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Am Ostermorgen suchte Herzog Bernhard mit seiner anhaltinischen Base im Schloßgarten von Weimar das erste Veilchen, wobei sie sich in französischer Sprache unterhielten. Es sei noch zu früh im Jahr, sagte Bernhard, da wären nichts als Schneeglöckchen und Krokus. Die Base entgegnete, sie hätten auch andere Jahre um dieselbe Zeit Veilchen gefunden. Ob Bernhard sich nicht an jenes Osterfest erinnere, wo er ihr nach dem Gottesdienst von seinen Zukunftsplänen erzählt habe? Sie errötete dabei, denn sie dachte daran, wie er ihr zum Schluß, gleichsam zur Besiegelung des Gelöbnisses, einen Kuß gegeben hatte. Die kleine Base war ein geschmeidiges Figürchen mit silberblondem Haar, das in zierlichen Zöpfen um ihr blasses, schelmisches Gesicht herumgeflochten war; indem Bernhard ihr zusah, wie sie wegen der Taunässe behutsam in das Gras hineinstieg und sich dann und wann niederbeugte, kam sie ihm wie ein lockendes Phantom vor, das in unaufhaltsam sich wandelnden Traumarabesken vorübereilt. Er schickte sich eben an, ihr zu folgen, als sie sich umwandte und ihm mit neckendem Triumph ein Veilchen hinhielt: eine kurzgestielte, noch zusammengefaltete dunkle Knospe. Auf seine Bitte, ihm den Frühlingsherold als Andenken an den Ostermorgen schenken zu wollen, antwortete sie, ja, sie wolle es gern; aber er müsse ihr dafür versprechen, dazubleiben und sich nicht wieder in das abscheuliche Kriegswesen zu verfangen.

In Weimar bleiben? rief Bernhard; was er denn in Weimar tun solle?

Sie sah ihn ein wenig erstaunt an. Er könne sich einen schönen botanischen Garten anlegen, schlug sie vor, wie ihr Oheim, Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, oder Schulmeister kommen lassen und dergleichen. Bernhard schüttelte den Kopf. »Das sind Weibersachen«, sagte er; er würde die Melancholie dabei bekommen.

Der Krieg scheine ihn aber auch nicht lustig zu machen, wandte die kleine Base ein.

Lustig? sagte Bernhard, nein, darauf sei es auch nicht abgelegt. Er müsse die Begierde in seiner Brust sättigen. Was für eine Begierde das sei? Die evangelische Kirche und das deutsche Vaterland frei und groß zu machen. Ob sie das denn gar nicht verstehen könne?

Ja, ja, ja, rief sie, sie könne es ja verstehen. Aber sie sähe doch und hörte es auch von anderen, daß vor dem Kriege alles viel besser gewesen sei.

Eben jene glückliche Zeit wolle er wiederbringen, wo das Deutsche Reich geehrt und gefürchtet gewesen sei. Wenn er jetzt das Schwert einsteckte, würden Tyrannei und Falschheit das ganze Reich und vielleicht alle Welt verschlingen. Jetzt sei es aber Zeit zum Gottesdienst, wenn der vorüber sei, wolle er ihr alles besser erklären.

So möchte er wenigstens, sagte sie, sich zärtlich an ihn schmiegend, so lange in Weimar bleiben, bis der Winter ganz vergangen sei; so viel verstehe sie auch, daß es noch zu früh zur Kampagne sei.

Wenn es sich tun ließe, sagte Bernhard, wolle er ihren Wunsch erfüllen. Das wisse sie ja wohl, daß er immerdar bei ihr bleiben würde, wenn die Zeit nicht so ernst und gefährlich wäre und seiner bedürfte.

Es kam jedoch während des Gottesdienstes ein Bote, der meldete, daß Aldringen Straubing an der Donau erobert habe, wodurch Bernhards eben gefaßter Entschluß umgeworfen wurde. Hatte zunächst auch Aldringen seine Quartiere wieder bezogen, so war doch klar, daß seine Absicht auf Regensburg ging, den kostbaren Gewinn des vergangenen Jahres, der um jeden Preis festgehalten werden mußte. Ohnedies hatte man sich denken können, daß der Kaiser sich die Wiedereroberung dieses wichtigen Platzes sehr würde angelegen sein lassen wie daß er sich stark angreifen würde, um seinem Sohne Siegeslorbeeren zuzuwenden, die bewiesen, daß er mehr als Wallenstein vermöchte.

Dem hatte er, Bernhard, nicht viel mehr entgegenzusetzen als seinen Kriegsverstand und seine Tapferkeit. Glücklicherweise hatte Arnim, mit dem er vor einigen Tagen zusammengetroffen war, sich über die Maßen kriegslustig angestellt und erzählt, er habe seinem Kurfürsten rundheraus erklärt, zu Friedenstraktaten lasse er sich nicht mehr gebrauchen, nachdem es mit Wallenstein so übel ausgelaufen sei. Ganz ohne Nutzen habe er dabei seine Reputation eingebüßt und injuriöse Verleumdungen von allen Seiten verschlucken müssen. An den Einfall in Böhmen, hatte er gesagt, sei nun nicht mehr zu denken, anstatt dessen sich erboten, bei der Erhaltung Regensburgs zu konkurrieren.

Die Sorge um Regensburg bewegte Bernhard so sehr, daß der Abschied von der kleinen Base trockener ausfiel, als sie erwartet hatte. Nachdem er während kurzer Zeit eines wohltätigen Friedens in seinem Inneren genossen hatte, begann es wieder zu wurmen und zu wühlen. Er ahnte die Schwierigkeiten, die Horn ihm bereiten würde, ohne den er doch nichts verrichten konnte. Hatte er jemals Hilfe von diesem ihm wider seinen Willen aufgeschnallten Gefährten gehabt? Was tat denn Horn? Womit verbrachte er die Zeit? Er nahm hie und da ein Plätzchen ein, das hernach mit einer Besatzung versehen werden mußte, und zehrte, ohne Ertrag zu bringen. Zur Belohnung solcher Großtaten verpflegte er seine Armee im reichen Schwabenlande, während seine, Bernhards, Soldaten, die gearbeitet und etwas ausgerichtet hatten, in ausgesogenen Quartieren darbten. Wenigstens das wollte er jetzt durchsetzen, daß auch sein Heer sich in Schwaben erhalte. Oxenstierna und sein Schwiegersohn Horn sahen ihn nicht gern mächtig und wollten deshalb sein Heer, seine Waffe, schwächen; ihre böse Absicht zunichte zu machen, schien ihm sein Recht, ja seine Pflicht zu sein.

In Ulm, wo Bernhard und Horn sich trafen, kam es zwischen diesen beiden Feldherren zu einem Zusammenstoß.

Er habe sich in höchster Eile aufgemacht, den Herzog um eine Erklärung zu bitten, sagte Horn; wieso der Herzog gleichsam überfallsweise Schwaben überziehe, das ihm, Horn, zum Quartier angewiesen sei?

Schwaben sei noch wohl imstande, sie beide zu ernähren, sagte Bernhard kurz.

Mit dem sorglich geschonten Vorrat würde es nun bald ein Ende haben, entgegnete Horn. Er habe alles gut eingeteilt gehabt, so daß das Land und die Truppen, beide, zufrieden gewesen wären. Auf einmal liefen Klagen über Klagen ein: dies und jenes Bataillon habe seine Lieferungen nicht bekommen, weil die Weimaraner sie an sich gezogen hätten, dies und jenes Dorf solle auf einmal das Doppelte aufbringen, hie und da murre man über Einquartierung, die sich aufdränge, nachdem eben die letzte aufgebrochen sei.

Bei Horns Rede, sagte Bernhard, komme es ihm vor, als sei er in Feindesland.

Wenn Bernhard Schwaben für Feindesland gehalten hätte, erwiderte Horn, hätte er es wohl gemieden.

Wenn Bernhard die spitze, ein wenig aufgesträubte Nase Horns, seine nackten, nörgelnden Augen, seine ganze fröstelnde, herbe Erscheinung ansah, faßte ihn ein solcher Widerwillen, daß er sich schnell abwandte, um das unleidliche Gespenst nicht anzufallen und zu würgen. Als hätte ihn ein böser Geist damit verflucht, versperrte er ihm den Weg oder zerrte ihn rückwärts, wenn er vorwärts wollte; er saß auf seiner Brust und sog sein Blut, während er ihn mit hungrigen Augen anstarrte und zu bannen suchte.

Sie wollten jetzt klar und deutsch miteinander reden, begann er, seine Stimme stärker erhebend, den Blick in eine andere Ecke gerichtet. In Franken könne er sich nicht erhalten; mit der Daumschraube ließen sich da noch ein paar Tropfen auspressen, aber was hülfe das? Man würde das Land zugrunde richten, ohne sich selbst zu nützen. Da er sein Heer nicht verhungern lassen wollte, hätte er es nach Schwaben führen müssen, wo Überfluß sei. Wenn Oxenstierna und Horn es ihm wehrten, so schienen sie seinen Untergang zu wünschen. Ob das der Fall sei? Er wolle es wissen.

Indem der Herzog die Sachen so auf die Spitze triebe, sagte Horn, verwirre er sie nur mehr. Er, Horn, gönne persönlich dem Herzog alles Gute; aber wolle man sich nicht in Grund und Boden ruinieren, so müsse beim Kriegswesen eine gewisse Ordnung herrschen. Wie die Quartiere einmal verteilt wären, so müsse man damit auszukommen suchen, sonst hätte zuletzt keiner mehr etwas.

Wenn die Verteilung so sei, daß einer dabei krepieren müßte, so protestiere er dagegen, sagte Bernhard.

Er solle nach Frankfurt gehen und bei Oxenstierna protestieren, der die Leitung des Kriegswesens in Händen habe, antwortete Horn kalt.

Wie das Schiedsgericht in Frankfurt ausfiele, rief Bernhard, außer sich vor Wut, wisse er zum voraus. Verflucht solle der Augenblick sein, wo er, ein freier deutscher Reichsfürst, sich selbst Fesseln angelegt habe; aber er könne sie auch wieder zerreißen. Die sollten es büßen, die ihn für einen hungrigen Söldner nähmen, der sich schindete, um seine Brotgeber groß zu machen. Möchte immerhin Regensburg verloren gehn, möchte der Kaiser Schwaben überziehn, nach Frankfurt gehn und die Schweden ins Meer jagen; wie sie ihn in der Not verließen, so wolle er ihrem Untergang mit gekreuzten Armen zusehn.

Trotzdem reiste Bernhard am Ende nach Frankfurt, um seine Klagen und Vorwürfe gegen Oxenstierna zu wiederholen, womit er freilich nicht zum gewünschten Ziele kam. Wenn auch mit artigen Worten, entschied Oxenstierna doch dahin, daß Horn die Quartiere betreffend im Rechte sei; ohnehin sei es jetzt Zeit, den Feldzug zu beginnen und für Regensburgs Erhaltung Sorge zu tragen.

Nun betonte Bernhard, um diese Aufgabe zu lösen, müsse er frei über sein Heer verfügen können. Nur dadurch, daß er Generalissimus gewesen sei, hätte Gustav Adolf so große Taten verrichten können; ebenso Wallenstein; er würde sich vergeblich verbluten, wenn er niemals seine ganze Kraft ungehemmt gebrauchen könnte.

Zu Lebzeiten der verstorbenen Majestät, erinnerte Oxenstierna spöttisch, habe Bernhard die Obergewalt des Königs vielfach ungern verspürt.

Das sei ihm wohl bewußt, sagte Bernhard dunkel errötend; es habe dazumal politische Diffikultäten gegeben; jetzt handle es sich nur darum, den gemeinsamen Feind zu besiegen.

Ausweichend versprach der Kanzler, Bernhard solle empfinden, wie eifrig er bestrebt sei, ihn zu sekundieren. Er werde alles Erdenkliche zur Erhaltung Regensburgs aufwenden und Horn anweisen, sich mit ihm, Bernhard, zu diesem Zweck zu konjungieren.

Einigen Trost fand der entrüstete Herzog in Nürnberg, wo der Rat ihn bereitwillig, wenn auch nicht ohne Wehmut, mit Proviant unterstützte. Ihr Haushalt befinde sich in abscheulicher Unordnung, sagte einer der Ratsherren vertraulich zu Bernhard, viele fürstliche Schuldner wären im Rückstande, und dem armen Untertan ließe sich auch nicht mehr viel auspressen. Sie hätten sich aber aus Liebe zum teuren Evangelium mit dem verstorbenen König von Schweden eingelassen und wollten nun auch ihr Äußerstes an Herzog Bernhard setzen, der jenem an Redlichkeit und Gottesfurcht gleiche und noch dazu deutscher Nation sei.

Bernhard sprach davon, wie große Stücke Gustav Adolf auf die Stadt Nürnberg gehalten und daß er oft gesagt habe, wenn alle seine Bundesgenossen im Reich vom Feinde bedroht wären, würde er Nürnberg vor allen zu retten suchen.

Der Ratsherr nickte trübe und sagte, Bernhard werde ihrer hoffentlich auch nicht vergessen, wenn sie angegriffen würden.

Sie wären die einzigen, erwiderte Bernhard, bei denen er nie vergebens anklopfte, das werde er den Herren treu gedenken. In Frankfurt sei er, der allein noch Libertät und Evangelium verteidigte, wie ein lästiger Bettler behandelt worden. Wohin wäre die Liebe des Vaterlandes gekommen! Um das Ihre in Ruhe genießen zu können, verkauften sie das anvertraute Reich an Frankreich.

Auch ihnen habe das nicht gefallen wollen, sagte der Ratsherr. Ein anderes Ding sei es mit den Schweden gewesen, die das Evangelium in höchster Bedrängnis vor dem Papsttum gerettet hätten. Verhandelte man sich aber an den katholischen König von Frankreich, so sei zu fürchten, daß Gott das nicht ungestraft passieren ließe. Es könne doch kein Evangelischer das warnende Exempel der greulichen Bartholomäusnacht und des stromweis vergossenen Heiligenbluts vergessen, noch sei zu glauben, daß derselbe König, der die Evangelischen im eigenen Lande grausam verfolge und noch dazu seit alters begehrlich nach dem Rheine schiele, es mit den armen Deutschen redlich meine. Sie wollten ihre Stimme in Frankfurt ernstlich gegen einen solchen Handel erheben und hätten auch ihre bundesverwandten Städte ermahnt, das Ihre zu tun, damit Philippsburg nicht übergeben würde.

Dergleichen fromme altdeutsche Gesinnung, sagte Bernhard, sei leider ausgestorben. Er setze aber seine Hoffnung auf Gott; wenn sie ausharrten und seine Gebote hielten, so werde er ihre Treue krönen, wenn möglich auf Erden, sonst aber in der Ewigkeit.

*

Mitten in der Nacht wurde der Bauer Jäcklin in das Zelt Herzog Bernhards bei Bopfingen geführt, der aus unruhigem Schlaf auffuhr. »Braver Mann,« rief der Herzog, dem Bauern die Hand reichend, »du gehst mir willkommen wie die Sonne auf.« Der Angeredete griff sich in die rötlichen Haare, die borstig um sein schlaues Gesicht starrten, und sagte, das möchte wohl die Sonne sein; als Bube sei er oft deswegen angespien worden. Bernhard lachte nicht und fragte nach Jäcklins Neuigkeiten; aber zuvor solle er sich Brot und Wein reichen lassen und sich erquicken. Der Bauer bedankte sich, die Soldaten hätten ihn schon reichlich versehen, auch gelüste es ihn nicht, wenn er der Not in der Stadt Nördlingen gedenke. Ob es denn gar so arg sei? fragte Bernhard.

Ärger könne es kaum noch werden, berichtete der Bauer. Die Stadt sei ja nicht groß, die Häuser steckten voll Menschen, da sie außer der Besatzung auch das Landvolk aus der Umgegend hätte aufnehmen müssen. Wo sollte das Brot für so viele Mäuler herkommen? Seit ein paar Tagen tobe die Pest. Da vergehe einem der Mut, wenn der Hunger am Tisch säße und der Tod am Bett. Auch habe das Vertrauen auf den Herzog ein wenig abgenommen.

Es sei nicht seine Schuld, beteuerte Bernhard, daß er Nördlingen noch nicht entsetzt hätte. Jäcklin solle das dem Kommandanten sowie den Herren vom Rat ernstlich ans Herz legen. Er sei seines Versprechens eingedenk, das er der treuen Stadt gegeben habe, und wolle es halten oder sterben. Tag für Tag habe er Boten ausgeschickt an den Feldmarschall Kratz und an den Rheingrafen Otto Ludwig, sie sollten sich eilen; sowie sie in Sicht wären, werde er aufbrechen. Ohne diese Verstärkung könne er's nicht wagen. Wie es im feindlichen Lager aussähe?

Die Spanischen wären jetzt angelangt, erzählte Jäcklin, und es sei großes Feiern und Jubeln im Lager gewesen. Da fehle es nicht an allem Guten. Sie hätten wohl schon längst gestürmt, wenn sie nicht die Ankunft der Spanischen hätten erwarten wollen.

Bernhard setzte sich auf sein niedriges Bett und stützte den Kopf in die Hand. Ob die Stadt mit dem Kommandanten zufrieden sei? erkundigte er sich.

Ja, der Döbitz, sagte der Bauer, sei ein rechter Mann, immer wach und munter, stärke die Verzagten mit fröhlichen, frommen Worten und ermahne sie auch, an des Herzogs fürstlichem Wort nicht zu zweifeln: er, der Herzog, gäbe Treue für Treue.

Wahrhaftig, das wolle er gewiß tun, rief Bernhard aufspringend, in drei Tagen wolle er aufbrechen, es sei gesagt und geschworen, er werde nicht davon wanken. Er sei ja der Stadt so nah, daß sie sich durch Zeichen verständigen könnten; wenn es mit ihrer Kraft am letzten sei, so sollten sie Feuer am Sankt-Georgen-Turm aushängen, dann würde er wissen, daß eilige Hilfe not sei.

Den Bauer begleitend, der sich nicht lange aufhalten wollte, trat der Herzog mit ihm aus dem Zelte. Die Wachtfeuer waren erloschen, weithin erstreckte sich das dunkle Lager und darüber hinaus der zackige Wald. Trübe schien der abnehmende Mond durch ein schwarzes Wolkengitter und blinkte aus den Sümpfen und schmalen Gräben wider, die zwischen den hügeligen Feldern standen. »Die Nacht ist dunkel,« sagte Bernhard, »das wird dir zugute kommen.« Wenn er sich durchs feindliche Lager schleiche, sagte der Bauer, sich den Kopf krauend, werde ihm allemal ein wenig heiß; denn wenn sie ihn fingen, würden sie sich nicht begnügen, ihn zu erschießen, sondern ihn schinden und spießen. Er gedenke jedoch die Teufel zu überlisten, übrigens gehe ja alles vorüber, und um ihn sei es nicht schade, nur um die Stadt würde es ihm leid tun, daß sie ihn vergebens erwartete.

»Gott wird mit dir sein«, sagte Herzog Bernhard. Und wenn er glücklich angelangt sei, solle er ein Zeichen vom Kirchturm geben, damit er, der Herzog, wisse, daß seine Botschaft ausgerichtet sei.

Wenn er es aber für das Notzeichen hielte? wendete der Bauer ein. Sie wollten ein zweifaches Zeichen verabreden, sagte Bernhard. Feuer auf der Turmspitze solle Jäcklins Ankunft melden, fiele aber Feuer vom Turm herab, dann wolle er aufbrechen.

»Gnädiger Herr, vergessen Sie unser nicht!« sagte der Bauer, indem er dem Herzog die Hand bot. Dieser ergriff und drückte sie fest. »Nein, so wahr mir Gott helfe!« sagte er.

In der nächsten Nacht schon erschien das Notzeichen auf dem Sankt-Georgen-Turme und ebenso in der darauffolgenden; es flammte warnend und zitternd, so war es Herzog Bernhard, über dem Abgrunde, der sich aufgetan hatte, um ein Grab zu werden, tropfte hinunter und war im nächsten Augenblick verschwunden. Vor Tagesanbruch versammelte sich der Kriegsrat in des Herzogs Zelte, dem er die Lage auseinandersetzte. Nördlingen könne sich nicht mehr halten, und mit ihm würde der Feind den Weg ins Schwabenland gewinnen, das bisher die Kornkammer des evangelischen Heeres gewesen sei; also müsse es um jeden Preis entsetzt werden.

Wenn man es retten könnte, so müßte man es freilich, entgegnete Horn; er halte aber dafür, man könne es nicht, weil man dem Feinde nicht gewachsen sei.

Das sei Gott geklagt, rief Bernhard, daß keine Hand sich rühre, um das Verderben abzuwehren. Ein jeder wolle nur das tun, was ihm bequem und gelegen sei. Was liege jetzt daran, ob Rheinfelden erobert werde! Hier müsse es sich entscheiden, ob Deutschland spanisch würde. Auf alles Rufen, Schreien und Bitten habe der Rheingraf mit leeren Vertröstungen geantwortet.

Er sei ja jetzt unterwegs, sagte Horn, in ein paar Tagen könne er da sein; bis dahin müsse man aber warten.

Inzwischen werde Nördlingen über sein, sagte Bernhard, sie hätten es ja mit Regensburg erlebt. Er möchte ungern den kaum verwundenen Jammer aufrühren, tue es nur, daß man wenigstens daraus lernte. Wie hätte er in Landshut zum Aufbruch gedrängt! Als sie sich dann endlich in Bewegung gesetzt hätten, wäre ihnen die Schreckenskunde schon entgegengekommen.

Man müsse sich nach den Umständen richten, bemerkte Horn kühl; wolle man etwas erzwingen, verderbe man alles. Darum sei er gegen die Schlacht, ließe sich aber der Feind ein, solle man ihn im Württembergischen zu fassen suchen.

Was das bedeuten solle? rief Bernhard, sich mehr und mehr ereifernd. Ob eine Schlacht dort weniger Schlacht sei? Es handle sich darum, Nördlingen zu entsetzen, dazu müsse geraten werden.

Jeder rate nach seinem Gewissen, erwiderte Horn ruhig. Er halte dafür, es liege mehr an der Konservation des Heeres als an der Konservation einer Stadt. Ginge Nördlingen über und sie hätten das Heer noch, so sei nicht alles verloren. Büßte man aber das ein, so fielen der evangelische Bund und das Evangelium miteinander. Es handle sich darum, ob man lieber alles aufs Spiel setzen oder einen Teil verlieren wolle.

»Es handelt sich um meine Ehre!« schrie Bernhard außer sich, »um mein fürstliches Wort, das ich verpfändet habe.« Er habe die Stadt Nördlingen zum Widerstand aufgemahnt, indem er ihr gewissen Entsatz versprochen habe, und sie habe ihm geglaubt, geharrt und geduldet. Er wollte lieber tausendmal den Tod leiden, ehe er diesen guten Leuten, die ihm vertrauten, meineidig würde. Sollte man künftig im Reich von ihm sagen, er habe sein Fürstenwort wie einen falschen Pfennig ausgespielt? Horn wolle ihm die Ehre nehmen, seinen Namen zu Spott und Schimpf werden lassen. Er warf sich bei diesen Worten auf sein Bett und brach in Tränen aus, so daß sein Körper vom Schluchzen sichtbar erschüttert wurde.

Niemand sei über Vermögen verpflichtet, sagte Horn endlich, das allgemeine Stillschweigen unterbrechend; so heiße es nach jenem lateinischen Spruche: Ultra posse nemo obligatur.

»Wer sagt denn, daß wir nicht können?« schluchzte Bernhard. »Das sind Spitzfindigkeiten, um Nichtwollen oder Feigheit zu bemänteln.«

Über Horns bleiches Gesicht flog ein flüchtiges Erröten. Er habe öfters, sagte er, einen solchen Vorwurf erleiden müssen, den Allzuhitzige ihm hernach abgebeten hätten, wenn es zu spät gewesen sei. Er habe gesagt, was seine beste Einsicht ihm auferlegt hätte, nun wasche er seine Hände wie Pilatus. Der Herzog habe es gewollt.

Bernhard atmete auf und dankte. Die Kratzischen und rheingräflichen Truppen, sagte er, würden vielleicht unter Tages noch zu ihnen stoßen, wenigstens teilweise. Und warum sollten sie nicht Glück haben? In einer Feldschlacht müsse man etwas auch dem Glück überlassen, man könne nicht alles berechnen. Der Herr der Schlachten sei Gott.

*

Unter dem Geläute der Kirchenglocken wanderten die Tübinger langsamen Schrittes der Kirche zu. Mit festlicher Gelassenheit wiegten sich die Vögel über den spielenden Hügeln und führten höher droben schneeweiße Wolken ihre Verwandlungen auf. Eine dick aufgeblasene, die von vielen kleinen, federleichten umschart war, glich einer Glucke mit ihrem Kindervolke, unvermerkt aber formte sie sich zu einem gescheiterten Schiff um, das an der Küste lag und zu dessen Fuße das besänftigte Meer glitzerte.

Unterdessen ließ sich der Hofprediger Osiander in der Sakristei mit Mütze, Kragen und Talar bekleiden, bestieg, als die Kirche sich gefüllt hatte, die Kanzel, stand eine Weile mit geschlossenen Augen und betete in sich hinein, beugte sich über die Kanzel und musterte seine Gemeinde, ob sie vollständig wäre, und begann seine Predigt.

Es werde wohl allen bekannt sein, sagte er, wie daß sich an der Donau große Heere sammelten und ihren brüllenden Rachen aufrissen, um einander zu verschlingen. Es könne niemand das Ende voraussehen, obwohl zu hoffen stände, daß der Herr den Seinigen Sieg verliehe; täte er es aber nicht und gäbe er das bisher gnädig verschonte Schwabenland dem Kriegsgreuel preis, so wäre das eine Folge der überhandnehmenden Ketzerei, die Gott veranlaßte, Schwaben durch eine nochmals ausbrechende Sündflut zu säubern oder denn gänzlich zu vertilgen. Es wären nämlich gewisse basiliskische Pfarrer in Schwaben, die er nicht nennen wollte, die Bücher ausgehen ließen, in denen sie behaupteten, dem Affendoktor von Braunschweig, Hornejus, ließen sich siebzehn Irrtümer nachweisen, während er, Osiander, ihm einhundertneunundzwanzig Irrtümer nachgewiesen hätte, von denen jeder eine pestilenzialische, galgenwürdige Ketzerei wäre. Wenn das braunschweigische Hornvieh nichts als die Satanslehre von der Notwendigkeit der guten Werke von sich gegeben hätte, so hätte er sich schon dadurch als zu der elenden Rotte der Majoristen gehörig erwiesen, und die gewissen schwäbischen Basiliskenpfaffen, die ihn nicht ganz und gar verdammten, machten sich allen seinen Ketzereien teilhaftig. Er wolle nun, damit jedermann sich vor der ansteckenden Pestilenz hüten könne, die einhundertneunundzwanzig Irrtümer verlesen, die das braunschweigische mameluckische Hornvieh ausgeheckt hätte.

Erstens habe er gesagt, die guten Werke seien zur Seligkeit notwendig.

Zweitens, die bösen Werke seien zur Seligkeit nicht notwendig.

Drittens, man könne dem Glauben durch fleißiges Lesen in der Bibel eine Stätte bereiten.

Viertens, man könne auch sonst der Gnade ein ganz klein wenig entgegenkommen, sei es auch nur, indem man sie sehnlich erhoffte.

Fünftens, Gott könne auch ohne die Mitwirkung Christi die Seligkeit in einem erwirken.

Sechstens, Christus sei Gott nicht in allen Punkten gleich, denn da er der Sohn sei, könne er nicht zugleich der Vater sein.

An dieser Stelle unterbrach sich Osiander, von Entrüstung überwältigt, und rief aus: hier habe sich das braunschweigische Hornvieh verraten, hier scheine der häßliche Teufelshuf hervor, woran man den hinkenden Satan zum Scheiterhaufen schleifen könnte. Warum könne denn Christus der Sohn nicht zugleich der Vater sein? Er wisse die ketzerische Antwort wohl: weil das im Lichte der Vernunft nicht sein könne. Also der Vernunft wolle das Lästermaul sich gebrauchen, der läppischen, schändlichen, trüglichen und in Grund verdorbenen Vernunft! Da habe er dem verfluchten Pelagianer und Sozinianer, dem durch Arnd verführten luziferischen Schalk die Larve abgerissen, daß die alte Ketzerfratze herausschielte! Aber er, Osiander, wolle es noch dahin bringen, daß er seine giftgeschwollene Vernunft selber verfluchen müsse, wie der Skorpion sich selbst beim Schwanze auffräße.

»Ei, willst du endlich schweigen, boshafter Pfaffe!« unterbrach in diesem Augenblick den Prediger eine helle Stimme. »Wenn du Haß und Hader aussäen willst, anstatt Gottes Wort auszulegen, so gibt es Leute, dir das geifernde Maul zu stopfen.«

Dem Prediger blieb vor Erstaunen die Entgegnung in der Kehle stecken, er beugte sich über die Kanzel, und sein Blick durchlief die Reihen, bis er den Angreifer gefunden hatte, der, halb soldatisch, halb vagabundenmäßig gekleidet, ein großes samtenes Barett auf dem Kopfe, sprungbereit dasaß und herausfordernd zu dem Pfarrer hinaufsah. »Du bist es, Giftheil!« rief dieser. »So dankst du es mir, du Teufelszunge, du stachliges Unkraut, daß ich dich zu lange habe wuchern lassen. Schämst du dich nicht, in einer christlich evangelischen Kirche Gott zu lästern?« »Was Kirche!« rief der Mann. »Eine Kirche ist ein Haufen Steine und mitunter ein Babelturm, wo lateinisches Gemurmel und ungesäuertes Gewäsch umgeht. Die wahre Kirche Gottes ist in einem demütigen, gotterfüllten Herzen, und solche Herzen sind bessere Priester als die dickbäuchigen Pfaffen, die Bibelverse und aristotelische Paragraphen im Maule, aber Eitelkeit und höllische Finsternis in der Brust haben. Ja, ich glaube es wohl, daß die mummelnden Hamster nichts von guten Werken hören wollen, die lieber hinter dem Ofen sitzen, ihr Fleisch weiden und den Nachbarn verlästern als einen heiligen Wandel führen.«

Das sei aus dem Paradiesgärtlein! rief Osiander. Von Arnd sei Giftheil verführt, Arnd sei der Ohrenbläser, der ihn auf den breiten Lasterpfad gelockt habe. Aber es sei ja bekannt, wohin der führe.

Verdammt wolle er sein, antwortete Giftheil, wenn er den teuren Gottesmann Arnd von einem fledermäusischen Baalspfaffen schandieren lasse!

»Eine Sau aus dem Arndischen Paradiesschweinestall bist du!« rief Osiander.

Freilich habe er Arnds Paradiesgärtlein gelesen, sagte Giftheil, und rühme sich dessen und glaube auch, daß ein Engel es dem seligen Arnd eingeblasen habe.

Engel? rief Osiander. Die lose Scharteke verrate ihre Abkunft durch den Mistgestank, der von ihr ausgehe.

Jetzt vermochte Giftheil nicht mehr an sich zu halten, bahnte sich mit Armen und Beinen einen Weg durch die erschrockene Gemeinde, sprang in ein paar Sätzen die Kanzeltreppe hinauf, zog einen kurzen Säbel, den er im Gurte trug, aus der Scheide und schwang ihn drohend in der Luft, indem er fragte, ob Osiander jetzt das Maul halten wollte? Sonst müsse er herunter von der Kanzel und heraus aus der Kirche.

Osiander verlor die Geistesgegenwart nicht, sondern ergriff schnell die große Bibel, breitete sie auseinander und hielt sie wie einen Schild vor sich, hinter dem er laut schimpfte, Giftheil sei ein Weigelianer, ein gottesleugnerischer, schwärmerischer, schwenkfeldischer, ausbündischer Enthusiast!

Unten im Schiff lief mittlerweile alles durcheinander; einige Studenten, die gleichfalls bewaffnet waren, umringten Giftheil, wanden ihm den Säbel aus der Hand und rissen ihn von der Kanzel herunter.

Voll Genugtuung sah Osiander dem unten sich fortsetzenden Kampfe zu, wie Giftheil sich tobend seiner Gegner zu erwehren suchte, zuletzt überwältigt wurde und keuchend und schnaufend, übel zugerichtet, mit gebundenen Händen dastand. Ausrichten könnten sie doch nichts gegen ihn, rief er, und wenn sie ihn in die Erde grüben und ihm die Zunge ausrissen, er werde doch die Wahrheit verkünden; denn der Heilige Geist sei bei ihm.

»Ja, der Teufel ist bei dir!« rief Osiander, die Faust gegen ihn schüttelnd.

»Du Moloch und Bauchgötz!« rief Giftheil, »es gibt keine Teufel als die Menschen, die ihre Nächsten plagen, und du bist der oberste von ihnen, ein spanischer, giftspuckender Teufel; aber ich werde nicht ruhen, bis ich die Erde von dir und deinesgleichen befreit habe, und sollte ich Blut eimerweise vergießen.«

»Du liederlicher Atheist,« entgegnete Osiander, »du faselnder Pfingstvogel! Narren deinesgleichen geben keine Ruhe, bis sie mit Hans Galgenbein tanzen müssen!«

»Ja, ein Narr bin ich«, erwiderte Giftheil, »und werde im Narrenhütlein zur Rechten Gottes sitzen und deinen stinkenden, schwefligen Wanst in der Hölle brutzeln sehen.«

Das Gelaß, wo Giftheil vom Rat der Stadt verwahrt wurde, um sein Urteil zu erwarten, ging auf die Straße, welchen Umstand der Gefangene benützte, um durch das Fenster die Vorübergehenden anzurufen, er sei ein Narr Gottes, und Gott habe ihm, dem Narren, ein Schwert gegeben, um den Sündengreuel auszurotten, und es wäre so viel Bosheit und Tyrannei auf Erden, daß er nicht feiern dürfe. Es liefen infolgedessen viele Leute zusammen, die zuhörten und Beifall riefen, und dieser und jener ließ sich auch in Disputationen über gewisse Punkte mit ihm ein, zu denen er herausforderte, zum Beispiel darüber, daß das blutdürstige Regiment des Adlers ein Greuel vor Gott und den Menschen sei, daß nicht alle, die das Wort hätten, auch die Gnade hätten und daß gewisse Pfaffen nicht den wahren Gott, sondern einen Baalsgott, Leviathan und Brüllochsen anbeteten.

Die Geistlichkeit, Osiander an der Spitze, bezeichneten es als hochgefährlich, daß auf diese Weise die Arndsche Schwärmerei auf die Straße gesät würde, und der Rat verstand sich dazu, Giftheil so unterzubringen, daß er keinerlei Verkehr nach außen anspinnen konnte. Hingegen versahen sie ihn auf seine Bitte mit Schreibzeug, wodurch er in den Stand gesetzt wurde, Mahnschreiben an verschiedene Potentaten wegen ihrer Irrtümer und Verbrechen zu verfassen; eins an den Kaiser, er solle sein herodisches Wüten und jesuitisches Morden endlich unterlassen, und ein anderes an den Kurfürsten von Sachsen, er solle sich nicht einbilden, daß Gott sein verfluchtes Buhlen mit der babylonischen Hure unbestraft lassen werde.

Dem Rat kamen diese Manifeste, die auch in Druck ausgingen, im Grunde trefflich und beherzigenswert vor, und da er ohnehin den Prätentionen der Geistlichkeit zu trotzen liebte, beeilte er sich in der Sache des Malefikanten nicht, sondern erklärte dem ungeduldigen Osiander, die liebe Gerechtigkeit sei keine junge Geiß, die Sprünge mache und sich überschlage, sondern müsse Schritt vor Schritt wie ein Maulesel traben. Als bald darauf das kaiserliche Heer Schwaben überzog und alle öffentlichen Verhältnisse auflöste, konnte Giftheil unbemerkt entweichen, und seine Angelegenheit geriet über dem allgemeinen Unheil in Vergessenheit.

*

König Ferdinand von Ungarn wollte von strenger Bestrafung der Städte Regensburg und Nördlingen nichts wissen, nach altkaiserlichem Grundsatze die Städte im Reich als seine Stütze schonend und schirmend; der olympischen Natur des Kaisers, sagte er, stehe die Rache nicht an, was zu ihm gehöre, trete sofort in den Lichtkreis der Gnade. Hingegen sollte sein Blitz das feindliche Heer treffen, das nach der unglücklichen Schlacht aufgelöst, des einen seiner Feldherren, nämlich des gefangenen Horn, beraubt, durch stramme Verfolgung leicht hätte gänzlich vernichtet werden können. Allein der Kardinalinfant von Spanien glaubte die verwandtschaftliche Pflicht damit erfüllt zu haben, daß er durch sein Erscheinen dem österreichischen Vetter zum Sieg verholfen hatte. In einer Hinsicht war es Ferdinand zufrieden, seine Lorbeeren nicht länger mit dem Kardinalinfanten teilen zu müssen, und er begnügte sich, das feindliche Gebiet nach allen Seiten mit seinen Truppen zu überschwemmen. Zunächst wurde Schwaben betroffen, dessen junger Herzog Eberhard nach Straßburg entfloh und sich unter französischen Schutz stellte.

Von den Soldaten, die Tübingen einnahmen, fiel ein kleiner Trupp in das Haus des Professors Schickard ein, wo sich zur Zeit nur seine Mutter, seine Schwester und sein kleiner Sohn befanden, während er selbst mit mehreren Kollegen in der Universität war, um Schutzwachen für dieselbe wie für den ganzen Lehrkörper zu erwirken. Die Tochter hatte der Mutter vorgeschlagen, als der Lärm in die Straße drang, sie wollten sich irgendwo, im Keller oder unter dem Dache, verbergen; allein die alte Frau erwiderte, sie habe keine Furcht, da sie in Gottes Hand stehe, und getraue sich, mit den Männern fertig zu werden; es würden ja keine Teufel sein. Das erste war, daß die Leute Wein verlangten, den die Mutter ihrer Tochter aus dem Keller zu holen befahl; allein jene rissen ihr die Schlüssel aus der Hand, zapften ihn selbst und tranken. Ein wenig berauscht, begannen sie Truhen und Kästen zu öffnen, Kleider und Kostbarkeiten herauszureißen und in Bündel zu packen, endlich drangen sie in das Arbeitszimmer des Professors und wühlten unter seinen Büchern. Die Frau, die bis dahin, die Tochter an der einen, den Enkel an der anderen Hand haltend, ruhig zugesehen hatte, trat jetzt auf die Soldaten zu mit den Worten, das wären die Bücher ihres Sohnes, des Professors, die dürften sie nicht anrühren. Einer der Soldaten herrschte sie an, sie solle schweigen, sie könnten ihr auch das Dach über dem Kopfe anzünden. »Was hättet ihr davon?« sagte die Frau, »und was habt ihr davon, diese Bücher zu zerreißen? Für euch sind sie wertlos; aber mein Sohn bedarf ihrer zur Arbeit.« Die Soldaten waren im Begriff, ihr nachzugeben, als einer rief, es wären ketzerische Bücher und verdienten verbrannt zu werden; wobei er mehrere ergriff, auseinanderriß, zu Boden warf und mit Füßen trat.

»Pfui!« rief die Alte, »den Wein mögt ihr verschütten und die Kleider zerreißen; aber wenn ihr das edle Geisteswort schändet, seid ihr Heiden und Mamelucken vergleichbar.«

Diese Anrede erregte die Wut der Soldaten, und sie packten sie an, um sie von den Bücherregalen, vor die sie sich wie zum Schutz gestellt hatte, wegzureißen. Dabei wurde sie verwundet, daß das Blut über ihre Hände lief, worüber der Kleine, der an ihrem Rocke hing, in ein Jammergeschrei ausbrach. Sie bückte sich zu ihm herab und flüsterte ihm zu, er solle sich im Dachboden verstecken, dagegen suchten er und ihre Tochter sie fortzuziehen. Mittlerweile schalten die Soldaten auf sie los, sie sei eine verfluchte ketzerische Hexe, glaube nicht an Gott und müsse hin werden. »Wenn ich nicht an Gott glaubte,« verteidigte sie sich, »so wäre ich vor euch davongelaufen; aber ich fürchte mich nicht, weil ich weiß, daß Gott über euch und über mir ist.« Einer zog ein Muttergottesbild aus der Tasche und hielt es ihr hin: wenn sie ihr Leben erhalten wolle, so solle sie das Bild anbeten. Sie schüttelte den Kopf und sagte, nein, das könne sie nicht; sie verehre die Mutter des Herrn, aber sie bete nur Gott an. Nun fielen die Soldaten, mit Gewehrkolben schlagend und mit Messern stechend, über sie her; auch ihre Tochter, die sich dazwischenwerfen wollte, wurde verletzt, indes der Kleine, um den Vater zur Hilfe zu holen, davonlief. Er traf ihn auf der Straße, sich einen Weg durch das Getümmel bahnend, und trieb ihn zu verdoppelter Eile an; im Hause, das die Plünderer inzwischen verlassen hatten, fanden sie die beiden Frauen anscheinend leblos zwischen den Büchern am Boden liegen.

Es zeigte sich, daß die Wunden, die Schickards Schwester empfangen hatte, nicht tödlich waren; aber für die alte Frau war keine Hoffnung. Wenn sie zuweilen zum Bewußtsein kam und ihren Sohn an ihrem Bette sitzen sah, den kummervollen Blick auf sie gerichtet, suchte sie ihn mit leiser Stimme zu trösten und ermahnte ihn, sich als ein Christ in den Willen Gottes zu ergeben. »Zu sterben bin ich bereit,« entgegnete er, »aber kann ein Baum grünen ohne Erde für seine Wurzeln? Meine Mutter war meine Erde, mein Luft und Licht, mein Tau und Regen.«

Dreißig Jahre lang, sagte die alte Frau träumerisch, sei sie nun Witwe und habe täglich ihr Herz stark gemacht, um ihren Kindern Vater und Mutter zu sein; nun dürfe sie ruhen. Nun sei es an ihren Kindern, festzustehen und weiterzukämpfen, bis Gott auch sie abriefe. Sie sollten seinen kleinen mutterlosen Sohn zu einem frommen, tapferen, redlichen Mann erziehen, damit sie einst alle in Gott vereinigt würden.

»Es wird kein Glück und Stern bei mir sein ohne meine Mutter«, sagte Schickard traurig.

Nachdem die Ordnung in der eroberten Stadt ein wenig wieder hergestellt war, kamen die Freunde der Familie und berichteten ein jeder von seinem Jammer. Was die Professoren besonders bewegte, war das Verhalten ihres Kollegen, des berühmten Rechtsgelehrten Besold, der sich dem Sieger zur Verfügung gestellt hatte mit der Erklärung, daß er bereits vor fünf Jahren heimlich zur katholischen Kirche übergetreten sei. Jahrelang hatte der Abtrünnige sie mit der Miene des Freundes betrogen, hatte jahrelang schelmisch die Früchte seines durch Lug und Trug bewahrten Amtes eingeheimst. Ein Spion und Wolf im Schafspelz war der scharfsinnige, gesellige und sanfte Mann geworden und frohlockte wohl nun mit den blutigen Eroberern über den Fall seines Vaterlandes.

Im Kampfe mit dem Teufel, sagte Schickards Mutter schwach aus ihren Kissen hervor, komme es darauf an, daß man ihm von Anfang an das Ohr verschließe. Lasse man sich seine süßen Schmeichelreden einmal eingehen, so sei damit eine Schlinge umgeworfen, mit der man bald festgebunden sei; dann sei man Sklave und müsse dem Tyrannen in die Hölle folgen. Tag und Nacht müsse man gerüstet sein und, wenn man den buhlerischen Atem des Verführers spüre, sich ritterlich wehren. Dazu sei der unglückliche Besold wohl zu weichlich und schwach gewesen.

Gerade die feinen und gelehrten Geister, sagte Professor Lansius, würden oftmals durch die Sophismen und jesuitische Scheinweisheit des Teufels betört, weil ihrem im Tüfteln geübten Geist solche Kost schmeckte. Nur wenn einfältige Treue und Wahrheit dabeibliebe, sei Gott die Gelehrsamkeit wohlgefällig.

»Ja,« sagte die Alte, »wäre Eva nicht ein Leckermaul gewesen, so hätte sie nicht in das Äpflein der Schlange gebissen, desgleichen Adam.«

In das Gespräch hinein scholl plötzlich Glockengeläut wie die schaurig ahnungsvolle Stimme des gewitterschwülen Sommernachmittags. Es würden alle diejenigen begraben, erklärte Lansius der kranken Frau, die an dem unheilvollen Tage von den Soldaten umgebracht oder sonst verunglückt wären. Wegen der großen Anzahl der Toten und weil der Weg zum Friedhof vor dem Tore gefährlich wäre, würden sie ohne geistlichen Beistand in eine gemeinsame Grube gelegt.

Die Alte faltete ihre zitternden Hände und dankte Gott, daß er sie ein Weilchen länger leben lasse; so würde sie doch vielleicht ein Ruhebettlein für sich und ein Gebet erhalten.

Diese Hoffnung verwirklichte sich; denn als sie Ende September starb, konnte man wagen, zum ersten Male wieder eine Beerdigung in der herkömmlichen Weise vorzunehmen. Schickard, ihr Sohn, wurde dadurch nicht getröstet, kaum vermochte ihn das Zureden der Schwester, sich ein wenig zusammenzunehmen. Obwohl selbst noch krank an ihren Wunden, stand sie auf, um sich des Hauswesens anzunehmen, und ermahnte ihn, sie hätten von der Mutter gelernt, daß es unchristlich sei, sich der Verzweiflung hinzugeben, er solle auf den Kleinen sehen, der still mit gefalteten Händen im Winkel auf dem Bänklein sitze, die Augen voll Tränen, jedoch ohne zu klagen. Es sei eben heute der Tag, an dem sie vor dreißig Jahren den Vater verloren und den sie von jeher mit Gedanken an Gott und Gottes wunderbare Ratschläge gefeiert hätten. Sie wollten es jetzt ebenso machen und eingedenk sein, daß ihre Mutter, obwohl unsichtbar, in ihrer Mitte weile.

Schickard nahm sich die Worte der Schwester zu Herzen; aber nach wenigen Wochen erklärte er, das Elend nicht länger ertragen und den Übermut der papistischen Söldner nicht länger ansehen zu können, und verließ mit seinem Sohne Tübingen.

*

Der Prediger der Hauptkirche in Pirna hatte den Segen ausgeteilt, und die sonntäglich schwarzgekleidete Gemeinde strömte langsam aus dem geöffneten Tore in die Helligkeit des Septembertages. Blaßgelbes Licht war wie Wein ergossen und dämpfte und verschmolz die Häuser, Bäume und Menschen, daß sie wie ein fernes Bild in einem silbernen Zauberspiegel erschienen. Von den Kirchgängern, die paarweise unter halblauten Gesprächen heimgingen, blieben einige vor dem Hause des Apothekers am Markte stehen, dessen Mauer durch einen Rosenstrauch überwuchert war, und wiesen auf eine Rose, die sie zwischen den Blättern entdeckt hatten; es war eine gefüllte Rose von der weißen Farbe, wie man sie an vergilbtem Atlas oder an weißen Kirchenfenstern sieht. Der Apotheker wunderte sich, daß er sie noch nicht wahrgenommen hatte, und erklärte es damit, daß der Strauch nicht zweimal zu blühen pflege, er ihn also nicht daraufhin beachtet hätte.

Allerdings sei es fast ein Wunder, setzte seine Frau hinzu, daß der Strauch um diese Jahreszeit eine Rose trüge, noch dazu von solcher Lieblichkeit, und sie möge nichts anderes sein als eine Botin Gottes, die den armen Menschen den Frieden verkündigen sollte.

Ja, sagte ein Nachbar, und damit stimme es auch zusammen, daß im gegenüberliegenden Hause der kaiserliche Gesandte sein Quartier habe, der mit dem Kurfürsten wegen des Friedens traktiere. Wenn er der Apotheker wäre, würde er ihm die Rose zum Geschenk anbieten, als ein Symbolum, durch welches er vielleicht zu verdoppeltem Eifer angetrieben würde.

Der Apotheker billigte den Einfall, zumal bei der Gesandtschaft gute fromme Leute zu sein schienen. In Dresden hätten die Trompeter sogar einen lutherischen Psalm zum Fenster hinausgeblasen, woran sich alle Umwohnenden sehr erbaut hätten. Hingegen wollte seine Frau nichts davon wissen, sondern meinte, man verjage auch die Schwalben nicht, die im Hause nisteten, wieviel weniger solle man sich dieses zugeflogenen Gastes aus dem Paradiese berauben. Da jedoch der Pfarrer, der inzwischen auch herangekommen war, die Ansicht äußerte, daß das Gemüt des kaiserlichen Gesandten, Grafen Trauttmansdorff, durch die edle Blume etwa versöhnlich und friedliebend gestimmt und dadurch dem armen, notleidenden Vaterlande die hochnötige Hilfe könne zugewendet werden, gab sie nach und schnitt unter den gespannten und beifälligen Blicken der Nachbarschaft selbst die Rose aus dem Gesträuch.

Mittlerweile unterredete sich Graf Trauttmansdorff mit einem sächsischen Kammerherrn, der den Auftrag hatte, die Nachgiebigkeit, zu welcher Johann Georg bereits entschlossen war, nach Möglichkeit heroisch zu verkleiden und teuer zu verkaufen. Dem Kurfürsten, sagte er, wären die Traditionen seines Hauses heilig, und die vornehmste dieser Traditionen sei Anhänglichkeit an das Kaiserhaus. Er habe kein Opfer gescheut, um ihr treu zu bleiben, habe Land und Leute, Blut und Gut dahingegeben. Aber sein Glauben und seine Ehre wären ihm, als dem Haupte der Evangelischen im Reiche, gleichfalls heilig.

Freilich, freilich, antwortete Trauttmansdorff, der Kurfürst habe doch aber auch Land und Leute gewonnen. Der Kaiser sei bereit, den Kurfürsten im Besitz der Lausitz zu bestätigen und seinem Sohne das Erzbistum Magdeburg zu überlassen, und daß der Kaiser ihn, den Kurfürsten, bei seinem Augsburgischen Bekenntnis nicht perturbieren werde, daran werde der Kurfürst doch nicht zweifeln. Die alten Verträge wolle der Kaiser alle halten, nur sollten keine Neuerungen, wie die sogenannte kalvinische Religion, ins Reich eingenistet werden, zu welcher der Kurfürst ja auch kein Belieben trage. Es sei dem Kaiser durchaus darum zu tun, den alten Bund mit dem Kurfürsten zu erneuern und zu verstärken.

»Concordia res parvae crescunt, durch Eintracht wächst das Geringe«, sagte ein Trauttmansdorff beigeordneter junger Graf, der ein langes, fades Gesicht hatte und ratlos lächelte.

Das sei es ja eben, sagte der sächsische Kammerherr, der Kurfürst habe doch auch einen Bund mit den Schweden geschlossen, nicht aus dem Gemüt, sondern der Staatsvernunft wegen, und es sei seiner fürstlichen Ehre zuwider, diejenigen, die noch kürzlich seine Bundesverwandten und Mitkämpfer gewesen wären, mit dem Schwert aus dem Lande zu jagen.

Trauttmansdorff zuckte die Achseln. Der Bund sei durch den Tod des verstorbenen Gustav Adolf aufgehoben gewesen, sagte er. Nachher sei alles verändert, und in Wien wisse man genau, wie unwillig der Kurfürst die Prätentionen des hoffärtigen Oxenstierna und das Tyrannisieren des groben Banér ertragen habe. Der Kurfürst werde, wie andere Stände auch, fröhlich aufatmen, wenn die hungrigen Heuschrecken einmal ins Meer geworfen wären.

»Non sit alterius qui suus esse potest,« sagte der junge Graf, »wer sein selbst eigen sein kann, soll keinem andern angehören.«

Allerdings wäre dem Kurfürsten nichts lieber, sagte der Kammerherr; aber sich selbst dabei handgemein zu machen, das sei doch eine andere Sache. Auch wäre vorauszusehen, daß die Schweden sich nicht gutwillig werfen ließen, und so hätte der Kurfürst anstatt des erwünschten Friedens einen neuen und viel hitzigeren Krieg auf dem Halse, dessen Beendigung nicht einmal von ihm abhinge, wenn er ihn nicht im eigenen Namen, sondern unter der Direktion des Kaisers führte.

»Mars gravior sub pace latet,« sagte der junge Graf, »unter dem lieben Frieden pflegt oft ein ärgerer Krieg zu lauern.«

Mit dem Frieden werde es vielleicht leider noch eine Weile anstehn, sagte Trauttmansdorff. Es sei aber wenigstens einmal die Basis für eine zukünftige Ordnung im Reich geschaffen, wenn Kaiser und Kurfürst wieder zusammengingen. Erst müsse das alte System wieder hergestellt werden, das sei das vertraute Nest, in welchem der wiederkehrende Friede sich sicher ansiedeln werde. Was die Schweden anbetreffe, so bestätigten täglich eintreffende Nachrichten, daß der junge kaiserliche Adler sie bei Nördlingen völlig zerzaust hätte; man brauche ihnen nur noch den Gnadenstoß zu geben.

Mit der Erwähnung der Nördlinger Schlacht legte Trauttmansdorff dem Kammerherrn gleichsam eine Schraube an, in welcher er sich krümmte, ohne sofort eine Erwiderung zu finden, und in der dadurch entstehenden Pause trat der Apotheker, die Rose in der Hand, nebst zwei anderen Bürgern ein. Er nehme sich heraus, sagte der Apotheker, dem Herrn Grafen die Rose zu überreichen, die in dieser herbstlichen Jahreszeit in seinem Garten erblüht sei und von jedermann als ein Wunderzeichen betrachtet werde. In ihrem Duft und ihrer Sanftheit gleiche sie einem Balsam, wie ihn wohl Ärzte auf blutende Wunden strichen und wie das friedeverlangende Deutschland ihn benötige; deshalb sei er mit der Bürgerschaft übereingekommen, sie dem Grafen Trauttmansdorff, als dem vielvermögenden Beförderer des Friedens, darzubringen.

Trauttmansdorff nahm die Rose entgegen, und indem er sie betrachtete, wurden ihm unversehens die Augen feucht. Dieser Kelch, sagte er, sei so jungfräulich wie der Schoß der Madonna, und so möge er allerdings den Heiland verheißen, der Frieden heiße.

Ja, das glaubten sie alle, sagte der Apotheker, die Hände faltend, Gott habe diese Trostblume gewiß nicht umsonst erblühen lassen, und er habe sie in Übereinstimmung mit dem Herrn Pfarrer rosa pacis, Friedensrose, genannt.

»Etiam nomen pacis suave et amabile,« sagte der lächelnde junge Graf, »schon der Name des Friedens ist süß und liebenswürdig.«

Es werde ja nun auch nicht lange mehr damit anstehen, sagte der Kammerherr; der Kurfürst lasse sich's nicht verdrießen, Tag und Nacht zu arbeiten, damit er seinem Volke diese Himmelsgabe bescheren könnte.

Die Rose sei nur ein gebrechliches Gleichnis, sagte der Apotheker; aber der Friede, auf den sie deute, möge dauern wie Bäume, ja wie Felsen.

Er wolle den zarten Spätling, sagte Trauttmansdorff, in ein Wasserglas unter das Bild des Gekreuzigten, also gleichsam in göttliche Obhut stellen, damit sie sich lange erhalte.

Der Apotheker blickte mißtrauisch nach dem Kruzifix, das über einem Betschemel in einer Ecke des Zimmers angebracht war; indessen nachdem er sich besonnen und einige Male geräuspert hatte, sagte er, sie wären zwar, wie dem Herrn Grafen bekannt sein werde, evangelisch, aber der Gott der Katholiken sei dem ihrigen wohl nicht so fremd, daß sie ihm nicht gern, aus demütigem Herzen und um des Friedens willen, ein liebes Kleinod opferten.

Trauttmansdorff versprach, die löbliche Gesinnung der Pirnaer Bürgerschaft dem Kaiser zu melden; der Lohn werde nicht ausbleiben.

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Am 25. November war der zwanzigste Geburtstag der Herzogin Karoline Charlotte von Jülich. Drei Tage vorher war ihr zweites Kind, dem erstgeborenen folgend, gestorben, und so war sie wieder allein; es war ihr, als sei damit alles vorüber und sie könne nun heimgehen zu ihren Eltern nach Zweibrücken. In der Nacht, die ihrem Geburtstage voraufging, lag sie schlaflos mit offenen Augen und hörte dem Regen zu, der unaufhörlich an ihre Fenster schlug; das Geräusch blieb sich eintönig gleich, nur zuweilen wurde es hohler und stärker, wenn ein Windstoß in die Wassermassen fuhr. Wo waren ihre Lieblinge in dieser schwarzen Novembernacht? Unwillkürlich preßte sie die gefalteten Hände an ihr angstvolles Herz und bewegte betend die Lippen. Sie waren bei Gott; irgendwo jenseit ihres kurzsichtigen Begreifens blühte das süße Licht, nur sie war für immer im Dunkel. Glücklich, überglücklich war sie gewesen: sowie sie in die Nähe der Wiege getreten war, hatte das Paradies sie umfangen, das wie ein schwebendes Gärtlein das geliebte Kind umkreiste. Zweimal hatte Gott sie diese Seligkeit genießen lassen, wenn auch nur flüchtig; hatte er ihr die Himmelsblumen gezeigt, damit sie nach dem Himmel verlangen lernte? Freilich, dachte sie, machte er ihr dadurch die Pflicht der Erde schwerer. Schaudernd dachte sie an die Stunde, die den trüben Tag heraufführen, und was er ihr bringen würde, an ihren Mann, der immer Aufmerksamkeit und Teilnahme für seine Person und für viele Dinge verlangte, die ihr unverständlich oder abschreckend waren, an das Elend ihrer Glaubensgenossen, das sie nicht lindern konnte. Hätte sie nur ein einziges Mal in die sorgenden Augen ihres Vaters blicken können! Hätte sie seine liebe Stimme hören können, die sagte: ›Halte fest an Gott, so mag die Erde unter dir bersten!‹

Dann schalt sie sich, daß sie immer das begehrte, was ihr entrissen oder was ihr versagt war. Trug sie nicht alle Lehren im Herzen, die ihr Vater ihr jemals gegeben hatte? Warum wollte sie seine Stimme auch mit den Sinnen fassen? Künftig, nahm sie sich vor, wollte sie teilnehmend, heiter, hilfsbereit sein, nicht nach Verlorenem trachten, sondern für empfangenes Gut danken; nur noch einmal, in dieser Nacht, wollte sie sich ausweinen. Mit einem Gefühl uneingeschränkter Erleichterung weinte sie lautlos in ihr Kissen, bis es ganz naß war und sie einschlief.

Als sie morgens am Kamine saß, in dem ein Feuer brannte, trat ihr Stiefsohn Philipp Wilhelm ein, der sie, weil sie ungefähr gleichaltrig waren, im vertrauten Verkehr Schwester zu nennen pflegte. Er wünschte ihr Glück zum Geburtstage und sagte, daß er lange nachgedacht habe, wie er ihr eine Freude bereiten könnte, und daß ihm eingefallen sei, wie sie kürzlich an Husten und Heiserkeit gelitten habe; deshalb habe er ihr ein Pelzlein um den Hals besorgt, damit sie besser vor Kälte und Zugluft geschützt sei. Sie nahm errötend den kleinen braunen Kragen und dankte, wobei sie an dem großen jungen Mann hinaufsehen mußte; dann lud sie ihn ein, sich zu ihr zu setzen. Indem sie den Pelz streichelte, fiel ihr plötzlich ihr totes Kind ein, und die Tränen stiegen ihr in die Augen; aber sie drückte sie hastig hinunter, knüpfte den Pelz um den Hals und fragte, ob es nicht gar zu stattlich für sie sei? Er fange wohl an, sich in der Galanterie zu üben, fuhr sie neckend fort, da er nun bald ein Bräutlein haben werde.

Davon sei ihm nichts bewußt, sagte er abwehrend, er befinde sich ledig wohl genug.

Sein Vater aber denke daran, sagte sie, und er würde doch auch mit einer Kaiserstochter wohl versorgt sein.

Es sei noch nicht soweit, sagte Philipp Wilhelm; er wolle eine Frau, die ihn hochachte, und keine, die sich mehr als er zu sein dünke.

Die Erzherzogin sei ja seine Base, sagte Karoline Charlotte, und werde ihn schon in Ehren halten. Auch sei es gewiß ein Wunsch seiner verstorbenen Mutter, was seinen Vater bewogen habe, das Projekt zu betreiben.

Nun, sagte Philipp Wilhelm, indem er sich behaglich in den Stuhl zurücklehnte, er wolle sich's überlegen. Jedenfalls wolle er keine Frau, die sein Schwesterchen nicht liebhätte.

Nach einer Weile trat Wolfgang Wilhelm ein, der erst am Abend vorher von einer Reise zurückgekommen war. Nun werde der Friede zustande kommen, erzählte er. Der Kurfürst von Sachsen habe das Schwert bereits eingesteckt, ohnehin nicht viel Ehre damit eingelegt; Brandenburg werde bald nachfolgen. Hätten die Fürsten es wie er gemacht und wären von Anfang an bei der Neutralität geblieben, so stände es besser ums Reich. Er habe es sich freilich auch Mühe kosten lassen, und es gehöre politischer Verstand dazu. Fürsten sollten Staatsmänner und keine Raufbolde sein.

Ach, sagte Karoline Charlotte, wenn der Frieden käme, das sollte ihr das allerliebste Geburtstagsgeschenk sein.

Nach dem Siege bei Nördlingen, sagte Wolfgang Wilhelm, könne der Kaiser den Frieden vorschreiben, wie er wolle. Es bleibe den Evangelischen nichts übrig, als sich zu unterwerfen, und das geschehe ihnen recht, weil sie ungeschickt und vorwitzig gewesen wären.

Karoline Charlotte und Philipp Wilhelm schwiegen beide. Er wolle nun erwarten, fuhr Wolfgang Wilhelm fort, ob der Kaiser sich seines Sieges vernünftig bedienen werde. Er, Wolfgang Wilhelm, habe sich bisher keiner Billigkeit von ihm zu erfreuen gehabt, obwohl der Kaiser, ganz abgesehen von der Verwandtschaft, Ursache gehabt hätte, ihn besonders zu berücksichtigen. Er wolle es aber dem Kaiser nicht nachtragen, inkliniere vielmehr zu einem engeren Verständnis, zu dessen Beförderung er nach Wien zu reisen gedenke, und es könne sein, daß seine Abwesenheit sich über mehrere Monate erstrecken werde. Karoline solle aber deswegen nicht desperat sein, er werde für alles Vorsorge treffen und ließe auch Philipp Wilhelm zurück, damit er ihr eine Stütze wäre.

Er dürfe auf sie keine Rücksicht nehmen, wenn es das Wohl des Landes gelte, sagte Karoline; sie werde sich Mühe geben, den Pflichten ihrer Stellung zu genügen.

Davon sei er überzeugt, sagte Wolfgang Wilhelm, daß sie sich bemühen werde und daß, wenn sie es irgendwie am Guten ermangeln lasse, weniger Eigensinn und Eigenwille als mißleitete Einsicht daran schuld sei. Es habe ihm billigerweise großen Schmerz verursacht, daß er seine Kinder beide so bald habe müssen dahinsterben sehen und daß die Nachfolge in einem so bedeutenden Lande, wie das seinige sei, einzig auf den beiden Augen seines Sohnes erster Ehe stehe. Er habe ihr schon nach dem Tode des ersten Kindes gesagt, daß Gott ihr damit einen Fingerzeig geben und sie zur Kirche locken wolle; sie habe sich aber angestellt, als verstehe sie ihn nicht, habe sogar trotz seiner Andeutungen die evangelische Kinderfrau behalten. Nun habe sie die Folgen ihres Ungehorsams erlebt, die auch ihn hart träfen. Hätte sie sich gefügt, wie er gehofft habe, so würde diese Strafe sie nicht getroffen haben.

Sie könne nicht glauben, daß es sich so verhalte, entgegnete Karoline Charlotte leise. Es stürben auch Kinder katholischer Mütter. Erst kürzlich habe die Frau Oberstmarschallin zwei Kinder nacheinander verloren.

Das sei etwas anderes, sagte Wolfgang Wilhelm, damals habe die Pest geherrscht. Er wisse es übrigens nicht anders, als daß sie, die schuldige Bescheidenheit der Ehefrau hintansetzend, immer Widerworte gegen ihn habe.

So habe sie es nicht gemeint, entschuldigte sich Karoline Charlotte; sie habe nur sagen wollen, daß es für die Menschen schwer wäre, Gottes heiligen Willen zu deuten.

Philipp Wilhelms Blicke ruhten mitleidig auf der blassen, fröstelnden Gestalt im schwarzen Kleide, wie sie die schmalen Hände fest gegeneinander preßte und die klugen dunklen Augen ernst bittend auf den scheltenden Herzog richtete. Als sie fortgegangen war, um einigen Standesdamen Audienz zu erteilen, die sie beglückwünschen wollten, sagte er mißvergnügt zu seinem Vater, es falle ihm schwer, anzuhören, wie er die arme leidtragende Frau umsonst peinige.

So? sagte Wolfgang Wilhelm scharf, es nehme ihn wunder, das zu hören. Philipp Wilhelm habe doch des öfteren geäußert, er möchte lieber kinderlos bleiben als eine unkatholische Frau nehmen.

Ja, antwortete Philipp Wilhelm, das sei auch seine Meinung, und sein Vater hätte besser getan, nach demselben Grundsatz zu handeln.

Es sei seine Absicht gewesen, sie der Kirche zuzuführen, sagte Wolfgang Wilhelm, eine gute, heilige Absicht, die den Beifall seines Beichtvaters gehabt hätte.

Er habe sich eben zuviel zugetraut, sagte Philipp Wilhelm; die Herzogin sei kein Rohr, das man nach Belieben biegen könnte.

»Wer hätte gedacht,« sagte Wolfgang Wilhelm sinnend, »daß auf dem zarten Mädchenleib ein so heroisches Köpflein säße? Es ist ihr mit keiner Waffe beizukommen.«

So solle er es doch aufgeben, sagte Philipp Wilhelm, um so mehr, als er ihr feierlich gelobt hätte, sie ungekränkt bei ihrem Glauben zu lassen. Es sei unfürstlich, sein Wort nicht zu halten.

Das zu beurteilen sei Philipp Wilhelm noch zu jung, sagte der Herzog verweisend. Im Widerstreit der Pflichten müsse oft die geringere der vornehmeren weichen.

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Der schwedische Kommandant Hastver in Nürnberg war auf dem Rathause und versuchte Bürgermeister und Rat wegen eines von einem seiner Offiziere verübten Mordes zu begütigen: er sei sonst ein tapferer Mann, dem Trunk nicht ergeben; in dieser Zeit, wo die Belagerung täglich schärfer würde und es etwa gar zum Sturm kommen könnte, wo die Mannschaft noch dazu täglich durch die Seuche vermindert würde, sollte man sich nicht überflüssig eines rüstigen Mannes berauben.

Der Bürgermeister gab dem Kommandanten zur Antwort, er solle bedenken, wie schwer sie es jetzt hätten, die Ordnung zu erhalten, wo Bürger, Soldaten und die Bauern vom Lande durcheinander hausten und die Menschen in der übermäßigen Not sich unterständen, an Gott zu zweifeln. Wenn nun noch ihre Justiz zum Gespött würde, wäre das Chaos bei der Hand.

Hastver gab das zu; er wolle auch keineswegs den Herren das Regiment aus den Händen winden, bitte nur aus angeführten Gründen eine Ausnahme zuzulassen.

Sie fänden den Übeltäter auch leider zu mutwillig und unbescheiden, fuhr der Bürgermeister fort; denn er sage aus, daß er sein Opfer nur deshalb erschossen habe, weil derselbe ihm in der Sonne gestanden und seine Ermahnung, beiseite zu treten, nicht beachtet habe. Da sei ihm so durch den Kopf gefahren, es mit einer Kugel zu versuchen. Er solle sogar gelacht haben, als der Getroffene stracks und ohne einen Laut tot vornüber gefallen sei.

Hastver schüttelte den Kopf und sagte, das sei allerdings ungebührlich; man könne ihn etwa durch einen Prediger bearbeiten lassen, daß er seine Schuld begriffe. Er sei ja evangelisch und sonst immer ein frommer, redlicher Mann gewesen.

In diesem Augenblick trat Pfarrer Leibnitz ein und fragte, wie es der Rat mit dem Selbstmörder Robert wolle gehalten haben; man könne es mit der Beerdigung nicht länger anstehen lassen.

Das sei ein schwerer, verdrießlicher Handel, sagte einer der Ratsherren, und es wäre wohl besser gewesen, wenn man den Missetäter sofort in aller Stille auf den Schindanger gebracht hätte.

Leibnitz schwieg eine Weile und sagte dann, die Herren möchten ihm gestatten, sich noch einmal darüber zu verbreiten. Sie zweifelten wohl nicht daran, daß ein rechtgläubiger evangelischer Christ und Pfarrer das verbotene Laster des Selbstmordes billig verabscheue; wer aber über Menschen richten wolle, müsse Distinktion üben, da das menschliche Herz und Schicksal ärger als der Gordische Knoten ineinander verwickelt und etwa nur durch den Finger Gottes zu entwirren wären. So könne er von dem Robert, seinem gewesenen Beichtkinde, nichts anderes sagen, als daß er ein frommer, fleißiger Mann, nur dann und wann ein wenig melancholisch gewesen sei.

Das sei eben doch für verfänglich zu halten, meinte der Bürgermeister.

Ja, der Teufel kralle sich leichter in einem schwarzgalligen Gemüte als in einem lustigen fest, sagte der Pfarrer; davor sei aber die Frömmigkeit des Robert gestanden, mittels welcher er solche Verführung stets siegreich habe abweisen können. Erst in den Monaten, als die Zeit so böse geworden sei, habe es ihn überkommen. Er habe ihm das letztemal ganz aufrichtig gebeichtet, wie er zuweilen an Gott und Menschen zweifeln und denken müsse, die Menschen wären alle des Teufels. Man sähe jetzt freilich nichts anderes als Hunger, Jammer, Übermut, Haß und Neid, und es habe den Anschein, als ob die verhängten Gottesstrafen die Menschen nur verstockter machten. So habe kürzlich eine Witfrau, die kaum die Ihrigen durchbringen könne und dazu noch fünf Soldaten im Quartier habe, in der Desperation zu ihren Kindern gesagt, wenn das älteste Mädchen, ihr Stiefkind, hin wäre, könnten sie es verspeisen und ihren Hunger stillen, da es ohnehin fett sei. Diese unbesonnene und allerdings gottlose Rede sei ruchbar und die Frau wegen ihres lästerlichen Maulwerks vom Büttel ins Loch gesperrt worden, worauf die Kinder auf die Nachbarn und rauhen Soldaten angewiesen gewesen wären, die sich ihrer auch gutherzig angenommen hätten, so daß nur das jüngste gestorben wäre. Das und mehr dergleichen habe er erlebt und endlich zu seiner Frau, von der er, der Pfarrer, es wisse, gesagt, er müsse davon, er könne und wolle es nicht länger mit ansehen, und sich mit siebenundzwanzig Stichen vom Leben zum Tode gebracht.

Der Bürgermeister zweifelte, ob das als eine Entschuldigung anzusehen sei, indem der Mensch sich einmal kein Urteil über den Lauf der Welt anzumaßen hätte; die Obrigkeit müsse die Rebellierer und Besserwisser scharf im Auge haben, sonst würde alles kopfüber, kopfunter gehen.

Indessen meinten einige Ratsherren, die Zeit sei allerdings über die Maßen böse und könne einen schon auf lose Gedanken bringen, und deshalb sollte man, auch um des rechtschaffenen Gottesmannes Leibnitz willen, Erbarmen haben und dem Sünder ein Grab in geweihter Erde ausnahmsweise vergönnen. Leibnitz versprach dagegen, am Grabe nicht mehr als ein kurzes Gebetlein zu sprechen, in der nächsten Predigt aber eine Warnung an das Volk ergehen zu lassen, daß sie sich vor Desperation hüteten, vielmehr der Strafe Gottes bescheidentlich unterwürfen und auf Besserung bedacht wären.

Ja, sagte der Ratsherr, die Prediger müßten überhaupt das Volk häufiger vom Laster abmahnen, namentlich von Unzufriedenheit und Neid, die so sehr zur Desperation beitrügen. Sie sollten ihm vorstellen, wie die Oberen, abgesehen davon, daß sie der Krankheit und dem Tode nicht weniger unterworfen wären, gleichfalls von dem allgemeinen Elend betroffen wären und sich von Kleiderpracht und Luxus freiwillig nach Maß ihres Standes enthielten; so hätten sie erst kürzlich den Beschluß gefaßt, das alljährlich am Neujahrstag stattfindende Ratsmahl um mehrere Schüsseln zu verkürzen. Übrigens sähen die Herren Pfarrer nun, wohin das schwedische Bündnis geführt habe, das sie in vergangener Zeit so hitzig angepriesen hätten.

Sie hätten geglaubt, zur Erhaltung des Evangeliums alles wagen und einsetzen zu müssen, sagte Pfarrer Leibnitz; der Mensch könne nur tapfer kämpfen, den Sieg verleihe Gott.

Damit entfernte sich der Pfarrer, worauf der Kommandant Hastver wieder vortrat und sagte, da die Herren nun einmal eine so herrliche Großmut hätten vorbrechen lassen, möchten sie dieselbe nicht zurückziehen, sondern auch auf ihn scheinen lassen und seinem mutwilligen Leutnant, der sich vielleicht auch in einer Konsternation oder Gemütsverwirrung befunden hätte, die verdiente Strafe erlassen.

Nach kurzem Zögern entschied der Rat, sie wollten seine Bitte erfüllen, und zwar aus Liebe zu seiner, des Kommandanten, Person, dessen Frömmigkeit, Tapferkeit und Gelassenheit sowie Respekt gegen die städtische Regierung, die die Offiziere im Übermut ihres soldatischen Berufs jezuweilen verachteten, sie nicht genug loben könnten. Sie entschuldigten sich auch wegen der das schwedische Bündnis betreffenden widrigen Bemerkung, die ihnen soeben entschlüpft wäre und die keineswegs ihm oder seiner Regierung zum Schimpf gemeint gewesen sei. Er wisse ja, wie getreulich sie an dem mit der glorreichen verstorbenen Majestät geschlossenen Bündnis festgehalten und was sie dafür geopfert hätten; sie hätten nur dem guten Pfarrer eins auswischen wollen, weil sich seinesgleichen über die Gebühr in die weltlichen Angelegenheiten zu mengen pflegten.

Der Kommandant bedankte sich wegen der erwiesenen Gnade und der bezeigten Zuneigung und beteuerte, daß er der Stadt Nürnberg gebrachte Opfer erkenne und zu würdigen wisse. Das allgemeine Übel gehe ihm selbst zu Herzen; wenn er nur könnte, möchte er es abwenden. Es wolle ihm fast so vorkommen, als wären dem einen oder anderen der Herren seit dem Tage, wo der König zuerst in Nürnberg eingeritten sei, die Haare weiß geworden.

Die Nürnberger nickten traurig. So sei es mit dem Alter, sagte der eine Ratsherr, es zögere oft lange, dann komme es im Sprunge, wenn man schon von anderer Seite angegriffen und wehrlos sei.

Die Sorgen, fügte ein anderer hinzu, die wären des Alters Vorhut. Die schössen Bresche, hernach könne das Alter gemächlich durch den Schutt einziehen.

Wenn sie nur ihre uralte Freiheit davonbrächten, sagte der Bürgermeister, so wollten sie die gebrachten Opfer nicht bereuen. Aber wenn sie auch den Kopf aus der Schlinge ziehen könnten, die ein gewisser mächtiger katholischer Fürst nach ihnen auswürfe, so sei die Verwirrung im Haushalte doch so groß, daß sie nicht wüßten, wie sie je den früheren Wohlstand wieder erreichen sollten. Schulden pflegten wie das Unkraut im Getreide, das nicht rechtzeitig ausgerauft würde, hundertfach zu wachsen und zu wuchern, und wie die Furien den Menschen stets truppweise verfolgten, so pflege Armut die Vorstufe zur Knechtschaft zu sein.

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