ein ganz anderes Ergebnis erwartet, es müsse durchaus noch etwas über die Rebellion beigebracht werden, namentlich über des Friedländers hochverräterische, mörderische Absichten. Käme man anders nicht zum Ziele, müsse zur Folter geschritten werden, womit man nicht so lange hätte warten sollen. Durch den Schaffgotsch könne am ehesten Licht in den höllischen Abgrund fallen, die Gelegenheit dürfe nicht vorübergelassen werden, es könne sonst vielen hohen Personen Schaden daraus erwachsen.

Götz warf den Brief ärgerlich auf den Tisch und fuhr sich durch die Haare. Wenn er das gewußt hätte, sagte er zu seinem Diener, so hätte er sich niemals mit dieser Schweinerei eingelassen. Sie schienen ihn in Wien für einen Henker zu halten. Dergleichen wäre nicht für einen redlichen Kavalier. Sie sollten selber melken, wenn sie Blut saufen wollten.

In der Stadt, sagte der Diener, sei der Verurteilte ungemein beliebt; viele Frauenzimmer und auch Männer hätten seinetwegen Trauer angelegt.

Ja, die Regensburger, das wären alle Galgenvögel, brummte Götz. Der Schaffgotsch sei auch ein Verräter, und es geschähe ihm ganz recht, wenn nur er seine Hand nicht dabei im Spiele haben müßte; er sei ein schlichter Kriegsmann, wolle mit den Schreibersachen und Malefizwesen nicht beladen sein.

Auf den erhaltenen Befehl hin wurde Schaffgotsch am vorletzten Mai aus seiner Wohnung auf der Heide nach dem Rathause gebracht, wo die Tortur vorgenommen werden sollte. Dem Konstantin von Wegner, der neben Schaffgotsch in der Kutsche saß, schlugen die Zähne aufeinander; das könne nichts Gutes zu bedeuten haben, sagte er. Wegner meine doch nicht etwa, sagte Schaffgotsch, daß die Schufte ihn meuchlings abstechen wollten? Dann würde er sich zur Wehr setzen! Er wolle sein Blut teuer verkaufen!

Ach Gott, nein, sagte Wegner, das meine er gewiß nicht. Aber es sei doch ein übles Zeichen, daß sie so mitten in der Nacht auf das Rathaus gebracht würden.

Ein paar Tage darauf wurde der Graf bei Anbruch der Nacht in den Keller geführt, um noch einmal verhört und gefoltert zu werden.

Als er nach Verlauf von drei Stunden wieder heraufgebracht wurde, stand Wegner mit bleichem Gesicht auf dem Flur, einen Krug Bier in der Hand, den er seinem Herrn reichte.

Schaffgotsch schluchzte und keuchte, er konnte sich kaum auf den schlotternden Beinen halten, und Wegner mußte ihm helfen, den Krug zum Munde zu führen. »So haben sie mich zugerichtet, die Schufte!« stieß er, halb schreiend, halb schluchzend hervor, »ich bin nichts mehr als ein stinkendes Stück Fleisch für den Schindanger.« Wegner führte ihn in sein Zimmer, brachte ihn zu Bett und saß die Nacht durch am Bette des Fiebernden. Er leide das um des Evangeliums willen, sagte er zu ihm, Gott werde es ihm im Himmel lohnen.

Als sich Schaffgotsch nach einigen Tagen wohler fühlte, sagte er zu Wegner, im Grunde sei es gut und wohl ein Werk der Vorsehung, daß sie ihn gefoltert hätten; denn da er nichts bekannt habe, sei doch seine Unschuld nun klar erwiesen und müsse der Kaiser ihn begnadigen, wenn anders er nicht als ein grausamer, despotischer Nero vor der ganzen Welt bloßgestellt sein wollte.

Ach Gott, sagte Wegner, was er denn mit diesem zertretenen Leib, wenn er ihm auch geschenkt würde, anfangen wollte? Er habe ja anfangs selbst gesagt, wenn er in Henkers Hand gewesen und entehrt sei, sehe er sich schon als einen Toten an.

Das habe er in Wut und Scham so herausgesagt, erwiderte Schaffgotsch, dessen Augen ein paar in der stillen blauen Luft spielenden Schmetterlingen folgten; aber des Kaisers Wort könne ihn ja auch wieder ehrlich machen. Er müsse doch um seiner Kinder willen nach dem Leben trachten. Oder ob Wegner es ihm nicht gönnte?

Er wäre jede Stunde bereit, sagte Wegner, sein Leben hinzugeben, wenn er damit seines Herrn Leben und Ehre erkaufen könnte.

Ja, ja, er wisse das, sagte Schaffgotsch, indem er ihm die Hand reichte. Er könne ihm seine Treue nie vergelten, müsse es Gott überlassen.

Daß er ihm diente, sagte Wegner, geschehe nicht um des Lohnes willen, sondern aus Liebe; und aus Liebe bitte er Schaffgotsch, er solle sich nicht einbilden, der Kaiser würde ihn begnadigen; denn es sei vom ersten Tage an beschlossen gewesen, ihn aufzuopfern.

Aber die anderen Angeklagten wären doch auch nicht zum Tode verurteilt, wandte Schaffgotsch ein, und sogar der Freiberg, der in offener Rebellion gegen den Kaiser ausgebrochen wäre, sei straflos ausgegangen.

Freilich der, sagte Wegner, der sei auch katholisch geworden, desgleichen der Kanzler Eltz.

Und der König von Polen, fuhr Schaffgotsch fort, habe sich doch zum zweiten Male für ihn verwendet.

Der sei in Wien nicht mehr gut angeschrieben, erklärte Wegner, da er Frieden mit Schweden machen wolle.

Schaffgotsch schwieg und spielte nachdenklich mit den Ringen, die lose auf seinen abgemagerten Fingern saßen.

Einige Tage später erhielt er auf seine Bitte Besuch von zwei Jesuiten, die lange bei ihm blieben und auch am folgenden Tage wiederkamen. Als sie fort waren, machte Wegner ihm Vorstellungen. Was das zu bedeuten habe? fragte er. Schaffgotsch wolle doch seine Seele nicht dem Teufel verhandeln?

Törichtes Geschwätz! sagte Schaffgotsch unwillig errötend. Er habe die Leute kommen lassen, um sich ein wenig die Zeit zu verkürzen. Wegner könne sich wohl denken, wie langweilig und schwer der Tag ihm würde.

So könne er um einen evangelischen Prediger bitten, sagte Wegner, das würde ihm sicherlich gestattet werden.

Was die sagten, wisse er ohnehin, sagte Schaffgotsch schmollend, er habe einmal etwas Neues hören wollen. Das Disputieren mit den Jesuiten habe ihn gut unterhalten.

Nein, nein, beharrte Wegner, das sei eine vom Teufel gelegte Schlinge. Man könne so leicht Schaden nehmen, ohne daß man es wisse. Gott prüfe die Menschen ohnehin durch Versuchungen, man solle sie nicht noch selbst aufsuchen. Die ausgepichten, verzweifelten Krokodilsnasen gingen mit solchen Listen und Tücken um, daß ein unbehütetes Herz sich leicht darin fangen könnte.

Wegner sehe ihn auch gar für ein Kind an, sagte Schaffgotsch; er wisse wohl, was er tun und lassen müsse.

Wegner warf sich vor seinem Bett auf die Knie und faltete die Hände. Bei seinen Eltern und bei seinen Kindern, um Gottes willen beschwöre er ihn, auszuharren. Es ergehe jedem Judas, wie es dem ersten ergangen sei, daß er seines Blutgeldes nicht genießen könnte. Unwiderruflich müsse Schaffgotsch sterben; wenn er sich von den Jesuiten fangen ließe, würde er nur seinen Feinden Triumph, sich selbst keine Gnade verschaffen. Wie unermeßlich dann sein Elend sein würde, wenn er seinen Gott verraten hätte und auf Erden und im Himmel verdammt in den Tod gehen müßte.

Schaffgotsch legte seine Hand auf die Schulter des Knienden. Er sei ja kein Abtrünniger, sagte er. Er habe ganz gewiß nichts Unrechtes vorgehabt, als er die Jesuiten habe rufen lassen. Er wolle ihnen aber künftig den Zutritt verbieten und, wenn es nicht anders sein könne, sich auf den Tod vorbereiten.

Die Herren, die Schaffgotsch das vom Kaiser bestätigte Todesurteil zu überbringen und ihm die Stunde seiner Hinrichtung anzuzeigen hatten und die sein Zimmer zögernd und beklommen betraten, wurden durch die Freundlichkeit, mit der er sie empfing, überrascht und bewegt. Sie sollten nicht fürchten, sagte er zu ihnen, daß sie ihm unwillkommene Botschaft brächten. Er habe den Abschied von der Welt genommen und sei mit seiner Seele schon drüben. Wenn er bedächte, was für Hoffnungen, Sorgen und Wünsche ihn sonst umgetrieben und bedrückt hätten, so dürfe er behaupten, daß sein Gemüt noch nie zuvor so frei und leicht gewesen sei.

Auf seine Frage, wo er sterben solle, war die Antwort, Graf Götz habe bestimmt, wenn er, Schaffgotsch, es wünsche, so solle der Platz im Hofe des Rathauses hergerichtet werden.

Nein, rief Schaffgotsch lebhaft, er wolle nicht in einem dumpfen Hauswinkel abgetan werden. Unter dem hohen Himmel und der lieben Sonne wolle er sterben.

So solle es auf dem Platz geschehen, der ›Auf der Heide‹ genannt würde, sagten die Herren, dem Gasthof zum Goldenen Kreuz gegenüber.

Ja, so sei es ihm recht, sagte Schaffgotsch, und sang mit halber Stimme ein Soldatenlied: ›Im Kampf auf grüner Heide, da stirbt sich's gut.‹ Ein wenig anders habe er sich's vorgestellt, setzte er lächelnd hinzu; aber wie Gott es füge, so sei es recht.

Den Herren wurden die Augen naß. Wenn man den Herrn Grafen reden hörte, sagten sie, so möchte man sterben, um auch einer so himmlischen Seelenruhe teilhaftig zu werden.

Graf? wiederholte Schaffgotsch. Damit sei es aus, er sei in Henkers Hand gewesen. Jetzt müßte er warten, ob Gott ihm einen neuen, besseren Adelsbrief ausrichtete. Übrigens aber sollten die Herren sich nicht den Tod wünschen, sondern ausharren, bis Gott ihn verhänge, und bis dahin ihre Pflicht tun.

Die letzten Tage vergingen Schaffgotsch im Gespräch mit einem evangelischen Prediger und mit Wegner, dem er seine bis jetzt getragenen Schmucksachen für seine Kinder anvertraute. Ihm selbst gab er einen Ring, den er sich vom Finger zog. Das sei ein schlechter Dank für Wegners Liebe und Treue, sagte er, indem er ihn küßte; aber er hoffe, seine Kinder würden es abtragen. Mit dem Abschiedsbrief, den Schaffgotsch an seine Kinder schrieb, war Wegner nicht zufrieden. Er müsse es eindringlicher machen, sagte er, daß sie sich nicht von ihrem Glauben abbringen ließen. Es würden ihnen jetzt Schlingen und Fallen gelegt werden, und sie wären junge Waisen; ihres sterbenden Vaters Wunsch würde ihnen heilig sein.

Wenn er dergleichen schriebe, sagte Schaffgotsch, so besorge er, der Brief würde ihnen nicht eingehändigt werden.

Er könne den Brief ihm geben, sagte Wegner, er getraue sich wohl, ihn davonzubringen. Allein Schaffgotsch ging nicht darauf ein. Daß er für seinen Glauben den Tod leide, sagte er, sei seinen Kindern Beispiels genug. Wenn das nichts fruchtete, so vermöge ein geschriebenes Wort auch nichts.

Am Tage der Hinrichtung, es war der 23. Juli, erwachte Schaffgotsch fröhlich. So wohl sei ihm an seinem Hochzeitstage nicht gewesen, sagte er, Wegner solle ihn herrichten, daß er einem Bräutigam gleichsehe. Während Wegner ihm seine beste schwarze Kleidung und einen Koller von Elenshaut mit schwarzseidenen Ärmeln anzog, erzählte er, die Stadt sei voll Trauer und Klagen, als ob sie ihr liebstes Kind verlieren sollte.

Er wolle es den guten Leuten danken, sagte Schaffgotsch und grüßte, bevor er in den Wagen einstieg, mit der Hand nach den Fenstern, wo er teilnehmende Gesichter sah. Wie er im Goldenen Kreuz, wo der Gerichtshof tagte, die Treppe hinaufstieg, um der Verlesung seines Urteils beizuwohnen, schlug ihm das Herz vor Erwartung; allein die Begnadigung, die ihm immer noch im Sinn gelegen hatte, blieb aus. Er trat dicht an den Tisch heran und sagte mit lauter Stimme, er wisse, und Götz wisse es auch, daß er nicht schuldiger sei als die andern. Den Tod müsse er jetzt erleiden und tue es gern; aber er lade Götz zum Jüngsten Gericht vor Gottes Stuhl: da wollten sie es ausmachen.

Götz, der sich mit einem kühlen Trunk auf den peinlichen Augenblick vorbereitet hatte, erblaßte und suchte vergebens ein Wort der Erwiderung; er blickte hilfesuchend um sich und wies mit unsicherer Hand nach der Tür, als Schaffgotsch sich schon zum Gehen gewendet hatte. Dieser sprang rasch die Treppe hinunter und ging erhobenen Hauptes dem Ausgang zu, wo die Wache den Degen vor ihm senkte. Ein anmutiges Lächeln erhellte sein Gesicht, indem er grüßte und dankte. »Sie sehen mich doch noch für einen Edelmann an«, rief er Wegner zu, der auf ihn gewartet hatte und ihn zum Schafott begleitete.

Sowie sein Kopf gefallen war, legten ihn Wegner und andere Diener des Toten in einen Sarg und trugen ihn in das Haus zum Blauen Krebs, wo die Dienerschaft mit Ausnahme Wegners wohnte. Von dort aus begruben sie ihn des Nachts bei der Dreifaltigkeitskirche, und evangelische Frauen, namentlich die österreichischen Exulantinnen, bestreuten das Grab mit Blumen.

* * *

 


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