Annie Hruschka
Das silberne Auto
Annie Hruschka

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8

Am nächsten Morgen blieb Frau Gottschalk unsichtbar. Dennoch ging es beim Frühstück recht lebhaft zu. Ronny und seine beiden Studienfreunde waren schon im Morgengrauen aufgebrochen, um in Begleitung des Försters am Niederegg zu jagen. Sie kamen auch zu Schuß und erlegten zwei Auerhähne. Voller Stolz und mit etwas Jägerlatein berichteten sie Vera alle Einzelheiten darüber. Doch Vera war etwas böse, daß man sie nicht mitgenommen hatte. Der Bruder neckte sie obendrein, sie wäre eine Langschläferin, lenkte dann aber schnell ein und bat sie, mit ihnen fischen zu gehen. Vielleicht hätten sie dann mehr Glück als am Tage vorher.

Mißmutig erwiderte sie: »Wenn wenigstens Landsbergs noch dabei wären! Aber sie sind ja heute bei Frau Mangold eingeladen!«

Als sie es sagte, tönte von unten der Lärm eines Motorrades herauf, und kurz danach trat Doktor Sorel ein.

Vera strahlte. »Sie haben uns gefehlt, Herr Sorel! Bleiben Sie doch heute hier und machen Sie mit!« Schnell erklärte sie ihm, was für Pläne bestanden.

Doktor Sorel hatte eigentlich nur Herrn Hempel zu einem kleinen Botanisier-Bummel abholen wollen. Als er jedoch so liebenswürdig aufgefordert wurde, verschwieg er seine ursprüngliche Absicht und nahm mit Freuden an.

Ronny ging nach oben, um auch für Herrn Sorel Angelzeug zu holen, während dieser inzwischen Herrn Hempel begrüßte und ihm erklärte, daß sein Besuch eigentlich ihm gälte. Hempel winkte verständnisvoll ab.

»Ich begreife, daß Ihnen Veras Gesellschaft angenehmer ist als die seltensten Blumen der Umgebung«, lachte er. »Recht viel Vergnügen!«

»Oh, danke! Aber wollen Sie nicht mitkommen?«

»Nein, ich habe anderes vor. Dabei könnten Sie mir einen großen Dienst erweisen.«

»Aber gern, Herr Hempel!«

»Sie erwähnten gestern, daß Sie Ihr Motorrad aus Wien mitgebracht hätten. Wären Sie so liebenswürdig, es mir für kurze Zeit zu überlassen?«

»Aber natürlich, gern; es steht übrigens unten.«

»Das trifft sich ja großartig!«

»Aber ich komme erst am späten Nachmittag zurück. Wie kommen Sie dann nach Heimdiel?«

»Zu Fuß, wie sonst auch. Machen Sie sich keine Sorgen. Behalten Sie das Motorrad nur den ganzen Tag.«

»Dann werde ich es Ihnen am Abend in Heimdiel abliefern?«

Sie verabschiedeten sich, und als die Angler den Weg zum Stausee einschlugen, brach auch Hempel auf, aber in entgegengesetzter Richtung.

Es lag nicht in seiner Absicht, nur nach Bruck zu fahren. Er wollte viel weiter kommen, wenn es sein mußte bis zur Landesgrenze, um festzustellen, wohin das ›silberne Auto‹ am Abend des 29. März gefahren war. Vielleicht konnte er schon heute etwas über die Insassen erfahren.

Das ›silberne Auto‹ hatte Grainau in nördlicher Richtung verlassen. Also schlug auch Hempel zunächst diesen Weg ein. Gelang es ihm, den Verbleib des Autos festzustellen, dann war er ein gutes Stück weitergekommen. Gelang es ihm nicht, dann müßte er nach Wien fahren, um sich mit dem Anwalt der Familie Gottschalk in Verbindung zu setzen. Vielleicht wußte er mehr über Ulrichs Pläne, als er den Angehörigen mitteilte? Vielleicht kannte er sogar seinen jetzigen Aufenthaltsort?

*

Hempel hatte schon manchen Kilometer zurückgelegt und nicht nur in größeren Ortschaften, sondern auch in kleinen Nestern die Fahrt unterbrochen, um sich nach dem ›silbernen Auto‹ zu erkundigen. Wie er es vermutet hatte, fand sich überall der eine oder andere, der dem ›silbernen Auto‹ begegnet war.

In Bruck und Mürzzuschlag, wo in den großen Eisenhämmern mit Nachtschicht gearbeitet wurde, waren es sogar mehrere Personen, die ihm Auskunft geben konnten.

Das Auto war bald hinter Grainau auf die Reichsstraße abgebogen und ohne Unterbrechung weiter nach Norden gefahren. Gegen Mitternacht war es dann am Semmering angelangt. Dort – vor dem Hotel, das an der Grenze liegt – hatte es angehalten, und die Insassen waren ausgestiegen, um im Restaurant einige Erfrischungen zu sich zu nehmen. Die Gäste des Hotels waren zum größten Teil noch auf gewesen. Die Fremden waren aufgefallen, man hatte sie auch im Restaurant beachtet. Sie hatten durchaus keinen geheimnisvollen oder abgehetzten Eindruck gemacht und hatten sich völlig ungeniert bewegt.

Nach einer halben Stunde hätten sie den Chauffeur rufen lassen und die Fahrt fortgesetzt.

Der Detektiv konnte eine ziemlich genaue, übereinstimmende Personalbeschreibung des ausländischen Paares erhalten.

Die Dame sei jung, mittelgroß gewesen, mit schmalem, gebräuntem Gesicht und dunklen Augen. Ihr Haar war kurzgeschnitten. Sie hatte einen grauen Mantel getragen.

Der Herr war groß, schlank, breit in den Schultern und sehr dunkel. Seine Haare waren braun, wenn nicht schwarz. Über dem linken Auge hatte: er eine auffallende Narbe.

Beide schienen sich heiter und angeregt zu unterhalten. Sie sprachen untereinander in einer fremden Sprache, wahrscheinlich Spanisch oder Portugiesisch; mit den Kellnern sprachen sie jedoch ein tadelloses Deutsch. Den Chauffeur hatten sie englisch angeredet.

Dieser habe mehreren Kollegen, die sich gleichzeitig mit ihm in der Schankstube befanden, bereitwillig Auskunft gegeben. Er habe auch den Namen seiner Herrschaft genannt, doch hätte man ihn sich nicht gemerkt, da er schwer auszusprechen gewesen sei.

Sie seien aus Argentinien gekommen, und seine Herrschaft, die in der Provinz Entre Rios eine große Farm besitze, sei reich und dort sehr angesehen. Jetzt wollten sie nach Wien weiterfahren.

Hempel notierte sich alles sorgfältig. Das meiste ergänzte das Bild, das er sich von dem Paar bereits gemacht hatte. Wenn auch nicht alles . . .

Ihn wunderte natürlich vor allem die Unbefangenheit, mit der das Paar mitten durch Steiermark fuhr, ohne auch nur den Versuch zu machen, die Spur zu verwischen.

Das ließ sich wirklich nur schwer mit der Annahme vereinen, der Herr sei der Mörder Kluges gewesen.

Andrerseits sprach vieles dafür, daß es Ulrich Gottschalk gewesen sei. Und nur dieser konnte vorerst als Täter in Betracht kommen, nachdem man jetzt das Fehlen des Reverses festgestellt hatte.

Oder waren das alles Trugschlüsse? Wenn Ulrich Gottschalk nun schon längst tot wäre? Wenn ein Unbekannter den Mord begangen hätte?

Todmüde langte Hempel am späten Abend wieder in Tannroda an.

Vom Diener vernahm er, daß die jungen Leute bereits zu Bett gegangen waren.

 


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