Annie Hruschka
Das silberne Auto
Annie Hruschka

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25

Das silbergraue Auto stand immer noch am Waldrand. Frau Andagola war unruhig geworden. Sie hatte schon wiederholt aus dem Wagenfenster geschaut, aber von ihrem Mann war weit und breit nichts zu sehen. Im Wald regte sich nichts . . .

Seit anderthalb Stunden war er fort. Es wird ihm doch nichts zugestoßen sein? Sie beugte sich wieder aus dem Wagenfenster und lauschte gespannt. Ja, sie hörte etwas . . . und dann sah sie den schwachen Schimmer einer Fahrradlampe.

Enttäuscht lehnte sie sich wieder zurück.

Als der Radfahrer dicht vor dem Auto hielt, zuckte sie zusammen.

»Frau Andagola? Guten Abend! Ich möchte Sie etwas fragen!«

Sie blickte den Unbekannten mißtrauisch an.

»Warum? Ich kenne Sie ja gar nicht!«

»Doch, Sie kennen mich! Ich war im Hotel Imperial bei Ihnen zum Tee. Allerdings unter einem andern Namen. Damals nannte ich mich Merker. Darf ich mich vorstellen? Hermann Hempel aus Wien, Privatdetektiv.«

»Oh – Detektiv?«

»Sie haben recht, mich argwöhnisch anzuschauen. Die Erklärung muß ich auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. – Es handelt sich jetzt um Ihren Gatten . . .«

»Hat Juan Sie geschickt? Warum kommt er nicht selbst? Was fehlt ihm?«

»Es ist ihm nichts Ernstliches zugestoßen, seien Sie ganz beruhigt. Leider kann er nicht selbst kommen. Vorläufig muß ich nur von Ihnen wissen, ob er vielleicht bei seinem heutigen Ausflug nach Tannroda die Absicht hatte, seine Mutter persönlich zu sprechen?«

Die junge Frau fuhr zusammen.

»Woher wissen Sie denn . . .«

»Daß Frau Gottschalk seine Mutter ist? Das ist jetzt Nebensache. Wenn Sie mir nur meine Fragen beantworten wollten?«

»Mein Mann hatte nicht beabsichtigt, seine Mutter zu sprechen. Er wagte das nicht.«

»Ja, ich weiß; er wollte also Wort halten.«

»Ja . . . aber er wollte doch noch ein letztes Mal Tannroda sehen, ehe wir wieder nach Solis zurückkehrten –«

»Sie waren also bereits einmal hier? Oder vielleicht gar mehrmals?« fragte Hempel gespannt.

»Es ist heute das fünfte Mal.«

»Und glückte es ihm? Sah er seine Mutter?«

»Nur ein einziges Mal. Es war ihm ja hier in Tannroda alles fremd. Er war in seiner Jugend nie hier gewesen. Und am hellen Tage wollte er sich nicht in der Umgebung des Hauses zeigen.«

»Das war am 29. März, nicht wahr?«

»Ich weiß es nicht – doch, ja, ich glaube, es könnte stimmen.«

»Und dann?«

»Bald danach war er noch zweimal hier, einmal am Morgen, ein andermal am Nachmittag. Hierfür benutzte er nicht das Auto, weil es etwas auffällig ist, sondern er fuhr mit der Bahn her. Das vierte Mal begleitete ich ihn dann wieder, und wir nahmen das Auto und fuhren zu einer späteren Stunde. Da hatte er endlich Glück. Er sah seine Mutter, als sie am Arm eines jungen Mannes, den er für seinen Bruder hielt, spazierenging. Daraus schloß er, daß sie um diese Zeit wohl gewöhnlich einen Abendspaziergang mache, und kam heute um die gleiche Zeit her. Aber ich kann mir sein langes Ausbleiben wirklich nicht erklären!«

»Ja, deshalb bin ich auch gekommen. Damit Sie wissen, was sich heute abend auf Tannroda abgespielt hat«, sagte Hempel nachdenklich.

Frau Andagola sah ihn bestürzt an:

»Abgespielt! Ist etwas geschehen? O bitte, sagen Sie mir, was mit Juan ist!«

Und nun berichtete Hempel alles und schloß:

»Ich kann nur annehmen, daß Ihr Gatte unmittelbar nach dem begangenen Verbrechen ahnungslos an den Tatort kam und dort seine Mutter fand.«

»Mein Gott, was für ein schreckliches Wiedersehen! Mein armer Mann!«

Hermann Hempel achtet nicht weiter auf diesen Einwurf. »Leider wurde Ihr Mann dieser Tat verdächtigt.«

»Wieso?«

»Der Kriminalbeamte, der angewiesen war, das Haus und seine Umgebung ständig im Auge zu behalten, kam unglücklicherweise gerade dazu, als Ihr Mann seine Mutter fand. Da der Beamte nichts von den Zusammenhängen ahnte, mußte er natürlich annehmen, in Herrn Andagola den Täter vor sich zu haben, und verhaftete ihn. Er hatte einen auf ›Ulrich Gottschalk‹ lautenden Haftbefehl in der Tasche.«

»Wie? Juan ist verhaftet?«

»Seien Sie unbesorgt, gnädige Frau, es wird nicht für lange sein. Ich habe zum Glück alle Karten in der Hand. Ihr Gatte wird bald wieder auf freiem Fuße sein, spätestens in ein bis zwei Tagen. Ich wollte Ihnen das nur mitteilen, damit Sie beruhigt sind. Denn ich muß zuvor noch dem Mörder nachjagen und ihn der Polizei überliefern.«

»Kennen Sie ihn?«

»Ja, ich bin schon auf dem Wege zu seinem letzten Unterschlupf.«

*

Sie hörten ein Auto. Hempel trat aufatmend zurück.

»Gott sei Dank – das ist mein Wagen. Darf ich Sie bitten, das Fahrrad hier nach Tannroda mitzunehmen? Der Chauffeur holte es mir aus dem Schuppen.«

»Natürlich, gern. Grant kann es gleich verstauen! Und kommen Sie nur recht bald mit Juan zurück.«

»Bestimmt! Ich verspreche es! Auf Wiedersehen!«

 


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